Fachartikel Integration ins Netz , Smart Grid

Erfahrungen mit dezentraler Einspeisung

Integration dezentraler Erzeugung ins Verteilnetz als Herausforderung

30.04.2018

Im Projekt «Verteilte Einspeisung in Niederspannungsnetze», Vein, wurden die Auswirkungen auf die Spannungsqualität im Netz von 2010 bis 2017 untersucht. Zudem analysierte man die Möglichkeiten, die dem Verteilnetzbetreiber zur Erhaltung der Netzstabilität zur Verfügung stehen.

Mit dem Projekt Vein wurden Erfahrungen mit vermehrter dezentraler Einspeisung gesammelt. Das Projektziel war, die Auswirkungen der dezentralen Einspeisungen auf das Niederspannungsnetz vertieft kennenzulernen und den Verteilnetzbetreibern aufzuzeigen, wie diese Herausforderungen beherrschbar sind. Finanziert wurde das Projekt durch mehrere Verteilnetzbetreiber der Schweiz und das Bundesamt für Energie. Wurde die vermehrte dezentrale Einspeisung zu Beginn des Projektes noch als Prämisse gesetzt, so hat sie sich im Verlauf der Jahre für Verteilnetzbetreiber zu einer echten Herausforderung im Niederspannungsnetz entwickelt.

Das Pilotnetz in Rheinfelden

Das Vein-Pilotnetz befindet sich in Rheinfelden im Versorgungsgebiet der AEW Energie AG (Bild 1). Das Netz wird ab der Trafostation TS Kreuzmatt über zwei 630-kVA-Transformatoren versorgt. Die 150 Endverbraucher im Netz beziehen jährlich elektrische Energie von ca. 4 GWh und umfassen ein Einkaufszentrum, ein Schulhaus, ein Alters- und Pflegeheim, mehrere Dienstleistungs- und Gewerbebetriebe sowie mehrere Mehrfamilien- und Einfamilienhäuser. Mit einer maximalen Bezugsleistung von ca. 750 kW ergibt sich eine Benutzungsdauer von 5300 h. Die Bezugscharakteristik besteht aus einer Bandlast von 200 kW bis 300 kW und einer Leistungsüberlagerung mit üblichen Tagesverläufen von bis zu 500 kW an Werktagen. An den Sonntagen fallen die Lastspitzen deutlich tiefer aus.

Aufbau und Entwicklung der Infrastruktur

Die Standortbestimmung für die dezentralen Energieerzeugungs-Anlagen (DEA) – für die PV-Anlagen und die Blockheizkraftwerke (BHKW) – gestaltete sich schwieriger als erwartet. So konnten mehrere für PV-Anlagen geeignete Standorte wegen anderen Projekten der Eigentümer, wie z. B. die Nutzung durch Sonnenkollektoren, das Kirchendach wegen des Ortsbildschutzes und die grosse Dachfläche des Einkaufszentrums wegen einer allfälligen Aufstockung nicht genutzt werden. Gesamthaft konnten fünf PV-Anlagen mit einer total installierten Leistung von 145 kW erstellt werden.

Für die Installation der BHKW muss der Zeitpunkt stimmen. Nur wenn eine Sanierung der Heizzentrale ansteht und die Planung noch nicht zu weit fortgeschritten ist, besteht die Möglichkeit, in ein bestehendes Gebäude ein BHKW einzubauen, falls die Wirtschaftlichkeit gegeben ist. So konnte beim Schulhaus Robersten ein BHKW mit einer elektrischen Leistung von 90 kW und beim Alters- und Pflegeheim ein BHKW mit 48 kW installiert werden. Das BHKW Schulhaus Robersten speiste in den Wärmeverbund Rheinfelden Ost ein und das BHKW im Alters- und Pflegeheim wurde dessen Hauptwärmelieferant.

Ergänzt wurden die PV-Anlagen und BHKW mit drei elektrischen Speichern mit einer Gesamtleistung von 68 kW und einer Speicherkapazität von 45 kWh. Zwei dieser Speicher mit einer Leistung von insgesamt 18 kW und einer Speicherkapazität von 20 kWh sind im Alters- und Pflegeheim installiert. Zusammen mit der PV-Anlage von 33 kW und dem BHKW von 48 kWh verfügte Vein somit im Alters- und Pflegeheim über einen Energy-Hub. Der thermische Teil des Energy-Hub sorgte zusammen mit dem Wärmespeicher im Alters- und Pflegeheim während mehreren Jahren im Winter und Sommer für eine bedarfsorientierte Wärmeversorgung. Bei der Stromversorgung wurde mit dem Energy-Hub ein hoher Selbstversorgungsgrad erreicht. Zudem erfolgte auch eine relevante Rückspeisung ins NS-Netz (Bild 2). Der Energy-Hub wurde manuell über das Leitsystem gesteuert.

