Energiewende in Brooklyn
Projekte und Organisationen
Wo jahrzehntelang in der Stadt Elektrizität mit fossilen Energieträgern erzeugt wurde, wird an der Einführung erneuerbarer Energie gearbeitet. 2040 soll der New Yorker Stadtteil emissionsfrei mit Strom versorgt werden.
In Brooklyn liegt östlich der Manhattan Bridge, direkt am East River, eine grosse Freiluftschaltanlage, die Farragut Substation. Sie steht im früher industriell genutzten Stadtteil Vinegar Hill. Zwischen ihr und der weiter östlich liegenden Navy Yard, ursprünglich einer Werft für Kriegsschiffe, stand noch vor Kurzem ein mit Heizöl betriebenes Kraftwerk, die Hudson Avenue Generating Station [1]. Gebaut wurde es etappenweise zwischen 1924 und 1932 und lieferte im Endausbau 770 MW. Betrieben wurde es von der United Electric Light and Power Company, die später in der Consolidated Edison, Con Edison, aufging. Es war damals das grösste kommerzielle Dampfsystem der Vereinigten Staaten. Zunächst versorgte das Kraftwerk Brooklyn und Queens mit Elektrizität und Manhattan mit Dampf zu Heizungszwecken. Später wurde die Stromerzeugung aufgegeben und nur noch Dampf erzeugt. Im Februar 2011 wurden die letzten vier der insgesamt 36 Kessel stillgelegt.
Seit Anfang 2024 wird das ausser Betrieb genommene Kraftwerk abgerissen, um Platz für den Brooklyn Clean Energy Hub zu schaffen. Der Hub soll das erste Unterwerk werden, das die künftig vor der Küste New Yorks erzeugte Offshore-Windenergie, zunächst mit einer Leistung von bis zu 1500 MW, in Brooklyn an Land bringt und verteilt. Die Projektkosten sollen bei 810 Millionen US-Dollar liegen [2].
Um das an der Belastbarkeitsgrenze betriebene Verteilnetz zu entlasten, sind gemäss Bobby Kennedy, dem Projektleiter von Con Edison of New York, vier weitere ähnliche Projekte in Brooklyn und Queens geplant [3]. Wenn der Ausbau der Offshore-Windparks vor der Küste New Yorks abgeschlossen ist, sollen die Hubs insgesamt bis zu 6 GW an Land bringen und verteilen.
Diese neuen Hubs verfolgen zwei Ziele: Sie sollen einerseits die Versorgungssicherheit besonders in den weniger privilegierten östlichen Teilen Brooklyns erhöhen und andererseits ihren Beitrag dazu leisten, dass das 2040 zu erreichende Netto-Null-Ziel von New York erreicht wird. Fossile Kraftwerke werden in der Millionenstadt somit überflüssig, und die Bevölkerung muss nicht mehr unter den Emissionen leiden.
Um die Versorgung robuster zu machen, wird die Windenergie durch Wasserkraft aus dem Norden ergänzt. Dazu werden im Projekt Champlain Hudson Power Express (CHPE) 544 km unterirdisch geführte Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungskabel von der US-amerikanisch-kanadischen Grenze bis nach Queens verlegt.
Solarstrom lokal erzeugen und nutzen
In Brooklyn gibt es aber nicht nur Projekte, die erneuerbar erzeugte Elektrizität von aussen in die Stadt bringen wollen, sondern auch solche für den Ausbau von lokal erzeugtem Solarstrom. Ein aus technologischer Sicht interessantes Projekt war das vom New Yorker Start-up LO3 Energy und Siemens Digital Grid initiierte Brooklyn Microgrid, das 2016 seinen Testbetrieb aufgenommen hat. Es war ein Versuch, um mit Blockchain-Technologie einen lokalen Markt für Solarstrom aufzubauen, bei dem Prosumer und Verbraucher direkt (Peer-to-Peer) verbunden waren, ähnlich einem Zusammenschluss zum Eigenverbrauch. Am Anfang waren auch Forschende des Karlsruher Instituts für Technologie am Projekt beteiligt, unter anderem Esther Mengelkamp, die zu diesem Thema doktorierte. Aus ihren Erfahrungen kam sie zum Schluss, dass Distributed Ledger Technologien, von denen Blockchains eine Variante sind, für Microgrids nicht besonders geeignet sind, da es beim lokalen Handel meist um das 15-minütige Austauschen von Energiedaten geht. Für solche Anwendungen seien gewöhnliche Datenbanken schneller und effizienter. Esther Mengelkamp weist darauf hin, dass Letztere «auch im Hinblick auf die notwendige Energie zum Betreiben der IT-Infrastruktur» besser abschneiden.
