Freileitungen mit Drohnen inspizieren
Effiziente Zustandserfassung
Intakte Strommasten und Leitungen sind das Rückgrat einer sicheren Stromversorgung. Für die regelmässigen Zustandserfassungen ihrer Infrastrukturen setzt Axpo Drohnen ein. Wo bisher Freileitungsmonteure die Leitungen bestiegen und kontrollierten, was viel Zeit und Personal beanspruchte, erhalten die Monteure nun Unterstützung aus der Luft.
Inspektionen von Hochspannungsleitungen erfolgen alle zehn Jahre aufwendig durch Beklettern der Masten oder jährlich aus der Ferne mit Ferngläsern, was anfällig für Fehler ist. Diese Arbeiten sind potenziell gefährlich und kostspielig, aber unerlässlich, um den sicheren Betrieb der kritischen Infrastrukturen zu gewährleisten.
Als die grösste Hochspannungsnetzbetreiberin der Schweiz betreibt Axpo rund 2200 km Hochspannungsleitungen, davon 1800 km Freileitungen, die von rund 8000 Masten getragen werden. Der Aufwand für Inspektionen ist beträchtlich. Deshalb ist es Axpo ein grosses Anliegen, den Arbeitsablauf zu optimieren. Bereits 2018 hat das Energieunternehmen im Rahmen ihres Grid 4.0-Pilotprojekts den Einsatz von Drohnen für hochwertige Luftaufnahmen zur Inspektion von Freileitungen getestet (Bild 1).
Zu Beginn waren viele Fragen offen
Relativ schnell hat sich herauskristallisiert, dass die Qualität der Aufnahmen genügend hoch ist, um eine Aussage über den Zustand der Freileitungstrassen zu treffen – und dies ohne physische Besteigung.
Die Drohneninspektion warf auch Fragen auf: Wie lässt sich aus einem Foto ein aussagekräftiger Zustandswert ermitteln? Wie beeinflusst der Einsatz von Drohnen die bestehenden Prozesse? Wie lassen sich die grossen Mengen an Zustandsaufnahmen möglichst einfach allen relevanten Stakeholdern bereitstellen? Welches zusätzliche Know-how benötigen wir für die neue Technologie? Und können wir am Ende des Tages die Kosten unter dem Strich tatsächlich senken?
Drohneninspektionen sind nun Teil des Axpo-Tagesgeschäfts
Heute gehören Drohneninspektionen zur täglichen Arbeit der Freileitungsinspekteure und -inspekteurinnen der Axpo. Die Werkhöfe sind mit Drohnen ausgerüstet und Mitarbeitende werden zu Piloten ausgebildet. Die Leitungen der Axpo werden periodisch mittels Drohnen inspiziert.
Eine Drohne nimmt von jedem Masten 20 bis 25 hochaufgelöste Fotos auf. Die eigentliche Inspektion findet anschliessend im Büro statt. Die Aufnahmen werden auf Schäden überprüft und, falls welche vorhanden sind, gekennzeichnet. Aus allen Schäden und dem entsprechenden Schweregrad der Schäden wird dann ein Zustandswert berechnet.
Der gesamte Prozess (Bild 2) einer Drohneninspektion – von der Planung der Flugmuster über die automatisierte Aufnahme und Auswertung der Fotos bis zur Dokumentation der gefundenen Schäden – ist weitgehend automatisiert. Die einzelnen Softwarekomponenten sind miteinander verbunden, um fehleranfällige manuelle Arbeit zu vermeiden.
Bisher wurde bereits mehr als ein Drittel der Masten des Axpo-Netzes inspiziert, und jedes Jahr kommen rund 800 weitere Masten beziehungsweise 18’000 Fotos hinzu. Da die Inspektionen eine enorme Datenmenge produzieren, ist es zwingend notwendig, den Arbeitsprozess in einem kollaborativen Tool abzubilden. Damit lassen sich die Fotos und Zustandsanalysen innerhalb der Organisation effizient teilen.
Hightech in der Luft
Je nach Mastgrösse und Inspektionsart kommen unterschiedliche Drohnen zum Einsatz. Für hohe Masten oder höchste Qualitätsanforderungen werden Kameras mit einer Auflösung von 45 bis 120 Megapixeln verwendet. Meistens ist eine Person mit einer Drohne unterwegs. Diese ist in der Lage, etwa 30 bis 40 Minuten zu fliegen, bevor der Akku gewechselt werden muss.
Damit die Drohnen auch ausserhalb der Sicht der Inspektionspersonen geflogen werden können, verfügt Axpo über eine Spezialbewilligung. In der Fachsprache heisst sie BVLOS (Beyond Visual Line of Sight). Derzeit beträgt die maximal bewilligte Distanz zwischen dem Piloten und der Drohne 2 km, es werden also maximal 4 km am Stück geflogen.
Mehr Zeit, höhere Datenqualität und Sicherheit
Neben der eingesparten Zeit und der verbesserten Datenqualität erhöht die Drohneninspektion die Arbeitssicherheit. Das Drohnenfliegen ersetzt die Mastbesteigung, während die Stromleitungen eingeschaltet bleiben. Ein weiterer grosser Vorteil des Drohnenprogramms ist die Ergänzung des Monteur-Jobprofils um spannende, zukunftsorientierte Tech-Aspekte mit flexibleren Arbeitszeiten.
