Fachartikel Eigenverbrauch , IT für EVU , Smart Grid

Flexible Prosumer im Netzbetrieb

Lastprofile beeinflussen

30.05.2019

Photovoltaikanlagen, Elektrofahrzeuge, Batteriespeicher und Wärmepumpen sind Elemente, die das Lastprofil eines Netzbetreibers verändern. Allen ist dabei gemeinsam, dass sie ohne Komforteinbusse kurz ein- oder ausgeschaltet werden können. Im Projekt «Prosumer-Flexibilisierung» stellt sich ein Verteilnetzbetreiber die Frage, wie er dies konkret angehen könnte.

Die TBS Strom AG (TBS) versorgt südlich von Aarau rund 5000 Kunden mit Strom. Über ein herkömmliches Rundsteuer­system schaltet sie bis zu 7,5 MW elektrische Lasten – der Grossteil davon Warm­wasser­boiler und eine zuneh­mende Anzahl Wärmepumpen. Teils im Wissen der TBS, teils ohne diese zu informieren, instal­lieren manche Endver­braucher Systeme, wie z. B. Eigen­verbrauchs­regler, welche ihr Lastprofil verändern. Mit dieser Beobachtung stellt sich für die TBS die Frage, wie sie ihr Lastprofil künftig noch beeinflussen kann. Die Projektstudie «Prosumer-Flexibilisierung» (ProFlex) nimmt sich dieser Frage an. Prosumer ist dabei das englische Kunstwort für Strom­konsumenten, die ebenfalls Strom­produzenten sind.

Rahmenbedingungen

Die TBS ist ein typischer Vertreter der Schweizer Verteilnetzbetreiber: Sie ist bei der Dorfbevölkerung gut verankert, bietet neben Strom auch Wasser und Kommunikations­dienst­leistungen an und macht sich Gedanken über ihre künftige Rolle als Netzbetreiber.

Aufgrund ihrer geringen Grösse sind ihre Handlungs­möglich­keiten aber eingeschränkt. Technische Eigen­entwickl­ungen verbieten sich dabei genauso wie überdimen­sionierte Pilotprojekte. Für die Projektstudie ProFlex werden deshalb folgende Rahmen­bedin­gungen formuliert:

  • Es wird ein System gesucht, welches die Last-, Produktions- und Speicherprofile der Kunden beeinflussen kann.
  • Das System muss sich in die bisherige und künftige System­landschaft der TBS eingliedern. Insbesondere soll das System Teil einer ohnehin benötigten Smart-Metering-Infra­struktur sein oder nahtlos mit dieser funktionieren.
  • Das Kosten-Nutzen-Verhältnis des Systems darf die finanziellen Möglichkeiten der TBS nicht strapazieren.


Unter diesen Rahmen­bedingungen werden die technischen Anforde­rungen an das System definiert.

Anforderungen

Das gesuchte System muss vier Bereiche abdecken können. Diese Bereiche sind:

  • Regelsystem (zentral und/oder dezentral)
  • Aktoren und Sensoren (insbesondere dezentral)
  • Kommunikationssystem
  • Tarifsystem


Die Anforderungen an die einzelnen Bereiche wurden in einem Workshop mit vier weiteren Netzbetreibern definiert und priorisiert. Die Tabelle fasst die Anforderungen zusammen. Ähnliche Tabellen sind für die Aktoren und Sensoren, das Kommunikations­system sowie für das Tarifsystem erstellt worden. Während das Kommunikationssystem eine bidirektionale Echtzeit­kommu­nikation ermöglichen und sicher gegen Angriffe von aussen sein soll, stellt das Tarifsystem insbesondere die Motivation des Kunden zum netzdienlichen Verhalten in den Vordergrund.

Herausforderung dezentrale Regler von Drittanbietern

Es ist eine Tatsache, dass Prosumer ihre eigenen Regelsysteme einsetzen. Damit erhoffen sie sich eine bessere Nutzung ihres eigenen Solarstroms. Auch die dynamische Zuweisung von Ladekapazität für Elektrofahrzeuge ruft vermehrt nach Regelsystemen.

Der Netzbetreiber wird sich vermutlich nur dann als erfolgreicher Player positio­nieren können, wenn er sich nicht gegen diese Regler wehrt, sondern sie aktiv in sein Konzept einbindet. Diesbezüglich gibt es diverse Heraus­forderungen, die heute noch ungelöst sind. Diese sind unter anderem:

  • Technisch: Heute verfügbare Smart- Metering-System­lösungen für Netzbetreiber, welche auch die einfache Schaltung von Lasten anbieten (Nachfolgelösung der Rundsteuerung), bieten keine adäquaten Schnittstellen zu dezentralen Reglern.
  • Regulatives und Marktdesign: Zwar ist inzwischen festgehalten, dass Flexibilität dem Kunden gehört und der Netzbetreiber diese vergüten muss, wenn er sie nutzt. Was aber, wenn der Endkunde ein Eigen­verbraucher ist, gleichzeitig an einem Regelleis­tungspool angeschlossen ist und der Netzbetreiber die Spitzenleistung brechen möchte? Mit den heutigen Markt­regeln bleibt vieles unklar, womit die Investitions­sicherheit beim System­aufbau nicht gegeben ist.

