Fachartikel Hardware , Software

Gebrauchsanleitung zur Zuse Z4 gefunden

Historischer Relaisrechner

28.11.2020

Die Zuse Z4 gilt als der weltweit älteste erhaltene Computer. Die 1945 gefertigte und 1949/1950 überholte und erweiterte Relais­maschine war von 1950 bis 1955 leihweise an der ETH Zürich in Betrieb. Heute befindet sich der riesige Digitalrechner im Deutschen Museum in München. Die Bedienungsanleitung für die Z4 galt lange Zeit als verschollen.

In Kontinentaleuropa war die ETH Zürich 1950 die einzige Universität mit einem funktionsfähigen lochstreifengesteuerten Computer, dem Relaisrechner Zuse Z4. Die Z4, der erste kommerzielle Computer weltweit, ist heute im Deutschen Museum ausgestellt. Aus den 1940er-Jahren hat nur ein einziger weiterer Computer überlebt, der Röhrenrechner Csirac (1949). Er befindet sich im Melbourne Museum, Carlton, Victoria.

Die Zuse Z4 wurde am 1948 gegründeten Institut für angewandte Mathematik der ETH Zürich eingesetzt. Geleitet wurde das Institut vom Mathematiker Eduard Stiefel. Seine beiden wichtigsten Mitarbeiter waren der Mathematiker Heinz Rutishauser und der Elektroingenieur Ambros Speiser. Rutishauser war einer der Väter der Programmiersprache Algol, Speiser wurde Gründungsdirektor des IBM- Forschungszentrums in Rüschlikon am Zürichsee. Zu den Mitarbeitern des Instituts für angewandte Mathematik gehörten u. a. Urs Hochstrasser (geb. 1926), Hans Rudolf Schwarz (geb. 1930) und Heinz Waldburger (gest. 2015).

Fund dank Berechnungen für Strahlflugzeug P-16

Evelyn Boesch vom Hochschularchiv der ETH Zürich teilte mir Anfang März 2020 mit, dass ihr Vater René Boesch (geb. 1929), der ab 1956 unter Manfred Rauscher am Institut für Flugzeugstatik und Flugzeugbau der ETH tätig war, seltene historische Dokumente aufbewahrt hatte. Boeschs erste Anstellung war beim Schweizerischen Flugtechnischen Verein, der am erwähnten Institut untergebracht war. Die Nachforschungen ergaben, dass unter den Dokumenten auch eine Anleitung für die Z4 und Aufzeichnungen zu Flatterberechnungen waren. Rauscher, von 1950 bis 1974 Professor für Flugzeugstatik und -bau an der ETH, war laut dem Historischen Lexikon der Schweiz Berater beim P-16, einem Erdkampfflugzeug der Flug- und Fahrzeugwerke Altenrhein, FFA. Ein Exemplar des P-16 Mk III befindet sich im Flieger-Flab-Museum Dübendorf. Das Institut wurde später in Institut für Leichtbau und Seilbahntechnik umbenannt und schliesslich 2000 geschlossen. Es ist also nicht ganz zufällig, dass die Anleitung bei den Flugzeugbauern erhalten blieb.

Ebenfalls zum Vorschein kamen handschriftliche Unterlagen vom 27. Oktober 1953 zu Rechenaufgaben, die mit der Z4 gelöst wurden. Die Überschriften «Tabelle der Luftkraftkoeffizienten» und «Flügel mit Querruder» weisen darauf hin, dass es sich um Flatterrechnungen handelt. Beim P-16 war für eine Flugzeit von 2,4 s eine Rechenzeit von 50 h nötig. Beteiligt waren Urs Hochstrasser, Hans Rudolf Schwarz und Heinz Waldburger. Wie mir Schwarz am 12. Januar 2016 erzählte, waren diese Arbeiten damals hochgeheim. Nach der Rückgabe der Z4 an die Zuse KG wurden die Berechnungen mit dem an der ETH entwickelten Röhrenrechner Ermeth fortgeführt.

