Fachartikel CES , Installationstechnik

Funktionserhalt im Fluchtweg

Anforderung gemäss VKF

08.12.2019

Da derzeit das Brandverhalten von Kabeln mit Funk­tions­erhalt nicht gemäss der Bau­produkte­verordnung bewertet werden kann, stellen solche Kabel eine Ausnahme dar. Sie werden weiterhin nach den gültigen EN-Normen für Brand­verhaltens­anfor­derungen wie Halogenfreiheit/Azidität, flamm­widrige, gering brand­fort­leitende und raucharme Eigenschaften geprüft. Dieser Artikel stellt dar, in welchen Fällen und wie für diese Kabel der Nachweis des nicht­kritischen Verhaltens zu erbringen ist.

In der Schweiz gilt für die Installation von Kabeln in neu zu errichtenden Bauten oder Bauten mit wesentlichen Änderungen der Nutzung die Brandschutznorm VKF 1-15, Art. 2 [1], d. h. die Version 2015 der Brandschutzvorschriften der Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen (VKF). Kabel sind darin mit verschiedenen Brandklassen nach kritischem (cr) und nicht kritischem Verhalten unterteilt.[2] Gemäss den Vorgaben für Fluchtwege [3] dürfen dort nur Kabel mit nichtkritischem Verhalten in­stalliert werden, unabhängig davon, ob es sich um Energie-, Steuer- und Datenkabel und -leitungen oder Kabelanlagen mit Funktionserhalt handelt. Für Energie-, Steuer- und Datenkabel kann diese Anforderung bereits seit 2017 eingehalten werden. Kabel mit Funktionserhalt sind jedoch eine Ausnahme, denn für sie kann derzeit keine Bewertung des Brandverhaltens unter der Bauprodukteverordnung durchgeführt werden.

Kabel ohne Funktionserhalt sind unter der Bauprodukteverordnung im sogenannten harmonisierten Bereich [4] der harmonisierten Norm SN EN 50575 [5] erfasst. Die Brandverhaltenseigenschaften müssen vom Hersteller mittels einer genau definierten Leistungserklärung deklariert werden.

Kabel mit Funktionserhalt sind vom Geltungsbereich der SN EN 50575 ausgeschlossen. Für sie darf daher keine Leistungserklärung als Bauprodukt von Herstellern ausgestellt werden. Die Eigenschaften des Funktionserhalts sind ausserhalb der Bauprodukteverordnung (BauPV) weiterhin national definiert und geregelt und die Brandeigenschaften sind nach den weiterhin gültigen europäischen Normen geprüft.

Der Artikel «Kabel als Bauprodukt – Empfehlungen für die Elektro-Installationspraxis» [6] erläutert detailliert die Zusammenhänge der Bauprodukteverordnung und der generellen Anwendung im Schweizer Elektroinstalla­tionsbereich.

Nun soll im vorliegenden Artikel auf die Möglichkeiten zur Einhaltung der Vorgabe der VKF-Richtlinie «14-15, Verwendung von Baustoffen», für ein nichtkritisches Brandverhalten (cr) von Kabel­anlagen mit integriertem Funktionserhalt nach DIN 4102-12 innerhalb und aus­serhalb von horizontalen und vertikalen Fluchtwegen eingegangen werden.

Bewertungsgrundlagen für Kabel

Betroffen von der Bauproduktegesetzgebung sind Energie-, Steuer- und Datenkabel und -leitungen, welche dauerhaft in Bauwerken eingebaut werden. Für die Bewertung des Brandverhaltens dieser Kabel (Reaction to fire) ist die Norm SN EN 50575 unter der BauPV anzuwenden. Diese Kabel werden seit 1.Juli 2017 mit einer Leistungserklärung in den Verkehr gebracht. Sie stehen mit den notwendigen Brandverhaltensklassen zur Verfügung und können gemäss den Vorgaben der VKF-Richtlinien ausgewählt und eingesetzt werden.

Die Normen der BauPV zur Prüfung und Klassifikation des Brandverhaltens von Kabeln mit Funktionserhalt (resistance to fire) können bisher nicht angewandt werden, da Kabel für die Versorgung von Sicherheitseinrichtungen vom Geltungsbereich der SN EN 50575 explizit ausgeschlossen sind. Diese Kabel werden weiterhin mit den gültigen EN-Normen für die bekannten Brandverhaltensanforderungen wie Halogenfreiheit/Azidität, flammwidrige, gering brandfortleitende und raucharme Eigenschaften geprüft.

