Fachartikel Energienetze , Erneuerbare Energien , Integration ins Netz

Elektromobilität ins Netz integrieren

Anforderungen an Verteilnetzbetreiber

10.12.2018

Im Mobilitätssektor zeichnen sich derzeit zwei grosse Entwicklungen ab: das batterieelektrische und das autonome Fahren. Steigt der Marktanteil dieser Fahrzeuge, wird das Auswirkungen auf das Stromnetz haben. In diesem Artikel wird die herausfordernde Perspektive der Netzbetreiber mit den Unwägbarkeiten bis 2030 beleuchtet.

Die Elektrizität hat sich schneller und umfassender durchgesetzt als alle anderen Energieträger. Wurde sie zu Beginn nur zur Beleuchtung eingesetzt, durchdringt sie heute weite Teile unseres Alltags. Abgesehen vom Verkehr ist Elektrizität ein dominanter Energieträger in allen Lebensbereichen. In den nächsten Jahren wird nun auch der Verkehr mit grosser Wahrscheinlichkeit elektrifiziert werden. Dabei sind in der westlichen Welt zwei Treiber entscheidend: Die CO2-Gesetzgebung und die langfristig technische und wirtschaftliche Überlegenheit von E-Fahrzeugen gegenüber Autos mit Verbrennungsmotoren (Verbrennern).

Strafzahlungen für zu hohen CO2-Ausstoss

Bereits ab 2020 gilt in der EU und in der Schweiz ein Grenzwert von 95 g CO2/km für Personenkraftwagen. Dieser Wert wird nach der aktuellen Beschlussfassung der EU bis 2030 um weitere 35 % auf 62 g CO2/km gesenkt. In der Schweiz liegt der reale Wert heute bei 134 g. Da hohe Strafzahlungen drohen, hat der Verband der Autoimporteure «Auto Schweiz» das Ziel «10/20» herausgegeben, das besagt, dass 10 % aller Neufahrzeuge 2020 einen Stecker haben sollen (E-Fahrzeuge oder Plug-In-Hybride). Das entspräche einer Verdoppelung des Marktanteils innert zweier Jahre. Etliche Länder und Regionen (UK, Dänemark, Paris) planen, ab 2030/2040 keine Verbrenner mehr neu zuzulassen oder die Fahrt mit Verbrennern in ihrem Gebiet komplett zu verbieten.

Überlegenheit von E-Fahrzeugen

Je nach Anwendungsfall und Fahrleistung sind E-Fahrzeuge bereits heute günstiger als vergleichbare Verbrenner. Hauptgrund dafür ist neben den massiv gesunkenen Batteriepreisen (je nach Quelle um zwei Drittel in den letzten fünf Jahren) der wesentlich einfachere und damit wartungsärmere Aufbau der Fahrzeuge; die Motoren sind beispielsweise praktisch wartungsfrei. Ebenso dürften neue grosse Batterien eine Lebensdauer von 300 000 km und mehr haben. Auch in der Anwendung können neue E-Fahrzeuge mit Verbrennern mithalten. Die Reichweiten vieler neuer E-Fahrzeuge liegen bei realen 400 km und mehr. Kombiniert mit einem Schnellladenetz (Ladeleistung von 100 kW und mehr) sind je nach Fahrprofil auch Ultralangstreckenfahrten (500 km+) mit geringen oder keinen zeitlichen Einschränkungen möglich. Sofern die Energie für die Produktion und für den Antrieb erneuerbar erzeugt wird und die Batterien beispielsweise im Haushalt weiterverwendet und/oder recycelt werden, sind E-Fahrzeuge deutlich ökologischer als Verbrenner.

Dieser Wandel kann sich unter den richtigen Rahmenbedingungen ziemlich schnell vollziehen. Förderungen und Anreize aller Art sind nach wie vor entscheidend. Aber auch gute neutrale Beratung und unkomplizierte Möglichkeiten, E-Fahrzeuge auszuprobieren, erhöhen deren Akzeptanz.

Konkrete Entwicklung des Automobilmarktes bis 2030

Dank des grossen technischen Entwicklungspotenzials könnten E-Fahrzeuge bald sowohl technologisch als auch wirtschaftlich in allen Klassen und in den meisten Anwendungsfällen überlegen sein. Häufig wird dabei das Jahr 2025 genannt, ab welchem in allen Autoklassen nichts mehr für den Kauf eines Verbrenners sprechen dürfte. Vorerst stellt aber weiterhin vor allem für Stadtbewohner die Lademöglichkeit zu Hause eine Herausforderung dar. Es gibt zwar internationale Bestrebungen, Mieter zum Einbau einer Lademöglichkeit in der Garage zu berechtigen, doch aktuell kann das durch die Eigentümer noch verhindert werden.

