Fachartikel Beleuchtung , Messtechnik

EMV-Anfor­derun­gen an Leuchten in Europa

Eine Einführung

29.10.2021

Wenn ein Hersteller eine Leuchte in der Schweiz oder in Europa auf den Markt bringen will, muss er diverse Anfor­derungen erfüllen. Eine wichtige Anfor­derung für die zuver­läs­sige Funktion ist die elektro­magne­tische Verträg­lich­keit. Was muss dabei alles bezüglich Emission, Immunität und Verträg­lich­keit beachtet werden?

Im Buch «Die Kunst des Krieges» von Sun Tzu heisst es: «Wenn du den Feind kennst und dich selbst kennst, brauchst du den Ausgang keines Kampfes zu fürchten.»[1] Frei übersetzt für Leuchtenhersteller könnte dies heissen: Wenn du deinen Markt und deine Leuchte kennst, dann wirst du Erfolg haben.

Für den Erfolg sind also zwei Aspekte notwendig: Der Markt und die Leuchte. Der Markt kann das Gebiet Europa inklusive Schweiz umfassen. Im Zusammenhang mit dem Abkommen zwischen der EU und der Schweiz über die gegenseitige Anerkennung sind die Anforderungen des Marktes gleichwertig.[2,3]

Für Leuchten gibt es diverse Anforderungen. Die wichtigsten sind:

  • Elektromagnetische Verträglichkeit (EMV)
  • Elektrische Sicherheit
  • EMF (Elektromagnetische Felder)
  • Fotobiologie
  • ROHS sowie eventuell Funk

 

Hier steht das Thema EMV im Fokus. Grundsätzlich gilt dabei die EMV- Richtlinie 2014/30/EU. Bei der EMV gibt es drei Aspekte: Die Emission, die Immunität und die Verträglichkeit.

Emission

Bei der Emission handelt es sich um elektromagnetische Störungen, die von der Leuchte an ihre Umgebung abgegeben werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie abgestrahlt oder über Anschlussleitungen (Stromversorgung, Dali, LAN etc.) an die Umgebung abgegeben werden. Sobald eine Leuchte elektrische bzw. elektronische Komponenten enthält, kann sie stören. Die Frage ist nur, um welche Störungen es sich handelt und – noch wichtiger – wie gross sie sind.

Bei hohen Störpegeln wird die Umgebung stark beeinträchtigt, und Funkdienste – Radio, Fernsehen und Mobiltelefone – funktionieren unter Umständen nicht mehr korrekt. Aber auch andere Geräte können in ihrer Funktion beeinflusst werden (Bild 1).

Immunität

Bei der Immunität ist es umgekehrt. Dort geht es darum, welche elektromagnetischen Störungen aus der Umgebung auf die Leuchte einwirken und wie hoch ihre Pegel sind. Die Störungen können ebenfalls über die Luft oder über Anschlussleitungen in die Leuchte eindringen und die Elektronik beeinflussen. Die Beeinträchtigungen können vorübergehend oder permanent sein: Entweder führen sie bei der Leuchte zu einer kurzen Beeinflussung bzw. Unterbrechung der Funktion oder zu einem definitiven Ausfall der Leuchte (Bild 2).

Verträglichkeit

Die Emission und die Immunität sind in der EMV-Richtlinie nicht mit absoluten Zahlen definiert, sondern im Sinne der Verträglichkeit: Elektrische und elektronische Geräte sollen in der gleichen Umgebung verträglich nebeneinander funktionieren können. Dies ist nur möglich, wenn die Immunitätspegel höher als die Emissionspegel sind (Bild 3). Dies stellt die sogenannten «Wesentlichen Anforderungen» dar. Sie sind in der EMV-Richtlinie in Anhang I aufgeführt.

Der Markt und EMV

Die elektromagnetische Umgebung ist hier ein zentraler Faktor, denn sie bestimmt die Emissions- und Immunitätspegel. Der Markt kennt verschiedene elektromagnetische Umgebungen, die ihre eigenen spezifischen Eigenschaften aufweisen und entsprechenden Anforderungen genügen sollen. Es wird zum Beispiel (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) unterschieden zwischen Wohnbereich (niedrigere Emis­sions- und Immunitätspegel) und Indus­triebereich (höhere Pegel).

