Energiezukunft im Quartier erforschen und demonstrieren
Die Empa sucht mit Grossprojekten nach marktfähigen Lösungen im Gebäude-, Mobilitäts- und Energiebereich
Die Vernetzung von Einzeltechnologien bringt grosse Veränderungen bei der Nutzung dieser Technologien mit sich. Dies weiss man spätestens, seit der Rundsteuerempfänger die Waschmaschine blockiert. So breit wie die heutigen oder künftigen Vernetzungsmöglichkeiten im Energiebereich sind, so breit sind auch die offenen Fragen dazu. Die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa will die Energiezukunft auf Quartierebene erforschen und dabei Handlungsoptionen und deren Auswirkungen auf Prosumer, Energieunternehmen und den Regulator aufzeigen.
In den letzten Jahren hat die Empa an ihrem Standort in Dübendorf drei Demonstrationsplattformen aufgebaut: move beschäftigt sich mit der Mobilität der Zukunft und alternativen Antrieben. Nest ist ein Living Lab im Gebäude- und Baubereich. Und der Ehub – kurz für Energy Hub – verbindet die beiden anderen Demonstratoren energetisch zu einem Quartier und macht die Komponenten der Demonstratoren auf einer offenen Plattform für die Energieforschung ansteuerbar. Im Zentrum stehen die Entwicklung von neuen Produkten, die Verbesserung von Prozessen, aber auch die Evaluierung von neuen Business-Modellen, welche eine vernetzte Energielandschaft mit sich bringen. Es werden die Standpunkte von Prosumern (EFH, MFH, Kleinquartier), EVU (als Netzbetreiber) oder neuen Playern im Energieumfeld eingenommen und unter verschiedenen Szenarien evaluiert.
Zentral ist dabei die Vernetzung. Sie ermöglicht, dezentrale Komponenten oder Systeme in koordinierter Weise zu betreiben. Diese Komponenten erfüllen dabei ihren ursprünglichen Zweck (zum Beispiel eine Wärmepumpe stellt Wärme bereit), berücksichtigen aber gleichzeitig auch Kriterien anderer Systeme, die divergieren können (zum Beispiel dann einschalten, wenn der Strom am günstigsten ist; netzdienlich operieren; den Betrieb so legen, dass die Wartung der Wärmepumpe minimiert wird usw.).
Ohne den Einfluss eines Regulators ist absehbar, dass sich in Zukunft nicht eine dieser Betriebsarten durchsetzen wird. Eher werden mehrere Betriebsarten parallel existieren. Die Belastungen auf das Netz sind dabei für Netzbetreiber nicht zu vernachlässigen und schwer vorherzusehen. Im ehub auf dem Empa-Areal lassen sich unterschiedliche Kombinationen dieser Betriebsarten implementieren. Nutzbar sind dabei die technischen Gebäudeinstallationen eines Quartiers mit bis zu 15 Gebäuden, 40 Bewohnern und 40 Arbeitenden (Nest) mit integrierter Mobilität (Move). Dieser Gebäudepark inklusive Mobilität dient der Empa und ihren Partnern als offene Plattform – als Spielfeld für Untersuchungen, Validierungen und exemplarische Implementationen ihrer Forschungsfragen.
Das Energiekonzept im Quartier der Zukunft
Der Ehub versorgt die Demonstratoren Nest und Move mit Energie. Diese bezieht er aus seinen Speichern oder er wandelt Überschussenergie in andere Medien um, um immer die gewünschte Menge Wärme, Elektrizität, Wasserstoff oder synthetisches Erdgas zur Verfügung zu haben. Konkret werden auf der thermischen Seite solare Gewinne oder die «Abwärme der Wärmepumpen» zur Bereitstellung von Brauchwarmwasser, einer Saunalandschaft und der Beheizung eingesetzt.
Überschusswärme im Sommer wird in den Erdwärmesonden oder im Eisspeicher gespeichert. Im Gegenzug wird im Winter die gespeicherte Wärme genutzt und die Speicher werden entleert. Erdsonden und Eisspeicher dienen so als saisonale Speicher.
