Forschen für die Windenergie
Nachhaltigkeit steigern
Obwohl die Schweiz beim Windenergieausbau den Nachbarländern massiv hinterherhinkt, muss sich die hiesige Forschung und Entwicklung in Sachen Windenergie nicht verstecken.
Die Schweiz gilt nicht gerade als Vorzeigeland in Sachen Windenergie. Vom Ziel der Energiestrategie 2050, laut dem Windenergieanlagen jährlich 4 TWh Strom erzeugen sollen, ist das Land noch weit entfernt. Von den rund 800 bis 900 Anlagen, die gemäss BFE dafür nötig wären, sind heute gerade 41 in Betrieb.
Und doch arbeiten in der Schweiz zahlreiche Menschen für die Windenergiebranche: Bei Zulieferern, Dienstleistern oder Technologieexperten. Da gibt es zum Beispiel Tech-Jungunternehmen wie Sulzer und Schmid Laboratories mit Sitz im Zürcher Oberland, dessen Drohnensystem die notwendige periodische Inspektion der Rotorblätter massiv vereinfacht: Die Flugroboter fliegen die Windenergieanlagen autonom ab und liefern hochauflösende Bilder des inspizierten Blatts. Oder Winji AG in Zürich. Ihre Software analysiert Echtzeit-Daten aus Wind- und Solarkraftparks und ermöglicht es so, deren Produktion kontinuierlich zu optimieren. Sie und zahlreiche weitere Unternehmen finden ihre Kunden hauptsächlich in der ausländischen Windenergiebranche.
Auch ein grosser Teil der Windenergieforschung in der Schweiz zielt auf globale Anwendungen. Die Szene der Forschenden im Land ist überschaubar verglichen mit anderen Energiethemen wie Solar oder Speicherung. Das liegt aber nicht daran, dass es keine spannenden Projekte gäbe. Denn obwohl die Technik der Windkraftanlagen bereits relativ ausgereift ist, existiert noch einiges an Forschungsbedarf. Im Wissenschaftsmagazin «Science» haben Forschende im Bereich Windenergie in einem Reviewpaper die grossen Herausforderungen bei der Windenergieforschung identifiziert.[1]
Die Forschenden sehen die Wissenschaft vor allem in drei Bereichen in der Pflicht. Erstens gilt es, die Strömungsphysik in der atmosphärischen Grenzschicht beim Betrieb der Windkraftanlagen besser zu verstehen. Der zweite Punkt ist die Weiterentwicklung der Werkstoffe und der Systemdynamik einzelner Windturbinen. Und drittens die Optimierung und Steuerung ganzer Flotten von Windkraftanlagen, bei denen zum Teil Hunderte individuelle Generatoren synergisch in einem grösseren Elektrizitätsnetz zusammenarbeiten.
Mit Einsatz für die Windforschung
Sarah Barber ist promovierte Ingenieurin und lehrt und forscht am Institut für Energietechnik der Ostschweizer Fachhochschule OST in Rapperswil-Jona zum Thema Windenergie. Gleichzeitig engagiert sie sich auch für eine vernetzte und sichtbare Forschungs- und Entwicklungslandschaft zur Windkraft in der Schweiz. Das kann, wie sie erzählt, manchmal auch frustrierend sein. Denn ihre Leidenschaft ist nicht der politische Kampf um Akzeptanz, sondern die Technik und die Innovation. Dank ihrem Einsatz gelang es ihr, aus einem Teilzeitpensum als Dozentin an der damaligen HSR in Rapperswil eine Forschungsgruppe mit fünf Mitgliedern aufzubauen – alle durch selbst akquirierte Gelder finanziert, wie sie betont. An diese zu gelangen, ist aber aufgrund geringer Priorität der Windenergie in der Schweiz nicht einfach.
