Erdung in Mittelspannungsnetzen
Prinzip und Kontrolle
Ein an die Situation angepasstes Erdungskonzept erleichtert die Planung von Neuanlagen und hilft bei den vorgeschriebenen periodischen Kontrollen. In MS-Netzen kann so in bestimmten Fällen nachgewiesen werden, dass auch bei grösseren Erdfehlerströmen keine unzulässigen Berührungsspannungen entstehen. Massnahmen zur Erdfehlerstrombegrenzung können u. U. entfallen.
Viele Mittelspannungsnetze in der Schweiz werden mit isoliertem Sternpunkt betrieben. Diese Sternpunkt-Behandlung hat den Vorteil, dass der Betrieb während einem einpoligen Erdfehler kurzfristig weitergeführt werden kann. Zwar erhöht sich die Spannung der unversehrten Phasen gegenüber Erde auf die verkettete Betriebsspannung, die Spannungen zwischen den Phasen bleiben aber gleich.
Zur Dimensionierung der Erdungen sind zwei Fehlerfälle relevant:
- Der einpolige Erdkurzschluss. Dabei fliesst der kapazitive Ausgleichsstrom, welcher von der Betriebsspannung und von der Kapazität des vom Erdschluss betroffenen Netzes abhängig ist. Für diesen Fehlerfall ist zu gewährleisten, dass keine unzulässigen Berührungsspannungen entstehen können.
- Der zweipolige Kurzschluss mit Erdberührung. Dabei müssen die beiden Erdfehler, die auf verschiedenen Phasen eingetreten sind, nicht unbedingt am selben Ort sein. Es ist gut möglich, dass im Anschluss an einen einpoligen Erdfehler die Isolation einer weiteren Phase an irgendeinem Punkt im Netz versagt. In einem solchen Fall fliessen grosse Erdfehlerströme, die von den Reaktanzen von den speisenden Transformatoren abhängen. Dieser Fehlerfall wird von den Schutzgeräten sehr schnell abgeschaltet.
Alle Erdungsverbindungen müssen nicht nur für den einpoligen, sondern auch für den zweipoligen Erdfehler ausgelegt sein.
Beim einpoligen Erdkurzschluss, im isolierten Netz, ist der Fehlerstrom von der Netzkapazität abhängig, d. h. nicht nur von der Länge der Leitungen, sondern vor allem auch vom Verkabelungsgrad. Gemäss der Norm SNG 483755 trägt eine verkabelte Leitung 50-mal mehr zum Fehlerstrom bei als eine Freileitung gleicher Länge.
Schutz von Personen bei einpoligen Erdschlüssen
Im Erdfehlerfall fliesst ein Strom in die Erdung und womöglich sogar ins Erdreich. Dies führt zu einer Potenzialanhebung (Bild 1).
Bei Erdungsmessungen wird primär kontrolliert, ob im Bereich der untersuchten Anlage keine unzulässigen Berührungsspannungen auftreten können. Dabei geht man mit möglichst geringem Aufwand vor. Mit einfachen Geräten wird der Erdübergangswiderstand z. B. einer Trafostation gemessen. Multipliziert mit dem einpoligen Erdschlussstrom ergibt sich die maximal mögliche Berührungsspannung.
Man darf davon ausgehen, dass die kapazitiven Erdfehlerströme beim einpoligen Erdschluss in der Schweiz tendenziell grösser werden. Einerseits wachsen die Mittelspannungsnetze oder nimmt zumindest der Verkabelungsgrad stetig zu. Andererseits wird bei einigen EVUs in Betracht gezogen, die Netzspannung zu erhöhen.
Wenn die abgeschätzten Berührungsspannungen den Grenzwert erreichen oder sogar überschreiten, muss sich der Netzbetreiber fragen, wie der Personenschutz garantiert werden kann. Betreffen diese Probleme nur einzelne Trafostationen, so können deren lokale Erdungen verbessert werden, indem zusätzliche Erdbänder oder Tiefenerder installiert werden.
Können die Grenzwerte flächendeckend nur schwer eingehalten werden, so kann der Erdschlussstrom im isolierten Netz durch den Einbau zusätzlicher Einrichtungen auf der Primärseite am Fehlerort begrenzt werden:
- Durch eine Löschspule (Petersen- Spule), die den kapazitiven Erdfehlerstrom kompensiert. Damit wird das isolierte Netz zum gelöschten Netz. In der Regel wird der Erdschlussstrom auf 10 bis 30 A begrenzt. Zur Erdungsbeurteilung muss jedoch mindestens ein Erdfehlerstrom von 25 A angenommen werden.
- Durch einen Polerdungsschalter im Unterwerk. Wenn im Netz ein einpoliger Erdschluss ansteht, erdet dieser Schalter die betroffene Phase. Damit fliesst in den meisten Fällen der grösste Anteil des kapazitiven Erdschlussstroms im Unterwerk gegen Erde und entlastet so die Erdfehlerstelle im Netz.
