Forschungsmodul für «Das perfekte Haus»
Vielseitiges Labor für Gebäudesysteme
Das Entwickeln von innovativen Lösungen ist ein Kernziel des Projektes «Das perfekte Haus» der Hochschule Luzern. Ein neues Forschungsmodul ermöglicht nun solche Forschungs- und Entwicklungsarbeiten. Mit seinen virtuellen Bauteilen, die Untersuchungen von Leicht- bis Massivbauten zulassen, ist es selbst eine Innovation.
Das Projekt zielt nicht auf «das» einzige perfekte Haus ab, sondern stellt vielmehr einen Denkansatz dar. Am Anfang steht immer die Frage: Über welche Funktionalitäten müssen Gebäude, technische Systeme oder Komponenten verfügen, damit die gestellten Aufgaben im Sinne des Menschen perfekt gelöst werden können. Es geht um das Festlegen der gewünschten Funktionalität in einem Pflichtenheft. Zwänge und Einschränkungen werden in diesem Schritt vorerst ignoriert, damit innovative Lösungen nicht bereits zu diesem Zeitpunkt verworfen werden. Basierend auf dem Pflichtenheft wird identifiziert, welche Technologien bereits bestehen und was weiter oder neu entwickelt werden muss. Während dem Entwicklungsprozess der perfekten Lösung werden digitale Instrumente, beispielsweise Simulationen, aber auch Experimente im realen Raum mit Menschen eingesetzt. Dazu wurde im Rahmen des Projektes das nachfolgend beschriebene Forschungsmodul entwickelt und gebaut.
Finanziert wird das Projekt durch eine grosszügige Spende des HSLU-Alumnus Leo Looser aus Bad Ragaz. Er hat ermöglicht, dass am Departement Technik & Architektur in Horw während mindestens zehn Jahren daran geforscht werden kann. Der Ingenieur und Unternehmer absolvierte vor rund 60 Jahren am damaligen «Technikum» in Luzern die Ausbildung zum Gebäudetechnikingenieur.
Thermische Masse
Der Wärmeeintrag durch Sonneneinstrahlung, durch Personen, Geräte sowie Heiz- und Kühlsysteme verändert die Raumtemperatur. Diese beeinflusst den Raumkomfort und das Behaglichkeitsempfinden der Menschen. Wie der Wärmeeintrag die Raumtemperatur verändert, hängt massgeblich von der thermischen Masse der Raumumschliessungsflächen ab. Massive Bauteile ändern ihre Temperatur weniger stark als leichte Bauteile. Bei Ersteren tritt eine starke Dämpfung der Temperaturamplitude sowie eine Phasenverschiebung gegenüber dem zeitlichen Auftreten des Wärmeeintrags auf. Dies hat einen Einfluss auf den Heiz- und Kühlleistungsbedarf zur Sicherstellung eines akzeptablen Raumklimas und verändert auch das Regelverhalten des Raumes.
Was man baut, misst man
Bisher war die Bauweise eines Forschungsmoduls – Massiv- oder Leichtbau – auch mit einer bestimmten thermischen Trägheit verbunden: In einem thermisch trägen Raum waren keine Experimente mit Leichtbau möglich und umgekehrt. Der haushälterische Umgang mit Bauressourcen zwingt uns jedoch dazu, die Materialwahl und den Materialverbrauch zu hinterfragen: Was können die unterschiedlichen Bautypen bezüglich Raumkomfort, Energie- und Materialverbrauch leisten? Wie sind sie am besten kombinierbar? Welche Gebäudetechniksysteme und welcher Bautyp interagieren am besten miteinander?
Um solche Fragen zu beantworten, muss die Bauweise des Forschungsmoduls ohne grosse bauliche Eingriffe an die jeweiligen Aufgabenstellungen angepasst werden können.
Virtuelle Bauteile im realen Forschungsmodul
Mit der Wärmeleitungsgleichung – einer partiellen Differenzialgleichung – kann der zeitabhängige Temperaturverlauf an der Oberfläche und innerhalb eines beliebigen Bauteilaufbaus, bei einem zeitlich variierenden Wärmefluss, berechnet werden. Gelingt es also, den Wärmefluss – der beispielsweise durch die Personen, die Sonne oder Geräte entsteht – an einer realen Oberfläche im Raum laufend zu messen, kann die zeitlich variierende Oberflächentemperatur durch das Lösen der Differenzialgleichung berechnet werden. Wird die so ermittelte Oberflächentemperatur umgehend auf die reale Oberfläche im Raum übertragen, verhält sich der Raum so, wie wenn der berechnete Bauteilaufbau physisch vorhanden wäre. Dadurch ist die Untersuchung der Interaktion der Gebäudetechnik mit unterschiedlichen Bauweisen ohne physischen Umbau des Forschungsmoduls möglich.
Um diese Idee zu verwirklichen, verfügt das Forschungsmodul über speziell entwickelte Aluminiumelemente mit wasserdurchflossenen Kapillarrohren (Bild 1). Dies sind gezogene Aluminiumprofile mit integrierten Vertiefungen für die Aufnahme der Kapillarrohrmatten. Die 24 cm breiten Elemente verfügen über eine Nut-Kamm-Verbindung und sind demontierbar. An den raumseitigen Oberflächen der Wandelemente (Bild 2) sind die Wärmeflusssensoren (Bild 3) angebracht.

