Fachartikel Eigenverbrauch , Erneuerbare Energien , Konventionelle Kraftwerke

Energieautarkes Wohnen als Ziel

Wasserkraft, Photovoltaik und Energiespeicher

25.09.2020

In Buochs werden drei Mehrfamilienhäuser gebaut, die künftig – praktisch energieautark – mit Elektrizität aus erneuerbaren Quellen betrieben werden. Dabei nutzt man nebst Photovoltaik- Anlagen auf den Dächern auch eine Wasserkraftschnecke, deren Wasserrecht eine industrielle Vorgeschichte hat.

In Buochs wird zurzeit die Überbauung «Am Aawasser» erstellt, bei der die Nachhaltigkeit eine zentrale Rolle spielt. Eine Nachhaltigkeit, die mit erneuerbaren Energien und Energieeffizienzmassnahmen erreicht wird und auch für Mieter mit mittlerem Einkommen erschwinglich sein soll. Insgesamt werden 26 Wohnungen und 600 m2 Gewerbefläche angeboten. Das erste Haus wurde im September bezogen, die beiden anderen sollen Ende 2020 bezugsbereit sein. Der Strom stammt von einem Kleinwasserkraftwerk, unterstützt durch PV-Anlagen auf den Dächern der Wohnhäuser und der Nebengebäude. Fossile Energieträger braucht es nicht.

Historische Wasserkraft nutzen

Ab 1836 wurde das Wasser der Engelbergeraa in Buochs für die damalige Industrie – eine Sägerei, eine Schuhfabrik sowie eine Parkettfabrik – genutzt. Die Säge wurde zunächst mit einem Wasserrad und später mit einer Turbine via Transmissionsriemen angetrieben. 1960 wurde eine Stauklappe errichtet und eine Francis-Turbine eingebaut, die den Riemen antrieb. 1997 wurde die Sägerei aufgegeben und die Francis-Turbine mit einem an das Stromnetz angeschlossenen Generator von 18 kW ausgestattet. 1999 fanden zwischen dem Eigentümer, der Regierung und Umweltorganisationen Diskussionen statt, das Kleinwasserkraftwerk stillzulegen, da es nicht fischfreundlich war.

Seit der industriellen Nutzung der Wasserkraft am Aawasser bestand für die Besitzer der Parzelle der Überbauung ein althergebrachtes Wassernutzungsrecht, ein sogenanntes ehehaftes Wasserrecht. Da das Wasserrecht eine gewisse Zeit nicht genutzt wurde, wurde es vom Energiedepartement des Kantons Nidwalden aberkannt. Bei diesem Verfahren wurden aber Fehler gemacht, und nach zwei Gängen vors Bundesgericht wurde das Wasserrecht des Parzelleneigentümers 2010 bestätigt. Man begann mit der Planung einer Wasserkraftschnecke. Unter Einbezug gewisser Komponenten des früheren Wasserkraftwerks – Wasserentnahme und -rückgabe, Stauklappe und Fischaufstieg – wurde der Bau schliesslich im Winterhalbjahr 2012/13 realisiert.

Energie aus der Schnecke

Wasserkraftschnecken sind Schwerkraftanlagen für niedrige Fallhöhen, mit einer Effizienz von rund 85%. Die Buochser Schnecke wiegt 11 t; in der Schneckenanlage befinden sich 18 t Wasser. Um den Bewohnern der direkt danebenliegenden Wohnhäuser den Schlaf nicht zu rauben, ist die Anlage in einem Nebenbau integriert. Mittels Getriebe treibt die Schnecke zurzeit einen 45-kW-Generator an, der später auf 60 kW ausgebaut wird, wenn die nötigen Bewilligungen vorliegen.

Über das Jahr wird etwa das Doppelte der in der Überbauung verbrauchten Elektrizität erzeugt, der Überschuss kommt ins Verteilnetz. Der Bauherr Sämi Zgraggen betont: «Wir haben den Ehrgeiz, zu jedem Zeitpunkt energieautark zu sein, also auch, wenn mal wegen einem Hochwasser zwei Wochen nicht produziert werden kann, oder wenn im Winter die Restwassermenge gehalten werden muss.»

Alt und neu kombiniert

Die Wassermenge wird seit 1960 mittels Stauklappe geregelt. Im Häuslein neben dem Fluss, von dem aus die Stauklappe reguliert wird, wurde nur wenig geändert. Im Wasser hat es einen Schwimmer, einen hohlen Betonklotz, der angehoben wird, wenn von Engelberg mehr Wasser kommt. Über ein Stahlseil wird die Stauklappe abgesenkt, um das Stauziel zu erreichen, damit der Fischaufstieg mit der benötigten Wassermenge versorgt wird. Selbst im Hochwasser von 2005 hat diese Anlage tadellos funktioniert.