Erdungsbeurteilungen
Der Einbau von Löschdrosseln oder Erdpolschaltern ist mit Kosten verbunden. Falls dies ausschliesslich zur Verbesserung der Erdungssituation erfolgen soll, lohnt es sich, die Annahmen und Messungen, die befürchten lassen, dass im Erdschlussfall zu hohe Berührungsspannungen zu erwarten sind, genauer zu untersuchen.
Allein schon wegen der grossen Anzahl von Objekten werden Erdungsmessungen für Mittelspannungsanlagen mit einfachen, günstigen Mitteln durchgeführt. Eine Erdungsmessung mit einfachen Geräten unter Zuhilfenahme von Hilfserder und Sonde ist eine typische Worst-Case-Abschätzung, welche beispielsweise bei Freiluft-Trennschalterstandorten, die eine Freileitung ohne Erdseile trennen, die Erdungssituation recht genau wiedergibt (Bild 2). Der gesamte Erdfehlerstrom IF fliesst in einem solchen Fall ins Erdreich.

Bei dieser Abschätzung wird nur ausser Betracht gelassen, dass eine Person den gesamten Potenzialtrichter abgreift, wenn sehr ausgeprägte Potenzialverschleppungen vorliegen.
Bei Trafostationen (TS) ist die Erdungssituation komplizierter. Mindestens die Niederspannungsleitungen bilden mit den PEN-Leitern parallele Erdungsleiter, welche die TS-Erdung mit den umliegenden Erdungen der Hausanschlusskästen verbinden. Sind die Mittelspannungsleitungen verkabelt und sind die Kabel mit beidseitig geerdeten Kabelschirmen versehen, so liegen Erdungsverbindungen zu den anderen Trafostationen bis ins Unterwerk vor und es fliesst nur ein kleiner Teil des gesamten Erdfehlerstroms IF ins Erdreich. Ein wesentlicher Anteil fliesst über die parallelen Erdleiter.
Bei Trafostationen, die mit MS-Kabeln mit beidseitig geerdeten Kabelschirmen gespeist sind, bleibt bei Messungen mit einem Erdungsmessgerät unberücksichtigt, dass gar nicht der gesamte Erdfehlerstrom, der in die Anlagenerdung fliesst, auch in den Erdboden übergeht. Wie in Bild 3 dargestellt, fliesst ein wesentlicher Anteil eines Erdfehlerstroms IF auf der MS-Ebene direkt über die beidseitig geerdeten Kabelschirme zurück (IE-MS). Ein kleinerer Anteil kann auch über die PEN-Leiter der Niederspannungsabgänge zu den Erdungen der NS-Bezüger fliessen (IE-PEN), so dass nur ein Bruchteil direkt bei der Trafostation ins Erdreich fliesst (IE << IF).
Im Anhang I der EN 50522 werden Reduktionsfaktoren von Erdseilen bei Freileitungen und metallenen Schirmen bei Kabeln angegeben.
Für ein Einleiter-XLPE-Kabel (10 kV oder 20 kV) mit 95-mm2-Kupferleiter und 16-mm2-Kupferschirm gilt ein Reduktionsfaktor von 0,5 bis 0,6. Das heisst 40% bis 50% des Erdschlussstromanteils, der über diese Kabelleitung zum Fehlerort fliesst, strömt über die Kabelschirme gleich wieder zurück.
Erdungsuntersuchungen mit der Strom-Spannungsmethode
Will man die Erdungssituation bei einer Trafostation genauer kennen, so kann eine etwas aufwendigere Messung durchgeführt werden. Bei der Strom-Spannungsmethode wird der Versuchsstrom nicht in einen provisorisch verlegten Hilfserder, sondern über eine für die Messung ausser Betrieb genommene Mittelspannungsleitung eingespeist. Der Versuchsstrom fliesst dann zwischen den Erdungen der zu untersuchenden Trafostation und der TS auf der gegenüberliegenden Seite der Leitung.
Bei dieser Messmethode kann direkt ermittelt werden, welcher Anteil des Erdfehlerstroms tatsächlich ins Erdreich übertritt. Wird bei der Rückstrommessung sogar der Phasenwinkel miterfasst, kann die Erdungssituation realistisch beurteilt werden. Zudem können Berührungsspannungen sehr einfach gemessen werden.
In den Jahren 2012 bis 2017 untersuchte die FKH die Erdungssituation von über zwanzig Trafostationen bei St. Moritz Energie und beim EW Davos. Beide Netze liegen in gebirgigem Gebiet mit meist tiefen Erdbodenleitfähigkeiten. Zudem wurde schon sehr früh mit der Verkabelung begonnen. In St. Moritz gab es zum Zeitpunkt der Messungen – auf MS- und NS-Ebene – keine eigentliche Freileitung mehr. In Davos waren nur noch einige abgelegene Gehöfte oberirdisch angeschlossen.
