Fachartikel Energienetze

Erkenntnisse dank Erdschlussversuchen

Versuchsanordnung

28.10.2019

Im Mittelspannungs-Kabelnetz der Regionalwerke AG Baden mit einer Länge von 75 km ist seit der Einführung des Polerdungsschalters (2004) noch nie ein unkontrollierter Erdfehler aufgetreten. Diverse Netzänderungen in den letzten Jahren gaben nun Anlass zu einer Reihe von Erdschlussversuchen.

Das Stromnetz der Stadt Baden und Umgebung wird von den Unterwerken UW Baden und UW Dättwil jeweils über einen 40-MVA-Transformator, 110/16 kV, versorgt. Der Sternpunkt der Trafos auf der Mittelspannungsseite ist isoliert. Die Erdschlussbehandlung erfolgt in beiden Unterwerken mit Polerdungsschaltern.

Polerdungsschalter sind Schalter, deren Pole separat geschaltet werden können und die im Unterwerk eine Verbindung zwischen der fehlerbehafteten Phase und der Erde herstellen. Aufgrund von mehreren Sammelschienen-Abschnitten sind in den Unterwerken jeweils zwei Polerdungsschalter eingebaut. Der Einsatz von Polerdungsschaltern bei der Erdschlussbehandlung hat den Vorteil, dass der Erdschlussstrom nach dem Einschalten des Polerdungsschalters nicht mehr über die Fehlerstelle fliesst. Damit wird der Lichtbogen an der Fehlerstelle gelöscht und das Risiko von Lichtbogenschäden reduziert.

Die Erdschlusserfassung erfolgt durch die Messung der Verlagerungs- und Nullspannungen. Bei einem Erdschluss schaltet nach rund 2 s jeweils der Pol der fehlerbehafteten Phase ein. Dadurch kommutiert der Fehlerstrom von der Erdschlussstelle auf den Polerdungsschalter. Der Strom bei der Fehlerstelle im Netz erlischt. Das Risiko der thermischen Überlastung an der Fehlerstelle sowie des daraus resultierenden Doppelerdschlusses wird so eliminiert.

Veränderungen im Mittelspannungsnetz

Im Jahr 2004 waren die ersten Erdschlussversuche durchgeführt worden. Die untenstehende Tabelle stellt die Veränderungen der Netz- und Versuchsparameter zwischen den Erdschlussversuchen von 2004 und 2019 einander gegenüber.

Insgesamt waren sechs Erdschluss-Schaltungen vorgesehen. Zwischen den einzelnen Schaltungen wurden jeweils diverse Parameter verändert. So wurden beispielsweise ein geschraubter Erdschluss oder ein Erdschluss mit Lichtbogen herbeigeführt; Letzterer, indem das Kabel durchbohrt und mit einem feinen Zünddraht versehen wurde. Der Laststrom des weiterführenden Kabelabgangs nach der Erdschlussstelle betrug 25 A respektive 190 A. Ausserdem wurden 20/12-kV-GKT-Kabel mit Ethylen-Propylen-Rubber-Isolation sowie 20/12-kV-XKDT-Kabel mit XLPE-Isolation (vernetztes Polyäthylen) als Mittelspannungsversuchs-Kabeltypen eingesetzt.

Massnahmen zur Risikominimierung

Um bei den Versuchen das Risiko eines Isolationsdurchschlages mit Doppel­erdschluss zu minimieren, wurden entsprechende Massnahmen vorgenommen.

Bei einem Erdschluss mit Lichtbogen treten intermittierende Spannungen und Ströme auf. Zudem können bei hohen Lastströmen an der Fehlerstelle grosse Fehlerströme auftreten. Um Überraschungen vorzubeugen, wurde ein Ingenieurbüro für elektrische Energietechnik beauftragt, das Versuchsnetz zu modellieren und die Verläufe der relevanten Spannungen und Ströme zu berechnen. Die Resultate zeigten, dass die transienten Werte unterhalb der kritischen Grenzwerte liegen.

