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Einschätzungen zur Energiestrategie 2050

Die Sicht der Politik

Am 21. Mai stimmen die Schweizerinnen und Schweizer über die Energiestrategie 2050 ab. Bulletin.ch befragte sieben Energiepolitikerinnen und -politiker aus unterschiedlichen Parteien zu ihren Einschätzungen und Erwartungen im Zusammenhang mit der Energiestrategie 2050.

Frage 1: Was ist die grösste Errungenschaft / das grösste Problem der ES2050?

Martin Bäumle, Nationalrat GLP/ZH

«Das Paket ist ein ausgewogener Mix an Massnahmen für einen schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie, weniger Öl und Gas und dafür mehr Energie-Effizienz und Erneuerbare. Mit den Zielen wird ein wichtiges Signal für den Willen zum Umbau des Energiesystems gesetzt. Ein zentraler Punkt ist die Stärkung der Eigenverbrauchsregelung, welche neue Geschäftsmodelle gerade auch für die Branche ermöglicht und auch kleinen Produzenten ohne jahrelange Subventionen den Bau von Solaranlagen ermöglicht.»

Werner Luginbühl, Ständerat BDP/BE

«Neue Kernkraftwerke heutiger Bauart finden in der Schweiz weder eine Mehrheit in der Bevölkerung noch sind mögliche Investoren absehbar. Angesichts dieser Fakten ist es wichtig, dass nun Klarheit und Planungssicherheit geschaffen werden. Das Prinzip Hoffnung scheint mir keine taugliche Strategie. Insofern bin ich froh, dass das Volk über die Energiestrategie 2050 entscheiden kann.»

Stefan Müller-Altermatt, Nationalrat CVP/SO

«Mit der Energiestrategie haben wir ein Bekenntnis für Schweizer Energie geschaffen. Wir möchten weg von der fossilen Abhängigkeit vom Ausland und setzen auf unsere eigenen Ressourcen. Zudem präsentieren wir eine Alternative zur in der Bevölkerung nicht mehr akzeptierten Atomenergie. Mit oder ohne Energiestrategie werden die Schweizer AKW bald vom Netz gehen, nur mit der Energiestrategie sind wir aber darauf vorbereitet.»

Roger Nordmann, Nationalrat SP/VD

«Endlich sind die Grabenkriege zwischen der Wasserkraft und den neuen erneuerbaren Energien beendet. Eigentlich handelt es sich ja bei all diesen Energien um erneuerbare Energien, die sich gegenseitig ergänzen. Die Wasserkraft wird rund 60 Prozent der Stromversorgung sicherstellen, doch das vorhandene Wasser reicht nicht aus, um 100 Prozent zu erreichen. Und die neuen erneuerbaren Energien, insbesondere die Photovoltaik, werden diese Lücke nur mithilfe einer Zwischenspeicherung in Stauseen schlies­sen können. Eine weitere Gemeinsamkeit: Sie bedingen grosse Anfangsinvestitionen, sind aber sehr günstig im Betrieb. Investitionssicherheit ist folglich oberstes Gebot.»

Albert Rösti, Nationalrat SVP/BE

«Ein wesentlicher Schwachpunkt der Energiestrategie sind die riesigen Kosten, die sie verursachen wird, während gleichzeitig die Versorgungssicherheit sinkt. Die Strategie setzt ja stark auf erneuerbare Energie, insbesondere Solar- und Wind­energie. Alleine der Ausbau dieser Energieträger und der Umbau des Stromnetzes, der so notwendig wird, kosten bis über 100 Milliarden Franken bis 2050. Da Strom aus Sonne und Wind nur unter den entsprechenden Bedingungen produziert werden kann, sind Versorgungsengpässe absehbar.»

Martin Schmid, Ständerat FDP/GR

«Im Unterschied zur bundesrätlichen Botschaft findet die Wasserkraft Berücksichtigung und die Vorlage stellt einen Einstieg in den Ausstieg der KEV und in ein neues Marktmodell für den Strommarkt dar.»

Adèle Thorens Goumaz, Nationalrätin GPS/VD

«Der grosse Erfolg der Energiestrategie liegt darin, dass sie eine glaubwürdige Antwort auf die komplexe Frage liefert: Wie kann die Energieversorgung der Schweiz sichergestellt werden, wenn unsere Atomkraftwerke nach und nach vom Netz genommen werden und wir gemäss dem Übereinkommen von Paris unsere Abhängigkeit von fossilen Energieträgern reduzieren müssen?»

Frage 2: Wie geht es nach einem allfälligen Nein zur Energiestrategie am 21. Mai weiter?

