Kurznachricht Erneuerbare Energien

«Die grösste Heraus­forde­rung ist die feh­lende Akzeptanz»

Auswirkungen der Windenergie auf Umwelt, Gesellschaft, Wirtschaft und Recht

24.02.2025

Ein internationales Team von Forschenden hat die Auswir­kungen der Windenergie auf Umwelt, Gesellschaft, Wirtschaft und Recht untersucht. Russell McKenna, Experte für Energie­system­analyse, erzählt im Interview, wo er den grössten Handlungs­bedarf sieht, um die Windenergie weiterzuentwickeln.

ETH-News: Worum geht es in der Studie und was ist ihre Kernaussage?

Russell McKenna: Die Studie befasst sich mit den Auswirkungen der Windenergie auf die Systeme, in die sie eingebettet ist, seien es Umwelt- und Klimasysteme, sozio­ökonomische, techno­ökonomische oder politisch-rechtliche Systeme. Wir haben uns den aktuellen Stand der Forschung angesehen und versucht zu unterscheiden, wo das Bild relativ klar ist und wo es Heraus­forderungen gibt, die (immer noch) überwunden werden müssen. So haben wir insgesamt 14 Auswirkungen definiert, um aufzuzeigen, wo die Forschungs­prioritäten liegen sollten, um einige dieser Heraus­forderungen zu überwinden.

Um welche Auswirkungen geht es konkret, können Sie Beispiele nennen?

Im Bereich Umwelt und Klima geht es beispielsweise um die Auswirkungen von Windparks auf das lokale Klima oder um das End-of-Life-Szenario von Rotorblättern, die nicht recycelt werden können. Bei den sozio­ökono­mischen Systemen haben wir unter anderem lokale Kosten und Nutzen von Wind­kraft­anlagen identifiziert. Beim politisch-rechtlichen System geht es beispielsweise um die Frage, was passiert, wenn die Lieferkette aus geopolitischen Gründen unterbrochen wird.

Wie sind Sie vorgegangen, um diese insgesamt 14 Auswir­kungen der Windenergie zu identifizieren?

Was ich zum Hintergrund sagen möchte: Wir sind 24 Co-Autor:innen aus verschiedenen Institutionen, die fast alle an einem dreijährigen Projekt namens Wimby beteiligt sind, das von der Europäischen Kommission finanziert wird. Wimby steht für «Wind In My Backyard». Im Rahmen dieses Projekts wollten wir eine ganzheitliche Analyse der Windenergie durchführen und, eine Bestandsaufnahme der unterschiedlichen Auswirkungen der Windenergie auf verschiedene Systeme zu erstellen. Wir haben eine umfassende Literatur­recherche durchgeführt. Insgesamt haben wir über 400 Studien ausgewertet und konnten so den aktuellen Stand der Forschung und die prioritären Forschungs­themen herausfiltern.

Welches Ergebnis hat Sie am meisten überrascht?

Es gab einige Ergebnisse, bei denen wir festgestellt haben, dass sie nicht dem allgemeinen Wissen entsprechen. Ein Beispiel ist der Infraschall, der tieffrequente Lärm, der oft als Problem für die Bevölkerung genannt wird, weil er zu Irritationen führen und sogar Gegenstände in Häusern zum Vibrieren bringen kann. In der Forschung gibt es jedoch nur eine uns bekannte Studie, die eine bestimmte Wind­kraft­anlage untersucht hat, und das war vor etwa drei Jahrzehnten, als gerade die ersten Prototypen gebaut wurden. Bei den heutigen Anlagen ist kein Zusammen­hang mit tief­frequentem Lärm mehr nachweisbar, das ist aber noch nicht in das allgemeine Wissen eingedrungen.

Apropos Windturbinen: Bis 2030 müssen rund 60'000 Anlagen ersetzt werden, deren Rotorblätter nicht recycelt werden können. Welche Ansätze gibt es, um dieses Problem in der nächsten Generation zu vermeiden?