Die Strategien von VW, Daimler und BMW sehen für E-Fahrzeuge einen Marktanteil von 20–25 % aller 2025 verkauften Neufahrzeuge vor. Auf Basis einer Metastudie der Universität Hamburg gehen Schätzungen von Vorarlberg Netz davon aus, dass E-Fahrzeuge 2025 einen Anteil von 9 % am Bestandsmarkt stellen. Das wären über 5 Millionen E-Fahrzeuge alleine in der DACH-Region (Deutschland-Österreich-Schweiz).

Der zweite grosse Trend in der Autobranche ist das selbstfahrende (autonome) Fahrzeug. Da diese Entwicklung noch in ihren Anfängen begriffen ist, lässt sie sich weniger sicher prognostizieren als jene der Antriebsart. Ausserdem setzt der Einsatz von autonomen Fahrzeugen im Gegensatz zu E-Fahrzeugen eine umfassende Anpassung von Gesetzen, Verordnungen, gelernten Verhaltensweisen und ethischen Grundsätzen voraus.

Dennoch sollte die Dynamik nicht unterschätzt beziehungsweise die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass sich autonome Fahrzeuge im nächsten Jahrzehnt durchsetzen. Die Google-Tochter Waymo fährt auf öffentlichen Strassen in Kalifornien seit Kurzem vollkommen fahrerlos, das heisst ohne Sicherheitspersonal im Fahrzeug, und sie will diesen Dienst massiv ausbauen. 20 000 ­weitere autonome Fahrzeuge sind bestellt.

Die weiteren Überlegungen basieren auf folgenden zwei Prämissen mit einem Zeithorizont von jeweils zehn Jahren:

  • Der Individualverkehr wird mit grosser Wahrscheinlichkeit grösstenteils elektrifiziert.
  • Autonome Fahrzeuge werden mit einer gewissen (tieferen) Wahrscheinlichkeit zu einem nennenswerten Bestandteil der Fahrzeugflotte.


Obwohl für beide Entwicklungen weder Wahrscheinlichkeit, Zeitpunkt, Geschwindigkeit noch die genaue Art der Änderung bekannt sind, werden sie sich stark auf das Verteilnetz auswirken. Wie diese Auswirkungen aussehen könnten und welche Möglichkeiten vor allem Verteilnetzbetreiber (VNB) haben, wird im Folgenden beispielhaft an den Einschätzungen einiger VNB in Österreich erörtert.

Herausforderungen für Netzbetreiber

Generell erwartet die Allgemeinheit von den Netzbetreibern, dass die elek­trischen Netze die Zusatzleistungen ohne grossen Aufwand verkraften. So lässt sich ein einzelnes E-Fahrzeug auch ohne Weiteres an die weitverbreitete Kraftsteckdose in Garagen anstecken. Problematisch wird es bei einer grösseren Verbreitung von E-Fahrzeugen im Haushaltsbereich, wodurch die üblichen Leistungswerte markant zunehmen. Damit sich E-Fahrzeuge volkswirtschaftlich sinnvoll integrieren lassen, braucht es Massnahmen zur Schonung der Verteilnetze. Entscheidend ist dabei, wie viel, wie schnell und wie netzschonend sich E-Fahrzeuge durchsetzen werden. Die Netzbetreiber beobachten daher mit einer ge­wissen Anspannung eine Reihe von Faktoren.

5-%-Durchdringung als kritische Marke im Jahr 2023

Studien von Vorarlberg Netz mit umfangreichen Netzsimulationen zeigen, dass es beim Laden mit 11 kW beziehungsweise 22 kW in einem ländlichen oder vorstädtischen Netz bereits ab einer Durchdringungsrate von 5 % im Bestand zu Spannungsbandproblemen kommt und Netzausbauten nötig werden. Besonders betroffen sind Netze mit einem hohen Anteil von Doppeltarifzählern. Wird beispielsweise für einen Energiebedarf von 12 kWh die ganze Nacht hindurch (zum Beispiel von 23 bis 5 Uhr) mit theoretischer Minimalleistung (zum Beispiel 2 kW) «langsam» geladen, treten erst bei einem deutlich höheren Anteil von E-Fahrzeugen Probleme auf.

