Fassaden als Stromerzeuger
Projekte und Trends
Auf Dächern werden Solaranlagen schon öfter installiert, auf Fassaden sind sie eher Exoten. Standardisierte, farbige Module, eine höhere Effizienz und finanzielle Zuschüsse würden den Ausbau beschleunigen
Neu ist die Solarstromerzeugung auf Gebäuden nicht. Sie blickt beinahe auf ein halbes Jahrhundert Geschichte zurück. Motiviert durch die Erdölkrise wurde 1973 das erste Haus mit solarer Wärme- und Stromversorgung unter Federführung der University of Delaware gebaut. Auch heute deckt dieses Zweifamilienhaus seinen Energiebedarf hauptsächlich mit der Strahlung der Sonne ab. Diese Immobilie ist zugleich das erste Beispiel von Building Integrated Photovoltaics (BIPV), denn die Sonnenenergiewandler sind ins Dach integriert. Ein weiterer Meilenstein ist die 1982 in München errichtete Wohnanlage Richter, ein prototypischer Bau, bei dem die Sonnenenergie aktiv und passiv genutzt wird. Auf dem oberen Teil der vollverglasten schrägen Südfassade hatte das Freiburger Fraunhofer-Institut rund 60 m2 Solarzellen installiert.
Als allmählich die ersten in Gebäude integrierbaren PV-Systeme auf den Markt kamen, wurde 1998 in der katalanischen Stadt Mataró die Biblioteca Pompeu Fabra als Demonstrationsobjekt der europäischen PV-Industrie gebaut, um das Gleichgewicht zwischen Ästhetik, Komfort, Energieerzeugung und Wirtschaftlichkeit finden zu können. Eine semitransparente Wand dämpft mittels multikristalliner Siliziumzellen auf einer Fläche von 225 m2 das ins Gebäude einfallende Licht und erzeugt zugleich bis zu 20 kW Elektrizität. Der Jahresertrag soll bei rund 15 MWh liegen.
Ein Vorzeigebau in der Basler Innenstadt
Bei aktuellen Projekten lässt sich folgende Regel anwenden: Je höher das Gebäude, oder genauer, je grösser das Verhältnis zwischen der nutzbaren, möglichst unverschatteten Fassadenfläche und der Dachfläche, desto sinnvoller ist der Einsatz von Solarfassaden. Mit einer Fassadenfläche von 1140 m2 und einer deutlich kleineren Dachfläche ist dieses Verhältnis beim achtstöckigen Neubau des Amts für Umwelt und Energie, AUE, der Stadt Basel für eine Solarfassade also vorteilhaft.
Das Gebäude geht auf einen Wettbewerb aus dem Jahr 2013 zurück, als ein Leuchtturmprojekt bezüglich Nachhaltigkeit ausgeschrieben wurde. Man entschied sich für den Entwurf des Architekturbüros Jessen Vollenweider Architektur. Die Motivation für den Entscheid beschreibt der involvierte Architekt Sven Kowalewsky so: «Wir waren das einzige Projekt, das ringsum eine PV-Anlage vorgeschlagen hat. Wir haben uns entschlossen, auf allen Seiten PV zu machen, auch auf der Nordfassade, die ungefähr 12% der gesamten Produktion liefert. Wenn man die Nordfassade weglassen würde, könnten wir die angestrebte Zertifizierung nach Minergie-A-Eco nicht erreichen.» Bei Minergie-A-Eco soll der Eigenstromverbrauch übers Jahr abgedeckt werden, was beim AUE-Gebäude 45 bis 50 MWh jährlich bedeutet. Ein maximaler Ertrag stand dabei nicht an erster Stelle, sondern eine hochwertige Gestaltung, denn das Gebäude steht in unmittelbarer Nähe zur Schon- und Schutzzone und denkmalgeschützter Substanz. «Da redet die Stadtbildkommission mit, teilweise auch die Denkmalpflege», präzisiert Kowalewsky.
Am Anfang des Wettbewerbs setzte das Gewinnerprojekt noch auf Module, die ihre «goldene» Farbigkeit aus dem geschnittenen, polykristallinen Silizium selber erzeugen, eine Lösung, die die Stadtbildkommission akzeptierte. Aber dann verzögerten Einsprachen und archäologische Arbeiten das Projekt um gut drei Jahre. Was sonst eher frustrierend ist, stellte sich hier als Glücksfall heraus, denn die PV-Technologie konnte sich in der Zwischenzeit weiterentwickeln. Da monokristalline Zellen eine höhere Effizienz haben, entschied man sich für hocheffiziente PERC-Zellen – Passivated Emitter and Rear Cell – also Zellen, die auf der hinteren Seite eine zusätzliche reflektierende Schicht aufweisen, die das nicht absorbierte Licht wieder für einen zweiten Absorbtionsgang zurückwirft. 2019 kam die Zelle, die im Labor einen Viertel mehr Ertrag lieferte.