Um die verstreute Forschungs- und Entwicklungslandschaft in Sachen Windenergie zu vernetzen, hat Barber im Jahr 2020 das Schweizer Forschungsnetzwerk für Windenergie «The Swiss Wind Energy R&D Network» gegründet. «Die Hauptmotivation für das Netzwerk ist, die richtigen Leute in der Schweiz zusammenzubringen – und die Windenergiebranche auf aktuelle Technologien aufmerksam zu machen, auch international», erklärt Barber im Gespräch. Denn Schweizer Forschungsgruppen wissen oftmals nicht viel von den Unternehmen, die im Dienst der globalen Windenergie stehen; und Unternehmen wissen nicht immer, welche Technologien für die Windenergie relevant sind. Dazu gehören beispielsweise Machine Learning, künstliche Intelligenz, intelligente Messtechnik oder Faserverbundmaterialien.
Ein Marktplatz für Innovationen
«Knowledge Sharing», also Wissen zu teilen, ist ein grosses Thema in der Windenergie. «Es gibt sehr viele Daten – die müssen irgendwie geteilt, analysiert und ausgewertet werden», erklärt Barber. Das Problem: Die Anlagenbetreiber generieren zwar Daten, haben aber oft keine Ressourcen für ihre Auswertung. Technologiefirmen und Forschungsgruppen benötigen hingegen reale Daten, um ihre Lösungen, Algorithmen und Modelle zu testen und zu füttern, haben aber meist keinen Zugang zu Anlagen.
«Diese beiden Seiten zusammenzubringen, ist eines der Ziele der neuen WeDoWind-Plattform», sagt Barber. Diese Plattform entwickelt Barber zusammen mit «The Swiss Wind Energy R&D Network».[2] So können Betreiber eine Challenge auf die Plattform laden, etwa die Frage, wie sich wiederkehrende Generatorausfälle verhindern lassen. Sie liefern dazu ihre Messdaten. Forschende und Technologiefirmen können mit Lösungsideen reagieren und diese hochladen.
Diese Plattform soll sich nun weiterentwickeln. «Wir suchen im Moment Gelder, um aus der Plattform einen echten internationalen Innovationsmarktplatz zu machen. So etwas gibt es derzeit noch nicht», so Barber. Sie und ihr Team wollen einen standardisierten Prozess für die Lösungsfindung für die Herausforderungen der Betreiber: Eine Plattform, wo die Firmen die angebotenen Lösungen direkt als App downloaden und testen können.
Ziel ist eine Kultur der «Open Innovation», wo also neue Produkte und Lösungen nicht mit Geheimhaltungsverträgen hinter verschlossenen Türen entwickelt werden, sondern die Innovationsprozesse geöffnet und Kunden, Forschende, Partner und auch Lieferanten darin eingebunden werden.
Erosion aerodynamisch messen
Sarah Barber hat den Fokus ihres Forschungsprogramms klar definiert. «Mein Ziel ist eine nachhaltige, inklusive Digitalisierung der Windenergie», erklärt sie. Für die Inklusion setzt sie sich auch international ein: Als neues Mitglied der European Academy of Wind wurde sie gleich zur Vorsitzenden des «Chair of Diversity Committee» gewählt. Ziel ist, die Diversität in der Windenergiebranche zu fördern, etwa indem Frauen mit Mentorings unterstützt werden.
Zum Thema Digitalisierung läuft gerade ein grösseres Forschungsprojekt gemeinsam mit zwei Abteilungen der ETH Zürich. Ziel von «Aerosense» [3] sind Druckmesssensoren, die einfach auf die Rotorblätter aufgeklebt werden können und sowohl die Daten drahtlos übertragen als sich selbst auch mit Energie versorgen können. Die gewonnenen Daten sind wichtig, um die Aerodynamik auf den Rotorblättern zu verstehen. Damit können Hersteller ihre Modelle verbessern und noch effizientere Anlagen bauen.
Auch die Betreiber von Windfarmen sind an den Daten interessiert. Denn durch die Sensoren lässt sich die Abnutzung der Vorderkanten der Rotorblätter, die sogenannte Leading Edge Erosion, viel früher erkennen. Durch die Erosion der Kanten verändert sich die Strömung. Diese Abnutzung rechtzeitig zu erkennen, ist wichtig für die Anlagenbetreiber, da sich dadurch deren Leistung verringert.