Martin Bäumle, Nationalrat GLP/ZH

«Ich bin überzeugt, dass das Volk Ja zum ersten Schritt der Energiestrategie sagen wird, weil es keine Alternative gibt. Ein Nein würde die Erneuerbaren bremsen, die Wasserkraft noch mehr schwächen und nur zu massivem Import von Kohlestrom führen. Ein Nein verhindert Chancen für Wachstum und Innovation für unsere Industrie und unser Gewerbe und hinterliesse nur Verlierer und einen Scherbenhaufen.»

Werner Luginbühl, Ständerat BDP/BE

«Bei einem Nein kann die gewünschte oben erwähnte Klarheit nicht geschaffen werden. Die Abhängigkeit von fossilen Energien wird nicht verringert, die Wasserkraft kann nicht unterstützt werden und ein Abbau der vielen Gesuche auf der KEV-Warteliste ist nicht möglich. Zusammengefasst: Statt einen Schritt nach vorne, würden wir einen Schritt zurück machen. Weil wir uns aber der Realität nicht entziehen können, bliebe uns nichts anderes übrig, als ein neues angepasstes Massnahmenpaket zu erarbeiten.»

Stefan Müller-Altermatt, Nationalrat CVP/SO

«Ohne Energiestrategie steigt unsere Abhängigkeit vom Ausland bei der Energieversorgung und wir senden auch in den nächsten Jahrzehnten jährlich über 10 Milliarden Franken an Russland, nach Nordafrika und in den arabischen Raum. Dazu importieren wir dreckigen Kohle- und Atomstrom aus den umliegenden Ländern. Noch viel verheerender für die Schweizer Wirtschaft wäre aber, dass uns alle anderen Länder in den Bereichen Innovation und Energieeffizienz überholen würden. Ohne Energiestrategie verlagern wir diese Arbeitsplätze und Wirtschaftschancen ins Ausland.»

Roger Nordmann, Nationalrat SP/VD

«Bei einem Nein wird die Schweiz Stromimporte im grossen Stil tätigen müssen. Denn wenn die Atomkraftwerke aus Altersgründen geplant oder ungeplant vom Netz genommen werden, wird die Schweiz nicht genügend in neue Produktionskapazitäten für erneuerbare Energien investiert haben. Tatsächlich ist der Grosshandelsmarkt für Strom wegen einer Schwachstelle des Systems nicht in der Lage, die Investitionen zu finanzieren. Weiter wird ein Nein die Abhängigkeit von Erdölimporten auf dem heutigen Niveau einfrieren.»

Albert Rösti, Nationalrat SVP/BE

«Unsere Kernkraftwerke, die derzeit knapp 40 % unseres Stroms liefern, können noch lange Jahre sicher weiterlaufen. Das verschafft genügend Zeit, um Rahmenbedingungen zu schaffen, die insbesondere den Erhalt und den Ausbau der Wasserkraft ermöglichen. Ganz grundsätzlich ist es nicht am Staat zu sagen, wieviel Strom aus welcher Quelle produziert wird. Genau dieser planwirtschaftlich falsche Ansatz ist im neuen Energiegesetz mit der Förderung der ineffizientesten Stromproduktionsarten vorgesehen. Diese Fehlinvestitionen von jährlich über 1 Milliarde Franken sind mit einer Ablehnung des Gesetzes zu vermeiden.»

Martin Schmid, Ständerat FDP/GR

«Unabhängig vom Ausgang der Abstimmung ist das Thema jederzeitige Versorgung mit Strom nicht zu Ende diskutiert und die heutige Strommarktregulierung ein Flickwerk. Es braucht einen Gesamtblick und am Anfang eine Zieldefinition durch die Politik. Letztlich ist auch die Frage in einem teilliberalisierten Markt zu klären, wer für die Versorgungssicherheit verantwortlich ist. Kollektive Verantwortlichkeit ist für mich keine genügende Antwort auf diese Fragestellung.»

Adèle Thorens Goumaz, Nationalrätin GPS/VD

«Das wäre eine Katastrophe. Die Projekte für Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien, die auf ihre Bearbeitung durch die Behörden warten – es sind derzeit über 36 000 –, würden weiter zunehmen, und unsere Wasserkraftwerke erhielten keine Subventionen, obschon sie aufgrund der tiefen Strompreise stark unter Druck stehen. Die Schweiz, die auf diesem Gebiet schon jetzt nicht mehr führend ist, würde bei den erneuerbaren Energien noch mehr ins Hintertreffen geraten. Mit Beginn der Stilllegung der Atomkraftwerke würden wir immer stärker abhängig von Stromimporten. Mühleberg soll 2019 abgeschaltet werden, während Beznau 1 zurzeit wegen technischer Probleme ausser Betrieb ist.»