Was zum stillen Ende des Brooklyn Microgrids führte, lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren, aber vermutlich war es eine Kombination aus technologischen Grenzen und regulatorischen Hürden. Der Wissenschafter Yury Dvorkin, der an der Johns Hopkins University in Baltimore zum Themengebiet Smart Grids forscht, kann sich an das Ende nicht genau erinnern, denkt aber, dass es regulatorische Vorgaben waren, die es verunmöglichten, die ursprünglichen Ziele zu realisieren. Die 2019 zuletzt aktualisierte Webseite des Projekts www.brooklyn.energy ist zwar noch erreichbar, aber Anfragen zur Klärung von Fragen laufen ins Leere. Und die Webseite von LO3 Energy gibt es nicht mehr.
Eine persönliche Sicht
Jemand, der anfänglich beim Brooklyn Microgrid als Prosumer mitgemacht hat, ist Eric Frumin. Als Bewohner des Brooklyner Stadtteils Park Slope wollte er sich schon lange privat für die Energiewende einsetzen. Auch er bestätigt, dass das Microgrid nicht mehr in Betrieb ist.
Eigentlich hat er ursprünglich teilgenommen, weil er die Idee mit dem lokalen Strommarkt interessant fand. Zentral war für ihn aber die lokale Erzeugung des Solarstroms, nicht die Förderung der Blockchain-Technologie. Aus seiner Sicht war das Microgrid eine ausgefeilte Kampagne unter Beteiligung von Einwohnern, Medien und Behörden, um den damaligen Blockchain-Hype für die Förderung der Solarstromerzeugung zu nutzen. Zudem wurde damit geworben, das Netz dadurch zuverlässiger zu machen. Absichten, die auch Eric Frumin unterstützt.
Zur ursprünglichen Idee sagt er: «War es mir wichtig, dass die Journalisten, die bei mir vorbeikamen, mich über die Blockchain befragten? Nein. Ich antwortete ihnen: Interessiert es mich wirklich, wie meine Kreditkarte funktioniert? Ich möchte nur, dass sie funktioniert.» Er freut sich nun darüber, dass der Ausbau der PV-Anlagen in Brooklyn auch ohne Microgrid Fahrt aufnimmt – obwohl es natürlich schneller gehen könnte.
Für seine PV-Anlage auf der 6 x 15 m2 grossen Dachfläche seines vierstöckigen Brownstone-Hauses hat er vor einem Jahrzehnt 33’000 US-Dollar bezahlt. An Subventionen erhielt er vom Staat New York rund 15’000 US-Dollar sowie eine zusätzliche Steuergutschrift von der Bundesregierung aus der Obama-Ära in Höhe von 10’000 US-Dollar.
Seine Anlage war von Anfang an am Netz von Con Edison angeschlossen. Er erhält von ihnen eine monatliche Abrechnung mit der eingespeisten und der bezogenen Energie. Jeden Frühling erzielt er einen Überschuss, den er im Sommer zur Deckung der höheren monatlichen Kosten für den Betrieb seiner Klimaanlage verwendet. In den Monaten, in denen kein Überschuss erzielt wird, zahlt er die reduzierte Rechnung monatlich. Einmal im Jahr erhält er eine Gesamtabrechnung von Con Edison. Bei einem Überschuss am Jahresende würde er eine finanzielle Gutschrift erhalten, zum Grosshandelspreis von Con Edison für den Strombezug.
Die Tatsache, dass er eigenen Strom auf dem Dach erzeugt, den er sonst für rund 32 Cents pro Kilowattstunde beziehen müsste, hat ihn auch dazu motiviert, seinen Heizölbrenner durch Wärmepumpen zu ersetzen.
Die Energiewende beschleunigen
Für die Nachhaltigkeit engagiert sich Eric Frumin nicht nur mit der PV-Anlage auf seinem Dach, sondern auch im New York Chapter des Sierra Clubs. Der Sierra Club ist die älteste Umweltorganisation der Vereinigten Staaten. Seit mehr als 130 Jahren versammelt der Club mit seinen 64 örtlichen Sektionen Millionen von Aktivisten und Freiwilligen, die sich für die Umwelt einsetzen möchten. Das Hauptanliegen des Umwelt-Clubs ist der Aufbau einer erneuerbaren Stromerzeugung – anstatt Projekte dieser Art durch Einsprachen zu blockieren, wie es hierzulande eher üblich ist. Offshore-Windparks haben beim Club eine hohe Priorität, unter anderem, weil sie Arbeitsplätze schaffen, die Energiepreise stabilisieren sollen und für saubere Atemluft in der Stadt sorgen sollen. Auch Übertragungsleitungen und Energiespeicher betrachtet der Club als notwendige Komponenten eines nachhaltigen Energiesystems.
