Interview Eigenverbrauch , Gebäudeautomation

Gebäudetechnik ganzheitlich konzipieren

Nachhaltigkeit im Fokus

27.10.2020

EVUs werden heute oft vor die Frage gestellt, ob sich ein Prozess digitalisieren lässt. Dabei treten zahlreiche Heraus­for­derungen auf, beispiels­weise hohe Investitions­kosten, die Schnitt­stellen­vielfalt oder sich ändernde Anfor­derungen während eines IT-Projektes. Aber die Chancen sind auch gross, denn ­digitale Werkzeuge beschleu­nigen die Umsetzung der Energie­strategie 2050.

Christof Bucher
Christof Bucher
Bulletin: Gibt es Neuigkeiten bei Solarstrom in der Gebäudetechnik?

Christof Bucher: Früher wurde jede Kilowattstunde Solarstrom gleich vergütet. Heute spart der PV-Anlagenbetreiber bei eigenverbrauchtem Solarstrom rund 20 – 25 Rp./kWh, während er für eingespeisten Solarstrom nur gerade 5 – 10 Rp./kWh erhält. Das schlägt sich in der Technik nieder: Es gibt immer mehr Geräte, welche die Eigenverbrauchs­optimierung unterstützen. Dank solchen Systemen kann teilweise sogar auf den Ausbau des Netz­anschlusses verzichtet werden, der bei sehr grossen PV-Anlagen sonst nötig wäre. Die Stromzählerschemen haben sich auch stark geändert: Während vor zehn Jahren bei fast allen PV-Anlagen Einspeisemessungen installiert wurden, wird heute bei kleineren Anlagen nur noch die Überschuss­produktion gemessen. Mit dem Trend zu Smart Metern dürfte sich dies möglicherweise erneut ändern.

Was gilt es beim Zusammenspiel von PV und Gebäudetechnik zu beachten?

Flexible Verbraucher wie Wärmepumpen sollten möglichst dynamisch angesteuert werden: Bei Solarstromüberschuss sollte man Wärme auf Vorrat produzieren, sodass man abends und in der Nacht auf den Wärmespeicher zurückgreifen kann und nicht eine Batterie zum Zwischenspeichern des Solarstroms braucht. Auch wird das Zusammenspiel der Systeme generell wichtiger. Moderne Gebäude brauchen beispielsweise so wenig Energie, dass die Heiz- und Kühlsysteme nicht mehr in der Lage sind, Fehlverhalten der Bewohner wie permanent offene Fenster zu kompensieren.

Wo besteht aus Ihrer Sicht noch Handlungsbedarf in der Gebäudetechnik?

Technologien im Bereich Gebäudetechnik werden rasch weiterentwickelt. Dabei nimmt das Risiko zu, dass in Projekten einzelne Gewerke isoliert optimiert werden. Hat ein Gebäude einen hohen Solarstromüberschuss im Sommer, so ist eine effiziente Kühlung beispielsweise weniger relevant als eine effiziente Heizung. Freecooling mit dem Erdreich mag in diesem Fall isoliert betrachtet zwar effizienter sein als Klimageräte, verunmöglicht aber eventuell das Regenerieren oder gar Aufheizen des Erdreichs und damit die Reduktion des Winterstrombedarfs für eine Wärmepumpe. Ein weiteres grosses Problem bleibt der nach wie vor beliebte 1:1-Ersatz von fossilen Heizsystemen. Da muss insbesondere an der Sensibilisierung der Bauherrschaften und der Installateure gearbeitet werden, wie dies EnergieSchweiz mit der Kampagne «Erneuerbar Heizen» auch tut.

Wie sieht es bei kontinuierlicher Optimierung aus?

Während eine erste Optimierung meist energetisch und finanziell attraktiv ist, ist in vielen Fällen bereits bei der zweiten Optimierung nicht mehr viel zu holen. Das setzt Anreize für zweitklassige Lösungen. Der Ausweg aus dem Dilemma ist auch hier die gesamtheitliche Planung der Massnahmen.

Haben wir bei der Technik das Ziel schon erreicht, oder fehlt noch etwas?

Mehr kleine, modulierende Wärmepumpen würde ich mir wünschen sowie effiziente Mikro-BHKWs (Wärme-Kraft-Kopplung) für den Winterstrom. Und Fortschritte in der Standardisierung der Kommunikationssysteme zwischen PV-Anlagen und der restlichen Gebäudetechnik.

Und wie setzen Sie Technik bei Ihnen zu Hause ein?

Ich mag es, dass das Licht angeht, wenn ich auf den Lichtschalter drücke. Da brauche ich keinen Computer oder keine App, die mich unterstützen. Wo eine Regelung jedoch einen deutlichen Mehrwert bringt, z. B. bei der solaroptimierten Ladung eines Elektrofahrzeugs, da würde ich diese auch einsetzen.

Autor
Radomír Novotný

ist Chefredaktor des Bulletins Electrosuisse.

  • Electrosuisse
    8320 Fehraltorf

Zur Person

Christof Bucher ist promo­vierter Elektro­inge­nieur ETH. Er hat von 2008 bis 2020 als Projekt­leiter Photo­voltaik bei Basler & Hofmann gearbeitet. Seit 2020 ist er Professor für PV-Systeme an der Berner Fach­hoch­schule in Burgdorf. Er ist Vorsitzen­der des nationalen Normen­komitees TK 8 (System­aspekte der elektri­schen Energie­versor­gung) und Mitglied diverser Arbeits­gruppen der inter­nationalen Komitees IEC TC 8 und IEC TC 82 (Solar Photo­voltaic Energy Systems).

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