Sanierungsarbeiten am Gelmersee
Umfangreich und umweltverträglich
Vor über 90 Jahren wurde der Gelmersee – zeitgleich mit dem Grimselsee – gebaut. Die hydraulischen Anlagen waren seither praktisch immer unter Wasser. Korrosion und Deformationen des Druckrohrs machen nun umfassende Sanierungsarbeiten nötig. Für die erste Etappe dieser Arbeiten wurde der See entleert, um die oberen Komponenten instandzusetzen.
Bezüglich medialer Aufmerksamkeit steht die Sanierung des Gelmersees im Schatten derjernigen des Grimselsees, dessen neue Ersatzstaumauer ein sichtbareres und zugänglicheres Unterfangen ist. Aber es lohnt sich, auch einen Blick auf die Arbeiten am Gelmersee zu werfen.
Der See wird einerseits mit Wasser aus dem Einzugsgebiet und andererseits über einen Stollen aus dem Grimselsee versorgt. Das Wasser des Gelmersees gelangt anschliessend durch einen 1200 m langen Druckschacht in das Kraftwerk Handeck, wo es mit zwei Peltonturbinen und Generatoren mit je 24 MW Nettoleistung turbiniert wird. Der Korrosionsschutz dieses fast einhundert Jahre alten Druckschachts – eines der ersten seiner Art – wurde zwar bereits mehrfach erneuert, aber dies genügte nicht mehr. Nach einem so langen Einsatz ist eine umfassende Sanierung nötig.
Diese Sanierung wird in zwei Etappen ausgeführt: Zunächst werden die Anlagen, die sich auf Seehöhe befinden, d. h. das Einlaufbauwerk, der Revisionsschütz, die Sicherheits-Drosselklappe und die Anschlusspanzerung erneuert. Diese Vorbereitungsarbeiten sind nötig, damit in der zweiten Etappe neue Stahlrohre in den Druckschacht geführt werden können – bei komplett gefülltem See mit geschlossener Revisionsschütze und Drosselklappe. Die alten Anlagen wären u. U. nicht in der Lage, dem Wasserdruck so lange zuverlässig standzuhalten und für sichere Arbeiten im Druckschacht zu sorgen.
Die erste Etappe: Vorbereitungsarbeiten
Die Arbeiten der nun abgeschlossenen ersten Etappe umfassten zunächst den Bau von temporären Installationen und Einhausungen. Sie wurden im August 2021 begonnen. Die Holzwände für die Einhausungen wurden im Tal vorgefertigt und anschliessend zur Talstation der Gelmerbahn gefahren. Von dort wurden sie mit dem Helikopter nach oben geflogen und direkt am vorgesehenen Ort zusammengestellt. Nicht alle Wände waren neu, manche konnten von anderen Baustellen übernommen werden. Das Dach der Einhausung beim Wärterhaus (Bild 1) war so konzipiert, dass es rasch entfernt werden konnte, beispielsweise, um die für die Inspektionsarbeiten benötigte, rund 4 t schwere Seilwinde einzufliegen und in der Einhausung installieren zu können. Auch der Kompressor konnte so eingeflogen und durch die Dachöffnung eingebaut werden.
Anfang November 2021, also 15 Jahre nach der letzten Entleerung, wurde der See entleert, um die Drosselklappe ausbauen und den Druckschacht vermessen zu können. Dazu wurde ein Wagen mit präzisen Vermessungsinstrumenten mittels Seilwinde in den Druckschacht heruntergelassen. Erst ein genaues Bild der Situation ermöglichte Entscheidungen bezüglich der nötigen Sanierungsarbeiten.
Der Zeitpunkt der Entleerung wurde so gelegt, dass möglichst wenig Wasser zufloss, damit die Arbeit möglich und gleichzeitig der Produktionsausfall minimal war. Im Jahr fliessen rund 35 Mio. m3 Wasser in den Gelmersee. Im Sommer sind dies 7 bis 8 m3 pro Sekunde, im Winter rund 0,2 m3/s. Der Produktionsverlust war also gering.
