Fachartikel Infrastruktur , Messtechnik , Sicherheit

Erdung in Mittel­span­nungs­netzen

Prinzip und Kontrolle

29.04.2021

Ein an die Situation ange­passtes Erdungs­konzept erleichtert die Planung von Neuanlagen und hilft bei den vorgeschrie­benen periodischen Kontrollen. In MS-Netzen kann so in bestimmten Fällen nachgewiesen werden, dass auch bei grösseren Erdfehler­strömen keine unzulässigen Berüh­rungs­span­nungen entstehen. Massnahmen zur Erdfehler­strom­begrenzung können u. U. entfallen.

Viele Mittel­span­nungs­netze in der Schweiz werden mit isoliertem Sternpunkt betrieben. Diese Sternpunkt-Behandlung hat den Vorteil, dass der Betrieb während einem einpoligen Erdfehler kurzfristig weitergeführt werden kann. Zwar erhöht sich die Spannung der unversehrten Phasen gegenüber Erde auf die verkettete Betriebsspannung, die Spannungen zwischen den Phasen bleiben aber gleich.

Zur Dimensionierung der Erdungen sind zwei Fehlerfälle relevant:

  • Der einpolige Erdkurzschluss. Dabei fliesst der kapazitive Ausgleichsstrom, welcher von der Betriebsspannung und von der Kapazität des vom Erdschluss betroffenen Netzes abhängig ist. Für diesen Fehlerfall ist zu gewährleisten, dass keine unzulässigen Berüh­rungs­span­nungen entstehen können.
  • Der zweipolige Kurzschluss mit Erdberührung. Dabei müssen die beiden Erdfehler, die auf verschiedenen Phasen eingetreten sind, nicht unbedingt am selben Ort sein. Es ist gut möglich, dass im Anschluss an einen einpoligen Erdfehler die Isolation einer weiteren Phase an irgendeinem Punkt im Netz versagt. In einem solchen Fall fliessen grosse Erdfehlerströme, die von den Reaktanzen von den speisenden Transformatoren abhängen. Dieser Fehlerfall wird von den Schutzgeräten sehr schnell abgeschaltet.

 

Alle Erdungsverbindungen müssen nicht nur für den einpoligen, sondern auch für den zweipoligen Erdfehler ausgelegt sein.

Beim einpoligen Erdkurzschluss, im isolierten Netz, ist der Fehlerstrom von der Netzkapazität abhängig, d. h. nicht nur von der Länge der Leitungen, sondern vor allem auch vom Verkabelungsgrad. Gemäss der Norm SNG 483755 trägt eine verkabelte Leitung 50-mal mehr zum Fehlerstrom bei als eine Freileitung gleicher Länge.

Schutz von Personen bei einpoligen Erdschlüssen

Im Erdfehlerfall fliesst ein Strom in die Erdung und womöglich sogar ins Erdreich. Dies führt zu einer Potenzialanhebung (Bild 1).

Bei Erdungs­messungen wird primär kontrolliert, ob im Bereich der untersuchten Anlage keine unzulässigen Berüh­rungs­span­nungen auftreten können. Dabei geht man mit möglichst geringem Aufwand vor. Mit einfachen Geräten wird der Erdübergangswiderstand z. B. einer Trafo­station gemessen. Multipliziert mit dem einpoligen Erdschlussstrom ergibt sich die maximal mögliche Berüh­rungs­span­nung.

Man darf davon ausgehen, dass die kapazitiven Erdfehlerströme beim einpoligen Erdschluss in der Schweiz tendenziell grösser werden. Einerseits wachsen die Mittel­span­nungs­netze oder nimmt zumindest der Verkabelungsgrad stetig zu. Andererseits wird bei einigen EVUs in Betracht gezogen, die Netzspannung zu erhöhen.