Neue Netzelemente im Einsatz

Zur Verstärkung der dezentralen Einspeisungen entwickelte Vein zusammen mit der Fachhochschule HES-SO in Sion einen mobilen Frequenzumformer (FU), der an unterschiedlichen Netzpunkten mit frei wählbaren Produktionsprofilen ins NS-Netz einspeisen kann. Mit der Funktion «Folgen einer Anlage» konnte damit eine weitere PV-Anlage von 90 kW emuliert werden, die synchron mit den bestehenden PV-Anlagen von Vein dezentral ins Netz einspeist. Der mobile FU ist auch mit Funktionen zur Spannungs- und Wirkleistungsregelung ausgerüstet. Er wird mittels Notstromaggregat oder von einem benachbarten NS-Netz gespiesen. Durch den Gleichstromzwischenteil des FU bleiben dabei die beiden NS-Netze AC-seitig getrennt. Der mobile FU wird zwischenzeitlich auch in NS-Netzen anderer Verteilnetzbetreiber für Feldtests von dezentralen Einspeisungen genutzt. Anfragen für die Nutzung des mobilen FU können an AEW Energie AG gestellt werden.

Dem Projekt stand zudem ein Längsregler zur lokalen Spannungsregelung beim Einspeisepunkt von zwei PV-Anlagen zur Verfügung. Der Längsregler präsentierte sich dabei als zuverlässiges Netzelement, das die Spannung bei unterschiedlichen Einspeisungen und Lasten im vorgegebenen Toleranzband hielt.

Anfang 2017 wurde in der Trafostation Kreuzmatt einer der beiden Trafos durch einen regelbaren Trafo ersetzt. Die Spannungsregelung des Trafos erfolgt mit dem Stufensteller Gridcon iTAP auf die Trafosekundärseite, wobei der Sollwert abhängig von der Trafobelastung automatisch angepasst wird.

Überwachung der Netzqualität

Für die Messung, Überwachung und Steuerung der Anlagen und des NS-Netzes wurde im Rahmen des Projektes ein Power-Quality-Messsystem und ein Leitsystem zur Steuerung der Anlagen installiert. Die mit dem PQ-System gesammelten Messdaten ermöglichten eine detaillierte Analyse der Spannungsqualität im Vein-Netz und der durch die DEA verursachten Änderungen.

Steigender Aufwand für Betrieb und Unterhalt

Der Aufwand für den Betrieb der PV-Anlagen ist verglichen mit den andern DEA mit Abstand am geringsten. Nach der Installation und Inbetriebsetzung funktionieren die PV-Anlagen zuverlässig. Auch die BHKW funktionierten nach der Inbetriebsetzung und der anfänglich erforderlichen Mängelbehebung zuverlässig. Da BHKW Maschinen mit rotierenden Teilen sind, benötigen sie naturgemäss mehr Wartung als die statischen PV-Anlagen.

Die drei Speicher benötigten sehr viel Aufwand, bis die Mängel, die nach der Inbetriebsetzung auftraten, behoben werden konnten. So betraf dies die Batterien aufgrund von Tiefentladungen, die lokale Steuerung der Speicher und auch die Kommunikation zum übergeordneten Energiemanagementsystem. Schliesslich konnte mit den Speichern ein stabiler Betriebszustand erreicht werden, sodass die Speicher gezielt für den Energiebezug oder die Energiespeicherung eingesetzt werden konnten. Die bevorzugte Betriebsart der Speicher in Vein war das Peak-Shaving. Tagsüber konnten die Leistungsspitzen der Einspeisungen ab den PV-Anlagen sowie am Abend und in der Nacht die Leistungsspitzen der Last so weit reduziert werden, wie dies von der Speicherkapazität her möglich war. Der energetische Wirkungsgrad der elektrischen Speicher liegt dabei unter 55 %.

Der für die Spannungsregelung temporär eingesetzte Längsregler funktionierte zuverlässig. Auch die Spannungsregelung mit dem regelbaren Trafo auf einen leistungsabhängigen Spannungssollwert auf der Trafosekundärseite funktioniert gut, entsprechend den eingestellten Parametern.

Nach der Inbetriebsetzung des regelbaren Trafos traten allerdings grosse Dämpfungen des PLC-Signales auf, die dazu führten, dass die Zählerfernauslesung im NS-Netz beeinträchtigt wurde. Als Ursache konnte die Steuerung des Gridcon iTAP eruiert werden. Die Störung im NS-Netz wurde mit einem der Steuerung vorgeschalteten elektrischen Filter behoben.

Die Betriebserfahrungen zeigen, dass mit den neuen Netzelementen im NS-Netz der Aufwand für die Überwachung und den Unterhalt zunimmt. Dies betrifft hauptsächlich die Zeit unmittelbar nach der Inbetriebsetzung, bis alle Parameter optimal eingestellt sind oder allfällige Störungen beseitigt werden konnten. Auch danach ist eine regelmässige Überwachung der Anlagen und der Spannungsqualität im NS-Netz erforderlich, um Störungen zu erkennen, die die Spannungsqualität verschlechtern, ohne den Betrieb der Anlagen selbst zu stören. Beispielsweise wenn bei Wechselrichtern Strom und Spannung nicht mehr synchron sind. Eine solche Störung führte bei starker Sonneneinstrahlung bei einer PV-Anlage zu erhöhten Flickerwerten.