Die EU strebte ebenfalls an, harmonisierte Normen für den Funktionserhalt (P-/PH-Klassifikation) entwickeln zu lassen, welche auch die Bewertung des Brandverhaltens der Kabel einschliessen sollte. Verwendbare Ergebnisse der Normungsarbeit für die europäische Lösung sind jedoch nicht absehbar. Das bedeutet, dass für Sicherheitsanlagen, für welche ein Funktionserhalt gefordert ist, weiterhin Kabelanlagen mit integriertem Funktionserhalt nach DIN 4102-12 [7] einzusetzen sind.

Bei Herstellern und im Handel stehen die bewährten Kabel (E30 bis E90), geprüft nach DIN 4102-12, zur Verfügung, die mit dem gemeinsam geprüften Befestigungssystem eine Kabelanlage mit Funktionserhalt ergeben. Diese Kabelanlagen sind gemäss dem VKF-Verzeichnis «40-15, Weitere Bestimmungen» [8] als anzuwendender Stand der Technik erwähnt und zugelassen.

Somit können für sicherheitsrelevante Anlagen Kabelanlagen mit Funktionserhalt eingesetzt werden, jedoch kann wiederum für die Kabel mit Funktionserhalt kein Ergebnis des Brandverhaltens unter der Bauprodukteverordnung abgegeben werden. Erst wenn für Kabel mit Funktionserhalt die notwendigen normativen Grundlagen vorhanden sind oder entsprechend angepasst wurden, wird eine Bewertung im harmonisierten Bereich der BauPV möglich sein. Bis wann mit der Verfügbarkeit der notwendigen Normen zu rechnen ist, ist noch nicht bekannt. Offiziell darf von Herstellern für die verfügbaren Kabel mit inte­griertem Funktionserhalt nach DIN 4102-12 keine Leistungserklärung für das Brandverhalten nach SN EN 50575 ausgestellt werden.

Anforderungen im Brandschutz

Die Pflichten der Kabelhersteller, Händler, Bauherrschaften, QS-Verantwortlichen Brandschutz, Elektroplaner und Elektroinstallateure sind im Artikel [6] detailliert beschrieben.

Die Ausgabe der Brandschutzrichtlinie 11–15 «Qualitätssicherung im Brandschutz» [9] vom 1. Januar 2019 präzisiert die Aufgaben der Eigentümer- und Nutzerschaft, des Gesamtleiters, des QS-Verantwortlichen Brandschutz, des Fachplaners, Errichters und die der Brandschutzbehörde je nach Qualitätssicherungsstufe (QSS 1 bis 4). Schliesslich ist jedoch die Eigentümer- und Nutzerschaft für die Umsetzung der Brand­schutz­richt­linien verantwortlich. Dabei stützt sie sich auf den Gesamtleiter und den QS-Verant­wortlichen Brandschutz, welcher mit einer Übereinstimmungserklärung die Um­setzung der ihm auferlegten Qualitäts­sicherungs­massnahmen bestätigt. Der QS-Verant­wortliche Brandschutz kann sich auf die Dokumentationen Dritter (z. B. Ausführungsbestätigungen, Konformitätserklärungen, Installationsatteste) beziehen, welche z. B. auch die Leistungserklärungen für Bauprodukte Kabel, Übereinstim­mungs­erklärun­gen zur installierten Kabelanlage mit Funktionserhalt sowie auch den Leistungsbericht für das Brandverhalten von Kabeln mit Funktionserhalt umfasst.

Minimalanforderungen nach VKF

Die Brandschutzbehörde des jeweiligen Kantons ist zuständig für den Brandschutz. Die Kantone haben mittels IOTH (Inter­kanto­nales Organ Technische Handels­hemm­nisse) die Brandschutznorm [1] und die Brand­schutz­richt­linien der VKF (Vereinigte Kantonale Feuerversicherungen) als verbindlich erklärt und in Kraft gesetzt. Die VKF-Brand­schutz­richt­linien definieren somit die gesetzlich verbindlichen Mindestanforderungen für Gebäude in der Schweiz.

Darüber hinausgehende Anforderungen sind ebenfalls in [6] beschrieben. Hier und im Weiteren beziehen wir uns ausschliesslich auf die VKF-Anforderungen bezüglich der Kabel, insbesondere der Kabel mit Funktionserhalt.