«Innerhalb der Schweizer Energiebranche ist Axpo im Bereich der Drohneninspektion von Freileitungen führend. Dies ermöglicht es Axpo, diese Dienstleistung auch anderen Netzbetreibern anzubieten», sagt Keyvan Shokoofh, Head Sales & Markets. Mit der Akquisition von Linia offeriert Axpo eine auf Kundenbedürfnisse abgestimmte End-to-End-Lösung. «Somit decken wir die gesamte Wertschöpfungskette ab. Dies macht uns auf dem globalen Energiemarkt einzigartig.»
Automatisierte Flugmuster
Während den Leitungsinspektionen fliegen die Drohnen bei Axpo anhand eines vordefinierten Flugmusters unter Aufsicht eines Drohnenpiloten. Somit werden hochwertige Bilder der wichtigen Mastkomponenten in kürzester Zeit aufgenommen. Die Flugmuster garantieren, dass sich Bilder vergleichen lassen, wie sich der Zustand eines Mastes über die Jahre verändert. Das Generieren von Flugmustern für die Mastinspektion ist komplex und ein integraler Bestandteil einer Inspektionslösung. Aus diesem Grund hat sich Axpo Anfang 2024 entschieden, Linia zu kaufen – ein auf das Generieren von Flugmustern spezialisiertes Start-up. «Die Insights-Plattform (Bild 3) ist für das Verwalten von Asset-Informationen konzipiert und ergänzt optimal die Software-Tools LINIAair und LINIApower (Bild 4), die die automatisierte Datenaufnahme abdecken», sagt Lorenzo Arizzoli-Bulato, Head Automated Inspections.

KI unterstützt unsere Mitarbeitenden
Durch die Insights-Plattform erhält Axpo Grid mehr und bessere Daten über den Zustand der einzelnen Freileitungsanlagen. Dank der Software ist es für die Inspektoren und Inspektorinnen so einfach wie noch nie, Schäden zu kennzeichnen und den Zustand zu analysieren (Bild 5). Diese Datengrundlage ist ein wichtiger Bestandteil der «predictive oder prescriptive Maintenance», also dem Konzept zur optimalen Durchführung des kostenintensiven Unterhalts. Basierend auf den Zustandsdaten können Sanierungen geplant und Investitionen qualifiziert werden. Das Instandhaltungsbudget wird somit gezielt für die wichtigsten und dringendsten Reparaturen verwendet.
Die Insights-Plattform wird laufend auf den neuesten Stand der Technik gebracht. Während die Fotoaufnahmen inzwischen weitgehend automatisiert sind, braucht es für die Schadenserkennung weiterhin ausgebildete Mitarbeitende. «Die Erkennung von Mastkomponenten und die Schadenserkennung auf Bildern ist ein klassischer Anwendungsfall für künstliche Intelligenz», sagt Nicolas Pelzmann, Data Scientist. Pilotversuche haben jedoch gezeigt, dass eine vollständig auf KI basierende Lösung derzeit noch keine zufriedenstellenden Resultate liefert. Der Hauptgrund ist die geringe Anzahl historischer Schäden, um eine KI effektiv auf die Erkennung neuer Schäden zu trainieren. «Künstliche Intelligenz kann bei der Analyse unterstützen, den Menschen aber noch nicht ersetzen», ergänzt Pelzmann.
Durch den eigenständigen Aufbau der Drohneninspektionen und der Plattform hat Axpo wichtige Kompetenzen insbesondere in der Softwareentwicklung erworben. «Dank dieser Erfahrungen diskutieren wir mit Partnern und Softwarelieferanten auf Augenhöhe. So können wir fundiert über die weiteren Entwicklungsschritte entscheiden», erklärt Kevin Geiger, Projektingenieur Asset Analyse und Digitalisierung. Dies ist neben der erhöhten Arbeitssicherheit, der verbesserten Inspektionsqualität und der eingesparten Arbeitszeit ein weiterer grosser Mehrwert der Digitalisierung.
Ausblick
«Dank der automatisierten Drohneninspektionen haben wir einen wichtigen Schritt in der Digitalisierung getan», sagt Geiger. Axpo wird weiter in die Digitalisierung ihrer Netzanlagen investieren. So soll beispielsweise untersucht werden, ob auch die Inspektion von Unterwerken optimiert werden kann. Zudem können Drohnen inzwischen Gelände vermessen und bestehende Infrastrukturen exakt digital abbilden.
Hintergrund
Grid 4.0
Mit dem Programm Grid 4.0 fördert Axpo Ideen, unterstützt Pilotprojekte und begleitet die digitale Transformation ihrer Netzanlagen. Das Programm ist matrix-organisiert, und die Projekte werden direkt in den jeweiligen Fachabteilungen durchgeführt. So wird sichergestellt, dass die Fachbereiche die Erkenntnisse der Pilotprojekte mittels eines Innovationsprozesses umsetzen können. Grid 4.0 fokussiert die fünf Bereiche Automation (insbesondere Drohnen), Data Analytics (Condition-Based Maintenance, IoT), Digital Asset Model (Digitalisierung der bestehenden Infrastruktur, Digitaler Zwilling) sowie Digital Workforce, Werkzeug und Prozesse (Künstliche Intelligenz, Wissensmanagement).
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