Die transienten Spannungsspitzen beim Einschalten des Leistungsschalters für einen Erdschlussversuch verursachen hohe Belastungen der Komponenten und können zu einem Doppelerdschluss führen. Um diese Spitzen zu minimieren, erfolgte die Einschaltung des Schalters mit einem Spannungsdetektor. Dieser gibt den Ein-Befehl im Spannungsnulldurchgang.

Wie die Messergebnisse der FKH (Fachkommission für Hochspannungsfragen) zeigten, werden die Spannungsspitzen so praktisch eliminiert. Die FKH war sowohl für den Aufbau der Messeinrichtungen als auch für die Aufzeichnung der relevanten Messgrössen verantwortlich. Obenstehendes Bild zeigt die hinter dem Kabelanschluss temporär montierten kapazitiven Spannungsteiler zur Messung der Phasenspannungen im Mittelspannungsfeld der weiterführenden Leitungen.

Ströme und Spannungen beim Erdschluss Nummer 33

Das untenstehende Bild zeigt die Strom- und Spannungsverläufe sowohl vor als auch nach dem Einschalten des Polerdungsschalters. Das Oszillogramm zeigt den Versuch Nummer 33 mit einem 150 mm2 starken XKDT-Kabel. Die weiteren Versuchsparameter waren Erdschlussart: Lichtbogen; Fehler: Phase L2; Erdschlussstrom: 190 A; Leitungslänge vom Unterwerk Dättwil zur Fehlerstelle: 4867 m; Laststrom an der Fehlerstelle (weiterführender Leitungsstrom): 25 A.

Ergebnisse aus den Versuchen

Die durchgeführten Erdschlussschaltungen führten zu vielen neuen Erkenntnissen und bestätigten diverse zuvor angestellte Berechnungen. So zeigt der Vergleich der berechneten Grössen und Verläufe der intermittierenden Ströme und Spannungen in der Studie des beauftragten Ingenieurbüros eine gute Übereinstimmung mit den von der FKH gemessenen Werten.

Die Versuche bestätigen ausserdem, dass die Steuerung so konzipiert ist, dass bei einem Erdschluss im Unterwerk beide Polerdungsschalter einschalten können. Der Erdschlussstrom teilt sich auf beide Schalter auf. Dass sich bei allen Versuchen der korrekte Pol eingeschaltet hat, zeigt, dass die Phasenerkennung korrekt erfolgt. Auch die Reaktionszeit war konstant: Bei unterschiedlichen Anfangsbedingungen funktioniert die Erdschlusserkennung und schaltet den Polerdungsschalter jeweils nach einer Erdfehlererkennung und nach der Totzeit von zirka 2,6 s ein.

Die Höhe der Wiederzündspannung beträgt bei GKT-Kabeln (EPR-Isolation) zirka 8 kV und ist höher als bei XKDT-Kabeln (XLPE-Isolation), bei denen sie zirka 5 kV beträgt. Dasselbe gilt auch für den kapazitiven Entladestromimpuls. Darüber hinaus ist die Wiederzündspannung im Verhältnis zur Phasenspannung kleiner. Dies ist der Grund dafür, dass sich die Zuverlässigkeit der Erdfehlerdetektion mit 16 gegenüber 8 kV verbessert hat. Die Wiederzündspannung steigt durch den Abbrand der Kabelschirmdrähte im Verlauf der Fehlerdauer jeweils an. Es ist zu berücksichtigen, dass Fehler in Kabelgarnituren möglicherweise höhere Wiederverfestigungsspannungen nach den Stromnulldurchgängen erreichen können. Dadurch würde die Reserve zur Erfüllung der Entscheidungskriterien zur Einschaltung des Polerdungsschalters reduziert.