Es gibt aber noch weitere Organisationen, die die Energiewende in New York auf ihre eigene Weise fördern und gestalten. Bei NYPIRG, der New York Public Interest Research Group, einer unparteiischen, gemeinnützigen Organisation für Forschung und öffentliche Bildung, steht die Öffentlichkeitsarbeit und die Information der Gesellschaft im Zentrum. Im Laufe der Jahrzehnte hat die Organisation Hunderttausende New Yorker bezüglich der Energiewende informiert und dazu Zehntausende Mitglieder aus allen Teilen des Bundesstaats rekrutiert. Durch die Gruppe erhalten die Stimmen der New Yorker in der öffentlichen politischen Debatte ein grösseres Gewicht. Die Mitarbeitenden von NYPIRG untersuchen dazu relevante Themen, erstellen Studien und binden die Gesellschaft in Aufklärungskampagnen ein. So soll mit politischen Massnahmen Rechtssicherheit geschaffen und die Umwelt geschützt werden.
Es sind aber nicht nur Nichtregierungsorganisationen, die sich für die Energiewende einsetzen. Eine staatliche Organisation, die dies ebenfalls tut, ist die 1975 gegründete NYSERDA, die New York State Energy Research and Development Authority. Die Behörde bietet Informationen und Analysen, Programme und technisches Fachwissen an, um den Einwohnern des Staates New York dabei zu helfen, die Energieeffizienz zu steigern, erneuerbare Energien zu nutzen und ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern. Die Organisation spielt eine zentrale Rolle bei der Energiewende des Staates New York, weil sie über Subventionen entscheidet, die den Übergang zu erneuerbaren Energien vorantreiben. Beispielsweise war die Behörde diejenige Stelle, die den Antrag von Eric Frumin auf Steuergutschriften des Bundesstaates New York genehmigt hat.
Schrittweise voran
Am 18. Juli 2019 wurde das Gesetz zur Förderung des Klimaschutzes und zum Schutz der Gemeinschaft (Climate Act) des Staates New York unterzeichnet [4]. Dieses Gesetz verpflichtet den Staat New York, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 40% und bis 2050 um mindestens 85% gegenüber dem Stand von 1990 zu senken. Zudem schreibt der Climate Act vor, dass mindestens 35% der Gewinne aus Investitionen in saubere Energie an benachteiligte Communities fliessen sollen, denn zur Nachhaltigkeit gehört auch das Thema «justice» dazu, also Gerechtigkeit. Ärmere Bevölkerungsschichten sollen einen Zugang zu preisgünstigerer nachhaltiger Energie haben, unter anderem indem ihre Sozialwohnhäuser mit Solaranlagen ausgestattet und sie bei Energieeffizienzmassnahmen unterstützt werden. Und zur sozialen Gerechtigkeit gehört auch die Schaffung neuer Arbeitsstellen im Bereich der Clean Energy, inklusive Ausbildungen und Praktika. Die 500 Stellen, die für den Bau des Brooklyn Clean Energy Hub neu geschaffen werden sollen, bilden da nur den Anfang.
Doch durch die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der Vereinigten Staaten, der fossile Energieträger wieder ins Rampenlicht rückt, ist vieles davon infrage gestellt worden. Im April 2025 stoppte die Trump-Regierung die Bauarbeiten am grossen Windpark «Empire Wind», einem 5-Milliarden-Dollar-Projekt, vor der Küste von Long Island. Nach wochenlangen Gesprächen zwischen Vertretern des Weissen Hauses, den involvierten Unternehmen und der Initiatorin der Gespräche, der demokratischen Gouverneurin von New York, Kathy Hochul, genehmigte die Trump-Regierung am 19. Mai 2025 schliesslich die Wiederaufnahme der Bauarbeiten [5]. Für diese Kurskorrektur dürfte auch das Thema Arbeitsplätze ausschlaggebend gewesen sein. Anonymen Quellen zufolge hatte Kathy Hochul Präsident Trump gegenüber betont, dass die Einstellung des Windkraftprojekts mehr als 1000 Arbeitsplätze von Arbeitnehmern aus Teilen New Yorks kosten würde, die ihn bei seiner Wahl unterstützt hatten. Ein Argument, für das die aktuelle US-Regierung eher ein offenes Ohr hat als für Überlegungen zum Klimawandel oder zur Umwelt.
Referenzen
[1] Michael Young, «Demolition Underway for Brooklyn Clean Energy Hub in Vinegar Hill, Brooklyn», New York Yimby, 11. 1. 2024.
[2] www.coned.com/en/our-energy-future/our-energy-vision/where-we-are-going/were-ready-for-offshore-wind
[3] www.youtube.com/watch?v=DYIH-IlZPrU&t=12s
[4] climate.ny.gov/resources/scoping-plan
[5] Brad Plumer, Benjamin Oreskes, «In Reversal, Trump Officials Will Allow Huge Offshore N.Y. Wind Farm to Proceed», The New York Times, 19.5.2025.
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