Da monokristalline Zellen eine homogene Oberfläche haben und somit aus gestalterischer Sicht nicht so spannend sind, hat man das Design nochmals überarbeitet. «Obwohl die Architektur eigentlich fertig war, gingen wir dann nochmals ran und entwickelten eine neue Fassade: ein Glashaus», sagt Kowalewsky. Die Neuentwicklung waren Paneele in Schmelzglas, deren Herstellung viel Handarbeit erforderte. Das Schmelzglas, gehärtetes Glas aus dem Angebot eines Waschbecken-Herstellers, wird im Produktionsprozess erhitzt und unter hohem Druck mit einer Folie, die die Unebenheiten ausgleicht, einer Folie mit metallischen Punkten – ursprünglich ein Vogelschutz, der auf Gläser appliziert wird –, dann wieder einer ausgleichenden Folie und den Wafern sowie einer letzten Folie verschmolzen. Im Produktionsprozess wird die Folie auf 200°C erhitzt. Dabei verbiegen sich die Punkte leicht und kippen mal nach links, mal nach rechts. Zusätzlich wurden farbige Punkte aus Kunststoff in die Module integriert, um eine Farbdynamik hineinzubringen. Je nach Blickwinkel ist ein anderer Farbton sichtbar. Weil dieser Prozess nicht kontrolliert werden kann, ist jedes Paneel ein Unikat. «Viele Module sind zwar praktisch gleich, aber der Schimmer des reflektierten Sonnenlichts verändert sich wie bei einer Wasseroberfläche, wenn man am Gebäude vorbeispaziert. Bei normalen Elementen hat man diesen Effekt nicht», beschreibt Kowalewsky den visuellen Eindruck, der der Fassade durch die unregelmässige Streuung eine gewisse Lebendigkeit verleiht.
Der Wirkungsgradverlust durch die Punkte liegt im einstelligen Prozentbereich. Die Häufigkeit der Punkte hängt von der Höhe ab: unten werden 8,5% und oben 4,9% der PV-Wafer abgedeckt. Durch die Verwendung von PERC-Zellen wird der Verlust der Abdeckung ungefähr kompensiert: Man erreicht den Ertrag, der 2014 ursprünglich für die polykristallinen Zellen geplant war. Es wäre natürlich möglich, den Ertrag um die wenigen Prozente zu erhöhen, aber man müsste dann auf den erwünschten Farbeffekt verzichten.
Technisch stellen die Anlagen ein Solar-Edge-System mit Leistungsoptimierer dar, bei dem die verschatteten Module abgeschaltet werden. Die Elektronikmodule sind direkt hinter den PV-Paneelen verbaut, und drei bis vier sind jeweils zusammengeschaltet.
Beim AUE wird auf Energiespeicher im Haus verzichtet, da sich die Technologie noch im Entwicklungsstadium befindet. Ein allfälliger Überschuss wird ins Verteilnetz gespiesen und bei Bedarf zurückgeholt.
Ein früheres Plusenergie-Bürogebäude
Aber auch, wenn die Fassadenfläche nicht so markant grösser als die Dachfläche ist, kann sich der Einsatz von Solarfassaden lohnen, wie das Flumroc-Verwaltungsgebäude in Flums demonstriert. Das Gebäude wurde 2014 totalsaniert, mit einer sehr guten Wärmedämmung, einer effizienten Haustechnik und sparsamen Beleuchtung ausgerüstet. Dabei wurde es auch mit Fassaden-PV ausgestattet, da nur 61% des benötigten Stromertrages auf dem Dach produziert werden können und man damit den angestrebten Energieertrag nicht erreichen kann. Die PV-Module wurden bewusst als gestalterischer Aspekt des Gebäudes eingesetzt, und nicht einfach als Zusatz zu einer fertigen Wand, der wie ein Fremdkörper wirken würde. Die Fassadengestaltung des Architekturbüros Viridén + Partner, bei der die Farben der Fenster nach oben heller werden, sorgt dafür, dass die dunklen Glasbänder angenehm unterbrochen werden. Auf dem Dach sind PV-Anlagen mit einer Nennleistung von 71,3 kW installiert, auf den Fassaden beträgt die installierte Leistung 57 kW, bei einer nur leicht grösseren genutzten Fläche (Dach: 403,4 m2, Fassaden: 413,9 m2). Die Erzeugung der Fassaden ist somit ein wertvoller Zusatz zur Dachproduktion.