Ein Problem beim Recycling von Rotorblättern stellt das Faser­binde­mittel dar. Da duro­plastische Kunst­stoffe wie Epoxidharz oder Polyester nicht schmelzen, ist eine Rück­gewin­nung der Glasfasern kaum möglich. Daher werden die meisten Rotorblätter derzeit zerkleinert und auf Deponien oder inoffiziellen «Zwischenlagern» entsorgt. Technologien wie die Pyrolyse (thermo­chemische Behandlung ohne Sauerstoff) können zur Rück­gewinnung der Blattfasern beitragen. Die Qualität des zurück­gewonnenen Materials und der sehr niedrige Marktpreis des neuen Materials machen diese Option jedoch wirtschaftlich unattraktiv. Bei neueren Rotorblättern sieht die Situation besser aus, da die grossen Hersteller jetzt ein Harz verwenden, das sich am Ende der Lebensdauer auflöst, so dass die Fasern in 20 Jahren leichter wieder­gewonnen werden können. Es wird also eine Kombination von Ansätzen verfolgt, um möglichst viel Material in den Kreislauf zurückzuführen. Letztlich sind solche Belastungen immer gegen die positiven Nebeneffekte des Wind­energie­ausbaus abzuwägen – einer davon ist die Abkehr von fossilen Energieträgern.

Wo sehen Sie den grössten Handlungsbedarf?

Es liegt auf der Hand, dass die Akzeptanz von Wind­kraft­anlagen in der Bevölkerung entscheidend ist, da sie das Land­schafts­bild prägen. Eine ähnliche Situation haben wir seit Jahrzehnten mit der beste­henden Netz­infra­struktur. Die Menschen wollen, dass der Strom aus der Steckdose kommt und verlassen sich täglich darauf. Das Stromnetz hängt an Masten in der Landschaft, die von den Menschen nicht immer akzeptiert werden. Mit anderen Worten: Menschen wollen die (Energie-)Dienstleistung, aber das «Problem» der Auswirkungen soll woanders liegen.

Ähnlich verhält es sich mit Windturbinen: Die Akzeptanz in der Bevölkerung ist generell hoch, beispielsweise befürworten 60 Prozent der Schweizer Bevölkerung Windkraftanlagen im zukünftigen Strommix, aber auf lokaler Ebene gibt es oft Widerstand. Es hat sich gezeigt, dass die Akzeptanz für Windturbinen steigt, wenn die Gemeinde davon profitiert, zum Beispiel durch eine finanzielle Beteiligung am Projekt oder wenn Arbeitsplätze für die lokale Wirtschaft geschaffen werden. Dabei geht es nicht nur um technische Arbeitsplätze – Windparks können auch attraktive Standorte für den Tourismus sein.

Generell muss in der Bevölkerung noch viel Aufklärungsarbeit über die jeweiligen Vor- und Nachteile der Windenergie geleistet werden. Bei allen Energietechnologien ist immer ein Kompromiss notwendig, und es ist unvernünftig, sich auf die Nachteile einer Technologie zu konzentrieren, ohne die Alternativen zu berücksichtigen.

Welche Themen der Studie sind für die Schweiz besonders relevant?

Fast alle identifizierten Themen sind auch für die Schweiz relevant – die Offshore-Windanlagen können wir wohl ausklammern. In der techno-ökono­mischen Kategorie betrachten wir beispielsweise, wie sich die Windenergie mit Massnahmen zur Speicherung, Flexibilität, Netzverbesserung und Sektorkopplung in das Energiesystem integriert. Die Schweiz hat den Vorteil, dass ihr System historisch stark auf erneuerbare Energien ausgerichtet ist, fast zwei Drittel der Elektrizitäts­versorgung stammt aus Wasserkraft. Auf dieser Erfahrung und Expertise kann man mit grossen Mengen nicht-steuerbarer Strom­erzeugung aufbauen. Wir brauchen auch integrierte Energiesysteme, wie sie die Schweiz mit einigen ihrer Nachbarländer bereits hat. Eine stärkere Markt­integration wird jedoch von den noch ausstehenden Abkommen mit der EU abhängen.

