Externe Lösung für interne Messung
Mess- und Abrechnungsdienstleistungen für Eigenverbrauchsgemeinschaften
Mess- und Abrechnungsdienstleistungen für Eigenverbrauchsgemeinschaften sind für Energieversorgungsunternehmen ein lohnendes Betätigungsfeld. Gemeinsam mit den Elektrizitätswerken Altdorf und Schwyz hat der IT-Dienstleister Optimatik AG eine entsprechende Lösung realisiert.
Seit 2014 ist in der Schweiz der Eigenverbrauch von Energie erlaubt, seit Anfang 2018 wird er verstärkt politisch gefördert. Als Eigenverbrauch gilt grundsätzlich der Verbrauch am Ort der Produktion. Bei zeitgleich verbrauchtem Strom kann nicht nur die nicht vom Netz bezogene Energie eingespart werden. Auch die entsprechenden Kosten für das Netz und weitere Abgaben können wegfallen. Darum erhält beispielsweise eine Kilowattstunde Strom aus einer Photovoltaikanlage (PV-Strom) im Eigenverbrauch im Hochtarif einen Gegenwert von 16 bis 24 Rp., abhängig vom Energieversorger und dem gewählten Energieprodukt. Im Gegensatz dazu liegen die heute üblichen Vergütungen von ins Netz zurückgespeister Energie bei 5 bis 10 Rp./kWh – und dies beinhaltet ebenfalls die Veräusserung des ökologischen Mehrwerts. Der Eigenverbrauch ist damit in vielen Fällen zum kommerziell interessantesten Absatz von PV-Strom geworden. Dazu muss der Verbrauch zeitgleich mit der Produktion stattfinden. Nicht immer ist es jedoch möglich, den produzierten Strom zur gleichen Zeit auch zu verbrauchen. Dies schafft Anreiz für hausinterne Batteriespeicher, welche die Erhöhung der Eigenverbrauchsquote ermöglichen.
Der Eigenverbrauch kann auch auf Gemeinschaften mit mehreren Teilnehmern, mehreren Produktionsanlagen und mehreren Batteriespeichern ausgedehnt werden. In diesen Fällen spricht man von Eigenverbrauchsgemeinschaften oder Zusammenschlüssen zum Eigenverbrauch (ZEV). Solche Gemeinschaften müssen die interne Verrechnung der Energie auf Basis von zugelassenen Messgeräten und nach intern festgehaltenen Kriterien vornehmen. Um dies zu erfüllen, sind sie auf externe professionelle Unterstützung angewiesen. Diese Unterstützung können Energieversorger im Sinne einer Dienstleistung wahrnehmen.
Regulatorische Änderungen
Mit der Annahme des neuen Energiegesetzes wurden umfangreiche regulatorische Änderungen per 1. Januar 2018 in Kraft gesetzt. Unter anderem sind davon auch Zusammenschlüsse zum Eigenverbrauch betroffen:[1, 2]
- Ein ZEV weist nach neuem Recht gegenüber dem Energieversorger nur noch einen Messpunkt auf.
- Die dahinterliegenden Endverbraucher werden zu Kunden des ZEV und sind nicht mehr direkte Kunden des Energieversorgers.
- Der ZEV ist für dessen Messdienstleistung und Abrechnung selbst verantwortlich (kann diese jedoch auslagern).
- Neu können ZEV auch über mehrere Parzellen hinweg gebildet wer-den, sofern diese Parzellen zusammenliegend sind und kein öffentliches Netz dazwischen in Anspruch genommen wird (beispielsweise Trennung der Parzellen durch eine öffentliche Strasse).
- Ein ZEV kann beschliessen, nach vor dem 1. Januar 2018 geltendem Recht zu funktionieren, sofern alle Beteiligten damit einverstanden sind. Dabei bleiben alle Verbraucher Kunden vom Energieversorger.
Ein ZEV kann die internen Mess- und Abrechnungsdienstleistungen gegenüber den Eigenverbrauchsteilnehmern selbst wahrnehmen oder aber Dritte damit beauftragen. Aufgrund des nötigen Wissens und des Aufwands zum Betrieb einer solchen Lösung ist die externe Vergabe dieser Dienstleistung der am häufigsten gewählte Weg. Verschiedene neue Marktplayer positionieren sich nun für diesen neuen Dienstleistungssektor. Diese bieten ZEV nun ebenfalls Dienstleistungen an: von der Konzeption über Messgeräte inklusive Installation und Messdienstleistungen bis hin zur Abrechnung und zum Webzugriff. Viele Energieversorger wollen in diesem Dienstleistungsbereich auch eine aktive Rolle einnehmen, da es sich bei den entsprechenden Dienstleistungen um ihre eigenen Kernkompetenzen handelt.
