Fachartikel Energiemarkt

Energiebeschaffung per Knopfdruck

Digitale Beschaffungsplattform

21.01.2022

Einst lancierten Unternehmen langwierige Projekte zur Beschaffung ihrer benötigten Energie. Später reichte ein Anruf oder eine E-Mail, um sich mit Energie zu versorgen. Nun erlaubt die Digitalisierung der Energiebeschaffung die Auslösung eines Auftrags oder die Publikation einer Ausschreibung einfach per Mausklick.

Dezentralisierung, Dekarbonisierung und Digitalisierung – die drei grossen D, unter denen sich der Umbau des Energiesystems zusammenfassen lässt, haben mannigfaltige Auswirkungen. Statt einiger weniger Grosskraftwerke werden in Zukunft viele kleine Produktionsanlagen erstellt. Statt Energie aus fossilen Quellen wie Erdöl oder Erdgas zu gewinnen und dabei den Klimawandel voranzutreiben, kommt die Energie in Zukunft aus erneuerbaren Quellen wie Sonnenenergie, Windkraft und zu einem grossen Teil weiterhin aus Wasserkraft. Und statt per Hand werden Schalter automatisiert umgelegt, was vor allem bei der Handhabung der unzähligen Stromflüsse, welche bei der dezentralen Produktion anfallen, von zentraler Bedeutung ist.

Die Digitalisierung hat aber auch Auswirkungen auf andere Bereiche, zum Beispiel die Strombeschaffung von Unternehmen. Einst war diese ein Projekt, das sich über mehrere Monate hinziehen konnte und dessen Abschluss schliesslich regelrecht zelebriert wurde. Heute reicht eine E-Mail oder ein Anruf. Das hängt einerseits mit sich verändernden Geschäftsgepflogenheiten zusammen – Stichwort Governance. Anderseits kommt es gerade bei international tätigen Unternehmen oftmals vor, dass sich die verhandelnden Parteien weit entfernt voneinander befinden, weil das Unternehmen seine Energiebeschaffung irgendwo im Ausland zentralisiert hat.

Rollieren, abwarten, zuschlagen

Im Gegensatz zu früher, als Kunden Vollversorgungsverträge über mehrere Jahre abschlossen, geschieht die Energiebeschaffung heute aufgrund der volatileren Energiepreise strukturierter. Wurde früher Energie für drei Jahre zum Festpreis gekauft, werden heute verschieden grosse Tranchen beschafft, während ein gewisser Teil flexibel bleibt. Unternehmen und EVUs erhoffen sich so, dank gutem Risikomanagement und aufgrund starker Preisschwankungen am Markt von sinkenden Energiepreisen profitieren zu können.

Noch schneller und unkomplizierter als per E-Mail oder Telefon erfolgt die Energiebeschaffung per Mausklick. Die BKW hat dafür die Plattform Energy Business entwickelt, deren Name Programm ist. Unternehmen und EVUs erhalten dort einen Überblick über aktuelle Marktpreise, Einschätzungen zur künftigen Preisentwicklung und Informationen zu den Beschaffungsmöglichkeiten bei der BKW. Aus­serdem gelangen Kunden auch zur OTC-Ausschreibungsplattform Enmacc sowie zur Ökostrombörse, auf der Herkunftsnachweise für Strom aus erneuerbaren Energien erstanden und ausgeschrieben werden können.

Plattform als Sprungbrett

Dass Kunden via BKW-Plattform auch Zugriff auf andere Strombezugsquellen erhalten, ergebe schon Sinn, erklärt Xaver Bouvard, Key Account Manager bei der BKW: «Sie kaufen ihren Strom ja nicht nur bei uns ein. Daher bieten wir ihnen den Zugang zu anderen Plattformen ebenfalls an.»

Auch wenn Bestellungen oder Ausschreibungen mit einem simplen Mausklick ausgelöst oder publiziert werden können, arbeitet die Plattform nicht mit künstlicher Intelligenz. Superschnelle Transaktionen wie beim High Frequency Trading an Finanzbörsen, bei dem leistungsfähige Hard- und Software autonom grosse Finanzvolumen handeln, sind hier also nicht möglich. «Obwohl eine gewisse Nachfrage nach künstlicher Intelligenz besteht, agieren hier nach wie vor Menschen miteinander. Auf beiden Seiten müssen Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter einen Auftrag bestätigen.» Dies hat auch zur Folge, dass Energiekäufe nicht rund um die Uhr getätigt werden können. «Man kann beispielsweise nicht morgens um drei Uhr im grossen Stil Energie einkaufen, weil dann niemand da ist, um den Auftrag zu bestätigen», erklärt Xaver Bouvard.

Bei der Entwicklung der Plattform wurden nicht nur Unternehmen einbezogen, sondern auch Energieversorger. «Wir haben die Bedürfnisse von kleinen, mittleren und gros­sen Energieversorgern abgefragt und diese bei der Erarbeitung berücksichtigt. Auch die Anforderungen von verschiedensten Industrien und Dienstleistern haben wir nach Möglichkeit integriert.» Aktuell würden bereits rund 40 bis 50% der Energiemenge, welche die BKW verkauft, über diese Plattform gehandelt. Das sind beeindruckende Zahlen, denn noch 2019 spielte die digitale Beschaffung bloss eine geringe Rolle.

Die Excel-Allmacht bröckelt

Erstaunt hat Xaver Bouvard bei der Evaluierung und während der Testphase, dass so gut wie alle Kunden – «vom Kleinst- bis zum Grossverbraucher» – noch mit Excel-Tabellen arbeiteten. Natürlich seien auch andere Programme zum Einsatz gekommen, «aber am Schluss wurde die Energiebewirtschaftung überall auf einer Excel-Tabelle festgehalten». Zumindest in diesem Bereich dürfte Excel also ein wenig Marktmacht eingebüsst haben, werden diese Informationen auf der BKW-Plattform doch aktueller und übersichtlicher dargestellt.

Autor
Ralph Möll

war Kom­mu­ni­kations­spezia­list beim VSE.

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