Installationsregeln nach VKF

In der Richtlinie «13–15, Baustoffe und Bauteile» sind diese Brandklassen für das Bauprodukt Kabel in einer Tabelle aufgeführt. In diesem Dokument werden die verschiedenen Brandklassen nach kritischem (cr) und nichtkritischem Verhalten unterteilt. Kritisch sind Brandklassen, deren Zusatzklassifikation für Rauchentwicklung, brennendes Abtropfen und Azidität im Brandfall zu nicht akzeptierbaren Brandauswirkungen führen könnten. Ebenfalls kritisch ist die Brandklasse Eca. Fca stellt gemäss der Tabelle kein Bauprodukt dar. Auf möglichst kurzem Weg dürfen Fca klassifizierte Kabel jedoch für die Hauseinführungen bis zum ersten Übergabepunkt (Hausanschlusskasten HAK/Building Entry Point BEP) ausserhalb von Fluchtwegen eingesetzt werden.[10]

Die VKF-Richtline «14-15, Verwendung von Baustoffen» definiert, welches Anforderungsniveau an Kabeln in Fluchtwegen gestellt wird. In Abschnitt 5.2.1 der VKF-Richtlinie 14-15 wird speziell für Kabel präzisiert:

  • In vertikalen Fluchtwegen sind nur Kabel zulässig, die zur Versorgung oder der Kommunikation der dort installierten Geräte und Installationen dienen.
  • In horizontalen Fluchtwegen (Korridore) sind Kabel bis zu einer gesamten Brandlast von 200 MJ/Laufmeter zulässig.
  • Kabel mit einem kritischen Verhalten (cr) dürfen in horizontalen und vertikalen Fluchtwegen nicht verwendet werden.

VKF-Anforderungen an Kabel mit Funktionserhalt

Gemäss Abschnitt 5.2.1 der VKF-Richtlinie 14-15, Absatz 3, sind keine Kabel mit kritischem Verhalten (cr) in horizontalen und vertikalen Fluchtwegen zugelassen. Diese Aussage gilt für alle zu verlegenden Kabel gemäss dem vorgenannten Absatz, unabhängig davon, ob sie mit oder ohne Funktionserhalt sind.

Kabel mit Funktionserhalt können von Herstellern heute aufgrund von fehlenden europäischen Normen noch nicht unter der Bauprodukteverordnung auf das Brandverhalten bewertet und als Bauprodukt klassifiziert werden. Eine Leistungserklärung darf nicht ausgestellt und zur Verfügung gestellt werden. Bis zu einer offiziellen Prüfbarkeit des Brandverhaltens unter der Bauprodukteverordnung ist ein Prüfnachweis von einer Zertifizierungsstelle (Notified Body) zum Brandverhalten zulässig. Die Hersteller werden zeitnah die notwendigen Prüfnachweise zur Verfügung stellen. Teilweise sind diese Prüfnachweise von Herstellern bereits vorhanden.

Gemäss dem Verzeichnis mit weiteren Bestimmungen zu den Brandschutzvorschriften VKF [8] sind nach DIN 4102-12 [7] geprüfte Kabelanlagen mit Funktionserhalt einzusetzen.

Sollen Kabel mit Funktionserhalt in horizontalen oder vertikalen Fluchtwegen von neu zu errichtenden Bauten oder Bauten mit wesentlichen Änderungen (Art. 2 Brandschutznorm [1]) offen installiert werden, dann benötigt der Anwender einen Prüfnachweis des nichtkritischen Verhaltens. Dieser Fall ist in Bild 2 orange gestrichelt dargestellt. Ein solcher Prüfnachweis (anstelle von einer Leistungserklärung für Kabel ohne Funktionserhalt) ist vom Installateur beim Hersteller oder Händler anzufordern. Werden Kabel mit Funktionserhalt ausserhalb von Fluchtwegen oder bis zum Fluchtweg für die im Fluchtweg notwendigen Anlagen installiert, dann sind keine Prüfnachweise über das nichtkritische Verhalten notwendig. Das Beispiel für Kabel ohne Prüfnachweis ist in Bild 2 als durchgezogene orange Linie dargestellt.

Stehen keine Kabel mit nichtkritischem Verhalten zur Verfügung, kann die Kabelinstallation vom Fluchtweg brandschutztechnisch abgetrennt werden (z. B. durch Rohreinlagen in Beton-Decken). Dann befindet sich die Kabel­installation ausserhalb des Fluchtwegs und die VKF-Anforderung des nichtkritischen Verhaltens entfällt.

Fazit

Kabel mit Funktionserhalt sind bisher von einer Bewertung des Brandverhaltens unter der Bauprodukteverordnung ausgenommen. Ein nichtkritisches Verhalten der Kabel kann offiziell nicht mit einer Leistungserklärung nach BauPV bestätigt werden.

Mit der VKF-Anforderung eines nichtkritischen Verhaltens aller Kabel im Fluchtweg soll ein mögliches Gefährdungspotenzial für Flüchtende und Rettungskräfte durch Rauch, brennendes Abtropfen und Säuregehalt im Brandfall gering gehalten werden. Daher sollen Kabel mit Funktionserhalt, welche für die offene Installation in Fluchtwegen vorgesehen sind, ebenfalls ein nichtkritisches Verhalten aufweisen. Kabel ohne Funktionserhalt stehen bereits mit nichtkritischem Verhalten zur Verfügung und werden gemäss der Empfehlung der Arbeitsgruppe CPR (Construction Products Regulation, Deutsch: Bauprodukteverordnung) bereits mit der Brandverhaltensklasse Cca-s1,d1,a1 in Gebäuden verbaut, wo erhöhte Anforderungen an den Brandschutz bestehen.

