Elektrische Antriebe digital optimieren
Effizienzsteigerungen und Synergien
Die Effizienz von Elektromotoren und Antriebssystemen lässt sich durch einen optimierten Betrieb sowie durch richtig dimensionierte Komponenten steigern. Vermehrt werden aber auch digitale Ansätze genutzt, um elektrische Antriebssysteme effizienter zu betreiben.
Eine internationale Kollaboration der Länder Österreich, der Niederlande, Schweden und der Schweiz hat untersucht, welche Möglichkeiten die Digitalisierung bei elektrischen Antrieben bietet und welches energetische Einsparpotenzial durch sie erschlossen werden kann. Die Arbeiten fanden im Rahmen der Technology Collaboration Programme 4E Electric Motor Systems Platform statt. Die Resultate wurden in vier Berichten in englischer Sprache veröffentlicht:
- Teil 1: Erkenntnisse für politische Entscheidungsträger [1]
- Teil 2: Technische Empfehlungen für industrielle Endverbraucher [2]
- Teil 3: Katalog von Fallstudien [3]
- Teil 4: Energieverbrauch durch die Digitalisierung von Antriebssystemen [4]
Die Fallstudien zeigen auf praxisnahe Weise auf, welche Massnahmen zu welchen Optimierungen führen können. Industriefirmen können sich durch die Studien inspirieren lassen, solche Massnahmen auch bei sich in Betracht zu ziehen.
Was ist Digitalisierung in diesem Kontext?
Das Wort Digitalisierung deckt ein sehr breites Spektrum an Technologien ab. Bei den elektrischen Antrieben kommen digitale Ansätze in den folgenden vier Bereichen vor. Der erste Bereich bezieht sich auf die Kommunikation zwischen den Komponenten und umfasst Sensoren, das Internet der Dinge und intelligente Steuerungselemente. Beim zweiten Bereich geht es um eine Optimierung des Betriebs mit Datenanalyse und Monitoring. Der dritte Bereich betrifft Technologien, die weitere Vorteile schaffen können, nämlich KI, digitale Zwillinge, cloudbasierte Dienste oder Augmented Reality. Schliesslich gibt es noch am Rande Technologien wie additive Herstellung oder Drohnen, die weitere Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung erschliessen. Wie viel welche Digitalisierungstechnologie bewirken kann, ist in Bild 1 dargestellt.
Passive Rolle der Digitalisierung
In der Digitalisierungsstudie [3] wurden acht industrielle Firmen aus unterschiedlichen Bereichen untersucht, wobei je vier Firmen die Digitalisierung passiv bzw. aktiv eingesetzt haben.
Bei der «passiven» Rolle geht es darum, Einsparmöglichkeiten durch die Bereitstellung von Informationen (Messdaten) zu finden, um Optimierungsmassnahmen umsetzen zu können. Bei der «aktiven» Rolle hat die digitale Technologie direkten Einfluss auf den Energieverbrauch eines Antriebssystems, beispielsweise durch eine intelligente Steuerung.
Betrachten wir zunächst die Firmen, die eine passive Rolle der Digitalisierung genutzt haben: Yorkshire Water, Priot (Eigenschreibweise PRiOT), BMW und Smurfit Kappa.
Für die Zustandsüberwachung seiner Pumpen hat sich die englische Wasserversorgungs- und Abwasserentsorgungsfirma Yorkshire Water für die elektrische Signaturanalyse (ESA) entschieden. Dabei werden die Spannungen und Ströme aller drei Phasen der 4000 Anlagen rund um die Uhr mit hoher Abtastrate überwacht. Auf diese Weise werden mechanische und elektrische Fehler bei den Lagern, Kupplungen, Riemen und den Motoren entdeckt. Die Investitionen dieses Projekts für Hardware und Dienstleistungen, das von 2023 bis 2025 ausgeführt wurde, beliefen sich auf 11,5 Mio. EUR. Die Amortisierungszeit dürfte zwei bis drei Jahre betragen. Die Energie- und CO2-Einsparungen werden voraussichtlich bis zu 15% betragen.
Beim Burgdorfer Unternehmen Priot, einem Anbieter für IoT-Gesamtsysteme, geht es um Luft statt um Wasser. Die Firma betreut ein Netzwerk von über 5000 Kühlungslüftern im IT-Bereich und setzte IoT-Sensoren ein, um verstopfte Luftfilter in rund 2000 Lüftungssystemen an Serverstandorten zu erkennen und so einen genaueren Zeitpunkt für den Filterwechsel zu ermitteln. Findet die Filterverstopfung zwischen zwei geplanten – früher manuellen – Kontrollen statt, kann dies sofort behoben und unnötiger Energieverbrauch vermieden werden. Die Vorteile dieser Lösung sind Einsparungen beim Strom und beim Wartungsbedarf vor Ort, eine optimierte Filterlebensdauer, eine schnellere Fehlererkennung und ein promptes Eingreifen bei Problemen. In einem konkreten Fall konnten 20% des Stroms eingespart werden.
