Fachartikel IT für EVU , Unternehmensorganisation

EVUs stellen sich der Digita­lisierung

Online-Beratungs­tool

09.08.2022

Digitale Technologien durch­dringen mehr und mehr unseren Alltag. Bei den rund 600 EVUs der Schweiz berührt die Digitalisierung strategische und operative Fragen. Betroffen sind alle Geschäfts­bereiche von der Produktion bis zur Kunden­betreuung. Die FHNW hat einen digitalen Berater für Strom­versorger entwickelt, der ihren Digitalisierungs­grad einfach erhebt.

Der Kanton Uri zählt gut 36'000 Einwohner­innen und Einwohner sowie zahlreiche Industrie-, Gewerbe- und Dienstleistungs­betriebe. Die meisten von ihnen werden von der EWA Energie Uri AG (Altdorf) mit Strom beliefert. Der Urner Energie­dienst­leister gehört mit 360 Mitarbei­terinnen und Mitarbeitern zu den mittelgrossen Strom­versorgern der Schweiz. «Wir befassen uns seit mehreren Jahren mit der Digitalisierung und haben hierfür auch eine spezifische Digitalisierungs­strategie entwickelt», sagt Werner Jauch, Vorsitzender der Geschäfts­leitung der EWA Energie Uri AG. Das Unternehmen hat dafür auch die Expertise externer Expertinnen und Experten genutzt und verschiedene Branchen­vergleiche (Benchmarks) durchgeführt. «Die Umsetzung der Digitalisierungs­strategie ist ein langfristig angelegter Prozess, da sind Benchmark-Vergleiche und Einschätzungen von aussen stets willkommen», sagt Jauch.

Beratungstool der FHNW

Diesem Zweck dient seit Neustem auch ein Online-Beratungs­tool mit dem Namen «Digital4EVU», das die Fach­hoch­schule Nord­west­schweiz (FHNW) mit Unterstützung des Bundes­amts für Energie entwickelt hat. «Mit dem Online-Beratungs­tool geben wir den KMU im Energie­sektor ein Instrument an die Hand, mit dem sie schnell und mit über­schau­barem Aufwand wissen, wo sie bei der Digita­lisierung stehen und wie sie gezielt Massnahmen ergreifen können», sagt Stella Gatziu Grivas, die seit 2007 als Professorin an der Hochschule für Wirtschaft der FHNW forscht und lehrt. Als Expertin für Digitale Transfor­mation hat sie das Beratungs­tool gemeinsam mit einem Team der FHNW entwickelt. Digital4­EVU nutzt eine webbasierte Plattform von «Abilicor», einem FHNW-Spin-off, an dessen Gründung Gatziu Grivas 2017 beteiligt war.

Digital4EVU ist so konzipiert, dass Unter­nehmen es im ersten Schritt ohne fremde Hilfe nutzen können: Nachdem sich ein EVU beim Portal angemeldet hat, werden mehrere Unter­nehmens­vertreter mit unter­schied­lichen Verantwort­lichkeiten eingeladen, einen Online-Fragebogen auszufüllen. Insgesamt 52 Fragen decken 15 für die digitale Trans­for­mation relevante Bereiche ab, gruppiert um die Schwer­punkte Kunden­beziehung, Geschäfts­modell, operatives Manage­ment und Organi­sation. Hauptziel ist, den Ist-Zustand der Digitalisierung zu erfassen, dies unter Berück­sichtigung der verschie­denen Perspektiven der teilneh­menden Unter­nehmens­vertreter. Liegen die Antworten vor, werden diese durch das Tool automatisch ausgewertet und die Analyse­ergebnisse auf dem Dashboard angezeigt (und dabei auch die Antworten der Unter­nehmens­vertreter einander gegenüber­gestellt). Die EVUs bekommen dabei Infor­mationen zu Stand und Handlungs­bedarf bezüglich Digitalisierung. Dieses Ergebnis ist die Grundlage, auf der das EVU in einem zweiten Schritt unter Beizug eines branchen­kundigen Beraters gezielt Mass­nahmen diskutiert und umsetzt.

Erfahrungen aus anderen Branchen

Nachdem das Pilot­projekt abgeschlossen ist, steht das Tool für den kommer­ziellen Einsatz bereit. Mit dem Beratungs­tool könnten Unter­nehmen Digitali­sierungs­schritte innerhalb weniger Wochen planen und angehen. Aufgrund der auto­matisierten Daten­erhebung und -auswertung sei die Dienst­leistung günstiger als klassische Beratungs­angebote, verspricht Gatziu Grivas.