Erkenntnisse und Empfehlungen

Auch wenn mit den im Pilotprojekt eingesetzten dezentralen Anlagen die Betriebsgrenzen nicht überschritten wurden, so konnte aufgezeigt werden, dass die dezentralen Einspeisungen einen erkennbaren Einfluss auf die Spannungsqualität ausüben und dass mit gezielten Massnahmen einer Verschlechterung der Spannungsqualität entgegengewirkt werden kann. Den grössten Einfluss üben die DEA auf den Spannungseffektivwert aus. Der Flickerwert kann durch die DEA erhöht werden, wenn Störungen bei einzelnen Komponenten der DEA auftreten. Die Langzeitauswertungen über alle Messstellen zeigen, dass der Betrieb der DEA den Gesamtoberschwingungsgehalt und die Asymmetrie der Spannungen nicht nennenswert erhöht.

Der Spannungserhöhung durch DEA kann mit folgenden im Projekt betrachteten und erprobten Massnahmen entgegengewirkt werden:

  • Der Spannungsanstieg am Anschlusspunkt von PV-Anlagen oder BHKW zu Zeiten mit geringer Verbrauchslast kann durch Abregelung oder durch den Bezug von Blindleistung reduziert werden.
  • Wird bei PV-Anlagen der Wechselrichter lediglich für 80 % der installierten Leistung der Solarzellen ausgelegt, so können die hohen Spannungen am Anschlusspunkt zur Mittagszeit an wenigen Tagen im Sommerhalbjahr reduziert werden. Der Produktionsverlust durch die reduzierte maximale Leistung beträgt dabei nur 2 % der Jahresenergie.
  • Mit dem Einsatz eines regulierenden Trafos können Über- oder Unterspannungen vermieden werden. Dabei müssen die Einstellwerte für die Regelung so gewählt werden, dass beispielsweise bei einer Spannungsreduktion aufgrund von starker dezentraler Einspeisung keine unzulässigen Spannungsabsenkungen bei Strängen im NS-Netz auftreten, an die lediglich Verbraucher angeschlossen sind.             
    Mit der Regelfunktion «Multisensor», die mehrere Messwerte im Niederspannungsnetz für die Spannungsregelung des Trafos miteinbezieht, werden die unterschiedlichen Spannungsverläufe der einzelnen NS-Stränge optimal berücksichtigt.
  • Ist eine Spannungsregelung nur auf einem NS-Strang erforderlich, so ist dafür ein Längsregler geeignet (Bild 3).
  • Mit dem elektrischen Speicher kann mittels Peak-Shaving, d. h. durch die Aufnahme oder Abgabe von Wirkleistung, die Spannung eines NS-Stranges ebenfalls beeinflusst werden. Zudem besteht mit dem Speicher die Möglichkeit, durch den Bezug oder die Einspeisung von Blindleistung die Spannung im Netz zusätzlich zu reduzieren oder zu erhöhen, ohne dabei die Speicherladung zu beeinflussen.


Damit die Flickergrenzwerte durch die DEA nicht überschritten werden, empfiehlt es sich, folgende Richtlinien zu beachten:

  • Die leistungselektronischen Komponenten der PV-Anlagen, der elektrischen Speicher und weiteren DEA sollen konsequent und regelmässig überprüft werden, ob sie die technischen Normen für den Anschluss noch erfüllen.
  • Die Komponenten der DEA mit Störungen, die zu erhöhten Flickerwerten beitragen, sollen umgehend ausgewechselt werden, auch wenn die Störungen den Betrieb der DEA nicht beeinträchtigen.
  • Sämtliche Spannungs­regelungen im NS-Netz sollen nur so rasch wie nötig und nicht so rasch wie technisch möglich erfolgen, d. h. die Spannungs­regelung sollte relativ träge sein.


Mit dem mehrjährigen Projekt Vein, das Ende 2017 abgeschlossen wurde, konnte aufgezeigt werden, dass die Herausforderungen an den Verteilnetz­betreiber durch die Zunahme der dezentralen Einspei­sungen mit zusätzlichen Netzelementen gemeistert werden können. Für die Beherrschung der wohl grössten Herausforderung – der Zunahme der Spannungs­schwankungen – können die Netz­elemente Regeltrafo, Längsregler und elektrische Speicher eingesetzt werden. Bei Bedarf kann auch auf die Erzeugungs­anlagen Einfluss genommen werden. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Massnahmen für den Ausgleich der Spannungs­schwan­kungen massvoll erfolgen, um den Flicker­pegel nicht zu erhöhen.

Literatur

  • Erkenntnisbericht VEiN 2014
  • Schlussbericht VEiN 2017
  • Die Berichte können von www.vein-grid.ch unter Publikationen heruntergeladen werden.

 

Autor
Peter Mauchle

ist stellvertretender Projektleiter des Vein-Projekts.

  • Schnyder Ingenieure ZG AG, 6331 Hünenberg

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