Die 4500 Mitarbeitende des BMW-Werks im österreichischen Steyr entwickeln und produzieren Diesel- und Benzinmotoren sowie Komponenten für die Elektromobilität. Das Unternehmen hat ein umfassendes Datenerfassungs- und Überwachungssystem eingerichtet, das den Strom- und den Druckluftverbrauch erfasst. Dazu gehört die Visualisierung des Stromverbrauchs auf Produktionslinienebene, damit beispielsweise der Energieverbrauch für die Herstellung einzelner Komponenten ermittelt werden kann. Künftig werden auch die Kühlwasser-, die Kaltwasser- und die Kühlflüssigkeitsmengen sowie die genutzte Wärme gemessen. Pro Linie wurden Grundlastziele in kW für produktionsfreie Zeiten festgelegt. Durch die Umsetzung dieser Art von Grundlastmanagement in den Jahren 2016 und 2019 konnten bisher 52% der ursprünglichen elektrischen Grundlast sowie 14% der Druckluftgrundlast eingespart werden. Im Vergleich mit den Energieeinsparungen fällt der für die Datensammlung und Auswertung benötigte Stromverbrauch kaum ins Gewicht.
Die Optimierung der Produktionsabläufe mittels Digitalisierung stand bei Smurfit Kappa, einem schwedischen Hersteller von Verpackungskarton, im Fokus. Bei einer jährlichen Produktionskapazität von bis zu 700'000 t Karton lohnen sich schon kleinere Verbesserungen. Für die Produktionsplanung wurde ein simulationsbasiertes Tool eingeführt, das mit Echtzeitdaten ermöglicht, datengestützte Entscheidungen zu fällen. Früher wurden nur historische Daten und das Bauchgefühl der Produktplaner eingesetzt. Auch die täglichen Abläufe wurden angepasst, denn nun findet jeden Morgen ein kurzes Planungsmeeting statt, in dem die Analysedaten für einen Feinabgleich der Produktion berücksichtigt werden. Dies ergibt eine höhere betriebliche Flexibilität, reduziert den Stromverbrauch und sorgt für einen reibungsloseren Betrieb der Anlage und tiefere Wartungskosten. Zudem ist die energetische Flexibilität höher, es lässt sich also besser auf veränderte Nachfrage- oder Strompreissituationen reagieren. Da es nicht nötig war, neue Sensoren oder andere Hardware zu installieren, beschränkten sich die Investitionen auf die Einführung einer neuen Software und der nötigen Ausbildung des Personals. Obwohl für die Verwendung der Modellierungssoftware regelmässig Kosten anfallen, sollen die Investitionskosten nach etwa zwei Jahren amortisiert sein.
Aktive Rolle der Digitalisierung
Von den untersuchten Firmen setzten vier auf eine aktive Rolle der Digitalisierung: Ikea, Hamilton Bonaduz, Innio Jenbacher sowie Coca Cola HBC Austria. Bei Hamilton und Coca Cola wurde auch die Hardware erneuert.
Das schwedische Möbelhaus Ikea hat ein Projekt durchgeführt, bei dem an bestimmten Standorten die Prinzipien der Lastverschiebung in Kühlhäusern getestet wurden. Die Kühlung wird für die Restaurants und die Lebensmittelgeschäfte eingesetzt. 2018 hatte Ikea in den rund 400 Restaurants global rund 650 Millionen Gäste, was einen beträchtlichen Energieaufwand für die Kühlung erfordert. Finanziert wurde das Projekt durch die schwedische Innovationsagentur Vinnova. Das Projekt ermöglichte es, die Lasten für die Kühlung in die Nachtstunden zu verlagern. Es demonstrierte, dass sich der Stromverbrauch gleichmässiger verteilen lässt, wenn die gespeicherte Kühlenergie während dem Tag zu Spitzenzeiten genutzt wird. Durch tiefere Strompreise und niedrigere Aussentemperaturen in der Nacht konnten für die Kühlung Kosten reduziert und Energie gespart werden. Zudem wurde durch die Feinabstimmung von Steuerparametern die Anzahl der Kompressorstarts deutlich reduziert, was die Lebensdauer der Komponenten verlängert und zu höherer Effizienz führt. In Spitzenzeiten wurde der Verbrauch um die Hälfte reduziert. Zusammen mit anderen Massnahmen zur Betriebsoptimierung wurde ein Fünftel weniger Strom verbraucht.
Bei den Unternehmen Hamilton Bonaduz und Hamilton Medical, die im Kanton Graubünden medizinische Geräte sowie Laborausrüstungen entwickeln und herstellen, ging es um die Überarbeitung des Druckluftsystems. Für die Produktionsmaschinen wird ein Luftdruck von 7,5 bar genutzt. Dazu waren fünf Kompressoren installiert, zwei davon mit variabler Geschwindigkeit. Das Druckluftsystem arbeitet kontinuierlich, aber es waren nicht immer die gleichen Kompressoren im Einsatz, denn sie werden je nach Prozessbedarf zu- oder abgeschaltet.