Im Bild wird der Informationsaustausch zwischen dem Verteilnetz­betreiber und dem Endkunden sowie einem allfälligen unabhängigen Dienstleister (z. B. einem Aggregator für Systemdienstleistungen) dargestellt. Daraus geht das Konfliktpotenzial von Regelungen zur Last-, Produktions- oder Speichersteuerung hervor.

Lösungsansätze

Wie einleitend erklärt, sollen im Rahmen dieser Studie am Markt verfügbare Systemlösungen identifiziert werden, welche die Anforderungen aus dem Projekt erfüllen. Dabei kristallisieren sich drei Lösungsansätze heraus: Die Systemlösung, die Teillösung sowie die kundenspezifische Entwicklung. Bei der Systemlösung bieten mehrere Anbieter Gesamtlösungen für das Energiedatenmanagement (EDM) und das Demand Side Management (DSM) respektive die Ablösung der Rundsteuerung an. Der Fokus liegt dabei jeweils auf Smart Metering und Ersatz der Tonfrequenz-Rundsteuerung.

Bei Teillösungen bietet eine dynamische Anzahl an Anbietern, meist mit Start­up-Charakter, Produkte zur Regelung von Verbrauchern, Produzenten und Speichern an. Meist ist der primäre Einsatzzweck die Eigenverbrauchs­optimierung. Einige dieser Produkte bieten die Möglichkeit, von aussen auf das System Einfluss zu nehmen.

Bei der kundenspezifischen Entwick­lung gibt es Anbieter von kundenspezifischen Lösungen oder Pilotprodukten, welche konkrete Ideen von Netzbetreibern umsetzen können.

Die Evaluation verschiedener Produkte und Ideen hat ergeben, dass für die TBS nur eine Systemlösung in Frage kommt. Andere Lösungen bedingen einen hohen Anteil an (technischen) Eigenleistungen und eigenem Know-how, die ein kleiner Netzbetreiber nicht im Rahmen seines Tagesgeschäftes aufbauen kann.

Systemlösungen

Im Rahmen dieses Projekts werden verschiedene Systemlösungen evaluiert. Allen gemeinsam ist, dass sie ein flächendeckendes Smart Metering sowie den Ersatz der Rundsteuerung anbieten. Die Kosten dafür bewegen sich für das schlüsselfertige System im Bereich von CHF 250 pro Smart Meter.

Ebenfalls gemeinsam ist diesen Systemen jedoch auch, dass sie bezüglich den Funktiona­litäten und Anforde­rungen (Tabelle) nur einen sehr geringen Teil abdecken. Mit der oft verwendeten Kommu­nikations­techno­logie Schmalband-PLC entstehen gegenüber der herkömm­lichen Infra­struktur (Rundsteuerung und manuelle Zählerablesung) sogar Nachteile: So nimmt die Latenzzeit für den Signalversand eher zu, und ein Echtzeitversand von aktuellen Tarifen (z.  B. HT NT) ist nicht mehr möglich. Die vom Netzbetreiber angestrebte Beeinflussung der Lastprofile ist somit nur begrenzt umsetzbar. Das Versenden von Anreizsignalen wie z.  B. dynamischen Energie- oder Netzpreisen ist aufgrund des Kommu­nikations­systems ausgeschlossen.

Variable Tarifgestaltung

Während Anbieter von Teillösungen und kunden­spezifischen Entwick­lungen variable Stromtarife oft als attraktiven Weg zur Beeinflus­sung des Lastprofils von Prosumern sehen, wird diese Lösung von keinem der evaluierten System­anbieter unterstützt. Im Gegenteil – die eingesetzten Kommunikationstechnologien schliessen eine zu dynamische Nutzung der Kommunikation zwischen Netzbetreiber und Endkunde im Vornherein aus. Begründet wird dies u. a. damit, dass entsprechende Funktionalitäten für ein Smart Metering gar nicht notwendig seien.

Fazit

Will ein Verteilnetzbetreiber heute mehr als ein Smart Metering mit Rund­steuer­ersatz umsetzen, muss er bekanntes Terrain verlassen. Gerade für kleinere Netzbetreiber wird dies oft dazu führen, dass «Abwarten» die Empfehlung der Stunde ist. Sind jedoch ausreichend Pioniergeist und die nötige Risikobereitschaft vorhanden, so gibt es heute unzählige Möglichkeiten, in den diskutierten Bereichen Pilotprojekte umzusetzen und so der Branche im entscheidenden Moment eine Nasenlänge voraus zu sein.

Literatur

Prosumer-Flexibilisierung (ProFlex) – Flexibilisierung von Konsumenten und Produzenten eines kleinen Verteilnetzbetreibers, BFE-Schlussbericht, abrufbar ab Sommer 2019 unter www.aramis.admin.ch.

Autor
Prof. Dr. Christof Bucher

ist Leiter des PV-Labors an der Berner Fach­hoch­schule.

  • BFH, 3400 Burgdorf

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