Fachartikel Infrastruktur

Funktionale Prüfung der Stations­leit­technik

Prüfen als Systembestandteil

26.04.2021

Die Prüfung eines Stations­automatisie­rungs­systems (SAS) für ein Unterwerk und oder eine Schaltanlage mit seinen Auto­matisierungs-, Steuerungs- und Leit­technik­funktionen erfolgt heute meist manuell. Da Auto­matisie­rungs­systeme immer komplexer werden, steigen damit auch laufend die Prüfaufwände.

In Schalt­anlagen­projekten muss im Rahmen der Werks- und Anlagen­prüfungen der gesamte Signalumfang zwischen den Feldgeräten (Intelligent Electronic Device – IED) und der Primärtechnik geprüft werden.

Diese Prüfungen erfolgen üblicherweise so, dass jedes einzelne Signal geprüft und in ausgedruckten Signallisten, Funktions­diagrammen und Schaltplänen per Hand «grün markiert» wird. Zum Prüfen der implementierten Logikfunktionen, wie z. B. der Befehls­verriege­lungen, müssen viele Eingänge gleichzeitig gesetzt werden und die Logik muss durch Ausführen der entsprechenden Steuerbefehle verifiziert werden. Zum Prüfen der Signal­übertragung zu den Leitstellen wird eine Ende-zu-Ende-Prüfung durchgeführt. Dazu werden die Signale direkt auf Betriebs­mittelebene in der Schaltanlage oder durch Simulation an den Eingängen der IEDs, also so prozessnah wie möglich, stimuliert. In der Regel sind zusätzliche Unterlagen erforderlich, beispielsweise eine Liste der Fernwirksignale und deren Adress- und Funktionszuordnungen.

Dieser Prozess, der vorzugsweise im Zuge der Werksabnahme vor der eigentlichen Montage durchgeführt wird, dauert bei einer typischen Schaltanlage mehrere Wochen und erfordert die Einbeziehung mehrerer erfahrener Leit- und Schutz­technik­spezialisten. Für die Systemprüfung im Werk sollte idealer­weise das gesamte SAS mit einer Prozess- und Leitstellen­simulation zur Verfügung stehen.

Meist sind aber nicht alle Komponenten des SAS im Werk verfügbar. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn die IEDs als Teil der Schalt­anlagen­lieferung direkt an den Standort des Umspannwerks gesendet werden, ohne dass zuvor eine komplette Systemprüfung stattfindet.

Hier werden dann im Werk in der Regel nur die entsprechenden Typicals zusammen in einem reduzierten Systemaufbau geprüft, meist mit Einschrän­kungen im möglichem Funktions­umfang der Systemprüfung. In diesen Fällen muss die vollständige Prüfung vor Ort erfolgen, was sich auf den Aufwand und die Kosten auswirkt.

Erfahrungen aus der Praxis zeigen: Je vollständiger das System im Werk geprüft wird, desto weniger Probleme treten bei der Inbetriebnahme und bei der Abnahme auf und desto effizienter und reibungsloser läuft das Projekt.

Aber auch jede spätere Software­aktualisie­rung und auch jede Änderung der Geräte­einstellungen machen zumindest eine erneute Prüfung der betroffenen Funktion und idealerweise sogar des gesamten Systems erforderlich. Erfolgt diese Prüfung manuell, ist der Prozess nicht effizient. Daher wird dringend eine stärker automatisierte und effizientere Systemprüfung gefordert. Eine solche Lösung, die auf dem SCD-Konzept basiert, das wiederum Teil der Norm IEC 61850 ist, ist heute bereits verfügbar.

IEC 61850 und das SCD-Konzept

IEC 61850 ist die internationale Norm für die Automatisierung in der Energieversorgung und definiert neben Kommu­nikations­protokollen auch die verwendeten Datenmodelle. [1] Zudem ist in der Norm auch ein allgemeines, herstellerunabhängiges Konfigurations­konzept definiert. In diesem Prozess werden maschinenlesbare Konfigu­rations­informationen verwendet, die in einem XML-basierten standardi­sierten Format namens SCD (System Configuration Description) gespeichert sind.

SCD-Inhalt

Die SCD in ihrer Gesamtheit ermöglicht die Beschreibung eines aus drei Grundbausteinen bestehenden Modells der Anlage:

Substation/Station: Beschreibt das einpolige Schaltbild der Anlage, die Primärtechnik und die Funktionen, d. h. wie ist z. B. der Leistungsschalter mit den virtuellen logischen Knoten im IED «verbunden».