Die Stauklappe wurde neu mit einem digitalen Weggeber ausgerüstet, der für die Freigabe der Restwasserregulierung und die Hochwasserabschaltung zuständig ist. Eine Anzeige zeigt die aktuelle Klappenöffnung an. Im Winter, wenn die Restwassermenge von 2,5 m3/s gehalten werden muss, sorgt die Klappe dafür, dass die Schnecke im Teillastbetrieb betrieben wird. Dann wird der Zulauf über eine Drucksonde geregelt. Führt der Fluss nur die Restwassermenge, wird die Anlage automatisch abgeschaltet und erst wieder in Betrieb genommen, wenn die Wassermenge steigt. Die Wassermenge wird von den flussaufwärts liegenden Kraftwerksanlagen, den «Oberliegern», bestimmt. Im Winter kommt also das Wasser etwa ab 8 Uhr früh, wenn die Produktion der Industrie hochgefahren wird. Am Wochenende ist die Wassermenge deutlich geringer.

Um die Zuverlässigkeit der Anlage bei einem Hochwasser zu maximieren, wurde ein Sicherheitsschalter installiert, ein zwangsgeführter Öffner, der im Strompfad des Generators liegt und die Anlage abschaltet, sollte die Elektronik ausfallen oder einen unplausiblen Status liefern. Wenn der Schalter anspricht, wird der Betreiber mittels SMS benachrichtigt.

Führt der Fluss Hochwasser gemäss der Definition des Kantons (> 80 m3/s), wird das Kraftwerk nicht automatisch abgestellt, sondern schon früher (bei 40 m3/s), sobald vom Wasser Geschiebe mitgeführt wird. Eine Sonde in der Kiesfalle sorgt dafür, dass der Spülkanal einige Male geöffnet wird, wenn trotz allem Sand oder Kies in den Kraftwerkskanal eingespült wird. Sollte dies nicht ausreichen, wird die Anlage abgestellt und der Betreiber via SMS alarmiert. So werden Schäden oder aufwendige Reinigungsarbeiten am Rechen und an der Turbine vermieden.

Das Wasser verlässt die Schnecke schliesslich in einem Bachlauf, der das Dorf durchquert und in der Mitte des Quais in den Vierwaldstättersee fliesst. Da die Schnecke abwärts fischdurchgängig ist und ein Fischaufstieg existiert, fühlen sich die Fische dort wohl. Wo früher kaum Forellen waren, findet man nun auch grössere Exemplare. Wasserkraftschnecken werden deshalb bei Flusskraftwerken auch als Dotierwerke verwendet, mit denen die Energie des Restwassers fischfreundlich genutzt werden kann.

Ganzheitliches Energiekonzept

Um Energieautarkie zu erreichen, müssen Wasserkraft und Solarstrom so in die «Insellösung» integriert werden, dass die Energiebilanz möglichst optimal ist. Dazu hat Sämi Zgraggen ein umfassendes Energiekonzept entworfen, das nicht nur die Stromerzeugung umfasst, sondern auch den Stromverbrauch durch Effizienzmassnahmen reduziert und lenkt. Smart-Home-Rückmeldesysteme ermöglichen es Bewohnern, die verbrauchte Energiemenge «live» zu kontrollieren, um das jeder Wohnung zugeschriebene jährliche Energiebudget anzupeilen. Auch die Mobilität wird dabei berücksichtigt: Jedes Parkfeld in der Tiefgarage wird über eine Elektroauto-Lademöglichkeit verfügen. Künftig soll es zudem möglich sein, die Autobatterien als Flexibilitätskomponenten zu nutzen, die gesteuert geladen und bei Bedarf entladen werden können.

Energiespeicher gehören dazu

Heute ist es möglich, eine durch das Einspeisevergütungssystem (EVS) unterstützte Anlage in einen ZEV, einen «Zusammenschluss Eigenverbrauch» zu integrieren. Dies mache die Sache mit der Speicherung «ziemlich tricky», so Sämi Zgraggen. Die Schwierigkeit liege darin, dass die EVS-unterstützte Schnecke mit dem Einspeisen ins Netz einen Strompreis von 31 Rp./kWh erzielt. Wird Strom für den Eigenverbrauch direkt verbraucht, liegt der Ertrag viel tiefer. Eine echte Herausforderung, denn für Sämi Zgraggen müsse das Projekt nach marktwirtschaftlichen Regeln funktionieren; es ist kein Forschungsobjekt. «Wir wollen beweisen, dass es marktfähig ist und müssen deshalb einen marktfähigen Preis haben. Erst dann funktioniert die Energiewende.»

