33. Ausgabe des Forums Netzbau und Netzbetrieb
Leitungsbautagung in Bonn
Mit 850 Teilnehmern und über 40 Ausstellern, vornehmlich aus dem deutschsprachigen Raum, war das Forum diesmal erneut ausgebucht. Es fand am 8. und 9. Mai im Maritim Hotel in Bonn statt. Neben den thematisch breit gefächerten Referaten zu Fachthemen hatten Komponentenhersteller, Leitungsbaufirmen und Dienstleister die Möglichkeit, ihre Neuerungen vorzustellen.
Nach der Eröffnung durch den Tagungsleiter Markus Palic folgte ein Grusswort des Cigre-Präsidenten, Prof. Dr.-Ing. habil. Konstantin Papailiou, der in einer persönlichen Grussbotschaft über die Anfänge seiner 50-jährigen Tätigkeit im Leitungsbau berichtete und die Bedeutung der Cigre als weltweit grösster Institution für die Fortentwicklung der Freileitungs- und Kabeltechnik hervorhob.
Im Anschluss folgte eine spontan organisierte Podiumsdiskussion zum Thema «Blackout auf der iberischen Halbinsel am 28. April 2025». An der von Palic moderierten Diskussionsrunde nahmen per Video aus Mallorca zugeschaltet Joachim Vanzetta, der ehemalige Leiter der Systemführung Netze bei Amprion und langjähriges Mitglied in mehreren internationalen Gremien, unter anderem als Chairman des «Entso-E System Operator Commitee» sowie Konstantin Papailiou, Prof. Guntram Schultz, Professor für Netzplanung an der HS Karlsruhe und Thoralf Bohn, stv. Geschäftsführer des VDE-FNN, zuständig für die Bereiche Systemfragen und Netzcodes, teil.
Im Panel wurden zunächst die möglichen Ursachen der Grossstörung erörtert. Dann wurden Massnahmen diskutiert, mit denen sich solch grossräumige Stromausfälle künftig vermeiden lassen. Dabei wurde deutlich, dass neben dem Erhalt der Generatorschwungmassen zur Frequenzstabilisierung der Ausbau der Netze, insbesondere der Grenz-Kuppel-Kapazitäten, ebenso vorangetrieben werden muss wie der Netzausbau innerhalb der Mitgliedstaaten selbst. Gleichzeitig müssen regenerative Erzeugungsanlagen vermehrt netzdienliche Eigenschaften annehmen.
Der erste Fachvortrag beschäftigte sich mit der Beschleunigung des dringend nötigen Netzausbaus in Deutschland. Dr. Peter Durinke, Kanzlei Wolter Hoppenberg, Berlin, beleuchtete die nach wie vor vorhandenen Hemmnisse im Planungsablauf, betonte aber, dass sich trotz allem die Planungszeiträume in Deutschland in den letzten Jahren durch die Gesetze zur Beschleunigung des Netzausbaus, wie dem Nabeg, Enlag und dem BBPlG, spürbar verkürzt haben. Einen wichtigen Beitrag dazu lieferte die EU-Notfallverordnung, die unter anderem für Netzausbauprojekte im Zuge der Energiewende Erleichterungen bei der Umweltprüfung vorsieht.
Im zweiten Beitrag drehte sich alles um neue sogenannte «Advanced Conductors». Diese, von Walter Heister, CTC Global, Köln, und Dr. Matthias Lamm, Richard Bergner, Schwabach, gemeinsam vorgestellten Seile (ACCC), können höher ausgelastet werden und besitzen trotz Betriebstemperaturen von 200°C und mehr keinen grösseren Durchhang als konventionelle Seile bei 80°C. Neu entwickelte Keilabspannklemmen sorgen dafür, dass die hohen Seiltemperaturen problemlos beherrscht werden. Abschliessend folgte ein Blick in die Zukunft. Durch in die Seile eingefügte Röhrchen mit LWL-Fasern wird es künftig möglich sein, mit Hilfe der Künstlichen Intelligenz die Temperaturen der Leiter nach Höhe und Ort zu detektieren und somit Leitungsverbindungen optimal auszulasten.