Diese Untersuchungen zeigten auf, dass über 90% des Erdschlussstroms auf der MS-Ebene über Kabelschirme zurückfliesst. Bei den Rückstrommessungen, bei welchen die Phasenwinkel aufgezeichnet und alle Kabelschirme und Erdungsleiter gemessen werden konnten, flossen maximal 6% des Erdschlussstroms ins Erdreich. Bei den anderen Messungen konnte nachgewiesen werden, dass höchstens 9% durch das Erdreich fliessen.
Die Messungen haben gezeigt, dass sogar am Rande eines zusammenhängenden Erdungssystems keine zu hohen Berührungsspannungen auftreten können.
Erdungsimpedanzmessungen sind in globalen Erdungssystemen mit einfachen Messgeräten unter Zuhilfenahme von Hilfserde und Sonde nicht aussagekräftig und ergeben viel zu hohe Werte für die Erdungsimpedanzen und vor allem für die Berührungsspannungen. Der Vergleich der beiden unterschiedlichen Messprinzipien zeigte, dass mit der einfachen Technik die Berührungsspannungen zwischen einem Faktor 3,4 und 1460 zu hoch eingeschätzt wurden. Die tieferen Faktoren wurden bei Trafostationen in Talboden mit günstigen Erdübergangswiderständen, die ganz hohen Faktoren in Seilbahn-Trafostationen auf felsigem Untergrund erfasst.
Aufgrund der Messkampagnen und des Erdungskonzepts der beiden EVUs, bei welchen alle MS-Kabelschirme beidseitig geerdet werden und die PEN-Leiter der NS-Verbindungen in den Trafostationen und den Hausanschlusskasten geerdet sind, können folgende Aussagen gemacht werden:
- Das jeweilige gesamte Netzgebiet ist eine globale Erdung. Bei den meisten Trafostationen kann für die periodische Erdungskontrolle eine Sichtkontrolle der Erdungsanschlüsse, evtl. eine Schleifenmessung mit einer Erdungsprüfzange, durchgeführt werden.
- Bei den bisher mit der 3-/4-Leiter-Methode durchgeführten Messungen von Trafostationen am Rande des Netzes können die Trichterendspannungen und Berührungsspannungen um den Faktor 10 verkleinert werden, unter der Voraussetzung, dass die TS ausschliesslich durch Kabelleitungen erschlossen sind. In diesem Fall fliessen höchstens 10% des Erdschlussstroms ins Erdreich.
Netze mit einzelnen Freileitungsverbindungen
Ein MS-Netz, das hauptsächlich aus Freileitungen besteht, hat oft keine Erdungsprobleme bei den Trafostationen, da der kapazitive Erdschlussstrom gering ist. Reine Kabelnetze mit beidseitig geerdeten Kabelschirmen haben auch kaum Erdungsprobleme, obwohl der Erdfehlerstrom wesentlich grösser ist, da über 90% des Rückstroms über die Kabelschirme zurückfliessen können.
Grössere Erdungsprobleme sind bei grossen Kabelnetzen zu erwarten, bei denen an der Peripherie einzelne Trafostationen (z. B. Stangentransformatoren bei einzelnen Gehöften) mit einer einzelnen Freileitung ohne Erdseil vorhanden sind. Der durch die vielen Kabel mächtige kapazitive Erdfehlerstrom fliesst beim Stangentrafo und dem angeschlossenen Bauernhof zu 100% direkt ins Erdreich.
In diesen Situationen greifen die betroffenen EVUs oft zu den oben beschriebenen Methoden und setzen beispielsweise eine Löschdrossel ein, um den Erdschlussstrom im Fehlerfall zu begrenzen.
Falls es im Netz nur wenige solcher Freileitungsanschlüsse gibt, kann auch zu einer anderen Methode gegriffen werden, indem Teilnetze gebildet werden. Bei der letzten mit Kabeln vermaschten Trafostation, bei der die Freileitung zum einzelnen Gehöft beginnt, wird ein Trenntransformator installiert. Dieser speist die Abgänge mit dem Freileitungsnetz (Bild 4). Durch den Trenntransformator betrifft die Störung im Erdfehlerfall nur das abgetrennte, isolierte Teilnetz. Damit reduziert sich der Erdschlussstrom im kleinen Freileitungsnetz stark, so dass die Erdungen oft wieder ausreichen.

Fazit
Die wirkliche Erdungssituation von Trafostationen im verkabelten Mittelspannungsnetz ist oft besser, als eine vereinfachte Messung mit einer Worst-Case-Abschätzung vermuten lässt. Genauere Erdungsmessungen sind zwar aufwendiger und teurer, lohnen sich aber, wenn dadurch Anschaffungen von zusätzlichen Primärkomponenten vermieden werden können.
Die Bedingung für günstige Erdungssituationen sind beidseitig geerdete Kabelschirme (oder zumindest ein paralleler Erdungsleiter), welche die Erdungen der verschiedenen Trafostationen zu einem globalen Erdungsnetz verbinden.
Mittelspannungskabel mit einseitig geerdeten Kabelschirmen sind für die Erdungssituation wie Freileitungen ohne Erdseil, ausser dass ihre grosse Betriebskapazität den Erdfehlerstrom erhöht.
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