IED: Beschreibt alle Hardwaregeräte (IEDs), die im SAS verwendet werden. In diesem Teil wird das im IED implementierte Datenmodell einschliesslich seiner logischen Geräte und logischen Knoten beschrieben.

Communication/Kommunikation: Beschreibt die logisch möglichen Verbindungen zwischen den IEDs in Teilnetzwerken über Zugangspunkte (Kommunikationsports).

Inhalt und Verwendung von SCD-Dateien

Die SCD-Datei ist das Resultat der Systemparametrierung gemäss IEC 61850. Sie wird nicht nur von Engineering- Werkzeugen und zu Dokumentationszwecken, sondern auch für die Anlagen­prüfung verwendet. Prüfwerkzeuge helfen dabei, Prüfungen effizienter zu machen, indem sie die Informationen in der SCD-Datei für die Prüfung der Anlage verwenden.

Die Norm gibt zwar ein klares Konzept für den Engineering­prozess vor, sie enthält aber keinerlei Mindestanforderungen an den Inhalt der SCD-Datei. So ist beispielsweise die Bereitstellung von Topologie­informa­tionen im Abschnitt «Substation» optional. Den Anlagen­verant­wortlichen wird daher dringend empfohlen, in die SAS-Spezifikationen, die für Projekt­ausschrei­bungen und Serviceverträge verwendet werden, die Mindest­anfor­derungen an die SCD-Datei aufzunehmen.

Je besser die Qualität und der Inhalt der SCD-Datei der Anlage ist, desto effizienter wird die Systemprüfung ablaufen. Eine vollständige SCD-Datei ist zudem bei späteren Erweiterungen der Anlage äusserst hilfreich.

Prüfung eines SAS unter Verwendung der SCD-Datei

Die hier vorgestellte Methode erlaubt zusätzlich zum Prüfen und Simulieren einzelner IEDs die Prüfung des gesamten SAS. Die Prüfung basiert vollständig auf der SCD-Konfigurationsdatei. Durch Importieren der SCD-Datei kann das gesamte System visualisiert werden und alle in der SCD-Datei enthaltenen Informationen werden genutzt. Die Informationen im Abschnitt «Substation» werden verwendet, um die IEDs und die Schalt­anlagen­ausrüstung in ihrer jeweiligen Spannungs­ebene grafisch zu visualisieren. Wie in Bild 2 zu sehen, wird das System in Anlehnung an das vertraute einpolige Schaltbild der Anlage dargestellt.

Das Werkzeug, das diese Methode verwendet, unterstützt sowohl die Überwachung und Fehlersuche als auch die Simulation des Systems. Während einer Prüfung hat das Prüfgerät Zugriff auf den Goose-Netzwerkverkehr und ist auch direkt mit den IEDs verbunden.

Einer der entscheidenden Faktoren für einen effizienten Ansatz ist die Möglichkeit, Prüfpläne zu erstellen. Es ist dadurch möglich, das Prüfverfahren zu dokumentieren und dieses während des gesamten Lebenszyklus des SAS wiederzuverwenden. Prüfsequenzen können automatisch ausgeführt und bewertet werden.

SAS-Funktions­prüfung mit StationScout

StationScout ist eine innovative Prüflösung für alle auf IEC 61850 basierenden Anlagen, welche die oben beschriebenen erforderlichen Prüffunktionen bietet. Die Lösung vereinfacht Prüfungen des SAS und reduziert den Prüfaufwand erheblich. Es wird mit einer robusten und leistungsstarken Hardware geliefert, die es ermöglicht, viele IEDs mit IT-sicherer Verbindung zum SAS-Netzwerk gleichzeitig zu simulieren. Mit der Software wird die SCD-Datei der Anlage ohne zusätzlichen Konfigu­rations­aufwand visualisiert und einzelne Signale können dabei live verfolgt werden.

In den folgenden Abschnitten werden mehrere Anwendungsfälle aus der Praxis beschrieben, in denen die Prüflösung zur Fehlersuche und zur Prüfung des SAS eingesetzt wurde.

Verifizierung der Kommuni­kations­verbin­dungen

Nachdem die SCD-Datei in die Prüflösung geladen wurde und Zugriff auf das Stationsnetzwerk besteht, können alle Kommuni­kations­verbin­dungen automatisch validiert werden.

Der Benutzer kann beispielsweise prüfen, welche Reports gerade aktiviert sind und ob die Report-Owner auch die in der SCD-Datei angegebenen Clients sind. Die Goose-Kommuni­kations­verbin­dungen werden automatisch nach verschiedenen Kriterien geprüft.

