Elektromotor statt Abgasnachbehandlung
Lastwagen mit Teleskoplift erhält Hybrid-Antrieb
Stadtwerke arbeiten oft in der Nacht an Beleuchtungen und Fahrleitungen, um den Verkehr nicht zu stören. Dabei werden Lastwagen mit Hebebühnen eingesetzt. Deren Motoren laufen die ganze Nacht im Leerlauf – was sowohl Anwohner als auch die Abgasnachbehandlung stresst. Ein Hybrid-Lastwagen sorgt nun für emissionsfreies Arbeiten.
Eigentlich sollte nur die Abgasnachbehandlung verbessert werden – schliesslich entstand daraus ein Hybrid-Lastwagen mit eigens entwickelter Hebebühne. Gewöhnlich laufen die Motoren der Fahrzeuge, die von Kommunalbetrieben oder Elektrizitätswerken eingesetzt werden, im Standgas, wenn die Hebebühne im Einsatz steht. Während die Arbeiter auf der Hebebühne Leitungen und Lampen kontrollieren oder ersetzen, muss die Hydraulik kaum arbeiten und der Lastwagenmotor wird wenig gefordert. Dies führt zu Problemen mit der Abgasnachbehandlung: Der Motor und damit die Abgase werden nicht warm genug.
Moderne Dieselmotoren filtern die Abgase über mehrere Stufen: Ein Oxidationskatalysator wandelt zuerst das giftige Kohlenmonoxid (CO) und unverbrannte Kohlenwasserstoffe (HC) in ungiftiges Kohlenstoffdioxid (CO2) und Wasser (H2O) um. Danach folgt der Partikelfilter, der die kleinen Russpartikel zurückhält und später vollständig verbrennt. Zuletzt kommt der SCR-Katalysator, der mithilfe von Adblue (Harnstoff) die Stickoxide (NOx) in ungiftigen Stickstoff und Wasserdampf umwandelt.
All diese Reaktionen laufen ab Temperaturen von rund 250°C ab. Im Partikelfilter beispielsweise sammeln sich die Russpartikel in einem keramischen Filter. Sobald die Temperatur über 600°C steigt, verbrennen die kleinen Partikel nachträglich restlos. Wenn nun aber der Motor ständig im Leerlauf betrieben wird, steigt die Temperatur nicht hoch genug. Hier muss mit elektrischen Heizungen im Partikelfilter nachgeholfen werden oder mit Diesel, der periodisch zusätzlich eingespritzt wird, und nicht im Motor, sondern im Partikelfilter verbrennt und so die Temperatur darin erhöht.
Rückstände vom Harnstoff
Problematischer ist der SCR-Katalysator: Um die Stickoxide umzuwandeln, kann Ammoniak (NH3) hinzugefügt werden. Da Ammoniak sehr unangenehm riecht und giftig ist, nutzt man Harnstoff (AdBlue), der in die Abgase gespritzt wird und sich ab Temperaturen von 120°C in Ammoniak und Isocyansäure umwandelt. Ab 160°C wandelt sich die Isocyansäure in zusätzliches Ammoniak und CO2. Laborversuche [1] haben gezeigt, dass sich das Adblue unterhalb von 180°C unvollständig umwandelt und sich Stickstoffverbindungen im Abgassystem ablagern. Diese beeinträchtigen den SCR-Katalysator und können zum Ausfall des Abgasnachbehandlungssystems führen.
Für die Kommunalbetriebe und Elektrizitätswerke bedeuten die niedrigeren Abgastemperaturen, dass die Fahrzeuge häufiger gewartet werden müssen. Deshalb auch die Anfrage, ob es kein besseres System zur Abgasnachbehandlung gäbe. Ein System, das auch bei niedrigen Abgastemperaturen funktioniert, wenn der Dieselmotor über mehrere Stunden im Leerlauf dreht.