Ein weiterer Punkt, den ich hervorheben möchte, ist die Widerstands­fähigkeit der Versor­gungs­ketten gegenüber geopolitischen Entwicklungen. Meines Wissens gibt es keine Schweizer Hersteller von Windrädern. Dies ist ein Risiko, denn wir müssen die Technologie importieren. Während wir also durch die inländische Versorgung mit erneuerbaren Energien mehr Energie­unab­hängigkeit erreichen, erhöhen wir die Abhängigkeit von Technologieimporten.

Was ist Ihr persönliches Highlight oder etwas Positives, das Sie hervorheben möchten?

Ich bin stolz auf die Tabelle in der Studie. Sie ist ein Destillat aus den über 400 wissen­schaftlichen Studien und gibt einen umfassenden und prägnanten Überblick. Wir haben Forschungs­prioritäten festgelegt und in einigen wenigen Stichpunkten mögliche Lösungen aufgezeigt.

Die Tabelle kann auch als Grundlage für politische Entscheidungs­träger:Innen dienen, um die wichtigsten Heraus­forderungen bei der Beschleunigung des Windkraftausbaus anzugehen. Zusätzlich zeigen wir in der Tabelle, ob die Auswirkungen stark vom Standort der Wind­energie­anlage abhängen. Ist die Abhängigkeit hoch, sind die Auswirkungen der Windenergie je nach Standort sehr unterschiedlich; andere Auswirkungen sind räumlich eher homogen.

Wie geht es weiter?

Nach fast zwei Jahren Arbeit an dieser Studie können wir nun in die Zukunft blicken. Die laufenden Arbeiten im Rahmen von Wimby werden dazu beitragen, viele der Heraus­forderungen zu bewältigen. Zum Beispiel entwickeln wir eine europaweite Karte der Landschaftsqualität in Form der sogenannten «Scenicness». Basierend auf Crowdsourcing-Daten aus Grossbritannien haben wir ein maschinelles Lernmodell entwickelt, um diesen Parameter mit anderen räumlichen Merkmalen wie Entfernung, Grad des menschlichen Einflusses und Land­nutzungs­kategorien zu verknüpfen. Das bedeutet, dass wir solche Indikatoren für Regionen schätzen können, für die keine Daten verfügbar sind. Das Ergebnis ist zwar unvollkommen, aber es hilft, die Qualität von Landschaften auf europäischer Ebene zu messen, so dass wir diese Faktoren bei der Planung von Windparks berücksichtigen können. Ein wichtiges Ergebnis von Wimby werden interaktive Karten sein, die es Nutzer:Innen ermöglichen, alle Arten von Daten für jeden beliebigen Standort in Europa zu erforschen und die Machbarkeit und die Auswirkungen potenzieller Windparks zu analysieren.

Haben Sie abschliessende Bemerkungen?

Ich möchte betonen, dass ich die Windenergie in keiner Weise einer anderen Technologie vorziehe. Aber ich bin ein Wissenschaftler, der interdisziplinär über Energie­technologien und -systeme forscht. Diese Forschung zeigt, dass alle diese Technologien Vor- und Nachteile in einer Vielzahl von Wirkungs­kategorien haben. Leider neigt die Diskussion über die Energiewende dazu, sich auf bestimmte Vor- oder Nachteile zu konzentrieren und andere zu ignorieren. Diese und andere Studien haben einige der «Mythen» rund um die Windenergie entlarvt und sie von den tatsächlichen Auswirkungen und Forschungs­heraus­forderungen abgegrenzt. Es ist wichtig, dass alle Beteiligten, einschliesslich der Öffentlichkeit, das «Gesamtbild» vor Augen haben, wenn sie zwischen verschiedenen Energietechnologien abwägen.

Literaturhinweis

R. McKenna, J. Lilliestam, H. Heinrichs et. al., «System impacts of wind energy developments: key research challenges and opportunities», Joule, 2024.

Autorin
Franziska Schmid

arbeitet für die Hochschul­kommuni­kation der ETH Zürich.

  • ETH Zürich, 8092 Zürich

Zur Person

Prof. Dr. Russell McKenna ist Professor für Energie­system­analyse an der ETH Zürich und Leiter des Labors für Energie­system­analyse am Paul Scherrer Institut (PSI).

  • ETH Zürich, 8092 Zürich

  • E-Mail

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