EVU sind prädestiniert für solche Dienstleistungen
Energieversorger sind prädestiniert für diese Dienstleistungen, weil in ihrem Versorgungsgebiet
- viele Kundenbeziehungen bereits bestehen,
- das EVU für den gesetzlich geforderten Aufbau eines intelligenten Messsystems mit bidirektionaler Kommunikation zwecks Fernauslesung verantwortlich ist (neue Stromversorgungsverordnung Art. 8a),
- die zu installierenden intelligenten Messgeräte auch für die ZEV-internen Energieflüsse und Abrechnungen eingesetzt werden können,
- das EVU jahrelange Erfahrung in der Abrechnung und Erhebung von Energiedaten sowie im Umgang mit Messgeräten hat, welche die rechtlichen Vorgaben erfüllen,
- das Vertrauensverhältnis der Kunden gegenüber dem EVU sehr hoch ist.
Um Schweizer Energieversorger mit einer geeigneten Mess- und IT-Lösung für die Thematik ZEV zu bedienen, hat der IT-Dienstleister Optimatik AG unter Mitwirkung der Elektrizitätswerke Schwyz und Altdorf eine passende Lösung umgesetzt. Bei der Entwicklung wurde ein grosses Augenmerk darauf gelegt, dass die Lösung mit den bei möglichst vielen Energieversorgern bereits bestehenden Messtechnik- und Softwaresystemen realisiert werden kann. Dies ermöglicht, Eigenverbrauchsgemeinschaften die entsprechenden Dienstleistungen anzubieten, ohne neuerliche grössere Investitionen in Messtechnik und Software tätigen zu müssen. Bestehende Systeme erfahren im Gegenteil eine noch breitere Nutzung, was deren Kosten auf einen weiteren Anwendungsfall verteilt.
Das obenstehende Bild zeigt die wesentlichen Komponenten für die Messung, Berechnung, Abrechnung sowie die Webdarstellung. Das bereits bestehende Abrechnungssystem kann für die ZEV-Lösung eingesetzt werden. Darin werden die Zusammenschlüsse zum Eigenverbrauch mit den entsprechenden Messpunkten für die Teilnehmer, die Produktionsanlagen und allfällige Batterien sowie dem Austauschmesspunkt mit dem Verteilnetz erfasst. Spezielle Informationsfelder deklarieren dabei, zu welchem ZEV der Messpunkt gehört und welche Ausprägung dieser hat (Produktion, Teilnehmer, Batterie, Austauschmesspunkt etc.).
Diese Informationen gelangen automatisch über die Stammdatenschnittstelle an das Meter-Data-Management-System Belvis (MDM). Aufgrund dieser Informationen werden die entsprechenden Messpunkte im MDM automatisiert anhand der entsprechenden Templates generiert.
Die im Feld bei den Eigenverbrauchsgemeinschaften verbauten Standard-Smart-Meter werden durch das Head-End-System (HES) automatisiert erkannt und ausgelesen. Es werden standardmässig die Register der 15-Minuten-Lastprofile für Wirkenergie, Verbrauch und Produktion sowie im Bedarfsfall für die Maximalleistung und Blindenergie gemessen und ausgelesen. Zu Informations- und Analysezwecken können auch andere Register, wie beispielsweise solche zur Spannungsqualität oder Ereignismeldungen, ausgelesen werden.
Die ausgelesenen Daten werden ebenfalls automatisiert auf die Messpunkte im MDM eingeliefert, wo anschliessend die relevanten Energiesummen für alle Teilnehmer berechnet werden. Dazu gehören unter anderem die Energiesummen, welche pro Teilnehmer von der Photovoltaikanlage, von der Batterie oder vom Netz bezogen wurden. Auch diese Kalkulation wird automatisch auf Basis der Stammdateninformationen kalkuliert.
