Fachartikel Energienetze , Infrastruktur , Messtechnik

Frei­lei­tungen mit Drohnen inspizieren

Effiziente Zustandserfassung

27.01.2025

Intakte Strom­masten und Leitungen sind das Rückgrat einer sicheren Strom­ver­sorgung. Für die regel­mässigen Zustands­erfas­sungen ihrer Infra­strukturen setzt Axpo Drohnen ein. Wo bisher Frei­leitungs­mon­teure die Leitungen bestiegen und kontrol­lierten, was viel Zeit und Personal beanspruchte, erhalten die Monteure nun Unter­stützung aus der Luft.

Inspektionen von Hoch­span­nungs­leitungen erfolgen alle zehn Jahre aufwendig durch Beklettern der Masten oder jährlich aus der Ferne mit Ferngläsern, was anfällig für Fehler ist. Diese Arbeiten sind potenziell gefährlich und kostspielig, aber unerlässlich, um den sicheren Betrieb der kritischen Infra­strukturen zu gewährleisten.

Als die grösste Hoch­span­nungs­netz­betreiberin der Schweiz betreibt Axpo rund 2200 km Hoch­span­nungs­leitungen, davon 1800 km Freileitungen, die von rund 8000 Masten getragen werden. Der Aufwand für Inspektionen ist beträchtlich. Deshalb ist es Axpo ein grosses Anliegen, den Arbeitsablauf zu optimieren. Bereits 2018 hat das Energie­unter­nehmen im Rahmen ihres Grid 4.0-Pilot­projekts den Einsatz von Drohnen für hoch­wertige Luft­auf­nahmen zur Inspek­tion von Freileitungen getestet (Bild 1).

Zu Beginn waren viele Fragen offen

Relativ schnell hat sich heraus­kris­tallisiert, dass die Qualität der Aufnahmen genügend hoch ist, um eine Aussage über den Zustand der Frei­leitungs­trassen zu treffen – und dies ohne physische Besteigung.

Die Drohnen­inspek­tion warf auch Fragen auf: Wie lässt sich aus einem Foto ein aussage­kräftiger Zustandswert ermitteln? Wie beeinflusst der Einsatz von Drohnen die bestehenden Prozesse? Wie lassen sich die grossen Mengen an Zustands­auf­nahmen möglichst einfach allen relevanten Stakeholdern bereitstellen? Welches zusätzliche Know-how benötigen wir für die neue Technologie? Und können wir am Ende des Tages die Kosten unter dem Strich tatsächlich senken?

Drohnen­inspek­tionen sind nun Teil des Axpo-Tagesgeschäfts

Heute gehören Drohnen­inspek­tionen zur täglichen Arbeit der Frei­leitungs­inspek­teure und -inspek­teurinnen der Axpo. Die Werkhöfe sind mit Drohnen ausgerüstet und Mitarbeitende werden zu Piloten ausgebildet. Die Leitungen der Axpo werden periodisch mittels Drohnen inspiziert.

Eine Drohne nimmt von jedem Masten 20 bis 25 hochaufgelöste Fotos auf. Die eigentliche Inspektion findet anschliessend im Büro statt. Die Aufnahmen werden auf Schäden überprüft und, falls welche vorhanden sind, gekenn­zeichnet. Aus allen Schäden und dem entspre­chenden Schweregrad der Schäden wird dann ein Zustandswert berechnet.

Der gesamte Prozess (Bild 2) einer Drohnen­inspek­tion – von der Planung der Flugmuster über die auto­matisierte Aufnahme und Auswertung der Fotos bis zur Dokumentation der gefundenen Schäden – ist weitgehend automatisiert. Die einzelnen Software­kompo­nenten sind miteinander verbunden, um fehler­anfällige manuelle Arbeit zu vermeiden.

Bisher wurde bereits mehr als ein Drittel der Masten des Axpo-Netzes inspiziert, und jedes Jahr kommen rund 800 weitere Masten beziehungsweise 18’000 Fotos hinzu. Da die Inspektionen eine enorme Datenmenge produzieren, ist es zwingend notwendig, den Arbeitsprozess in einem kollaborativen Tool abzubilden. Damit lassen sich die Fotos und Zustands­analysen innerhalb der Organi­sation effizient teilen.

Hightech in der Luft

Je nach Mastgrösse und Inspektionsart kommen unterschiedliche Drohnen zum Einsatz. Für hohe Masten oder höchste Qualitäts­anfor­derungen werden Kameras mit einer Auflösung von 45 bis 120 Megapixeln verwendet. Meistens ist eine Person mit einer Drohne unterwegs. Diese ist in der Lage, etwa 30 bis 40 Minuten zu fliegen, bevor der Akku gewechselt werden muss.

Damit die Drohnen auch ausserhalb der Sicht der Inspek­tions­personen geflogen werden können, verfügt Axpo über eine Spezial­bewil­ligung. In der Fachsprache heisst sie BVLOS (Beyond Visual Line of Sight). Derzeit beträgt die maximal bewilligte Distanz zwischen dem Piloten und der Drohne 2 km, es werden also maximal 4 km am Stück geflogen.

Mehr Zeit, höhere Datenqualität und Sicherheit

Neben der eingesparten Zeit und der verbesserten Datenqualität erhöht die Drohnen­inspek­tion die Arbeitssicherheit. Das Drohnen­fliegen ersetzt die Mast­besteigung, während die Strom­leitungen eingeschaltet bleiben. Ein weiterer grosser Vorteil des Drohnen­pro­gramms ist die Ergänzung des Monteur-Jobprofils um spannende, zukunfts­orientierte Tech-Aspekte mit flexibleren Arbeitszeiten.