 

Frage 3: Was verstehen Sie unter Versorgungssicherheit?

Martin Bäumle, Nationalrat GLP/ZH

«Heute kommen Öl, Gas und Kernbrennstoffe aus dem Ausland und damit weit über 80 %. Mit dem Umbau des Energiesystems geht die Schweiz weg von Fossilen und Atom, wird im Inland mehr erneuerbare Energie erzeugen und wird damit und mit mehr Effizienz unabhängiger. Im Winter brauchen wir jedoch ab ca. 2035/40 mehr Speicherkapazität für eine hohe Eigenversorgung mit Strom – Power-to-gas/Power-to-liquid wird dabei eine Schlüsselrolle spielen. Zudem ist eine Optimierung und gezielte Verstärkung der Netzkapazitäten zwingend.»

Werner Luginbühl, Ständerat BDP/BE

«Die Versorgungssicherheit ist ein wichtiges Element der Energiepolitik. Im Grundsatz bedeutet Versorgungssicherheit, dass die benötigte Energie- respektive Strommenge jederzeit zur Verfügung steht.»

Stefan Müller-Altermatt, Nationalrat CVP/SO

«Dank der Versorgungssicherheit können unsere Wirtschaft und Gesellschaft auf die ständig nötige Energie zurückgreifen. Sie wird von der Energiewirtschaft gesichert. Heute ist die Versorgungssicherheit labil, weil wir zu 75 Prozent vom Ausland abhängig sind und uns selbst nicht versorgen können. Mit der Energiestrategie setzen wir auf die Schweizer Energiegewinnung und stärken die Versorgungssicherheit.»

Roger Nordmann, Nationalrat SP/VD

«Es muss genügend Energie bereitstehen, es geht nicht nur um Strom. Diese Energie muss verfügbar sein, wenn sie benötigt wird, und zwar zu erschwinglichen Preisen. Indem wir einheimische Primärenergien nutzen – in der Schweiz sind diese immer erneuerbar –, schützen wir uns vor Preisrisiken sowie vor Importkettenunterbrüchen. In der Schweiz steht uns die Primärenergie (Sonne, Wind, Wasser, Erdwärme) kostenlos zur Verfügung. Eine effiziente Energienutzung schützt uns vor einer übermässigen Abhängigkeit und trägt entscheidend zur Versorgungssicherheit bei.»

Albert Rösti, Nationalrat SVP/BE

«Wir können dann von Versorgungssicherheit sprechen, wenn die wirtschaftlichen, politischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen die bestmögliche Garantie dafür abgeben, dass zu jedem beliebigen Zeitpunkt die zur Verfügung stehende Energie den aktuellen Bedarf unserer Bevölkerung und Wirtschaft abdeckt.»

Martin Schmid, Ständerat FDP/GR

«Die Abhängigkeit unserer Bevölkerung und Wirtschaft von Strom ist viel grösser als wir meinen. Deshalb muss dieser jederzeit verfügbar sein: entweder – was ich vorziehe – massgeblich durch inländische Produktion oder dann durch Importe. Es genügt nicht, nur die Produktionsseite zu beachten, sondern es ist das Gesamtsystem unter Einbezug der Netze zu berücksichtigen.»

Adèle Thorens Goumaz, Nationalrätin GPS/VD

«Die Schweiz muss ständig Zugang zu genügend sicherer, sauberer und möglichst lokal produzierter Energie haben. Derzeit sind wir viel zu stark vom Ausland abhängig, mit hohen Importen von Erdöl, Uran und zeitweise von Strom, der überdies häufig schmutzig produziert wird. Die erneuerbaren Energien, zu denen auch die Wasserkraft gehört, sind lokal verankert, ungefährlich und sauber. Es sind die einzigen Energien, die uns heute und auch in Zukunft eine wirklich sichere Versorgung ermöglichen können.»

 

Frage 4: Welche Ziele soll die Schweiz bezüglich Eigenversorgung verfolgen und wie sind diese zu erreichen?

Martin Bäumle, Nationalrat GLP/ZH

«Die Schweiz sollte sich als Ziel eine Eigenversorgung inklusive Auslandsbeteiligungen – was ein Stromabkommen mit der EU erfordert - beim Strom von 100 % setzen und Fossile um 80 % reduzieren. Mit Energieeffizienz, Erneuerbaren, Speichern und Netzen ist das bis 2050 machbar. Am effizientesten wäre dazu eine wirksame und staatsquotenneutrale Energie-Lenkungsabgabe. Doch dazu fehlen noch die Erkenntnis und der Wille und so werden gezieltes Fördern und Vorschriften wohl noch länger der realpolitische Weg bleiben.»