Heinz Rutishauser zufolge wurden mit der Z4 von 1950 bis 1955 rund 100 Arbeiten ausgeführt. Davon sind 55 Aufträge in einem Verzeichnis des Instituts für angewandte Mathematik vom 11. Juli 1955 aufgeführt. Dabei ging es beispielsweise um Berechnungen zur Flugbahn von Raketen für Oerlikon Bührle, zu Flugzeugflügeln für die Eidgenössischen Flugzeugwerke, Emmen, zu Flatterschwingungen für die FFA (800 h Maschinenzeit), zum Sturzflug für die FFA (120 h Maschinenzeit).[1]

Fast ein Unikat

Der Erfinder der Z4, Konrad Zuse, war wahrscheinlich selbst der Autor der nun entdeckten Bedienungsanweisung. Heinz Rutishauser hat sie offenbar bearbeitet. Der Zeitzeuge Heinz Waldburger schrieb nämlich in seinem Nachwort zum Buch «Konrad Zuse und die Schweiz» [2]: «Hinzu kamen die 16 Seiten der ‹Bedienungsanweisung Z 4›, die er [Heinz Rutishauser] gewiss verbessert hatte, und das kurze ‹Reglement für die Bedienung der programmgesteuerten Rechenanlage› vom 20. September 1950». (In einem Brief vom 29. Dezember 1950 hatte Schulrats­präsident Hans Pallmann dem Institutsvorsteher Eduard Stiefel mitgeteilt, dass der Schweizerische Schulrat am 2. Dezember 1950 ein Benützungsreglement für die Z4 beschlossen hatte. Diese Vorschrift richtete sich wahrscheinlich an externe Nutzer).

ETH initiierte «Update»

Ursprünglich kannte die Z4 den bedingten Sprung nicht, der es ermöglicht, die Abarbeitung eines Rechenprogramms an zwei unterschiedlichen Stellen fortzusetzen. Bei einer solchen Verzweigung wird ein Sprungbefehl ausgeführt, wenn eine bestimmte Bedingung erfüllt (wahr) ist. Mit bedingten Sprüngen kann man von der linearen Befehlsfolge abweichen und auch von einem Hauptprogramm zu einem Unterprogramm und zurück springen. Es gibt bedingte und unbedingte Sprünge. Erstere werden beispielsweise für Programmschleifen verwendet.

Die Z4 war somit anfangs kein Turing-mächtiger universeller Computer. Erst nachträglich wurde der bedingte Sprung auf Wunsch der ETH Zürich eingebaut. Bei einer Umfrage vor einigen Jahren konnten sich die wenigen noch lebenden Zeitzeugen allerdings nicht mehr daran erinnern, wie er ausgeführt wurde. Die nun wiedergefundene Betriebsanleitung erinnert auf Seite 8 daran, wie damals der bedingte Sprung gehandhabt wurde. Und daran, dass auch die ETH ihren Beitrag zum Gelingen des ersten kommerziellen Computers geleistet hat.

Referenzen

[1] Herbert Bruderer (Hg.), Konrad Zuse und die Schweiz. Wer hat den Computer erfunden?, Oldenbourg Verlag, 2012, S. 29–39.

[2] Herbert Bruderer (Hg.), Konrad Zuse und die Schweiz. Wer hat den Computer erfunden?, Oldenbourg Verlag, 2012, S. 205.

Literatur

  • Gebrauchsanweisung Z 4, Institut für angewandte ­Mathematik, ETH Zürich, Sommersemester 1952, Exemplar Nr. 19, 16 Seiten, ETH-Bibliothek Zürich, Hs 1517:1,
    doi.org/10.7891/e-manuscripta-98601
  • Herbert Bruderer, Meilensteine der Rechentechnik, De Gruyter, 3. Auflage 2020, Bände 1 und 2.
  • Raúl Rojas, «Konrad Zuse und der bedingte Sprung», Informatik-Spektrum, Band 37, 2014, S. 50–53.
  • Heinz Waldburger, Nachwort, in Herbert Bruderer (Hg.), Konrad Zuse und die Schweiz. Wer hat den Computer erfunden?, Oldenbourg-Verlag, 2012, S. 205–207 (Zeitzeugenbericht)
Autor
Herbert Bruderer

war Dozent am Departement für ­Informatik der ETH Zürich.

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