Sie messen den Wärmefluss und übermitteln ihn an das Rechenmodell, das dynamische Wandmodell. Dieses ermittelt die jeweiligen Oberflächentemperaturen, indem es die Differenzialgleichung löst. Es sendet die Werte in Form von Sollwerten an einzelne Regler, die die Heiz- und Kühlventile so regeln, dass die errechneten Oberflächentemperaturen umgehend auf den mit Wasser durchflossenen Aluminiumelementen erreicht werden. So spürt der Raum die unterschiedlichen Bauteiltypen, ohne dass diese real vorhanden sein müssen.


Dynamisches Wandmodell und Wärmeflusssensoren
Das dynamische Wandmodell ist eine an der Hochschule Luzern entwickelte C++-Anwendung, welche die beschriebene partielle Differenzialgleichung löst. Die Software in Form einer DLL wurde direkt in die Beckhoff-Automation integriert. Eine Konfigurationsdatei enthält den durch die Anwendenden veränderbaren Bauteilaufbau der zwölf Raumumschliessungsflächen. Die Beckhoff-Automation kommuniziert mit dem dynamischen Wandmodell über ein ADS-Protokoll (Automation Device Specification).
Die eingesetzten thermoelektrischen Wärmeflusssensoren der Firma Greenteg, mit einem Trägermaterial aus Polyamid, sind mit einem sehr dünnen doppelseitigen Klebeband auf die Aluminiumplatten aufgebracht. Eine Steckverbindung ermöglicht das Entfernen der Sensoren bei einem Umbau der Wandelemente.
Die Sensoren sind über I2C mit speziell entwickelten Multiplexer-Boxen verbunden. In der Box wird die Kommunikation von I2C auf RS485 umgestellt. Dieses Signal wird von der Beckhoff-Automation ausgelesen (Bild 4).

Anlagenhydraulik der virtuellen Bauteile
Die vom dynamischen Wandmodell kontinuierlich berechneten Oberflächentemperaturen werden durch die Regelung mit Durchgangsventilen laufend über die wasserdurchflossenen Kapillarrohrmatten auf den Raumoberflächen nachgeführt. Jedes Wandsystem verfügt über einen eigenen Wasserkreis mit zugehöriger Pumpe. Bei einem Wärmeeintrag an der Oberfläche verändern unterschiedliche Bauweisen ihre Oberflächentemperatur unterschiedlich stark und schnell. Um diesem Verhalten Rechnung zu tragen, wird für jedes Wandsystem ein Ventil mit grossem und eines mit kleinem Regelbereich eingesetzt. Zusätzlich wird die Wärmeflussrichtung (Wärmefluss ins Bauteil: Heizen; Wärmefluss aus dem Wandsystem: Kühlen) auf Basis der Messungen durch die Wärmeflusssensoren mit je einem Sechswegekugelhahn gesteuert. Bild 5 zeigt die im Forschungsmodul verbaute Technik und Hydraulik.

Visualisierung und Interaktion
Die Anlagenvisualisierung und Interaktion mit den Nutzenden erfolgt via der plattformunabhängigen Web-Lösung TwinCAT-HMI. Die Anlagenvisualisierung umfasst die zwölf virtuellen Wandsysteme sowie die Lüftungsanlage, die Wärme- und Kälteversorgung für die Experimente und die Anbindung an das Wärme- und Kältenetz der HSLU.
Für die Überwachung der Anlagenparameter und die Auswertung der Messresultate wird TwinCAT-Scope eingesetzt. Das Auswerteinstrument ermöglich die Auswertung der physischen und virtuellen Datenpunkte.
Forschungsmodul als Plattform für vielfältige Untersuchungen
Das Forschungsmodul bietet viele Möglichkeiten für die Durchführung von unterschiedlichen Forschungs-, Dienstleistungs- und Ausbildungsprojekten im Bereich Energie- und Ressourcenverbrauch, Behaglichkeit sowie Automation. Es können beispielsweise unterschiedliche Wärme- und Kälteabgabesysteme, Lüftungssysteme, Beleuchtungssysteme, Beschattungssysteme aber auch Raumautomations- und Regelsysteme untersucht und (weiter)entwickelt werden. Durch die rasch veränderbare Gebäudemasse lässt sich beispielsweise das daraus resultierende, unterschiedliche Regelverhalten sichtbar machen. Mit dem Standort auf dem Dach des Laborgebäudes kann auch die Wirkung des Aussenraums auf die Menschen in die Untersuchungen einbezogen werden.
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