Wenn die abgeschätzten Berüh­rungs­span­nungen den Grenzwert erreichen oder sogar überschreiten, muss sich der Netzbetreiber fragen, wie der Personenschutz garantiert werden kann. Betreffen diese Probleme nur einzelne Trafo­stationen, so können deren lokale Erdungen verbessert werden, indem zusätzliche Erdbänder oder Tiefenerder installiert werden.

Können die Grenzwerte flächendeckend nur schwer eingehalten werden, so kann der Erdschlussstrom im isolierten Netz durch den Einbau zusätzlicher Einrichtungen auf der Primärseite am Fehlerort begrenzt werden:

  • Durch eine Löschspule (Petersen- Spule), die den kapazitiven Erdfehlerstrom kompensiert. Damit wird das isolierte Netz zum gelöschten Netz. In der Regel wird der Erdschlussstrom auf 10 bis 30 A begrenzt. Zur Erdungsbeurteilung muss jedoch mindestens ein Erdfehlerstrom von 25 A angenommen werden.
  • Durch einen Polerdungsschalter im Unterwerk. Wenn im Netz ein einpoliger Erdschluss ansteht, erdet dieser Schalter die betroffene Phase. Damit fliesst in den meisten Fällen der grösste Anteil des kapazitiven Erdschlussstroms im Unterwerk gegen Erde und entlastet so die Erdfehlerstelle im Netz.

Erdungsbeurteilungen

Der Einbau von Löschdrosseln oder Erdpolschaltern ist mit Kosten verbunden. Falls dies ausschliesslich zur Verbesserung der Erdungs­situation erfolgen soll, lohnt es sich, die Annahmen und Messungen, die befürchten lassen, dass im Erdschlussfall zu hohe Berüh­rungs­span­nungen zu erwarten sind, genauer zu untersuchen.

Allein schon wegen der grossen Anzahl von Objekten werden Erdungs­messungen für Mittelspannungsanlagen mit einfachen, günstigen Mitteln durchgeführt. Eine Erdungs­messung mit einfachen Geräten unter Zuhilfenahme von Hilfserder und Sonde ist eine typische Worst-Case-Abschätzung, welche beispielsweise bei Freiluft-Trennschalterstandorten, die eine Freileitung ohne Erdseile trennen, die Erdungs­situation recht genau wiedergibt (Bild 2). Der gesamte Erdfehlerstrom IF fliesst in einem solchen Fall ins Erdreich.

Bei dieser Abschätzung wird nur ausser Betracht gelassen, dass eine Person den gesamten Potenzialtrichter abgreift, wenn sehr ausgeprägte Potenzialverschleppungen vorliegen.

Bei Trafo­stationen (TS) ist die Erdungs­situation komplizierter. Mindestens die Nieder­span­nungs­leitungen bilden mit den PEN-Leitern parallele Erdungsleiter, welche die TS-Erdung mit den umliegenden Erdungen der Hausanschlusskästen verbinden. Sind die Mittelspannungsleitungen verkabelt und sind die Kabel mit beidseitig geerdeten Kabelschirmen versehen, so liegen Erdungsverbindungen zu den anderen Trafo­stationen bis ins Unterwerk vor und es fliesst nur ein kleiner Teil des gesamten Erdfehlerstroms IF ins Erdreich. Ein wesentlicher Anteil fliesst über die parallelen Erdleiter.

Bei Trafo­stationen, die mit MS-Kabeln mit beidseitig geerdeten Kabelschirmen gespeist sind, bleibt bei Messungen mit einem Erdungsmessgerät unberücksichtigt, dass gar nicht der gesamte Erdfehlerstrom, der in die Anlagenerdung fliesst, auch in den Erdboden übergeht. Wie in Bild 3 dargestellt, fliesst ein wesentlicher Anteil eines Erdfehlerstroms IF auf der MS-Ebene direkt über die beidseitig geerdeten Kabelschirme zurück (IE-MS). Ein kleinerer Anteil kann auch über die PEN-Leiter der Nieder­span­nungs­abgänge zu den Erdungen der NS-Bezüger fliessen (IE-PEN), so dass nur ein Bruchteil direkt bei der Trafo­station ins Erdreich fliesst (IE << IF).