Bis tief in den November konnte die Gelmerbahn für Transporte genutzt werden. Durch regelmässige Fahrten, auch an Wochenenden und in der Nacht, wurde frisch gefallener Schnee geräumt – bis ein Schneebrett die Strecke sperrte und diese Art der Räumung verunmöglichte. Für die zwölf Sanierer war diese Zeit praktisch, denn sie konnten jeden Abend nach Hause fahren. Nachdem die Bahn stillgelegt war, wurden die Arbeiter jeweils am Montag früh mit dem Helikopter (Bild 3) hochgeflogen und bei günstigen Wetterverhältnissen am Freitagabend wieder ins Tal gebracht. Bei schlechtem Wetter mussten sie auch mal ein Wochenende oben im Wärterhaus verbringen.
Beim Einlauf (Bild 2) wurde der rostige Rechen in Ordnung gebracht. Im vorderen Teil, in dem der Stollen nur mit Beton ausgekleidet ist, wurde die Sohle ausgebessert, da sie gewisse Auswaschungen aufwies. Die Stahlverkleidung, die im hinteren Abschnitt folgt, wurde sandgestrahlt, um den Korrosionsschutz mit der Spritzverzinkgrundierung zu entfernen. Dann wurde neuer Korrosionsschutz, ebenfalls Spritzverzinkung, aufgebaut, eine bewährte Methode, die ein wenig teurer als andere Verfahren ist.
Zusätzlich zum Druckstollensystem wurde der Grundablass inspiziert. Fazit: Auch hier war der Korrosionsschutz dringend erneuerungsbedürftig. Der Mehraufwand für die entsprechende Instandsetzung war ursprünglich nicht eingeplant, und man musste vor Weihnachten 2021 zusätzliche Schlafgelegenheiten für vier Personen einrichten. Alle Vorbereitungsarbeiten mussten noch vor der einsetzenden Schneeschmelze abgeschlossen sein, denn sonst hätte man nicht am Grundablass arbeiten können. Man stand also unter erheblichem Zeitdruck.
Für die Sanierung musste der Grundablass trockengelegt werden. Da es der tiefste Punkt des Systems ist, war dies nicht einfach. Der See musste unter die Schwelle des Grundablasses abgepumpt und durch kontinuierliches Abpumpen von rund 350 l/s etwa 70 cm unter der Schwelle gehalten werden. Dabei wurden der Seestand und die Pumpe mit Druckmesssonden und Kameras beobachtet. Ein Lochblech stellte sicher, dass keine Fische vom Restsee abgesaugt wurden. Die Absenkung von über einem halben Meter stellte sicher, dass bei einem allfälligen Pumpenausfall mindestens zwei Tage zur Verfügung stehen würden, um einen Ersatz zu installieren. Ab Mitte März mussten die Sanierungsarbeiten abgeschlossen sein, denn ab dann kann der natürliche Zulauf ansteigen. Die Pumpleistung wäre dann nicht mehr ausreichend, um den Grundablass trocken zu halten.
Durchschnittlich floss im Winter zwischen 150 und 200 l/s Wasser in den See. In der letzten Märzwoche waren die Arbeiten so weit abgeschlossen, dass die Pumpen abgeschaltet werden konnten und der See sich füllte. Um sicherzustellen, dass der Rechen für den Turbinenbetrieb eingestaut ist und es beim Druckschacht keine Luft hineinzieht, muss ein gewisser Wasserzufluss vorhanden sein. Da der natürliche Zufluss zu dieser Zeit dafür nicht ausreichte, hat eine Füllleitung vom Grimselsee den Zufluss unterstützt. So wurde das nötige Niveau relativ schnell erreicht, nämlich am 10. April 2022. Es konnte wieder Strom erzeugt werden.
Diese Füllleitung vom Grimselsee ist ein Nachschubstollen zur Bewirtschaftung des Gelmersees, um die Systemdienstleistungen optimal anbieten zu können. Beispielsweise wird damit erreicht, dass der Gelmersee einen gewissen Pegel hat, damit bei Bedarf zur Netzstützung voll turbiniert werden kann. Das Gefälle dieser Füllleitung von 50 m wird auch genutzt: Eine kleine Turbine kann 1,4 MW Leistung erzeugen, bei drei Kubikmetern pro Sekunde.