Der Nachweis des nichtkritischen Verhaltens für Kabel mit Funktionserhalt muss über Prüfnachweise einer Zertifizierungsstelle erfolgen. Hersteller informieren über den Stand der Prüfungen und über bereits geprüfte Kabeltypen.

Werden Kabel mit Funktionserhalt in horizontalen oder vertikalen Fluchtwegen in für neu zu errichtende Bauten oder Bauten mit wesentlichen Änderungen der Nutzung, Brandschutznorm VKF 1-15, Art. 2 [1] offen installiert, dann sollten Installateure Prüfnachweise beim Hersteller für das nichtkritische Verhalten rechtzeitig anfordern oder die Kabel, sofern möglich, ausserhalb von Fluchtwegen in­stallieren.

Prüfnachweise über das nichtkritische Verhalten sind für Kabel mit Funktionserhalt, die ausserhalb von oder bis zu Fluchtwegen installiert werden, noch nicht gefordert.

Sofern planerisch und installationstechnisch möglich, können die Installationswege von Kabeln mit Funktionserhalt, mit kritischem Verhalten auch ausserhalb der Fluchtwege gelegt werden. Dies ist möglich durch Einlagen im Beton gemäss VKF-Richtlinie «17-15 Kennzeichnung von Fluchtwegen Sicherheitsbeleuchtung», zu 3.3.4 Verteilnetz [11] oder durch brandschutztechnische Abtrennung der Installation in geforderter Dauer des Funktionserhalts, z. B. in Steigzonen von vertikalen Fluchtwegen.

Diese Vorgehensweise ist so lange anzuwenden, bis eine Bewertung des Brandverhaltens für Kabel mit Funktionserhalt unter der Bauprodukteverordnung möglich ist. Der Stand der Normierungsarbeit wird von der Arbeitsgruppe CPR weiter verfolgt und allfällige Neuerungen werden zeitnah kommuniziert.

Referenzen

[1] Brandschutznorm VKF 1-15.

[2] Brandschutzrichtlinie VKF 13-15 «Baustoffe und Bauteile».

[3] Brandschutzrichtlinie VKF 14-15 «Verwendung von Baustoffen».

[4] Webseite BBL.

[5] SN EN 50575:2014+A1:2016, Starkstromkabel und -leitungen, Steuerund Kommunikationskabel – Kabel und Leitungen für allgemeine Anwendungen in Bauwerken in Bezug auf die Anforderungen an das Brandverhalten.

[6] Kabel als Bauprodukt – Empfehlungen für die Elektroinstallationspraxis; Bulletin 9/2018.

[7] DIN 4102-12, Brandverhalten von Baustoffen und Bauteilen – Teil 12: Funktionserhalt von elektrischen Kabelanlagen; Anforderungen und Prüfungen.

[8] Verzeichnis zu Brandschutzrichtlinien VKF 40-15 «Weitere Bestimmungen»

[9] Brandschutzrichtlinie VKF 11-15 «Qualitätssicherung im Brandschutz».

[10] FAQ-Nummer: 13-003; Brandschutzvorschriften VKF, Ausgabe 2015; Brandschutzrichtlinie 13-15/Baustoffe und Bauteile.

[11] Brandschutzrichtlinie VKF 17-15 «Kennzeichnung von Fluchtwegen, Sicherheitsbeleuchtung, Sicherheits­strom­versor­gung».


1)
 Kann ein Hersteller für ein benötigtes Kabel mit Funktionserhalt keine verbindliche Aussage bezüglich den Zusatzklassifikationen (s, d, a) abgeben, dann kann zwischen dem Hersteller und Beschaffer das Vorgehen zum Testen, zur Bestätigung der Eigenschaften und zur Lieferung abgesprochen werden. Zweckmässigerweise sollten die Prüfnachweise vor Installationsbeginn dem Installateur zur Verfügung stehen, damit bei der Abnahme der Installation keine Schwierigkeiten auftreten.

Die folgenden Unternehmen haben massgeblich zu diesem Artikel beigetragen: Dätwyler Cabling Solutions, Electro­suisse CES, Huber + Suhner, Leoni Studer, Nexans, Woertz.

Autor
CH-Kabel­her­stel­ler / Fabricants de câbles CH

Der Koordinator bei ­Electrosuisse ist CES-Sekretär Alfred Furrer.

  • Electrosuisse,
    8320 Fehraltorf

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