Risikoanalyse und -bewertung

Wenn die Leuchte zum Beispiel für den Wohnbereich vorgesehen ist, sollte zunächst analysiert werden, welche Art von elektromagnetischen Störungen mit welchen Grenzwerten in dieser Umgebung toleriert werden. Dies sind die sogenannten Emissionsanforderungen. Zweitens sollte man für die Immunität herausfinden, welche elek­tromagnetischen Phänomene und welche Störpegel zu erwarten sind. Diese zwei Analysen ergeben eine Aufstellung an elektromagnetischen Störarten (Emission) und elektromagnetischen Phänomenen (bei der Immunität). Drittens sollte die Leuchte mit jeder dieser einzelnen elektromagnetischen Störarten und elektromagnetischen Phänomenen bewertet werden.

Dieser Prozess wird in der EMV-Richtlinie als Risikoanalyse und -bewertung bezeichnet. Dabei gilt zu beachten, dass hier nicht die elektrische Sicherheit gemeint ist. Es wird nur bewertet, ob die Leuchte mit den wesentlichen Anforderungen der EMV-Richtlinie übereinstimmt. Siehe Anhang I der Richtlinie [4]. Eine solche Risikoanalyse und -bewertung kann in eigener Regie oder mit Hilfe eines EMV-Experten durchgeführt werden. Jedenfalls muss sie in der technischen Dokumentation der Leuchte aufgeführt werden.

Prüfen, ja oder nein?

Bewerten heisst nicht immer Prüfen. Es muss nicht in jedem Fall geprüft werden. Wenn die Elektronik der Leuchte z. B. keine Taktfrequenz über 100 MHz aufweist, sind nur die Felder unterhalb von 1 GHz zu prüfen. Emissions­störungen oberhalb von 1 GHz sind hier unbedeutend. Wenn die Elektronik keine magnetisch empfindlichen Komponenten enthält, muss man sich überlegen, ob die Prüfung der Immunität gegen magnetische Felder der Netzfrequenz überhaupt nötig ist.

Ob es sinnvoll ist, zu prüfen, muss für jeden Leuchtentyp einzeln entschieden werden – in eigener Regie oder mithilfe eines EMV-Experten.

Normen

Auch in der EMV gibt es diverse Normenarten: Fach­grund­normen, Produkte-(Familien-)Normen, Basis- und harmoni­sierte Normen.[5]

Fach­grund­normen werden angewendet, wenn keine geeignete Produktnorm für ein Gerät existiert. Für einzelne Prüfungen wird auf Basisnormen verwiesen. Zum Beispiel:

  • EN 61000-6-1: Immunität für Wohn­bereiche und ähnliche Bereiche
  • EN 61000-6-2: Immunität für Industriebereiche
  • EN 61000-6-3: Emission für Wohnbereich und ähnliche Bereiche
  • EN 61000-6-4: Emission für Indus­triebereiche
  • EN 61000-6-8: Emission für professionell genutzte Geräte, die in Geschäfts- und Gewerbebereichen sowie in Kleinbetrieben verwendet werden.

 

In Fachgrund­normen werden Umgebung, Stör­aus­sendungs­grenz­werte bzw. Immunitäts­pegel festgelegt.

Produkte- (Familien-) Normen be­ziehen sich auf ein bestimmtes Produkt oder eine Produktfamilie. Es ­werden auch hier die Umgebung, Stör­aus­sendungs­grenz­werte bzw. Immunitätspegel festgelegt. Für einzelne Prüfungen wird auf die Basisnormen verwiesen.

In Zusammenhang mit Leuchten kommen folgende Normen infrage:

  • EN 55015: Grenzwerte und Messverfahren für Funkstörungen von elek­trischen Beleuchtungs­einrichtungen und ähnlichen Elektrogeräten. Z. B. leitungsgebundene Störungen im Bereich 9 kHz bis 30 MHz und Ab­­strahlung von 9 kHz bis 30 MHz für H-Felder und 30 bis 1000 MHz (oder bis 6 GHz) für E-Felder.
  • EN 61000-3-2: Grenzwerte für Ober­schwin­gungs­ströme für Geräte, die am öffentlichen Stromnetz angeschlossen werden können. Es werden Netzharmonische (50 Hz) und Interharmonische bis 2 kHz gemessen.
  • EN 61000-3-3: Grenzwerte – Begrenzung von Spannungsänderungen, -schwankungen und Flicker.
  • EN 61547: Einrichtungen für allgemeine Beleuchtungszwecke – EMV- Immunitätsanforderungen.               
    Typische Prüfungen sind ESD, HF- Einkopplung, Burst, Surge sowie Netz­unterbrüche.