Durch steigende Strombelastungen von Freileitungen rückt die Frage der Beeinflussung von anderen, vornehmlich metallenen Infrastruktureinrichtungen, die gekreuzt werden oder die parallel im Boden verlaufen, mehr und mehr in den Fokus. Markus Heinrich von der Kanzlei Wolter Hoppenberg und BIL eG, Köln, erläuterte die aktuellen Regelungen zum Schutz von Rohrleitungen vor höheren Übertragungsströmen. Dabei hob er die Verpflichtung der Netzbetreiber hervor, sich mit den Rohrnetzbetreibern abzustimmen. Insbesondere dann, wenn es, etwa durch Ertüchtigungen von Freileitungen, in der Folge zu höheren Übertragungsströmen kommt. Dabei stellte er auch die BIL eG, eine Koordinierungsstelle für Beeinflussungsfragen in Deutschland, vor.
Nach der Mittagspause begrüsste Dr. Alexander Kuhn, Geschäftsführer der MVV Regioplan, der etwas später zur Tagung hinzustiess, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Im Anschluss zeigte Dr. Axel Weckschmied, Hexapilots, Dresden, wie vor dem eigentlichen Seilzug mit einer Drohne Vorseile gezogen werden können. Er erläuterte anschaulich, wie überall dort, wo andere Methoden, wie beispielsweise Hubschrauber, Geländefahrzeuge und Handausbringung nicht möglich, nicht erlaubt oder zu teuer sind, Vorseile mit einer hierfür spezialisierten Drohne ausgebracht werden können.
Wie ein zeitgemässes Vegetationsmanagement zur Trassenpflege aus dem All – extrahiert aus Satellitendaten – aussehen kann, zeigte der Beitrag von Jan Stenzel von LiveEO, Berlin. Dabei werden Satellitenaufnahmen mit KI-Unterstützung ausgewertet und betriebsgefährdende Vegetationen mit hoher Genauigkeit identifiziert, um eine effiziente Beseitigungsstrategie zu entwickeln, bevor vegetationsbedingte Leitungsstörungen auftreten.
Danach informierte Stefan Luipers von Geholit + Wiemer, Duisburg, über moderne Beschichtungssysteme und Möglichkeiten. Dabei zeigte er, wie Beschichtungsarbeiten selbst bei widrigen Umständen durchgeführt werden können. Neue Zweischicht-Beschichtungssysteme können sowohl bei Neubauten als auch bei der Sanierung von Bestandsleitungen nahezu ohne Rücksicht auf die Umgebungsbedingungen aufgebracht werden, was die jahreszeitlichen Einschränkungen deutlich reduziert.
Ein Tandemvortrag von Jan Moschall, DB Energie, und Daniel Eggers, Omexom, schloss den ersten Veranstaltungstag ab. Ein sogenanntes DBO-Gestänge wurde als Alternative beim Einsatz von Provisorien insbesondere bei 110-kV-Bahnstromleitungen vorgestellt. Das in partnerschaftlicher Entwicklung der DB Energie und Omexom entstandene Gestänge mit Auflastfundamenten als Basis eignet sich besonders beim Einsatz von Umbauten von Bahnstromleitungen, die aus betrieblichen Gründen auch während der Umbauphase im Betrieb bleiben müssen. Das Gestänge ist modular aufgebaut und kann in verschiedenen Masthöhen auch als verankerte oder mit Presspfählen fundierte Ausführungen eingesetzt werden.
Der zweite Tag begann traditionell mit Ausführungen zweier Organisationen, die national und international Anwendungshilfen bieten und die die Entwicklung von Standards sowie die Normung in der Branche massgeblich vorantreiben.
Thoralf Bohn, FNN im VDE, Berlin, stellte den FNN als Organisation für die nationale technische Regelsetzung vor und berichtete über die Herausforderungen bei der Integration der erneuerbaren Stromerzeugung. Unter dem Motto «Energiewende = Systemumbau» stellte er die Roadmap Systemstabilität als zentrale Herausforderung vor. Vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse auf der iberischen Halbinsel gewinnt dieses Thema enorm an Bedeutung. Dabei gehe es insbesondere um einen stabilen Systembetrieb auf der Grundlage von erneuerbaren Energien (EE) zu organisieren. Ziel müsse es sein, am Ende einen sicheren und robusten Systembetrieb mit 100% EE zu erreichen. Damit verbunden sind neue Anforderungen an die EE-Erzeugungsanlagen, damit sie systemstützend und netzbildend wirken können.