Die Solarfassaden trugen dazu bei, dass im sonnenreichen Jahr 2018 ein Energieüberschuss von 30% produziert werden konnte. Konkret betrug er 24,7 MWh. Die Eigenenergieversorgung war da also deutlich höher, als die nach der Inbetriebnahme prognostizierten 115%, die zum 2014 verliehenen Europäischen Solarpreis sowie dem Norman Foster Solar Award 2014 für das Gebäude führten.
Noch viel Luft nach oben
Obwohl die Photovoltaik die Funktionen von Fassaden wie Witterungsschutz, visuelle Wirkung usw. um die Energiebereitstellung erweitert und somit bei manchen Gebäuden eine sinnvolle Sache ist, ist sie in der Schweiz noch kaum verbreitet. Gemäss der kürzlich erschienenen Sonnenenergie-Statistik 2021 des Bundesamts für Energie, die seit 2020 die Fassadenanlagen separat ausweist, sind 118 solcher Anlagen ans Verteilnetz angeschlossen. Verglichen mit den 26'888 anderen Netzverbund-PV-Anlagen scheint dies vernachlässigbar. Etwas besser sieht es aus, wenn man die Nennleistung dieser Anlagen betrachtet: Den 679,2 MW der Dach- und Freiflächenanlagen stehen 4,1 MW Fassadenanlagen gegenüber, also etwa 0,6%. Das Potenzial ist noch beträchtlich.
Der Hauptgrund für die Zurückhaltung sind die Investitionskosten, die meist höher sind als bei anderen Fassadenmaterialien. Beim AUE lagen gemäss dem Architekten Sven Kowalewsky die Kosten für die Solarfassade pro m2 im Bereich der von Sichtbetonfassaden. Dafür erzeugen die Solarfassaden Strom – im Optimalfall bis zu fünfzig Jahre lang.
Bei historischen Gebäuden oder Häusern mit komplizierten Fassadenstrukturen ist ihr Einsatz zwar kaum sinnvoll, bei Gebäuden mit einer grossen Fassadenfläche hingegen ist das Potenzial für die Stromerzeugung gross. Bei industriellen Immobilien lässt sich zudem viel mit standardisierten Modulen erreichen. Für Wohnhäuser wächst das Angebot an farbigen bzw. mit digitalem Glasdruck individuell gestalteten Modulen oder beispielsweise durch Sandstrahlen modifizierten Oberflächen. Solche Anlagen können so in die Gebäudehülle integriert werden, dass sie kaum wahrnehmbar sind oder sogar einen visuellen Mehrwert bieten.
Natürlich kann man die Strategie auch umkehren und möglichst effiziente PV-Anlagen so integrieren, dass sie ein visuelles Statement darstellen, frei nach dem Motto: «Hier wird viel Strom erzeugt.» Eine Möglichkeit also, um das eigene Nachhaltigkeitskonzept visuell zu kommunizieren. Aber meist werden unauffälligere ästhetische Lösungen bevorzugt, die einen geringeren Ertrag abwerfen, der aber, wie beim erwähnten Amt für Umwelt und Energie, dem Optimum nahekommen kann.
Solarfassaden sind heute nur in wenigen Fällen wirtschaftlich, aber mit der entsprechenden Förderung könnte das vorhandene Potenzial deutlich besser genutzt werden. Im Winter wäre der zusätzliche Fassadenstrom besonders willkommen – ein Freischaufeln der Solarfassaden erübrigt sich, und die tief stehende Sonne leistet dann manchmal mehr als bei Dachinstallationen. Vielleicht gewinnen Solarfassaden künftig durch die Standardisierung auch an Popularität und können der Gebäudehülle eine zusätzliche, in Zeiten des Umstiegs auf erneuerbare Energien wichtige Funktion verleihen.
Literatur
- Paolo Corti, Pierluigi Bonomo, Francesco Frontini, Building Integrated Photovoltaics. Status Report 2020, Supsi, 2021.
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