Werner Luginbühl, Ständerat BDP/BE

«Nach meiner Auffassung ist eine hohe Eigenversorgung in unserem Land anzustreben. Solange wir in den internationalen Strommarkt eingebunden sind, braucht diese nicht 100 % zu sein (weil wir uns in Notsituationen schon etwas einschränken können), aber ich stelle mir einen anzustrebenden Zielwert von 85–95 % vor. Um dieses Ziel zu erreichen, benötigen wir ein neues Marktdesign. Von den möglichen diskutierten Modellen scheint mir aus heutiger Optik das Kapazitätsmodell am besten geeignet zu sein, weil es Anreize setzt, um Investitionen in Aufbau und Erhalt von Kraftwerkskapazitäten zu tätigen.»

Stefan Müller-Altermatt, Nationalrat CVP/SO

«Es muss das Ziel der Schweizer Energiewirtschaft sein, effizient, lokal und dezentral Energie zu gewinnen. Die Wertschöpfung soll wann immer möglich in der Schweiz geschehen. Dafür müssen wir auf die Innovation setzen und Projekte in der Schweiz fördern. Daran arbeitet die Schweizer Energiewirtschaft bereits, und die Politik leistet Unterstützung, indem sie mit der Energiestrategie die richtigen Rahmenbedingungen ermöglicht.»

Roger Nordmann, Nationalrat SP/VD

«Die Schweiz muss so viel Strom produzieren, wie sie verbraucht. Doch Autarkie ist weder notwendig noch wünschenswert: Der Elektrizitätsaustausch ist aus wirtschaftlicher Sicht interessant und stärkt die Versorgungssicherheit. Unser Ziel besteht darin, die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu verringern. Daher müssen Gebäude saniert und der Individualverkehr elektrifiziert werden. Ausserdem gilt es, erneuerbare Wärme optimal zu nutzen (Geothermie, Sonne, Holz usw.).»

Albert Rösti, Nationalrat SVP/BE

«Natürlich sollte der Eigenversorgungsgrad so hoch wie möglich sein. Strom aus dem Ausland hat einen gewichtigen Nachteil: Wenn die Länder, aus denen wir Strom importieren, ihrerseits Versorgungsengpässe haben werden – und solche wird es je länger je mehr geben – dann werden sie zuerst die Lieferung von Energie ins Ausland beenden. Solar- und Windenergie werden aber die Kernkraftwerke auf absehbare Zeit noch lange nicht ersetzen können. Es braucht hier also noch gewaltige technologische Entwicklungen. Vor diesem Hintergrund ist eine Diskussion über neue Grosskraftwerke, wie sie der Bundesrat in Form von Gaskraftwerken in der Botschaft zur Energiestrategie vorschlägt, unumgänglich.»

Martin Schmid, Ständerat FDP/GR

«Da die Schweiz in der Energieversorgung eine hohe Abhängigkeit vom Ausland hat, sollte im Strombereich eine hohe Eigenversorgungsquote angestrebt werden. Notwendig ist, die bestehenden Atomkraftwerke, so lange wie sie sicher sind, am Netz zu halten. Ich bin überzeugt, dass durch den technologischen Fortschritt vieles möglich wird, aber ohne Wärme-Kraft-Koppelungsanlagen wird es nicht gehen. Konflikte in der Zielsetzung zwischen Klima- und Energiepolitik müssen ausdiskutiert werden, wenn wir auch in Zukunft eine ökonomische, ökologische und sichere Stromversorgung erreichen wollen.»

Adèle Thorens Goumaz, Nationalrätin GPS/VD

«Wir müssen die Grosswasserkraft erhalten und optimieren, die anderen erneuerbaren Energien intensiv weiterentwickeln und gleichzeitig die Energieverschwendung eindämmen, um schrittweise von den fossilen Energien und der Atomkraft wegzukommen. Die vollständige Autonomie ist kein Selbstzweck und sicher auch gar nicht notwendig: Es wird immer einen Austausch geben. Doch je mehr wir die erneuerbaren Energien lokal weiterentwickeln, desto mehr stärken wir unsere Autonomie. Das muss unser Ziel sein, und je schneller wir es erreichen, desto besser.»

Kommentare

Manuel Bertschy,

"Unser Ziel besteht darin, die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu verringern. Daher müssen Gebäude saniert und der Individualverkehr elektrifiziert werden".

Wie soll das funktionieren? In erster Linie ist doch entscheidend, wie die Energie hergestellt wird. Ein elektrifizierter Individualverkehr hilft nicht, wenn die Energie aus fossilen Quellen stammt.

Bitte addieren Sie 9 und 7.