Dieselmotor abstellen
Die Antwort ist: nein. Die chemischen Reaktionen in der Abgasnachbehandlung laufen erst ab Temperaturen von 250°C über längere Zeit zuverlässig ab. Die Lösung ist vielmehr, den Dieselmotor abzustellen. Da kaum Leistung nötig ist, solange sich die Arbeiter auf der Hebebühne befinden, reicht für diese Zeit eine Batterie. Die Hydraulikpumpe wird elektrisch betrieben und auch der Lastwagen wird zum Manövrieren mit einem elektrischen Motor ausgestattet. Es entsteht ein Lastwagen mit Hybrid-Antrieb.
Da die Batterie nur für die Hydraulik und fürs Manövrieren eingesetzt wird, kann sie mit 50 – 60 kWh klein gehalten werden. Grosse Distanzen fährt der Lastwagen mit dem Dieselmotor. In den Antriebsstrang wird ein Zwischengetriebe eingebaut, womit zwischen dem Dieselmotor und dem elektrischen Antrieb gewechselt werden kann. Elektrisch fährt der Lastwagen im Schritttempo mit maximal 10 km/h.
Lithium-Eisenphosphat-Batterien
Die Energie für die Elektromotoren wird in Lithium-Eisenphosphat-Batterien gespeichert. Im Gegensatz zu den Lithiumionen-Batterien in Laptops und Mobiltelefonen ist die Energiedichte etwas kleiner. Dafür ist die Sicherheit grösser: Wenn die Zelle beschädigt wird, erhitzt sich die Batterie nicht so stark, dass sie sich entzünden und weitere Zellen beschädigen kann.
Wie alle Lithiumionen-Batterien hat sie den Vorteil, dass sie aufgrund der Zyklenfestigkeit eine deutlich höhere Lebensdauer hat als zum Beispiel Bleiakkumulatoren. Sie ist auch leichter als Bleibatterien. So kann der Batterieblock im hinteren Bereich des Lastwagens relativ weit ausserhalb der Mitte angebracht werden. Der Batterieblock wird in Urdorf gefertigt und kann an andere Lastwagentypen angepasst werden.
Fernsteuern aus dem Korb
Mit dem elektrischen Antrieb liegt es nahe, die Steuerung für den Lastwagen auch in den Korb der Hebebühne zu integrieren. So kann der Lastwagenchauffeur bei den Arbeiten mithelfen und sein Fahrzeug von der Hebebühne aus manövrieren.
Um das Fahrzeug fernsteuern zu können, sind ein paar Modifikationen nötig: Da die Hydraulikpumpe der Servosteuerung über den Dieselmotor angetrieben wird, ist eine zweite, elektrische Hydraulikpumpe nötig. Sie läuft nur, wenn der Dieselmotor ausgeschaltet und der Lastwagen elektrisch manövriert wird. Ein weiterer Motor überträgt die Steuersignale auf die Lenksäule.
Um die Sicherheit zu gewährleisten, auch wenn der Chauffeur nicht in der Kabine des Lastwagens sitzt, überwacht ein Sensor den Bereich vor dem Lastwagen. Wenn Geschwindigkeit und Lenkwinkel zu einer Kollision führen könnten, stoppt der Sensor automatisch den Lastwagen. Natürlich muss der Korb vor dem Fahren zuerst in eine sichere Position mit wenig Ausladung gefahren werden, bevor die Stützen hochgefahren werden können. Da die Stützen im Profil des Lastwagens untergebracht sind, lassen sich auch diese aus dem Korb bedienen, ohne dass die Gefahr besteht, mit den ausfahrenden Stützen etwas zu beschädigen.

Hebebühne neu entworfen
Desgleichen der Hybridantrieb als Alternative zu einem Abgasnachbehandlungssystem entstand, lag auch bei der Hebebühne keine Eigenentwicklung im Fokus. Auf den Lastwagen sollte eine konventionelle Hebebühne montiert werden. Etablierte Hersteller zeigten aber wenig Interesse, ihre Hebebühnen auf dem Hybrid-Lastwagen einzusetzen. Sie verweigerten Sicherheits- und Garantieleistungen, wenn ihre Geräte an den Lastwagen angepasst würden. Eine Fahrt quer durch Italien zu kleineren Herstellern von Hebebühnen zeigte zwar, dass sich jemand finden würde, der sie baut, aber die Qualitätsansprüche hätten nicht erfüllt werden können.