Die zweite Etappe: der Druckschacht
Da der Gelmersee eines der ersten Kraftwerke mit Druckschacht ist, standen damals nicht die hochwertigen Materialien und die aktuelle Schweisstechnik zur Verfügung. Mit dem Druckschacht, der 1925 bis 1929 gebaut wurde, hatten die Bauleute Pionierarbeit geleistet. Es ist also an der Zeit, den Druckschacht umfassend zu erneuern. Inspektionen aus dem Jahr 2019 hatten gezeigt, dass sich vor allem im Bereich des Krümmers und der Verteilleitung Risse ausgehend von Lunkern bilden. Die Schwachstellen wurden zwar temporär verstärkt, aber jetzt muss ganzheitlich saniert werden.
Die Druckschachterneuerung fängt voraussichtlich im Herbst 2025 an. Zwei Realisierungsvarianten wurden detailliert erarbeitet. Eine preisgünstigere, die einen Produktionsausfall von 41 Monaten verursachen würde und eine teurere Variante mit einer Stillstandszeit von 27 Monaten.
Bei der günstigeren Variante war vorgesehen, zuerst die am stärksten betroffene Flachstrecke mit einer Länge von 150 m bis zum Fusskrümmer zu sanieren und in einem zweiten Schritt die 800 m lange Steilstrecke. Bei der schnelleren, aber teureren Variante, welche nun ausgeführt wird, wird die gesamte Schachtlänge in zwei gleich lange, obere und untere Teilstrecke aufgeteilt. Die neuen Rohre werden in beiden Abschnitten gleichzeitig verbaut. Ein 600 m langer Zugangsstollen erschliesst den Druckschacht in der Hälfte der Gesamtlänge in beide Richtungen. Die Rohre der unteren Hälfte werden aus diesem Zugangsstollen eingebracht, verschweisst und mit Beton hinterfüllt. Im oberen Teil werden die Rohre von der Apparatekammer (Bild 2) her eingeführt, verschweisst und aus dem Zugangsstollen in der Mitte mit Pumpbeton hinterfüllt
Das neue Rohr
Der Innendurchmesser des neuen Druckrohrs wird 1,70 m betragen. Der Durchmesser wurde so optimiert, dass die Reibungsverluste möglichst klein sind – bei minimalen Materialkosten. Jedes Rohrelement ist 6 m lang und hat eine Wandstärke von maximal 15 mm. Die Länge wurde so gewählt, dass jedes Rohrstück einzeln mit einem Superpuma hinaufgeflogen werden kann. Diese Transportvariante ist preisgünstiger als ein Umbau der Gelmerbahn und Installationen für Umladestationen. Man wird an gewissen Tagen einen halben Tag lang fliegen. Diese Transportvariante scheint auf den ersten Blick teuer, ist aber die wirtschaftlichste.
Die neuen Rohre werden dann in die alten geschoben, bei denen im oberen Bereich der Innendurchmesser zurzeit 2,30 m und weiter unten 2,10 m beträgt. Es braucht zwischen dem Schacht und dem neuen Rohr einen Spalt, damit man die Rohre über die gesamte Länge hineinbringt und die Rohre mit Beton hinterfüllen kann. Mit dem Spalt lassen sich der Versatz und die Ausbeulungen des historischen Schachts, die bei der Inspektion festgestellt wurden, ausgleichen.
Beim Entleeren des Druckschachts muss grundsätzlich beachtet werden, dass gleichzeitig auch die Bergseite mit einer geeigneten Drainage entwässert wird, denn sonst hat man einen schädlichen Wasserdruck von aussen auf den Schacht. Eigentlich dürfte der Druckschacht nur so langsam entwässert werden, wie man auch die Bergseite entwässern kann. Bei einer schnellen Entleerung des Schachts können sonst Beulen entstehen.
Um künftige Probleme zu vermeiden, wurde der neue Druckschacht so ausgelegt, dass er in sich tragend ist und dem äusseren Wasserdruck standhält. Der bauliche Zusatzaufwand, um künftigen Schäden zu begegnen, lohnt sich.