Das Online-Beratungstool war im Rahmen eines Innotour­projekts des Staats­sekretariats für Wirtschaft (Seco) zusammen mit der FHNW für die Hotellerie entwickelt worden. Seit 2019 wurde es in mehreren Branchen in Pilots getestet und im Rahmen von Beratungs­paketen angeboten. Alle Beratungs­werkzeuge sind ähnlich aufgebaut, haben jedoch branchen­spezifische Ausprägungen. Neben Hotellerie­suisse und dem Schweizerischen Baumeister­verband setzt auch ExpertSuisse, der Verband für Wirtschafts­prüfung, Steuern und Treuhand, auf das Beratungstool. Seit 2019 nahmen rund 40 Firmen das Angebot in Anspruch. «Das Tool ermöglicht den Unter­nehmens­vertretern, niederschwellig zu erfahren, welche Facetten das Thema der digitalen Transformation umfasst und worin die grössten Heraus­forderungen für das eigene Unter­nehmen liegen», sagt Luzia Hafen, verantwortlich für Business Trans­formation bei ExpertSuisse.

Nützlich und bedienungsfreundlich

Künftig soll das Beratungs­angebot nun auch Energie­ver­sorgern zur Verfügung stehen. Die EWA-Energie-Uri-Gruppe war eines von fünf Unter­nehmen, die das Tool in den letzten Monaten im Rahmen eines Pilots nutzten und auf seine Praxis­taug­lichkeit testeten. Dies geschah anlässlich von zwei Workshops mit Projekt­team und Unternehmens­vertretern. Beim Pilot habe sich das Digitalisierungs-Werkzeug als nützlich und soweit bedienungs­freundlich erwiesen, sagt Werner Jauch, CEO der EWA Energie Uri AG. «Das Beratungs­tool hat uns bestätigt, dass wir in unserer früher erarbeiteten Digitali­sierungs­strategie alle relevanten Handlungs­felder adressiert und teilweise bereits umgesetzt haben, und es hat uns weitere interes­sante Anregungen gegeben.»

Dazu gehören laut Jauch zum Beispiel neue Ansätze zur Kunden­interaktion mittels einer stärkeren Beachtung des Community-Gedankens. Das heisst praktisch etwa, Prosumer – also Kunden, die selber auch Strom produzieren – mit speziellen digitalen Angeboten als eigene Gruppe anzusprechen. Die Auseinander­setzung mit dem Tool gab den Verant­wortlichen des Energie­dienst­leisters Anstösse, die digitalen Melde­prozesse mit Kunden­beteiligung kontinuierlich weiter­zuentwickeln. «Die Diskussion hat uns auch aufgezeigt, dass wir schon gut unterwegs sind und viel umgesetzt haben, dass wir aber bei unseren Digitali­sierungs­bestre­bungen den Schlitten nicht überladen dürfen, da wir letztlich nur begrenzte Ressourcen haben», sagt Jauch.

Verbesserungen aus der Pilotanwendung

Nützlich war diese Pilot­anwendung auch für das Projekt­team. Dank der Rück­meldungen von EWA Energie Uri konnte das Team nochmals an den Fragen des Beratungstools feilen, damit diese richtig verstanden werden und zielgenaue Antworten erlauben. Ein anderes Feedback war, dass die Auswertung des Tools nicht in jedem Fall selbst­erklärend war. Hier streben die Projekt­verantwort­lichen weitere Optimie­rungen an: Ein Chatbot, der zurzeit entwickelt wird, soll die Auswertungs­ergebnisse zusätzlich erläutern.

Wie das Online-Beratungs­tool Digital4EVU von den Elektri­zitäts­versor­gern angenommen wird, wird sich zeigen. Eine Anwendung mag darin bestehen, eine schnelle Rückmeldung zum Stand der Digitalisierung im eigenen Unternehmen zu bekommen. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass das Thema Digitalisierung so viel­schichtig ist, dass mit einigen Klicks auf einem Online-Tool noch nicht viel gewonnen ist, dass Digitalisierung vielmehr eine vertiefte Beschäftigung erfordert. Das Tool kann diese intensivere Beschäftigung zwar nicht ersetzen, aber EVUs bei einer Auseinander­setzung mit dem Thema Digitalisierung begleiten.

Literatur

Weitere Fach­beiträge aus dem Bereich Wissens- und Technologie­transfer finden Sie unter www.bfe.admin.ch/ec-ewg.

Auskünfte zum Projekt erteilt Annina Faes, Leiterin des BFE-Programms Wissens- und Technologie­transfer.

 

Autor
Dr. Benedikt Vogel

ist Wissen­schafts­journalist.

  • Dr. Vogel Kommunikation
    DE-10437 Berlin

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