Herbert Lugschitz, der frühere Vorsitzende des Studienkomitees B2, Freileitungen der CIGRE aus Wien (A) knüpfte an das Grusswort von Papailiou an und gab einen Überblick über die Aktivitäten der 1921 gegründeten Vereinigung. Unter dem Motto: «Synergien und Herausforderungen in der Klima- und Industriepolitik» zeigte er die Realisierungszeiträume für Energieinfrastrukturprojekte in unterschiedlichen Ländern zwischen 2023 und 2035 auf. Darin wird deutlich, dass fortschrittliche Volkswirtschaften deutlich längere Realisierungszeiten benötigen als beispielsweise Indien oder China. Die eklatantesten Unterschiede zeigen sich in der Realisierung von Höchstspannungsverbindungen. Hier betragen die Planungszeiträume z. B. in Europa bis zu sieben und in China gerade einmal eineinhalb Jahre. Danach gab er eine Übersicht über eine Reihe technischer Berichte, die sich mit einer Vielzahl aktueller Themen des Leitungsbaus beschäftigen sowie über aktuelle Publikationen der CIGRE.
In der nunmehr zum fünften Mal angebotenen und die Tagung abrundenden Rubrik «Aktuelle Stunde – neue Dienstleistungen und Komponenten für den Netzbau» berichteten vornehmlich Aussteller über ihre Neuheiten.
Über die Sicherheitsstandards und die Prüfung von textilen Windenseilen informierte Andreas Halle, Seilflechter aus Braunschweig. Auf die Erläuterungen der spezifischen Eigenschaften von Kern-Mantel-Seilen und Hohlgeflecht-Seilen folgten Hinweise zum Verschleiss und zur Ablegereife. Danach berichtete er über Reparaturmöglichkeiten, Zustandsprüfung und Zertifizierung von Seilen, die im Freileitungsbau verwendet werden.
In die digitale Inspektion und KI-basierte Analyse von etwaigen Anomalien an Leitungen führte Thomas Dolleschal, Bladescape, Schwechat (A), ein. Er erläuterte in seinem Beitrag, wie die Datenerfassung mit unbemannten Luftfahrzeugen (Drohnen) erfolgt und wie sie systematisch ausgewertet werden kann. Die KI ist inzwischen in der Lage, eine umfassende Schadensdetektion in sehr hoher Qualität und Effizienz zu liefern. Dadurch wird es möglich, den aktuellen Zustand einer Leitung mit all ihren Komponenten zu dokumentieren und als Basis für eine «Predictive Maintenance» zu nutzen.
In einem weiteren Beitrag zeigte Wolfgang Troppauer, Knill-Gruppe/Mosdorfer, Weiz (A), Möglichkeiten für ein digitales Eismonitoring. An Leiterseilen angebrachte Sensoren diagnostizieren dabei über verschiedene Kenngrössen den Eisansatz am Leiterseil und ermöglichen dem Betriebspersonal, durch gezielte Laststeuerung den Eisansatz abzutauen, bevor es zu einer unbeherrschbaren Aneisung kommt, die zu Schäden an der Leitung, z. B. durch Hochschnellen von Leitern nach Eisabwurf führen kann.
Der letzte Beitrag der diesjährigen Tagung befasste sich unter anderem mit der Verbesserung der Sicherheit im Freileitungsbau. Fabian und Sascha Bleul, Ing. Karl Dressel, Nürnberg, berichteten in ihrem Tandemvortrag über bereits bestehende Verbesserungen in der Sicherheit beim Transport, den Hebezeugen, bei hydraulischen Hilfssystemen durch innovative Materialien und Methoden. Abschliessend gaben sie einen Überblick über Neuentwicklungen bei Hub-Zügen und Seilausrichtgeräten.
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