Bild 3 zeigt ein Beispiel, bei dem die von einem IED publizierte Goose im Netzwerk geprüft wird und StationScout aufgrund einer Diskrepanz in der Konfigurationsrevision ein Problem bei einem der Empfänger feststellt. Das Problem wird dargestellt, indem die entsprechende Verbindung gelb hervorgehoben wird und Warnsymbole angezeigt werden.

Prüfen von Verrie­gelungs­logiken

Die meisten IEDs enthalten Steuerungs- und Automati­sierungs­funktionen in Form von SPS-Logiken. Diese können automatisch geprüft werden, indem die Eingänge der Logikfunktionen entweder über IED-Simulation oder mittels Hardware-Simulator simuliert und die Ergebnisse der Logik­berech­nungen mit der Prüflösung ausgewertet werden. Ein Anwendungs­beispiel ist die Verwendung der Logiken für Verriegelungs­schemas (Bild 4), um den ordnungs­gemässen Betrieb von Trenn- und Erdungsschaltern sicherzustellen. Zur Darstellung des Ergebnisses von Verriegelungslogikbedingungen definiert die IEC 61850 den Status der Freigabe im logischen Knoten «CILO». Zu Prüfzwecken können einige oder idealerweise alle möglichen Eingabe­kombi­nationen vorgegeben werden, wobei zur Auswertung der Logik automatisch die CILO-Statuswerte eingelesen und verifiziert werden (Bild 5).

Prüfen der Fernwirk-Gateways- und der Nah­bedienung im UW

Fernwirk-Gateways und die lokale Nahbedienstation kommunizieren gewöhnlich mit fast allen IEDs im System – hauptsächlich über sog. Reports, aber auch über Goose und umfassen oft den gesamten Datenumfang an Signalen, der in der Schaltanlage erzeugt wird. In der Regel müssen daher pro Anlage mehrere Tausend Signale geprüft werden. Bei der Inbetriebnahme werden zumindest die wichtigsten Signale über die gesamte Übertragungs­strecke hinweg geprüft, wobei das Signal in der Schaltanlage so prozessnah wie möglich stimuliert wird. Alle anderen Signale können durch StationScout simuliert werden. Zur Beschleunigung der Prüfung bietet StationScout die Möglichkeit, einen Prüfplan zu erstellen, der die Simulation aller IEDs und Signale der Anlage vorsieht. So wird überprüft, ob die Gateways korrekt konfiguriert sind.

Fernwirk-Gateways, HMIs und IEDs erhalten während ihrer Lebenszeit im Allgemeinen mehrere Firm­ware­aktualisie­rungen und Sicherheits­patches. Nach einer Aktualisierung können die Geräte ganz einfach neu geprüft werden («Sanity Check»), indem der für das betreffende Gerät bereits erstellte Prüfplan ausgeführt wird, bevor das Gerät wieder in Betrieb geht. Solche Prüfungen können in der Anlage stattfinden, wobei alle anderen IEDs durch die Prüflösung simuliert werden, ohne dass der Betrieb der Anlage beeinträchtigt wird.

Ein weiterer häufiger Anwendungsfall betrifft die Erweiterung einer vorhandenen Schaltanlage um zusätzliche Felder wie unter [2] beschrieben.

Fazit

Im Artikel wurde ein innovativer Prüfansatz für das Prüfen eines Schalt­anlagen­automati­sierungs­system s auf Grundlage der Informationen in der SCD-Datei vorgestellt. Es ist jetzt möglich, Prüfpläne zu erstellen, um die bisher zeitaufwendigen Prüf- und Dokumentationsabläufe zu automatisieren. Automatisierte Prüfpläne ermöglichen auch schnelle Wiederholungsprüfungen nach dem Installieren der heute recht häufigen Sicherheits­patches und Firm­ware­aktualisie­rungen. Das Prüfen wird damit zu einem integralen Bestandteil des Systems und unterstützt in Zukunft auch die permanente Funktionsüberwachung der Anlage im Betrieb.

Referenzen

[1] IEC 61850-1 Ed. 2: 2013 Communication networks and systems for power utility automation – Part 1: Introduction and overview.

[2] Christian Brauner, «Stationsleittechnik im Betrieb erweitern», Bulletin SEV/VSE 5/2020, S. 50.

Autor
Christian Brauner

ist Mitarbeiter im Team Power Utility Communication von Omicron Electronics GmbH.

  • Omicron Electronics GmbH, AT-6833 Klaus

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