Rückschau Hardware , Infrastruktur

Elektrische Kontakte unter der Lupe

ICEC 2020, 7. bis 11. Juni 2021

11.06.2021

Elektrische Kontakte sind so ziemlich das grundlegendste und auf den ersten Blick einfachste, was man in elektrischen Schaltkreisen finden kann. Seit über einem Jahrhundert schalten sie elektrischen Strom ein und aus. Sind sie also technisch ausgereift? Ja und nein, denn trotz der erreichten Zuverlässigkeit sind in diesem Gebiet noch zahlreiche Fragen offen. Dies wurde an der von Electrosuisse organisierten dreissigsten Austragung der internationalen Konferenz über elektrische Kontakte klar.

Pandemiebedingt musste man die fünftägige Konferenz vom Bodenseegebiet in die digitale Welt verlegen. Eröffnet wurde die Konferenz am 7. Juni 2021 mit einem Begrüssungswort von Hiroshi Inoue, dem Chairman des ICEC Advisory Boards sowie Werner Johler, dem Chairman der Konferenz.

Bereits die Anzahl Präsentationen deutete darauf hin, dass Schalter und Stecker nicht so einfach sind, wie man meinen könnte. Das internationale Interesse zeigte die Relevanz von Schaltern auf: Von den über 90 Papers kamen 35 aus Deutschland, 15 aus China, 11 aus Japan, 9 waren einheimischen Ursprungs, 7 aus Frankreich. Die weiteren Vorträge kamen aus den Vereinigten Staaten, Österreich, Italien, Polen und Grossbritannien. Kasachstan, Norwegen und Rumänien steuerten auch je einen Vortrag bei.

Das Spektrum der behandelten Themen war sehr breit. Nebst den Schaltergrundlagen und Phänomenen wurde die Behandlung von Lichtbögen diskutiert, Kontaktmaterialien vorgestellt und die Unterschiede zwischen Hochleistungskontakten und solchen für geringe Ströme und Spannungen erläutert. 

Die ersten Vorträge waren den Grundlagen gewidmet: den Kontaktphänomenen und dem Design. Der in die Vereinigten Staaten übersiedelte Engländer Paul Slade, bereits in seinen Achtzigern, gab einen Überblick über die historischen Entwicklungen der Schaltkreissteuerung. Er hat die Trends persönlich seit der ersten ICEC-Konferenz 1961 bis heute mitverfolgt und war an gewissen Entwicklungen auch selber beteiligt. Anfänglich wurden noch keine Computer eingesetzt, man begnügte sich mit dem Rechenschieber. Experimente wurden mit Multimetern und Oszilloskopen durchgeführt. Damals repräsentierten die Magnetic Air Circuit Breaker und die Minimum Oil Circuit Breaker den Stand der Technik, und der Power Vacuum Interruptor kam zu dieser Zeit gerade auf.

Paul Slade stellte auch die Entwicklungen bei den Computern vor, ohne die die Optimierungen bei den Schaltern kaum möglich gewesen wären. Lichtbogen-Phänomene konnten ohne Rechner nicht genauer analysiert werden. Durch die Analyse von elektrischen und magnetischen Feldern führte der Einsatz von Rechnern zu leistungsfähigeren Schaltern, die für höhere Spannungen und Ströme geeignet waren. Auch materialtechnische Entwicklungen wurden skizziert, beispielsweise, dass Zinn das als schädlich erkannte Cadmium ersetzte. Die Kontaktmaterialien sind eigentlich ein Forschungsgebiet für sich, das bezüglich Vielseitigkeit den anderen Bereichen in Nichts nachsteht. Der Markteintritt der Halbleiterschalter IGBT und IGCT mischte zwar die Situation auf, aber die Vakuumschalter zeigten sich als standhafter als erwartet. Sie liessen sich nicht komplett ersetzen, weil sie gewisse Eigenschaften aufweisen, die für Halbleiter aus physikalischen Gründen unerreichbar bleiben.

Am letzten Tag wagte man einen spannenden Blick in die Zukunft: Neue Technologien und Entwicklungen wurden vorgestellt, beispielsweise Alternativen zum Schwefelhexafluorid als Isolationsgas im Hochspannungsbereich.

Bei diesem wie auch den anderen Vorträgen wurde klar, dass die Arbeit an Schaltern bei weitem nicht abgeschlossen ist, unter anderem, weil die Elektronik, die auf sie angewiesen ist, kontinuierlich weiterentwickelt wird und immer höhere Anforderungen an die Schalter stellt. Die grösste Herausforderung ist heute der wachsende Anteil an Gleichstrom-Anwendungen, der besonders in den Bereichen der Stromübertragung, -verteilung, der PV-Anlagen und der Elektromobilität deutlich zunimmt. Denn das Abschalten von hohen Gleichströmen ist viel schwieriger als bei Wechselströmen, bei denen man vom Nulldurchgang profitiert. Bei Gleichstrom müssen zur Löschung des Lichtbogens Hilfsmittel eingesetzt werden, die es beispielsweise überhaupt möglich machen, diese zu entdecken.

An der ICEC 2020 erhielten Schalter- und Steckerexperten wertvolle Einblicke in Forschungsprojekte weltweit. Sie konnten auch bezüglich Methodik und neuen Analysetools (Simulationen, Elektronenmikroskopie) Neues kennenlernen. Ingenieure konnten sich mit Schalteraspekten vertraut machen, zu denen sie sonst keinen Zugang haben, beispielsweise den Gründen für die diversen Ausfallmechanismen. Komponenten, die sonst einfach wie eine richtig dimensionierte Blackbox eingesetzt werden, lernte man «von innen» kennen – und konnte plötzlich gewisse Angaben in Datenblättern mit den physikalischen Phänomenen in Verbindung setzen.  Obwohl bei der Online-Durchführung der Konferenz ab und zu technische Probleme auftraten und unter den vielen Kontakten der persönliche ein wenig fehlte, waren die Teilnehmenden mit dem Event durchaus zufrieden. Vielleicht kam bei manchen Schalterexperten sogar Vorfreude auf den nächsten, physisch durchgeführten ICEC-Event 2022 auf, denn persönliche Gespräche sind angenehmer als Bildschirmkonversationen. Der Forschungs- und Gesprächsstoff dürfte ihnen auf alle Fälle nicht so schnell ausgehen.

Autor
Radomír Novotný

ist Chefredaktor des Bulletins Electrosuisse.

  • Electrosuisse
    8320 Fehraltorf

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