Das Material des neuen Druckschachts wird nun sicher 100 Jahre halten, wenn der Korrosionsschutz alle 30 Jahre erneuert wird. Dabei ist die Aussenkorrosion auch ein Thema. Wenn das Rohr sauber mit Beton umschlossen ist und weder Sauerstoff noch Wasser hinzukommen können, ist Korrosion kein Problem. Man hat aber festgestellt, dass der alte Druckschacht nicht überall aufgefüllt war, denn früher hatte man nicht die gleichen Betoniermöglichkeiten wie heute, wodurch es zu Aussenkorrosion kam.
Die Verteilleitung zu den Maschinen muss wegen den sich bildenden Rissen komplett ersetzt werden. Weil man von 2012 bis 2016 ein zweites, paralleles System, einen Strang vom Grimselsee zum Räterichsbodensee und dann zum Handeck 2, gebaut hat, hat der Gelmersee an Stellenwert verloren. Deshalb genügte es, beim Gelmersee nur zwei Maschinen zu erneuern und die anderen zwei stillzulegen. Diese Leistungsreduktion erlaubt es nun, für die Druckleitung einen kleineren Durchmesser zu verwenden.
Im nächsten Frühling wird die Baubewilligung beantragt. Gleichzeitig wird die Ausschreibung gemacht. Dies muss möglichst früh geschehen, da die Stahlbeschaffung für die Rohre Zeit braucht. Die Lieferfrist dürfte mindestens ein Jahr betragen. Dann werden die Rohre einzeln eingeführt, verschweisst und ausbetoniert. Diese Sequenz wird von unterschiedlichen Fachleuten ausgeführt und muss zeitlich gut koordiniert sein, damit das Timing aufgeht. Möglichst kurze und fehlerfreie Zyklen mit einer reibungslosen Logistik sind zentral.
Sanierung mit ökologischem Fingerspitzengefühl
Für die KWO ist es wichtig, dass die Eingriffe in die Natur bei den Sanierungen minimiert werden – ohne die wirtschaftlichen Aspekte ausser Acht zu lassen. Ein eigenes interdisziplinäres Ökologie-Team analysiert jeweils vor den Sanierungsarbeiten, welche Massnahmen nötig sind, um Fauna und Flora zu schützen. Die Planung und Umsetzung geschieht gemeinsam mit den kantonalen Fachstellen. Beispielsweise wurden bei der Entleerung des Gelmersees rund 8000 kleinere Fische, Elritzen, mit käfigartigen Fallen eingefangen und mit der Gelmerbahn an einen bezüglich Umweltbedingungen vergleichbaren Ort umgesiedelt. Um bei der Entleerung sicherzustellen, dass grössere Fische wie kanadische Saiblinge nicht durch den Grundablass – der nicht mit einem Gitter geschützt ist – heruntergespült werden, wurden die Fische mit einer elektrischen Barriere erfolgreich vom Ablauf ferngehalten. Sie überlebten den Winter im Restsee.
In der Hasliaare wurden oberhalb der Fassung Handeck über 1000 Forellen eingesammelt und flussaufwärts gezügelt, denn das bei der Entleerung eines Sees entstehende Schlammwasser hätte für sie gefährlich werden können. Zudem wurde die Trübung des Wassers mittels Pegelsonden regelmässig überwacht. Vorgängig wurde mit einer hydraulischen Modellierung der zu erwartende Sedimentaustrag mit grosser Übereinstimmung prognostiziert. Alle Massnahmen waren erfolgreich. Die aquatische Fauna und Flora wurden, wenn überhaupt, nur geringfügig beeinflusst.
Weitere Massnahmen werden bei der zweiten Sanierungsetappe nötig, wenn die Auswirkungen des kontinuierlich überfliessenden Sees minimiert werden. Beispielsweise zeigen geologische Modellierungen der Gegend und Simulationen des Wasserflusses auf, wo ein Ablaufen des Seewassers die geringsten Schäden verursacht.
Nach Abschluss der zweiten Etappe wird der Gelmersee wieder jahrzehntelang zuverlässig Wasser fürs Kraftwerk Handeck 1 liefern und so einen Beitrag zur erneuerbaren Erzeugung von Elektrizität leisten. Und dem KWO-Team ermöglichen, sich der Sanierung der anderen Kraftwerke des Grimselgebiets zu widmen.
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