Mit «Langsamladung» kann für die Volkswirtschaft also viel Geld gespart werden. Jedoch erhöhen sich beispielsweise die Ausgaben für zusätzliche Netzstationen bereits heute, da sich beim Neubau von Wohnanlagen der Standard «E-Mobility ready» in Österreich vielerorts etabliert hat. Netzbetreiber müssen sehr früh während der Neubauerrichtung Netzstationen einschliesslich Kabeleinbindungen in der Grössenordnung von 100 000 Euro bauen, da die Anwohner einen nachträglichen Einbau oft nicht akzeptieren. Solange jedoch nur wenige E-Fahrzeuge in den Tiefgaragen zu laden sind, bedienen solche Anlangen in der Praxis nur einen geringen Lastzuwachs. Aus heutiger Sicht wird etwa 2023 die 5-%-Durchdringung überschritten, womit sich der Druck für den mit gros­sen Zusatzkosten verbundenen Netzausbau erhöht.

Netzausbau ist langsamer als die Autoindustrie

Die CO2-Grenzwerte der EU ab 2020 und vor allem die darauffolgenden Verschärfungen können nur durch lokal emissionsfreie Fahrzeuge eingehalten werden. Um eine grosse Anzahl von E-Fahrzeugen zu laden, werden umfangreiche Netzausbauten notwendig. Ein solcher Netzausbau samt Genehmigungsverfahren, Tiefbau und Netzmontagen verläuft aber deutlich langsamer als eine allenfalls auf Hochtouren arbeitende E-Fahrzeugproduktion. Demnach steigt der Druck auf alle Stakeholder, rasch auf allen Ebenen eine netzfreundliche Integration von E-Fahrzeugen zu unterstützen. Die Netzbetreiber bieten hierzu Hand.

Die Netztarife berücksichtigen bislang keine E-Fahrzeuge

Die Haushalte sind seit Langem technisch imstande, dem Netz eine vergleichsweise hohe Leistung zu entnehmen. Da die Haushalte mit den üblichen Betriebsmitteln jedoch meist keinen nennenswerten Leistungsbezug darstellen, war das in der Vergangenheit selten relevant. Das ändert sich nun schlagartig mit der Elektromobilität und der etablierten 11-kW-Standard-Ladeleistung. Eine wirkungsvolle Leistungspreiskomponente im Netztarif kann dem entgegenwirken. Mit Smart Metern kann diese in Österreich flächendeckend umgesetzt werden, sobald der Rollout zirka 2023 abgeschlossen ist.

Energietarife mit einer zeitlichen Staffelung – beispielsweise der vielerorts bekannte «Nachtstrom» - können zu gefährlichen Lastspitzen im Netz führen. Der deutlich günstigere Energietarif wird gerne genutzt, um leistungsstarke Geräte zu betreiben. Wird nun die Elektromobilität addiert, werden Netzüberlastungen provoziert. Diese lassen sich einfach vermeiden, indem mit geringer Ladeleistung (zum Beispiel 4 kW 3-phasig) netzschonend über die ganze Nacht geladen wird.

Ein verursachergerechtes Netzentgeltsystem ist eine effiziente Möglichkeit, erhebliche Netzzusatzkosten zu vermeiden. Hier gilt das Motto: «Laden mit kleiner Leistung schont das Portemonnaie!»

Intelligente Technik kann helfen

In den letzten 15 Jahren gelang es mit intelligenter Technik, einen massiven Zubau von Photovoltaik (PV) kosteneffizient in die Netze zu integrieren. Moderne PV-Wechselrichter sind heute mit Wirk- und Blindleistungsmanagement samt Kommunikationsschnittstellen ausgestattet und ermöglichen, eine deutlich höhere Leistung in die Bestandsnetze einzuspeisen als früher. Die Grenzleistung für einphasige Einspeisung wurde in Österreich zudem auf 3,68 kVA gesenkt. Auch für das Laden von E-Fahrzeugen empfiehlt es sich, solche netzfreundlicheren Massnahmen anzuwenden. Die Netzbetreiber Österreichs erarbeiteten dafür einen Leitfaden, der nun praktisch erprobt wird. Ziel dabei ist, die Regelwerke für diese neue Netzanforderung so zu modernisieren, dass die Zuwachskosten in die Netze gedämpft werden können.

Grosse Unsicherheiten für die Netzbetreiber

Die Netzbetreiber befinden sich im Dilemma: Sie sollen die elektrischen Netze zeitgerecht für das «Laden von E-Fahrzeugen möglichst überall und jederzeit» ertüchtigen. Gleichzeitig sind eine langfristige Nutzung und damit die Wirtschaftlichkeit der Investitionen nicht gesichert. Elektrische Netze sind sehr teuer und die Betriebsmittel sind zum Teil für eine Nutzung von über 50 Jahren ausgelegt. Wenn Netzbetreiber in Netzverstärkungen investieren, sind sie aktuell mit folgenden Unsicherheiten konfrontiert:

Welche Antriebsart setzt sich letztlich durch? Derzeit lassen alle Indikatoren (Politik, Marktentwicklung, Ladenetz, Investitionen, neue Modelle, Preisentwicklung usw.) vermuten, dass sich E-Fahrzeuge durchsetzen werden. Dennoch müssen alle Entwicklungen beobachtet werden. Beispielsweise könnte günstiger Überschussstrom aus erneuerbaren Energien die Entwicklung von synthetischen Kraftstoffen oder Wasserstoff begünstigen, selbst wenn ihr Gesamtwirkungsgrad wesentlich schlechter ausfällt als bei E-Fahrzeugen.