Die Speicher werden im dafür vorgesehenen Autarkieraum untergebracht. Zunächst ist dies eine 260-kWh-Batterie. Eine kompakte Methanol-Brennstoffzelle ist auch geplant, mit kleiner Belüftungsanlage. Sie soll 10 kW elektrische und 25 kW thermische Leistung liefern. Der Autarkieraum ist aber viel grösser und ermöglicht in einer zweiten Phase beispielsweise den Einbau von Second-Life-Elektroauto-Batterien, deren Kapazität für einen stationären Einsatz ausreicht. Heute sind diese bei Gestehungskosten um 15 Rp/kWh aber noch etwas teuer.

Ursprünglich wollte man einen Elektrolyseur installieren und Wasserstoff bzw. Methanol selber synthetisieren, aber dies ist nicht wirtschaftlich. Zudem sind die Systeme noch nicht praxisreif, obwohl sie im Labor gute Ergebnisse erzielen. Da Wasserstoff bezüglich Handhabung anspruchsvoll ist, entschied man sich für Methanol, das eingekauft wird. Weil man im Winter auch die thermische Energie nutzen kann, kommt man mit der Brennstoffzelle auf einen Wirkungsgrad von 90%. Der Gestehungspreis der Elektrizität dieses Systems liegt bei 2 CHF pro kWh.

Vorabklärungen beim BFE haben ergeben, dass eine allfällige Eingabe kaum bewilligt wird, da Autarkie auf Gebäudeniveau für das BFE keine strategische Relevanz hat und eher vermieden werden sollte. Energetisch und wirtschaftlich sinnvollere Alternativlösungen unter Einbezug des Netzes werden bevorzugt. Betriebswirtschaftlich betrachtet dürfte man keine Brennstoffzellen einsetzen, sondern müsste den Strom vom Netz beziehen. Was in fünf oder zehn Jahren im Autarkieraum stehen wird, sei aber noch offen. Sämi Zgraggen sagt: «Vielleicht stehen dann alte Autobatterien drin, vielleicht macht man trotzdem Wasserstoff oder Methanol selber.» Der Raum wird es ermöglichen, die erfolgversprechendste Speicherlösung zu installieren.

Kopieren erwünscht

Sämi Zgraggen erläutert die zwei Gründe, die zum energieautarken Bauen geführt haben: Einerseits die besondere Ausgangslage mit dem Wasserkraftwerk, sozusagen der «Jackpot», und andererseits die im Oktober 2016 mangelnde Bereitschaft des Verteilnetzbetreibers, ein solches Projekt zu unterstützen.

Es war schon am Anfang klar, dass man das Autarkieziel mit Solarstrom alleine kaum erreichen kann. Fassadenpanels wurden evaluiert. Selbst PV-Geländer auf den Balkonen, deren Installation dank Normierung und Stangenmaterial, unabhängig von Balkonlänge, relativ einfach gewesen wäre, waren viel zu teuer im Vergleich mit Glasgeländern. Deshalb werden nur die ökonomischeren Flächen genutzt: die Dächer der drei Häuser und der Nebengebäude. Die PV-Nennleistung beträgt nun 120 kW.

Die Stromproduktion der Solarpanels im Bereich des Wasserkraftwerks hält sich in Grenzen, sie sollen bewusst sichtbar sein, damit Spaziergänger, die die Überbauung durchqueren, sehen, dass hier erneuerbarer Strom produziert wird. «Es soll eine Aussage sein zum Standort, zum Projekt, zur Geschichte, die wir hier machen wollen», so Zgraggen. Seine Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Projekt will Sämi Zgraggen aber nicht für sich behalten: Wenn das Projekt abgeschlossen ist, sollen Führungen möglich sein, und die Schnecke wird wieder sichtbar sein. Involvierte Firmen erhalten dann eine Plattform, die es ihnen ermöglicht, ihre Produkte im Betrieb zu präsentieren. So soll der Nachhaltigkeitsgedanke verbreitet und Vertrauen in das Konzept geschaffen werden. Wenn sein Energiesystem Nachahmer findet, wäre ein weiteres Ziel von Sämi Zgraggen erreicht: der Nachhaltigkeit nicht nur in Buochs zum Durchbruch zu verhelfen.

Autor
Radomír Novotný

ist Chefredaktor des Bulletins Electrosuisse.

  • Electrosuisse
    8320 Fehraltorf

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