«Innerhalb der Schweizer Energiebranche ist Axpo im Bereich der Drohnen­inspek­tion von Freileitungen führend. Dies ermöglicht es Axpo, diese Dienstleistung auch anderen Netzbetreibern anzubieten», sagt Keyvan Shokoofh, Head Sales & Markets. Mit der Akquisition von Linia offeriert Axpo eine auf Kundenbedürfnisse abgestimmte End-to-End-Lösung. «Somit decken wir die gesamte Wertschöpfungskette ab. Dies macht uns auf dem globalen Energiemarkt einzigartig.»

Automatisierte Flugmuster

Während den Leitungs­inspek­tionen fliegen die Drohnen bei Axpo anhand eines vordefinierten Flugmusters unter Aufsicht eines Drohnenpiloten. Somit werden hochwertige Bilder der wichtigen Mastkomponenten in kürzester Zeit aufgenommen. Die Flugmuster garantieren, dass sich Bilder vergleichen lassen, wie sich der Zustand eines Mastes über die Jahre verändert. Das Generieren von Flugmustern für die Mast­inspek­tion ist komplex und ein integraler Bestandteil einer Inspek­tions­lösung. Aus diesem Grund hat sich Axpo Anfang 2024 entschieden, Linia zu kaufen – ein auf das Generieren von Flug­mustern speziali­siertes Start-up. «Die Insights-Plattform (Bild 3) ist für das Verwalten von Asset-Infor­mationen konzipiert und ergänzt optimal die Software-Tools LINIAair und LINIApower (Bild 4), die die auto­mati­sierte Daten­auf­nahme abdecken», sagt Lorenzo Arizzoli-Bulato, Head Automated Inspections.

KI unterstützt unsere Mitarbeitenden

Durch die Insights-Plattform erhält Axpo Grid mehr und bessere Daten über den Zustand der einzelnen Freileitungsanlagen. Dank der Software ist es für die Inspektoren und Inspektorinnen so einfach wie noch nie, Schäden zu kennzeichnen und den Zustand zu analysieren (Bild 5). Diese Daten­grundlage ist ein wichtiger Bestandteil der «predictive oder prescriptive Maintenance», also dem Konzept zur optimalen Durch­führung des kosten­inten­siven Unterhalts. Basierend auf den Zustandsdaten können Sanierungen geplant und Inves­titio­nen qualifiziert werden. Das Instand­haltungs­budget wird somit gezielt für die wichtigsten und dringendsten Reparaturen verwendet.

Die Insights-Plattform wird laufend auf den neuesten Stand der Technik gebracht. Während die Foto­auf­nahmen inzwischen weitgehend auto­mati­siert sind, braucht es für die Schadens­erkennung weiterhin ausgebildete Mitarbeitende. «Die Erkennung von Mast­kompo­nenten und die Schadens­erkennung auf Bildern ist ein klassischer Anwen­dungsfall für künst­liche Intelligenz», sagt Nicolas Pelzmann, Data Scientist. Pilotversuche haben jedoch gezeigt, dass eine vollständig auf KI basierende Lösung derzeit noch keine zufrieden­stel­lenden Resultate liefert. Der Hauptgrund ist die geringe Anzahl historischer Schäden, um eine KI effektiv auf die Erkennung neuer Schäden zu trainieren. «Künst­liche Intelligenz kann bei der Analyse unterstützen, den Menschen aber noch nicht ersetzen», ergänzt Pelzmann.

Durch den eigenständigen Aufbau der Drohnen­inspek­tionen und der Plattform hat Axpo wichtige Kompetenzen insbesondere in der Softwareentwicklung erworben. «Dank dieser Erfahrungen diskutieren wir mit Partnern und Softwarelieferanten auf Augenhöhe. So können wir fundiert über die weiteren Entwicklungsschritte entscheiden», erklärt Kevin Geiger, Projektingenieur Asset Analyse und Digi­tali­sie­rung. Dies ist neben der erhöhten Arbeitssicherheit, der verbesserten Inspektionsqualität und der eingesparten Arbeitszeit ein weiterer grosser Mehrwert der Digi­tali­sie­rung.

Ausblick

«Dank der auto­mati­sierten Drohnen­inspek­tionen haben wir einen wichtigen Schritt in der Digi­tali­sie­rung getan», sagt Geiger. Axpo wird weiter in die Digi­tali­sie­rung ihrer Netzanlagen investieren. So soll beispielsweise untersucht werden, ob auch die Inspektion von Unter­werken optimiert werden kann. Zudem können Drohnen inzwischen Gelände vermessen und bestehende Infra­struk­turen exakt digital abbilden.

Hintergrund

Grid 4.0

Mit dem Programm Grid 4.0 fördert Axpo Ideen, unterstützt Pilotprojekte und begleitet die digitale Trans­formation ihrer Netzanlagen. Das Programm ist matrix-organisiert, und die Projekte werden direkt in den jeweiligen Fach­abtei­lungen durchgeführt. So wird sichergestellt, dass die Fachbereiche die Erkenntnisse der Pilotprojekte mittels eines Inno­vations­prozesses umsetzen können. Grid 4.0 fokussiert die fünf Bereiche Automation (insbesondere Drohnen), Data Analytics (Condition-Based Maintenance, IoT), Digital Asset Model (Digi­tali­sie­rung der bestehenden Infrastruktur, Digitaler Zwilling) sowie Digital Workforce, Werkzeug und Prozesse (Künstliche Intelligenz, Wissens­management).

Autor
Leonhard Lowack

ist Leiter Strategisches Asset Management.

  • Axpo Grid AG, 5401 Baden
Autor
Till Richter

ist Programmleiter Digital & Innovation.

  • Axpo Grid AG, 5401 Baden

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