Beim Einschalten eines Polerdungsschalters beträgt der Erdschlussstrom-Scheitelwert etwa 280 A und somit der Effektivwert Ieff 200 A. Beim Einschalten beider Polerdungsschalter halbiert sich der Strom. Der Scheitelwert beträgt etwa 140 A und Ieff liegt bei 100 A. Der Anteil der Oberschwingungen des Erdschlussstromes (vor allem 5. und 7. Oberwelle) beträgt zirka 9%.

Bei Erdschlüssen mit Lichtbogen kam es zu Rückwirkungen auf die verkettete Netzspannung im Mittelspannungsnetz der AEW. Die Netzbeeinflussung ist aber im Kontext vernachlässigbar. Beim Ausschalten des Polerdungsschalters schwingt die verkettete Spannung in zirka 80 ms wieder auf 16,5 kV ein. Die Schwingungen liegen im Bereich zwischen 14 und 17,8 kV. Überlagerte Spannungsspitzen sind auch im 400-V-Netz messbar und treten bei der Entladung der Erdkapazität während der Erdschlüsse mit Lichtbogen auf. Diese Spitzen sind aber praktisch bedeutungslos.

Nach dem Ausschalten des Polerdungsschalters klingt die Nullspannung Uo stark gedämpft ab. Diese Kippschwingungen, durch die Kapazität der Netzkabel und die Sättigungsinduktivität der einpoligen Spannungswandler verursacht, haben eine Frequenz von zirka 8 bis 10 Hz. XKDT-Kabel brennen nach einem Erdschluss mit Lichtbogen einige wenige Minuten bei kleiner Flamme weiter. Dadurch verkohlt das Kabel um die Fehlerstelle (schwarze Lichtbogenstelle). Bei GKT-Kabeln löscht der Lichtbogen nach dem Abschalten des Stromes sofort (saubere Lichtbogenstelle).

Das Einstiegsbild zeigt die Fehlerstelle des durch den Erdschluss beschädigten Versuchskabels Nummer 35. Im äusseren Polyethylen-Mantel ist ein Loch mit einem Durchmesser von rund 20 mm herausgebrannt. Darunter liegt die thermisch beständige, brandhemmende EPR-Isolation. Die Fehlerstelle ist relativ klein, weil der Polerdungsschalter nach 2,6 s den Fehlerstrom zum Erlöschen bringt. Dadurch ist die Gefahr eines Doppelerdschlusses minimal.

Schlussfolgerungen

Mit den Erdschluss-Schaltungen konnte der Nachweis erbracht werden, dass der Polerdungsschalter eine gute Alternative für die Erdschlussbehandlung ist und dass er unter den erneuerten Netzbedingungen praktisch einwandfrei funktioniert. Ausserdem hat sich gezeigt, dass das Steuer- und Schutzgerät richtig misst und den entsprechenden Schalter korrekt schaltet und dass die Schaltung des Polerdungsschalters im kombinierten Kabel- und Freileitungsnetz funktioniert und den Erdschlussstrom im Kabelnetz löscht. Schliesslich bestätigte die Versuchsanlage auch, dass die Rückwirkungen auf das Netz der AEW-Energie AG in einem tolerierbaren Bereich liegen.

Autor
Adrian Schmid

ist Projektleiter bei der Regionalwerke AG Baden.

  • Regionalwerke AG Baden, 5400 Baden
Autor
Adrian Fuchs

ist Abteilungsleiter Elektrizitätsversorgung bei der Regionalwerke AG Baden.

  • Regionalwerke AG Baden, 5400 Baden

 

Autor
Emanuel Schraner

ist stellvertretender Abteilungsleiter Elektrizitätsversorgung bei der Regionalwerke AG Baden.

  • Regionalwerke AG Baden, 5400 Baden

 

Die Autoren danken der Köppl Power Experts AG, der Ecowatt Projects AG sowie der AEW Energie AG für deren Unterstützung bei der Vorbereitung sowie der Auswertung und Dokumentation der vorgenommenen Erdschlussversuche.

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