So kam es, dass auch die Hebebühne selbst entwickelt wurde. Die Eckpunkte wie eine Ausladung von 18 m, eine Korblast von 350 kg und eine Arbeitshöhe von 22 m waren rasch gesetzt. Die Stützen sollten wie erwähnt im Lichtprofil des Lastwagens untergebracht werden. Erste Skizzen und Berechnungen zeigten, dass es möglich sein müsste. Das zugezogene Ingenieurbüro berechnete die Belastungen nochmals im Detail, was schliesslich nach einigen Iterationen zur jetzigen Konstruktion führte.

Sicherheitssteuerung mit zwei Prozessoren
Eine Sicherheitssteuerung überwacht die Hebebühne: Zwei Prozessoren verarbeiten zur selben Zeit unabhängig voneinander die Befehle und kontrollieren sich gegenseitig. Lagesensoren am Chassis des Lastwagens, an den Armen und dem Korb liefern die aktuelle Position. Der Korb muss immer waagrecht ausgerichtet sein – die Toleranzen sind klein.
Die Position der Arme liefert die Grundlagen zur Berechnung des Kippmoments. Die Steuerung berechnet anhand der Winkel und des Gewichts im Korb, ob die Steuerbefehle sicher ausgeführt werden können, ohne dass der Lastwagen kippen könnte. Die Zuladung im Korb wird über Gewichtssensoren erfasst.
Aufwendige Baumusterprüfung
Eine grössere Herausforderung war es, diese Innovationen mit der Norm für Arbeitsbühnen zu vereinbaren. Es war eine aufwendige Baumusterprüfung nötig, um an der einen oder anderen Stelle von der Norm abweichen zu können. Auch hier entstand ein iterativer Prozess und eine enge Zusammenarbeit mit der Zertifizierungsstelle, die schliesslich die Baumusterprüfung abgenommen hat.
Inbetriebnahme in Salzburg
Das erste Fahrzeug wird in Salzburg eingesetzt. Über die Fernwartung können die Entwickler direkt auf das Fahrzeug zugreifen. Die Parameter werden optimiert und den Wünschen der Monteure angepasst, die mit dem Fahrzeug arbeiten. Gleich der erste Monteur, der die Hebebühne testete, erwies sich als Formel-1-Fahrer der Hebebühnenpiloten: Er fuhr den Korb deutlich schneller als die involvierten Entwickler, worauf die Regelparameter angepasst wurden. Nun reagiert die Hebebühne auch auf rasche Befehle mit sanften Übergängen.
Weitere Parameter wurden an die Verhältnisse im Feld angepasst: So wird über den Druck der Stützen kontrolliert, ob das Fahrzeug komplett abgestützt ist. Das Hydrauliköl hat aber je nach Umgebungstemperatur eine andere Viskosität, was berücksichtigt werden muss. Nach bald einem Jahr im Einsatz ist das Fahrzeug nun so weit optimiert, dass die Monteure es im Alltag wie selbstverständlich einsetzen.
Ohne Lärm und Abgase
Weitere Fahrzeuge sind zurzeit in der Werkstatt in Urdorf im Bau. Sie werden eingesetzt, wo sie während den Arbeiten auf der Hebebühne immer wieder verschoben werden müssen: beispielsweise beim Fahrleitungsbau in Städten oder der Kontrolle von Strassenbeleuchtungen. Die Werke sparen sich eine Person, weil das Fahrzeug aus dem Korb gefahren werden kann. Und die Bewohner stören sich nicht mehr am Lärm des Dieselmotors. Nicht zuletzt stehen auch die Monteure nicht mehr im Abgas ihres eigenen Lastwagens. Die Batterien reichen für rund 12 Stunden, was für die typischen Arbeitszeiten von 23 Uhr abends bis 5 Uhr morgens problemlos genügt.
Referenz
[1] R. Baar, M. Bargende, C. Beidl, T. Koch, H. Rottengruber: NOX-Reduzierungsnachrüstmöglichkeiten, Schlussbericht Februar 2018, BMVI-Auftragsforschung: FE-Nr. 97.397/2017
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