«Bisherige Sensoren sind verdrahtet und relativ schwer», erklärt Sarah Barber. Für die Installation mussten Löcher in die Rotorblätter gebohrt werden und Drähte sind bei einem rotierenden System eine grosse Herausforderung.
Doch die bei Aerosense eingesetzten drahtlosen MEMS-Sensoren haben einen Nachteil: Sie sind weniger genau als ihre festverdrahteten Vorgänger. Im Projekt werden dafür auf einem Cloudsystem ein digitaler Zwilling und Machine-Learning-Plattformen implementiert, die es ermöglichen, die Kantenerosion zuverlässig aus den Sensordaten und Modellen festzustellen.
«Ab dem Herbst dieses Jahres sind die ersten Tests an einer echten Anlage geplant», sagt Barber. Ihre Abteilung hat für solche Versuche zwei Anlagen mit 6 kW Leistung gekauft. Diese stehen in Winterthur und sind rund 20 m hoch. Falls sich die Sensoren dort bewähren, werden sie im Frühling 2022 auf einer Grossanlage in Deutschland getestet – und sind dann bereit für die ersten Kunden.
Nachhaltige Rotorblätter
Eine der stetigen Herausforderungen bei der Windenergie sind die Werkstoffe für die Rotorblätter. Die Blätter bestehen meist aus glasfaserverstärkten Kunststoffen. Eine bislang ungelöste Herausforderung ist, was mit den bis zu 100 m langen Rotorblättern am Ende ihres Lebenszyklus geschehen soll. Das Material gilt nämlich bislang als kaum rezyklierbar.
Eines der Forschungsprojekte, die das Institut für Energietechnik der OST gemeinsam mit dem Institut für Werkstofftechnik und Kunststoffverarbeitung der gleichen Hochschule verfolgt, ist deshalb, einen Werkstoff für diese Rotorblätter zu entwickeln, der aus nachwachsenden Rohstoffen besteht. «Im Moment laufen Versuche mit einem Verbundmaterial, das aus Flachsfasern in Bioharz-Materialien besteht», so Barber. Das Team hat daraus Rotorblätter von rund einem Meter Länge fabriziert und auf einer kleinen Anlage montiert, um zu messen, wie sich das Material im Einsatz verhält.
Windenergie im Flug
Während sich ein Grossteil der Windenergie-Forschung auf die graduelle Verbesserung der existierenden «klassischen» Windkraftanlage konzentriert, tüfteln einige Jungunternehmen an der Möglichkeit, Windenergie aus höheren Luftschichten zu «ernten». In 500 m Lufthöhe bläst der Wind deutlich stärker als in Bodennähe. Ganz vorne dabei mischen zwei Start-ups aus der Schweiz mit: Twingtec aus Dübendorf ZH und Skypull aus Dino-Lugano TI.
Die fliegenden Windenergielösungen der beiden Start-ups ähneln komplexen Flugdrachen: Sie sind durch ein Drahtseil mit der mobilen Bodenstation verbunden. Beim Hochfliegen rollt sich das Seil aus und erzeugt so durch den Generator Strom. Beide Start-ups haben bereits funktionierende Prototypen entwickelt und Skypull arbeitet derzeit in einem Projekt mit der OST daran, das aerodynamische Design ihres Flugelements zu verbessern.
Die Schweiz hat innovative Unternehmen und erfolgreiche Forschungsprojekte im Dienste der internationalen Windenergie. Es wird sich zeigen, ob in der Schweiz der Ausbau – sei es durch konventionelle oder neuartige Windenergieanlagen – bald die Fortschritte macht, die es für die erfolgreiche Umsetzung der Energiestrategie 2050 braucht. Und somit ermöglicht, dass exportierte Forschungsresultate wieder den Weg zurück in ihre Heimat finden und auch hier erneuerbare Energie erzeugen.
Referenzen
[1] Paul Veers et al., «Grand Challanges in the Science of Wind Energie», Science, Oct. 2019.
[2] www.wedowind.ch/collaboration-platform
[3] www.aerosense.ai
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