Zur Verteilung von Wärme und Kälte sind Bufferspeicher installiert, die von zwei Wärmepumpen gespeist werden. Die Netze zu den einzelnen Verbrauchern sind dabei drucklos und ungerichtet. Benötigt ein Gebäude Wärme, bezieht es diese über die heisse Seite des Netzes (und gibt ein kälteres Medium zurück). Besteht bei einem Gebäude ein Überschuss an Wärme, benötigt es also Kälte, bezieht es diese über die kalte Seite des Netzes (und gibt ein erwärmtes Medium zurück). Diese Netztopologie erlaubt, die Energiemengen im Quartier besser ausgleichen zu können und den Bedarf an zentralen Speichern und bereitgestellter Energie zu minimieren.
Auf der elektrischen Seite erfolgt die Kurzzeitspeicherung in Batterien und Superkondensatoren. Saisonale Langzeitspeicherung erfolgt über die Speicherung von Wasserstoff, der mittels Elektrolyse hergestellt und über eine Brennstoffzelle rückverstromt werden kann. Der hergestellte Wasserstoff findet nicht nur im Gebäude Verwendung, sondern auch in der Mobilität für den Betrieb von Brennstoffzellenfahrzeugen oder über Methanisierung in SNG-Fahrzeugen (Synthetic Natural Gas).
Jedes Gebäude verfügt dabei über ein eigenes Automationssystem, welches die lokalen Anlagen regelt. Es besteht aber die Möglichkeit, die individuellen Anlagen zentralisiert zu betreiben, indem die lokalen Regler übersteuert werden. Diese Aufteilung – zwischen lokal oder zentral – lässt sich je nach Forschungsfrage neu setzen. So können auch parallel unterschiedliche Forschungsfragen implementiert werden, wenn sie auf unterschiedliche Anlagen des Demonstratorenparks zugreifen müssen. Das Rege-lungssystem ist dabei in zwei Teilsysteme aufgeteilt: eines mit Zykluszeiten im Millisekundenbereich (Microgrid) und eines mit längeren Zykluszeiten für MSRL- und Raumautomationsthemen. Ist gerade kein Forschungsprojekt aktiv, überwachen jeweils die dezentralen «Standardregler» die jeweiligen Anlagen.
Zum Implementieren unterschiedlicher Forschungsfragen in einer lebensechten Umgebung ist das Vorhandensein von Sicherheitsmechanismen eine wichtige Voraussetzung. Diese sollen aber im Hintergrund agieren und nur eingreifen, wenn es nötig wird. Die Forschenden haben im Normalfall eine direkte Sicht zur Anlage oder zu den Reaktionen der Benutzer der Anlage. Damit kann der Demonstrator die Vorgaben der Forscher verfälschungsfrei umsetzen. Lediglich wenn die Gefahr besteht, dass Schäden an der Anlage vorkommen können, setzen die Sicherheitsmechanismen ein.
Der Wandel ist Programm
Da sich mit dem Aufkommen immer neuer Themenschwerpunkte im Nest auch die technische Gebäudeausrüstung des Quartiers verändert, muss die Grundinfrastruktur entsprechend flexibel dimensioniert sein und die Regelung des Systems als Ganzes adaptiv gestaltet werden. So muss der ehub bisher die Mobilität und zwei Nest-Units (vgl. Box Nest) versorgen, im Vollausbau muss er aber mit rund 15 Units umgehen können. Jede einzelne Unit ist dabei wie über eine Quartierversorgung (Wärme, Kälte, Elektro, IT usw.) erschlossen. Dies bedeutet, dass bei maximal 15 Units auch 15 Lüftungsanlagen (von Bürobelüftungen bis zu Komfortlüftungen in Wohnungen), 15 Heiz-/Kühlverteiler, 15 Elektroverteilungen usw. installiert sind. Der ständige Wandel der Units führt dazu, dass Nest hinsichtlich der Energieversorgung und der Ansteuerungsmöglichkeiten grosszügig dimensioniert und auf künftige Anforderungen ausgelegt ist.