Im Anhang I der EN 50522 werden Reduktionsfaktoren von Erdseilen bei Freileitungen und metallenen Schirmen bei Kabeln angegeben.

Für ein Einleiter-XLPE-Kabel (10 kV oder 20 kV) mit 95-mm2-Kupferleiter und 16-mm2-Kupferschirm gilt ein Reduktionsfaktor von 0,5 bis 0,6. Das heisst 40% bis 50% des Erdschluss­strom­anteils, der über diese Kabelleitung zum Fehlerort fliesst, strömt über die Kabelschirme gleich wieder zurück.

Erdungsuntersuchungen mit der Strom-Spannungsmethode

Will man die Erdungs­situation bei einer Trafo­station genauer kennen, so kann eine etwas aufwen­digere Messung durchgeführt werden. Bei der Strom-Spannungs­methode wird der Versuchs­strom nicht in einen provisorisch verlegten Hilfserder, sondern über eine für die Messung ausser Betrieb genommene Mittelspannungsleitung eingespeist. Der Versuchsstrom fliesst dann zwischen den Erdungen der zu untersuchenden Trafo­station und der TS auf der gegen­über­liegenden Seite der Leitung.

Bei dieser Messmethode kann direkt ermittelt werden, welcher Anteil des Erdfehlerstroms tatsächlich ins Erdreich übertritt. Wird bei der Rückstrommessung sogar der Phasenwinkel miterfasst, kann die Erdungs­situation realistisch beurteilt werden. Zudem können Berüh­rungs­span­nungen sehr einfach gemessen werden.

In den Jahren 2012 bis 2017 untersuchte die FKH die Erdungs­situation von über zwanzig Trafo­stationen bei St. Moritz Energie und beim EW Davos. Beide Netze liegen in gebirgigem Gebiet mit meist tiefen Erdboden­leit­fähig­keiten. Zudem wurde schon sehr früh mit der Verkabelung begonnen. In St. Moritz gab es zum Zeitpunkt der Messungen – auf MS- und NS-Ebene – keine eigentliche Freileitung mehr. In Davos waren nur noch einige abgelegene Gehöfte oberirdisch angeschlossen.

Diese Untersuchungen zeigten auf, dass über 90% des Erdschlussstroms auf der MS-Ebene über Kabelschirme zurückfliesst. Bei den Rückstrommessungen, bei welchen die Phasenwinkel aufgezeichnet und alle Kabelschirme und Erdungsleiter gemessen werden konnten, flossen maximal 6% des Erdschlussstroms ins Erdreich. Bei den anderen Messungen konnte nachgewiesen werden, dass höchstens 9% durch das Erdreich fliessen.

Die Messungen haben gezeigt, dass sogar am Rande eines zusammen­hängenden Erdungs­systems keine zu hohen Berüh­rungs­span­nungen auftreten können.

Erdungs­impedanz­messungen sind in globalen Erdungs­systemen mit einfachen Messgeräten unter Zuhilfenahme von Hilfserde und Sonde nicht aussagekräftig und ergeben viel zu hohe Werte für die Erdungs­impedanzen und vor allem für die Berüh­rungs­span­nungen. Der Vergleich der beiden unterschiedlichen Messprinzipien zeigte, dass mit der einfachen Technik die Berüh­rungs­span­nungen zwischen einem Faktor 3,4 und 1460 zu hoch eingeschätzt wurden. Die tieferen Faktoren wurden bei Trafo­stationen in Talboden mit günstigen Erdübergangswiderständen, die ganz hohen Faktoren in Seilbahn-Trafo­stationen auf felsigem Untergrund erfasst.