Unterschiedliche Tarife je nach Bezugsart sind möglich
Das folgende Bild zeigt einen typischen Tagesverlauf der Energieflüsse bei schönem Wetter in einem einfachen ZEV. In diesem Fall besitzt der ZEV eine hausinterne Batterie zur Verbesserung der Eigenverbrauchsquote. Die Produktion wird im Verhältnis zum zeitgleichen Verbrauch an die Batterie und die Teilnehmer verteilt. Die Überschussenergie wird zurück ins Netz gespeist. An obigem Beispiel ist das typische Verhalten von hausinternen Batterien gut zu erkennen: Sie lädt sich auf, sobald die Produktionsleistung den zeitgleichen Verbrauch übersteigt. Die Entladung beginnt, sobald die Produktion wieder unter den zeitgleichen Verbrauch absinkt. Auch die Batterierückspeisung wird in der realisierten Lösung im Verhältnis zum zeitgleichen Verbrauch an die Teilnehmer verteilt. Damit hat der ZEV die Möglichkeit, unterschiedliche Tarife für den Verbrauch ab Netz, ab Produktionsanlage oder ab Batterie zu definieren.
In definierbarer Periodizität findet die Dateneinlieferung in das Abrechnungssystem statt. Dort werden mittels den vom ZEV definierten Tarifen die Rechnungen für die verschiedenen Energiesummen der ZEV-Teilnehmer erstellt. Über diesen Kernprozess hinaus kann dem ZEV-Verantwortlichen und den Teilnehmern eine Option zur Einsicht der Daten in einem Webportal (nächstes Bild) ermöglicht werden.
Die beschriebene Lösung wurde im Rahmen eines Einführungsprojekts für eine Zählerfernauslesungs- und Energiedatenmanagement-Softwarelösung gemeinsam mit den Elektrizitätswerken Schwyz und Altdorf realisiert. Die Umsetzung erfolgte im Zeitraum zwischen Dezember 2017 und März 2018. Seit April 2018 ist die ZEV-Lösung produktiv bei zwei Zusammenschlüssen zum Eigenverbrauch im Einsatz. Sie wurde in einem separaten Dienstleistungs-Mandanten im Energiedatenmanagement-/MDM-System Belvis realisiert und damit zentral in die Gesamtsystemlandschaft eingebettet (untenstehendes Bild).
Grössere Zusammenschlüsse zum Eigenverbrauch können in höhere Kundenkategorien, wie Gewerbe oder sogar Grosskunden fallen. In diesen Fällen werden die Netz- und Energiekosten meist neben der Wirkenergie auch auf Basis weiterer Messregister abgerechnet. Dabei handelt es sich meist um die monatliche Maximalleistung und Blindenergie. Aktuell evaluiert Optimatik mit verschiedenen Energieversorgern, ob und wie diese Register auf die Teilnehmer des ZEV verteilt werden sollen. Alternativ könnten Zusammenschlüsse zum Eigenverbrauch diese in ihrer Kostenkalkulation zwecks Tarifbestimmung für die Teilnehmer berücksichtigen. Die Basis für die Abrechnung gegenüber den Teilnehmern könnte damit auch auf den Wirkenergie-Registern bleiben.
Eine Big-Data-Analytics-Lösung wird erarbeitet
Parallel zur Umsetzung dieser ZEV-Lösung werden weitere Projekte vorangetrieben. So wird beispielsweise aktuell eine Big-Data-Analytics-Lösung bei ersten Energieversorgern in der Schweiz eingeführt. Auf dieser Basis sind viele weitere Anwendungsfälle vorstell- und realisierbar: Überwachung der Produktionsanlagen und aktives Melden von Auffälligkeiten, wie reduzierte Produktionsleistung oder angestiegener Stromverbrauch sowie intelligente Optimierung des Eigenverbrauchs innerhalb eines ZEV.
Mit der realisierten Lösung für EVG und ZEV können Energieversorger ihre bereits bestehenden Systeme nutzen, um diesem Kundensegment Dienstleistungen anzubieten. Die Energieversorger sind für diese Dienstleistungen prädestiniert, weil sie alle nötigen Kernkompetenzen, IT-Systeme und die nötige Organisation grösstenteils bereits besitzen. Somit ist es den Energieversorgern möglich, im von Anfang an liberalisierten Markt für EVG- und ZEV-Dienstleistungen marktfähige und gewinnbringende Leistungen zu platzieren – und sich so auf eine vollständige Markt-Liberalisierung vorzubereiten.
Referenzen
[1] Handbuch Eigenverbrauchsgemeinschaften, VSE, 2018.
[2] Leitfaden Eigenverbrauch, EnergieSchweiz, Bundesamt für Energie BFE, 2018.
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