Konkrete Forschungsfragen und -projekte
Die Forschung um den Ehub wurde im November 2016 aufgenommen. Werden die Infrastrukturen der anderen Demonstratoren ergänzt, hat das Rückwirkungen auf den Ehub, da Funktionalität ergänzt wird und so die Vielfalt an untersuchten Regelszenarien zunimmt.
Ansteuerbarkeit von Komponenten
Das Spannungsfeld zwischen der Unsicherheit künftiger Vorschriften und dem Aufkommen neuer Technologien beim Endkunden stellt Energieversorger und Netzbetreiber vor grosse Herausforderungen. Diese aufkommenden Technologien können rein auf ihre Leistung oder Energie charakterisiert sein (beispielsweise PV-Anlagen, Elektroautos, Wärmepumpen, Batterien usw.), aber sie können zusätzlich auch mit Intelligenz benutzt werden, die beispielsweise die Elektrizitätskosten reduzieren sollen.
Es wird untersucht, wie das Konzept solcher Systeme optimiert werden kann und wie effizient diese Systeme unter künftigen regulatorischen Voraussetzungen betrieben werden können. Dies lässt Rückschlüsse über Entwicklungspotenzial der Systeme zu, soll aber auch Handlungsoptionen und Auswirkungen für den Regulator aufzeigen.
Als erstes Teilprojekt werden dabei Konzepte von Leistungstarifen auf ihre Auswirkungen auf das Verteilnetz, die Systemeffizienz und die Akzeptanz von Prosumer untersucht. Anschliessend werden die gefundenen Lösungen in den Demonstratoren implementiert und unter lebensechten Bedingungen validiert.
Konzept der Kommunikation: EVU, Dritte und Prosumer
Die Vernetzung von Bottom-up-Technologien erfolgt hauptsächlich über das Internet (standardisiert mittels TCP/IP). Ein Vorteil davon ist, dass Dienste einfach und schnell erstellt werden können und die Kommunikation mit den Endgeräten (bei gegebener Berechtigung) per Definition gleich vorhanden ist. Es ist also relativ einfach, ein System zu erstellen, welches dezentrale Komponenten betreiben kann und welches sich nicht (zwingend) netzdienlich verhält. Mehrere solcher Systeme können in Verteilnetzen vorkommen und zuverlässige Lastvorhersagen verunmöglichen.
Die Auswirkung solcher nichtkooperativer Systeme auf die Netzbelastung und Effizienz von Teilsystemen ist Bestandteil der Forschung an den Demonstratoren. Welche Rollen dabei EVUs oder Drittanbieter bei Prosumern einnehmen können, soll analysiert werden, damit Hinweise auf die regulatorischen Rahmenbedingungen gegeben werden können.
Microgrid
Microgrids sind Netze, die getrennt von zentral gesteuerten (Verteil-)Netzen operieren können. Eine Voraussetzung dafür ist, dass neben Energiebezügern auch Energiequellen und/oder Speicher vorhanden sind. Microgrids sind von Interesse, da sie dezentral und netzdienlich betrieben werden können und bei Netzausfällen weiter den Betrieb aufrechterhalten. Entsprechend der Energiestrategie 2050 des Bundes können so die Risiken volatiler Netze, wie sie durch den Rückbau von KKW und ohne Zubau von Ersatzgrosskraftwerken auftreten können, minimiert werden.
Offen ist die Ausbildung dieser Microgrids im Hinblick auf deren Grösse, vorgehaltene Ressourcen oder kommunizierte Werte. Unsere Nachbarländer haben schon einige Vorgaben diesbezüglich durchgesetzt (beispielsweise Einspeisereduktion von Wirkleistung gekoppelt an die Frequenz). Diese sind aber nicht optimal und können verbessert werden.
Mit dem aufgebauten Demonstratorenpark werden unterschiedliche Ausprägungen von Microgrids (in Grösse, Hierarchiestufen und Regelungskonzepten) untersucht und implementiert. Als Ausgangslage dient das entwickelte Microgrid-Konzept der EPFL-DESL, welches an der Empa zusammen mit der Hochschule weiterentwickelt wird.
Links
- ehub.empa.ch
- move.empa.ch
- nest.empa.ch
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