Der Einsatz von Kompressoren mit fester Drehzahl für die Grundlast und mit variabler Drehzahl für den jeweiligen Verbrauch, kombiniert mit dem neu installierten Druckluftmanagementsystem, das das System mit um 0,5 bar tieferem Druck betreibt, führte zu einer Stromeinsparung von 16%. Das Druckluftmanagementsystem ermöglicht Kompressor-Retrofits sogar anderer Hersteller.
Bei Coca-Cola HBC Austria stand die Optimierung der Lüftung im Vordergrund, um den Energiebedarf während der produktionsfreien Zeiten zu reduzieren (Bild 2). Die Firma stellt in Edelstal, Österreich, Getränke her. Vor der Optimierung betrug der Stromverbrauch der grössten 18 Belüftungsanlagen in der Fabrik rund einen Zehntel des gesamten Stromverbrauchs, also rund 3 GWh. Die Lüftungsanlagen wurden in das neu installierte Gebäudemanagementsystem integriert. Dabei wurden Anlagen, die bisher nicht variabel betrieben werden konnten, mit einer Ansteuerung für variablen Betrieb ausgerüstet. Zudem wurde untersucht, bei welchen kritischen Produktionsmaschinen zu welcher Zeit der maximale Luftfluss garantiert sein muss, um ausserhalb dieser Zeiten den Luftfluss zu reduzieren. Insgesamt wurde der Energiebedarf im Normalbetrieb um etwa 15% gesenkt. Die Amortisationszeit für die Massnahmen betrug weniger als drei Jahre.
Ein weiteres Beispiel ist Innio Jenbacher, ein Unternehmen, das in Jenbach, Österreich, Gasmotoren herstellt. Die Firma hat den Energieverbrauch während der betriebsfreien Zeit am Wochenende kritisch überprüft und neue Schwellenwerte für den Energie- und Druckluftbedarf festgelegt (Bild 3). Deren Verbräuche werden durch einen wöchentlichen Bericht überwacht, der gezielte Eingriffe bei Unregelmässigkeiten ermöglicht. Dadurch konnte der Bedarf an elektrischer Energie und Druckluft der überwachten Maschinen am Wochenende um 30% gesenkt werden. Dies entspricht einer jährlichen Einsparung des Energieverbrauchs von etwa 200 Haushalten. Nebeneffekt der Strategie ist, dass das Energiemonitoring auf Fehler wie Leckagen aufmerksam macht, die sonst unentdeckt bleiben und den Energieverbrauch unnötig erhöhen würden.

Fazit
Die Auswertung der Fallstudien führte zu mehreren Einsichten. Durch die Digitalisierung stellten sich die Unternehmen die grundsätzliche Frage, wann und wie Energie in den Prozessen verwendet wird. Somit wurde Transparenz geschaffen, die Optimierungen ermöglicht.
Das Einsparpotenzial unterscheidet sich von Firma zu Firma beträchtlich. Es hängt hauptsächlich davon ab, ob die von der Digitalisierungslösung bereitgestellte Information auch wirklich zur Erhöhung der Energieeffizienz eingesetzt wird und wie die Ausgangslage aussieht, d. h. ob bereits optimierte Antriebe vorhanden sind und Vorarbeiten geleistet wurden oder ob veraltete Systeme installiert sind.
Die Digitalisierung bei elektrischen Antrieben kann nicht nur Energie sparen, sondern wirkt sich auch in anderen Bereichen positiv aus: Sie reduziert Produktionsunterbrüche und Unterhaltsarbeiten, erhöht die Lebensdauer der Komponenten und führt schliesslich zu einer höheren Produktionskapazität.
Referenzen
[1] Konstantin Kulterer, Deyan Dimov, Peter Bennich, Roger Nordman, Maarten van Werkhoven, Rita Werle, «Digitalisation in electric motor systems – Part I: Findings for policy makers», EMSA, 2024.
[2] Konstantin Kulterer, Deyan Dimov, Peter Bennich, Roger Nordman, Maarten van Werkhoven, Rita Werle, «Digitalisation in electric motor systems – Part II: Technical recommendations for industrial end-users», EMSA, 2024.
[3] Rita Werle, Peter Bennich, Frank Hartkamp, Pascal Kienast, Konstantin Kulterer, Valeria Lundberg, Roger Nordman, Maarten van Werkhoven, «Digitalisation in electric motor systems – Part III: Catalogue of case studies», EMSA, 2024.
[4] Fabian Eichin, Rita Werle, Maarten van Werkhoven, «Digitalisation in electric motor systems – Part IV: Energy consumption due to the digitalisation of electric motor systems», EMSA, 2024.
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