 

Basisnormen sind das Fundament der EMV. Jede Norm behandelt bei der Emission eine spezielle Störart (E-/H-Feld oder nieder-/hochfrequent) oder bei der Immunität ein spezifisches elektromagnetisches Phänomen.

Es gibt folgende Basisnormen für die Emission:

  • EN 55016-2-1: Verfahren zur Messung der leitungsgeführten Störaussendung im Frequenzbereich 9 kHz bis 30 MHz.
  • EN 55016-2-3: Verfahren zur Messung der gestrahlten Störaussendung. Zum Beispiel im Frequenzbereich 9 kHz bis 30 MHz für H-Felder und 30 MHz bis 6 GHz für E-Felder

 

Folgende Basisnormen gelten für die Immunität:

  • EN 61000-4-2: Störfestigkeit gegen die Elektrostatische Entladung (ESD)
  • EN 61000-4-3: Störfestigkeit gegen hochfrequente elektromagnetische Felder; Zum Beispiel Radiosender, mobile Telefone (Einstiegsbild).
  • EN 61000-4-4: Störfestigkeit gegen schnelle transiente elektrische Störgrössen/Burst; z. B. Kontaktprellen von Relais.
  • EN 61000-4-5: Störfestigkeit gegen Stossspannungen, Surge; z. B. indirekte Einkopplung eines Blitzeinschlags ins Stromnetz.
  • EN 61000-4-6: Störfestigkeit gegen HF-Einkopplung, induziert zum Beispiel durch Funksender oder Radiosender.
  • EN 61000-4-8: Störfestigkeit gegen Magnetfelder mit energietechnischen Frequenzen. Zum Beispiel 16.7-, 50- oder 60-Hz-Magnetfelder.
  • EN 61000-4-11: Störfestigkeit gegen Spannungseinbrüche, Kurzzeitunter­brechungen und Spannungsschwankungen. Unter anderem als Folge von Kurzschlüssen im Stromnetz.
  • EN 61000-4-13: Störfestigkeit am Wechselstrom-Netzanschluss gegen Oberschwingungen und Zwischenharmonische. Als Folge von nicht­linearen Lasten wie zum Beispiel Frequenzumformer, Gleichrichter oder Rundsteuerungen.
  • EN 61000-4-16: Störfestigkeit gegen leitungsgeführte, asymmetrische Störgrössen im Frequenzbereich von 0 Hz bis 150 kHz. Zum Beispiel verursacht durch Leistungselektronik und Frequenzumformer.
  • EN 61000-4-19: Störfestigkeit an ­leitungsgeführten symmetrischen Störgrössen und Störgrössen aus der Signalübertragung im Frequenzbereich von 2 kHz bis 150 kHz. Erzeugt zum Beispiel von Power Line Communications (PLC).  

 

Harmonisierte Normen [6] spielen bei der EMV-Bewertung eine wichtige Rolle. Im Prinzip handelt es sich um die gleichen Europäischen Normen (z. B. EN 61000-6-2) wie die oben erwähnten Fachgrund- und Produkt- (Familien-)normen. Der Unterschied liegt in der Tatsache, dass diese Normen unter der EMV-Richtlinie im Amtsblatt der Europäischen Union aufgeführt sind. Nur die dort aufgeführten Normen haben den Status «Harmonisierte Norm».

Wenn eine Leuchte die für sie gültigen harmoni­sierten Produkte­normen erfüllt, wird offiziell «vermutet», dass sie auch die wesentlichen Anforderungen der EMV-Richtlinie einhält. Die Voraus­setzungen für diese Vermutungs­wirkung sind im Anhang ZZ der harmonisierten Norm festgehalten.

