Gebäudetechnologie als Chance für EVU
Neue Berufsbilder
Das Umdenken in Richtung energieeffizienter Gebäude hat gerade erst begonnen. Der Trend wird aber, begünstigt durch technologische Entwicklungen, in den nächsten Jahren weiter an Fahrt aufnehmen. Daher ist jetzt der optimale Zeitpunkt, um einen Wechsel vom reinen Energieversorger hin zum Anbieter effizienzsteigernder Dienstleistungen in Angriff zu nehmen.
Der Roche-Turm. Dieser 178 m hohe Koloss in Kleinbasel bietet mit einer Geschossfläche von 76 000 m2 Platz für 2000 Arbeitnehmende des Pharma-Unternehmens. Der monumentale Bau, der 2015 fertiggestellt worden ist, ist technisch äusserst ausgeklügelt. Er wurde unter anderem erdbebensicher erstellt, übertrifft die Minergie-Standards und bietet in jedem Büro die Möglichkeit, Licht, Temperatur und Storen individuell nach den Bedürfnissen der Arbeitnehmenden zu regeln. Um die Funktionstüchtigkeit dieses komplexen Gebäudes zu gewährleisten, wurde der Roche-Turm mit einem Gebäudeautomationssystem ausgerüstet. Dieses beinhaltet unter anderem 100 modulare Automationsstationen mit Webserver, 2600 Raumbediengeräte inklusive Fühlereinheiten und 60 000 Datenpunkte.
Der Druck steigt
Der Roche-Turm ist Sinnbild für die Möglichkeiten in der Gebäudeinformatik. Und diese technischen Möglichkeiten werden künftig bei immer mehr Bauten genutzt werden müssen. Sei dies, weil die Nutzer der Gebäude sich an neue Standards gewöhnen und den Einsatz ebendieser bei Neu- oder Umbauten verlangen. Sei es, weil Entwicklungen in den Bereichen IoT (Internet of Things), BIM (Building Information Modeling) und TFM (Technisches Facility Management) die Nutzung neuer Technologien begünstigen. Oder sei es, weil der politische Druck steigt, Gebäude energieeffizienter zu gestalten – etwa im Rahmen der Energiestrategie 2050.
Die Grundlage solcher technisch komplexer Gebäude bildet die Vernetzung aller Prosumer; also den Anlagen und Systemen, welche im Gebäude Energie konsumieren oder produzieren. Energieerzeugung, -verteilung und -verbrauch können so bedarfsgeführt und effizient aufeinander abgestimmt werden. Das Zusammenführen der Prosumer in Form eines energetischen Konzepts muss bereits während der Gebäudeplanungsphase erfolgen. Diese sehr hohen Anforderungen können künftig nur entsprechend ausgebildete Mitarbeiter erfüllen.
Gesamte Bandbreite der Digitalisierung kennen
Neben der Erfüllung der seitens Bauherr und Gesetz geforderten Energieeffizienz ist auch die Prozessoptimierung für den laufenden Gebäudebetrieb unabdingbar. Das erfordert eine frühzeitige Implementierung der Schnittstellen zum Technischen Facility Management sowie eine verständliche und effiziente Abbildung aller Prozesse – inklusive der Stellschrauben zur Optimierung. Und um diese Aufgabe erfolgreich umsetzen zu können, braucht es umfangreiche Kenntnisse über die gesamte Bandbreite der Digitalisierung: von der Reglung und Auslegung von HLK-Gewerken (Heizung, Lüftung, Klima) über die regenerative Energieerzeugung und -speicherung bis hin zum physikalischen Verhalten der Gebäudehülle selbst.
Der Fachplaner und -unternehmer unterliegt in Zukunft einem hohen Druck bezüglich seiner Aus- und Weiterbildung. Gleichzeitig bietet der einsetzende Paradigmenwechsel Chancen für Quereinsteiger, wie etwa ein Energieversorgungsunternehmen, das aktuell nur wenige Dienstleistungen für den komplexen Gebäudebetrieb anbietet.
Neues Berufsbild – neue Ausbildung
Induziert durch den wachsenden Marktbedarf an Kompetenzen in den genannten Bereichen hat die SFB – gemeinsam mit Praktikern aus der Gebäudetechnik – das neue Berufsbild «Gebäudeinformatiker/in» entwickelt. Die praxisnahe Weiterbildung startet im Sommer 2019 an drei Standorten. Schwerpunkte der neuen Ausbildung sind
- das interdisziplinäre Verständnis aller energetischen Zusammenhänge im Gebäude,
- die Entwicklung von Energiesystemen in enger Kooperation mit den Fachplanern
- und die Umsetzung der integrierenden Netzwerktechnik.
Die integrierende Netzwerktechnik erlaubt nicht nur die Visualisierung aller Gebäudeprozesse, sondern unterstützt im Rahmen des Energiemanagements auch die Betriebsoptimierung durch das TFM.
Absolventinnen und Absolventen des neuen Lehrgangs sind dabei nicht als Spezialisten in allen Fachrichtungen, sondern vielmehr als interdisziplinär denkende Generalisten zu verstehen. Aufgrund ihres breiten Kenntnisstandes sind sie im Rahmen der Projektleitung in der Lage, die Fachplaner bei der Auslegung des Energiesystems zu unterstützen. Sie können gezielt fachkompetente Fragen stellen, um damit frühzeitig auf Schwachstellen des Konzepts hinzuweisen und so zur optimalen Funktionsweise beizutragen.
Chancen für Energieversorger
Für ein Energieversorgungsunternehmen mit vorhandenen Kompetenzen im Bereich der Gebäudetechnik bieten sich mit derart geschulten Mitarbeitenden vielfältige Möglichkeiten zur Entwicklung neuer Dienstleistungen an. Diese können von einfachen Abrechnungslösungen für Eigenverbrauchsgemeinschaften bis hin zum komplexen IoT-basierten TFM inklusive dessen Prozessoptimierung reichen. Parallel dazu sind die EVU damit auch in der Lage, baubegleitend die Rolle des Facility-Management-Koordinators und/oder technischen interdisziplinären Beraters zu übernehmen. Sie können Bauprojekte von der Planung über die Umsetzung bis in den Betrieb kompetent begleiten und auf diese Weise niedrige Betriebs- und Unterhaltskosten garantieren.
Der Energieanbieter erhält damit – neben der wichtigen Aufgabe der Energieversorgung selbst – eine weitere wichtige Kernkompetenz auf Seiten der Energieverbraucher. Seine Rolle im gesamten Wertschöpfungsprozess der Bauindustrie sowie bei der Umsetzung der Energiestrategie 2050 gewinnt so an Bedeutung.
Eidg. dipl. NDS HF Gebäudeinformatiker/in
Das Nachdiplomstudium zum/zur eidg. dipl. NDS HF Gebäudeinformatiker/in beginnt im August 2019 an den Standorten Emmenbrücke, Dietikon und Zollikofen. Die Ausbildung dauert drei Semester. Voraussetzung ist ein eidgenössisches Fähigkeitszeugnis oder ein gleichwertiger Ausweis mit einschlägiger Berufserfahrung. Informationen erteilt der Lehrgangsverantwortliche Thomas Laux (tlaux@sfb.ch, 044 744 45 48 / 076 237 19 61, www.sfb.ch).
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