Aufgrund der Messkampagnen und des Erdungskonzepts der beiden EVUs, bei welchen alle MS-Kabelschirme beidseitig geerdet werden und die PEN-Leiter der NS-Verbindungen in den Trafo­stationen und den Hausanschlusskasten geerdet sind, können folgende Aussagen gemacht werden:

  • Das jeweilige gesamte Netzgebiet ist eine globale Erdung. Bei den meisten Trafo­stationen kann für die periodische Erdungs­kontrolle eine Sichtkontrolle der Erdungsanschlüsse, evtl. eine Schleifenmessung mit einer Erdungsprüfzange, durchgeführt werden.
  • Bei den bisher mit der 3-/4-Leiter-Methode durchgeführten Messungen von Trafo­stationen am Rande des Netzes können die Trichterend­spannungen und Berüh­rungs­span­nungen um den Faktor 10 verkleinert werden, unter der Voraussetzung, dass die TS ausschliesslich durch Kabelleitungen erschlossen sind. In diesem Fall fliessen höchstens 10% des Erdschlussstroms ins Erdreich.

Netze mit einzelnen Freileitungsverbindungen

Ein MS-Netz, das hauptsächlich aus Freileitungen besteht, hat oft keine Erdungs­probleme bei den Trafo­stationen, da der kapazitive Erdschlussstrom gering ist. Reine Kabelnetze mit beidseitig geerdeten Kabelschirmen haben auch kaum Erdungs­probleme, obwohl der Erdfehlerstrom wesentlich grösser ist, da über 90% des Rückstroms über die Kabelschirme zurückfliessen können.

Grössere Erdungs­probleme sind bei grossen Kabelnetzen zu erwarten, bei denen an der Peripherie einzelne Trafo­stationen (z. B. Stangentransformatoren bei einzelnen Gehöften) mit einer einzelnen Freileitung ohne Erdseil vorhanden sind. Der durch die vielen Kabel mächtige kapazitive Erdfehlerstrom fliesst beim Stangentrafo und dem angeschlossenen Bauernhof zu 100% direkt ins Erdreich.

In diesen Situationen greifen die betroffenen EVUs oft zu den oben beschriebenen Methoden und setzen beispielsweise eine Löschdrossel ein, um den Erdschlussstrom im Fehlerfall zu begrenzen.

Falls es im Netz nur wenige solcher Frei­leitungs­anschlüsse gibt, kann auch zu einer anderen Methode gegriffen werden, indem Teilnetze gebildet werden. Bei der letzten mit Kabeln vermaschten Trafo­station, bei der die Freileitung zum einzelnen Gehöft beginnt, wird ein Trenn­trans­for­mator installiert. Dieser speist die Abgänge mit dem Freileitungsnetz (Bild 4). Durch den Trenn­trans­for­mator betrifft die Störung im Erdfehlerfall nur das abgetrennte, isolierte Teilnetz. Damit reduziert sich der Erdschlussstrom im kleinen Freileitungsnetz stark, so dass die Erdungen oft wieder ausreichen.

Fazit

Die wirkliche Erdungs­situation von Trafo­stationen im verkabelten Mittel­span­nungs­netz ist oft besser, als eine vereinfachte Messung mit einer Worst-Case-Abschätzung vermuten lässt. Genauere Erdungs­messungen sind zwar aufwendiger und teurer, lohnen sich aber, wenn dadurch Anschaffungen von zusätzlichen Primär­komponenten vermieden werden können.

Die Bedingung für günstige Erdungs­situationen sind beidseitig geerdete Kabelschirme (oder zumindest ein paralleler Erdungsleiter), welche die Erdungen der verschiedenen Trafo­stationen zu einem globalen Erdungsnetz verbinden.

Mittel­span­nungs­kabel mit einseitig geerdeten Kabelschirmen sind für die Erdungs­situation wie Freileitungen ohne Erdseil, ausser dass ihre grosse Betriebskapazität den Erdfehlerstrom erhöht.

Autor
Günther Storf

ist stv. Geschäfts­leiter der Fach­kom­mis­sion für Hoch­spannungs­fragen FKH.

  • FKH, 8050 Zürich

Kommentare

Was ist die Summe aus 9 und 5?