Energiepolitik gegen das Bermuda-Dreieck
Wie sich die Branche auf die Zukunft vorbereiten muss
Aller guten Dinge sind drei, sagt der Volksmund. Und jeder Architekt weiss: Die bewährten Fachwerkhäuser verdanken ihre grosse Festigkeit allein den imposanten Dreieckskonstruktionen. Auch in der Energiewirtschaft ist das Dreieck bestens bekannt. Seit 2011 untersucht der Weltenergierat alljährlich, wie sich die Länder dieser Welt in Bezug auf das sogenannte Energie-Trilemma schlagen. Kurz: Wie sie die Themen Nachhaltigkeit, Wirtschaftlichkeit/Markt und Versorgungssicherheit unter einen Hut bringen. Seit 2011 ist die Schweiz internationale Spitzenreiterin. Wir bieten also eine hervorragende nationale Energiesystemleistung. Die Grundsteine dafür wurden früh gelegt: Dank der Nutzung von Wasser- und Kernkraft verursacht die Schweiz im Stromsektor kaum CO2-Emissionen. Insbesondere dank der Wasserkraft konnte zudem über viele Jahre eine Preisstabilität erreicht werden.
Und heute? Noch immer hat die Schweiz laut dem Weltenergierat das global überzeugendste Energiesystem. Doch in Bezug auf die Dimension der Versorgungssicherheit ziehen europaweit dunkle Wolken auf. Es ist kein Geheimnis, dass wir im Winter auf Stromimporte aus Europa angewiesen sind. Und zu Europa findet der Weltenergierat 2019 klare Worte: «Die EU hat sich ambitionierte Klimaschutzziele gesetzt, doch sie verfehlt ihr Ziel in Bezug auf die erneuerbaren Energien. In Teilen Europas beobachten wir ineffiziente Energienutzung, steigende Energiekosten sowie nicht nachhaltigen Umgang mit Energie.» Zentral für die schweizerische Versorgungssicherheit sind grosse Exportpartner wie Deutschland. Dazu die Unternehmensberatung McKinsey in ihrem aktuellen Energiewende-Index: «Mittlerweile manifestieren sich die Probleme Deutschlands in allen drei Dimensionen des energiewirtschaftlichen Dreiecks. Mittelfristig besteht das Risiko, dass im gesamten europäischen Verbund nicht mehr ausreichend Versorgungskapazität vorhanden sein wird.» Durch den laufenden Atomausstieg bis Ende 2022 sowie den geplanten Kohleausstieg wird weitere gesicherte Kapazität sukzessive wegfallen. Bis 2023 rechnet McKinsey mit Kapazitätsverlusten in der Grössenordnung von 17 Gösgen-Kernkraftwerken.
Das Dreieck und seine verflixten drei Ecken. Deutschland investiert zwar Dutzende Milliarden Euro in die Nachhaltigkeit der Energieversorgung. Die Unzahl an Lenkungs- und Steuerungsabgaben lässt jedoch die Strompreise in die Höhe schiessen. Der Betrieb inklusive Instandhaltung vieler konventioneller Kraftwerke wird zunehmend unrentabel, sie können nicht mit der billigen Windkraft mithalten. Und der Ausbau der Stromnetze? Das Fazit von McKinsey: «Bis zum ersten Quartal 2019 wurden gerade einmal 1087 Kilometer der geplanten rund 3600 Kilometer Stromtrassen fertiggestellt.» Laufe der Netzausbau in diesem Tempo weiter, werde das Ziel für 2020 erst 17 Jahre später, im Jahr 2037, erreicht. An welcher Ecke die Energiepolitik auch zupft, die Effekte auf die anderen zwei Ecken des Dreiecks lassen nicht lange auf sich warten. Sollte dem Primat der Versorgungssicherheit absoluter Vorrang gegeben werden? Das ist in einer Planwirtschaft wie China einfach umsetzbar; doch kaum in einer freien Marktwirtschaft. Überregulation und Verbote dürften dringend nötige Innovationen ersticken. Der Sog des Bermuda-Dreiecks beginnt... Doch auch eine fehlende Priorisierung zwischen Nachhaltigkeit, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit der Energieversorgung führt nicht zum Ziel. Wer an allen Ecken gleichzeitig zupft, erlebt Stillstand plus hohe Kosten. Und wenn die unsichtbare Hand des Marktes komplett frei walten darf? Dann könnten die Versorgungssicherheit und die Nachhaltigkeit bedroht sein, weil gewisse Kunden- und Erzeugungssegmente unrentabel wären.
Die Schweiz hält seit Jahren eine gute Balance zwischen allen drei Dimensionen. Sie baut dafür auf eine starke einheimische Produktion, bewältigt 10 Prozent des europäischen Stromtransits – und fördert die Energieforschung. Dem gegenüber steht unsere Abhängigkeit von Europa; mitunter ein Damoklesschwert, sofern die Versorgungssicherheit in der EU weiter abnimmt. Daraus lässt sich ableiten, wozu wir hier und jetzt Sorge tragen müssen: Die Wasserkraft als erneuerbare Energie und Rückgrat der Energiestrategie gehört in ein Marktdesign, in dem sie ihre Stärken voll ausspielen kann respektive dafür entlöhnt wird. Die zentralen Infrastrukturen werden wir weiterhin brauchen. Nicht zuletzt sind es physikalische Imperative, die uns dies gebieten. Die «Gebrauchsstunden» werden zwar abnehmen, die hohen Fixkosten aber bleiben. Der Energy-Only-Markt wird nicht alle nötigen Preissignale setzen, um diese so wichtigen Energiequellen zu entgelten. Weiter tut ein Stromabkommen mit der EU dringend Not. Kommt es nicht zustande, sind technische und wirtschaftliche Lösungen ohne freien Marktzugang zu Europa ins Auge zu fassen.
Leistungsfähige und smarte Netze sind wichtig – und damit auch der zügige Netzausbau. Und wir dürfen den Strommarkt nicht länger als einseitiges Geschäft mit «gebundenen Endkunden» sehen. Ein geöffneter Markt ist Nährboden für Innovationen und neue Produkte, die den mündigen Kunden aktiv ins Energiesystem einbeziehen. Neue Anreizsysteme bringen Stabilität für die Stromversorgung und preisliche Vorteile für die Kundschaft gleichermassen. Noch fehlen die politischen Grundlagen dafür.
Das Energie-Trilemma handhabt die Schweiz seit Jahren vorbildlich. Dass es für uns nicht zum Bermuda-Dreieck wird, haben wir selber in der Hand.
Kommentare