Sollte sich die Elektromobilität nicht wie skizziert durchsetzen, müssten VNB hohe «stranded investments» abschreiben. Bei diesen Kosten handelt es sich um Investitionen, welche die VNB im Rahmen ihrer gesetzlichen Pflicht tätigen, um die Netze zu verstärken und die Leistungsabdeckung zeitgerecht zu gewährleisten, die sich dann aber aufgrund des Wegbrechens der Lasten nicht auszahlen.

Wird sich autonomes Fahren durchsetzen? Autonomes Fahren wird voraussichtlich einen nennenswerten Marktanteil einnehmen. Ob respektive wann sich autonomes Fahren aber durchsetzt, ist sehr unsicher. Falls es sich durchsetzen sollte, könnten autonome Fahrzeuge in zentralen Mobilitätshubs gewartet, geparkt, geladen und von dort via Handy-App abgerufen werden. Solche Hubs wären an die Mittelspannung mit eigener Trafostation angeschlossen. Auch bei diesem Szenario drohen «stranded investments» in bereits verstärkten Nie­­derspannungsnetzen.

Investitionen ins Netz gering halten

Wenn davon ausgegangen wird, dass sich E-Fahrzeuge durchsetzen und autonomes Fahren – wenngleich etwas später – zu einem wichtigen Faktor avanciert, können folgende Schlussfolgerungen für VNB getroffen werden:

  • Zwischen 2020 und 2030 werden VNB viel investieren müssen, um Ladestationen in das Netz zu inte­grieren.
  • Die Anforderungen können sich pro VNB deutlich unterscheiden und hängen vor allem vom Netzaufbau und der konkreten Durchdringung mit E-Fahrzeugen ab.
  • Die Umsetzung kann VNB extrem fordern.
  • Gleichzeitig ist unsicher, ob dezentrale Ladestationen in den Niederspannungsnetzen ab 2030 wegen autonomen Fahrzeugen noch in gleichem Mass benötigt werden.

Investitionen in das Netz sollten daher möglichst gering gehalten werden beziehungsweise sollten Massnahmen getroffen werden, um die Netzausbauten mindestens so lange zu verzögern, bis mehr Klarheit über die langfristigen Netzanforderungen herrscht. Dieses Vorgehen entspricht dem Nova-Prinzip (Netzoptimierung vor Ausbau). Dafür bieten sich leistungs- oder zeitgebundene Tarife und ein netzfreundliches Lademanagement an. In allen Belangen hilft das Laden mit möglichst kleiner Leistung unter Nutzung der verfügbaren Zeit.

Die Netzbetreiber arbeiten intensiv an modernen Lösungen, um Elektromobilität als neue Netzdienstleistung kosten­effizient und für die Kundinnen und Kunden möglichst unkompliziert zu ermöglichen. Dazu braucht es gegenseitiges Verständnis und einen Beitrag aller Stakeholder. Elektromobilität unterstützt die Klimaziele und sie wird - mit Rücksichtnahme auf die Netze - ebenso gelingen wie sämtliche Elektrifizierungsschritte in der Vergangenheit.

Weiterführende Quellen

ADAC 10/2018 (zum Kostenvergleich Verbrenner vs. E-Fahrzeuge).

Metastudie Elektromobilität der Uni Hamburg (2016) (zu möglichen Ausbauszenarien).

Bloomberg New Energy Finance: Electric Vehicle Outlook (zu möglichen Ausbauszenarien).

Masterarbeit Lukas Schober (2017, FH Vorarlberg) (zu möglichen Ausbauszenarien).

ADAC 03/18 (zur ökologischen Bewertung).

Autor
Matthias Rauh

ist Senior Consultant bei AWK Group AG.

  • AWK Group AG, 8050 Zürich
Autor
Josef Stadler

ist strategischer Netzplaner bei Wels Strom.

  • Wels Strom GmbH, A-4600 Wels
Autor
Reinhard Nenning

ist Teamleiter Netzplanung und Power Quality bei Vorarlberg Netz.

  • Vorarlberger Energienetze GmbH, A-6900 Bregenz

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