Basisnormen sind nicht im Amtsblatt der Europäischen Union aufgeführt und können deshalb den Status «Harmonisierte Norm» nicht bekommen. Aber die harmonisierten Fachgrund­normen und Produkte­normen verweisen auf die Basisnormen.

Marktzugang und EMV

Die Anwendung der harmonisierten Normen ist das bevorzugte Verfahren, um nachzuweisen, dass die wesentlichen Anforde­rungen der EMV-Richtlinie erfüllt werden. Zudem bietet sie auch eine einheitliche Basis in der Diskussion mit den Kunden und Markt­über­wachungs­behörden.

Man ist aber nicht verpflichtet, nach harmo­nisierten Normen zu prüfen. Wenn nicht oder nur teilweise nach harmonisierten Normen geprüft wird, entfällt für den nicht harmo­nisierten Teil die Vermutungs­wirkung mit den wesentlichen Anforde­rungen der Richtlinie. Aber der Nachweis, dass die Leuchte die wesentlichen Anforderungen erfüllt, muss trotzdem erbracht und in der technischen Dokumen­tation festgehalten werden, eventuell mit der Zustimmung durch eine benannte Stelle (Notified Body).

Wenn die EMV bewertet wurde und das Resultat den wesentlichen Anforde­rungen der EMV-Richtlinie entspricht, die technischen Unterlagen erstellt sind und der Hersteller dafür sorgt, dass seine gefertigten Leuchten mit der technischen Dokumen­tation überein­stimmen, kann das CE-Zeichen rein bezüglich EMV auf der Leuchte angebracht und die Konfor­mitäts­erklärung unter­schrieben werden (Modul A «Interne Fertigungs­kontrolle»).

Gestern, heute und morgen

Was hier beschrieben wurde, ist kein «Status quo». Nicht nur die Welt bewegt sich ständig, sondern auch die EMV. Die Normen, die gestern noch gültig waren, sind heute obsolet. Und heute gültige Normen werden morgen veraltet sein … Natürlich geschieht dies nicht im Tagesrhythmus, aber es ist eine Tatsache, dass sich die Anforderungen ständig ändern. Dies sollte bei der Risikoanalyse und -bewertung berücksichtigt werden.

Nicht nur Normen ändern sich, sondern auch Produkte – und das manchmal unbemerkt. Wie sieht es zum Beispiel mit einem Produkt aus, das vor zehn Jahren produziert und zugelassen wurde? Wird es heute immer noch gleich produziert und ist es noch identisch?

Über die Jahre werden auch die Produk­tions­prozesse von elektrischen und elektro­nischen Kompo­nenten optimiert. Dies kann sich negativ auf das EMV-Verhalten auswirken.

CE + CE ≠ CE

Diese Ungleichung trifft auch für Leuchten zu. Wenn man zum Beispiel zwei CE-gekenn­zeichnete LED-Leuchten in ein Gehäuse einbaut und dies als ein Produkt auf den Markt bringen möchte, kann es sein, dass die Emission der Netz­harmo­nischen gemäss EN 61000-3-2 negativ ausfällt. Dies, obwohl jede einzelne LED-Leuchte diese Prüfung problemlos bestanden hat.

Netzharmonische müssen zum Beispiel für die erste LED-Leuchte mit einer Leistung < 5 W nicht geprüft werden. Wenn die zweite LED-Leuchte eine Leistung > 25 W aufweist und die netzharmonische Prüfung nur knapp erfüllt hat, kann die Kombination der beiden Leuchten zu einem negativen Prüfresultat führen.

Referenzen

[1] www.myzitate.de/sun-tzu

[2] Blue Guide 2016: ec.europa.eu/growth/content/%E2%80%98blue-guide%E2%80%99-implementation-eu-product-rules_en.

[3] Blue Guide 2016 9.2.2 Abkommen EU-Schweiz über die gegenseitige Anerkennung.

[4] EMV-Richtlinie: eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELEX:32014L0030

[5] Europäische Normen: standards.cencenelec.eu/dyn/www/f?p=CEN:105::RESET::::

[6] EMV-Leitfaden: ec.europa.eu/docsroom/documents/33601

Autor
Klaas Gerbens

ist Leiter des EMV-Labors.

  • Quinel AG
    6035 Perlen

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