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Power-to-Gas könnte auf dem Energiemarkt der Zukunft eine Rolle spielen
Der Umbau des Energiesystems geht weit über den Stromsektor hinaus (Stichwort Sektorkopplung). Die Power-to-Gas-Technologie könnte auf dem Energiemarkt der Zukunft eine wichtige Rolle einnehmen.
Die Europäische Union und viele europäische Staaten – so auch die Schweiz – haben sich ambitionierte Ziele zur Dekarbonisierung der gesamten Wirtschaft gesteckt. In der EU sollen die Emissionen klimarelevanter Treibhausgase, insbesondere CO2, bis 2050 um 80–95 % (im Vergleich zu 1990) fallen. Diese Energiewende hat sich bislang vornehmlich im Stromsektor abgespielt: Konventionelle thermische Stromerzeugung aus Kohle und Erdgas wird allmählich durch regenerative Stromerzeugung aus Wind und Photovoltaik verdrängt.
Zunehmende Elektrifizierung des Transport- und Wärmesektors ist notwendig
Aber der Energieverbrauch und der CO2-Ausstoss sind nicht auf den Stromsektor beschränkt. In den meisten europäischen Volkswirtschaften verteilen sich Treibhausgasemissionen ganz grob zu je einem Drittel auf Strom-, Wärme- und Verkehrsanwendungen. Wie aber kann die Energiewende in den Wärmebereich und in den Verkehrssektor getragen werden? Auch hier werden am Anfang der Prozesskette erneuerbare Energien stehen müssen. Wie genau das Energieaufkommen für den Verkehrs- oder Wärmesektor dann strukturiert sein wird, ist heute noch nicht absehbar. Ein einfaches Szenario hilft, die Herausforderungen zu verstehen: Verschiedene Planungen gehen davon aus, dass der Energiebedarf im Verkehrs- und Wärmesektor über (erneuerbar erzeugten) Strom gedeckt wird. Daraus resultieren mindestens zwei zentrale Herausforderungen:
Der Strombedarf wird sich vervielfachen. Selbst wenn man zunehmende Effizienz in der Energieanwendung unterstellt, könnte sich der Strombedarf bis 2050 leicht verdoppeln.
Der Strombedarf bekommt eine stärkere saisonale Zyklik. Der Wärmebedarf ist in Nord- und Zentraleuropa hauptsächlich saisonal getrieben mit einem enormen «Hub» während der Heizperioden im Winter. Strom aus Wind und Photovoltaik folgt einem anderen, naturgegebenen Dargebotsprofil. Ein Grossteil der Stromerzeugung aus Photovoltaikanlagen fällt in die Sommerperiode, wenn der Wärmebedarf besonders gering ist.
Dies wiederum – in Kombination mit dem Wechsel zu mehr Elektromobilität und Wärmepumpen – bedeutet erhebliche Herausforderungen für die Energieinfrastruktur:
- Der zusätzlich benötigte Strom muss über zusätzliche Stromtransportkapazitäten transportiert werden. Wie soll das aber funktionieren beim zuletzt zu beobachtenden öffentlichen Widerstand gegen neue Stromleitungen?
- Der Strombedarf für den Winter muss saisonal gespeichert werden. Aber wo sind die dafür notwendigen Speicherkapazitäten?
Die Energiewende geht nicht ohne Power-to-Gas
Die Bedienung der Winterlast für Heizzwecke stellt eine besondere Herausforderung dar. Die erneuerbaren Energien, die zukünftig den Grossteil der Stromerzeugung ausmachen sollen, sind stark wetter- beziehungsweise klimaabhängig und folgen zumindest nicht der erforderlichen saisonalen Zyklik. Die saisonale Speicherung der elektrischen Energie in neu dafür zu errichtenden Wasserspeichern oder Batterien hätte einen enormen Flächen- respektive Volumen-Verbrauch und wäre mit erheblichen zusätzlichen Kosten verbunden.
Am Beispiel Deutschlands lässt sich mit folgender einfachen Berechnung verdeutlichen, welcher Speicherbedarf sich aus einer nahezu vollständigen Elektrifizierung des Wärmesektors ergäbe: In Deutschland entstünde in Anbetracht des saisonalen Wärmebedarfs und des naturgegebenen Dargebots an erneuerbaren Energien ein Speicherbedarf von bis zu 30 TWh. Dies entspricht mehr als dem Dreifachen der maximal verfügbaren Speicherkapazität aller Wasserspeicher der Schweiz. [1] Wollte man diesen Bedarf zum Beispiel aus in Containern installierten Lithium-Ionen-Batterien decken, bräuchte man 15 Mio. Container und eine Fläche entsprechend der des Bundeslandes Berlin (0,4 % der Gesamtfläche Deutschlands).
Hier ergibt sich ein erstes Anwendungsfeld für Power-to-Gas: Erneuerbar erzeugter Strom, der nicht sofort verbraucht wird, könnte zur Produktion von synthetischem Wasserstoff oder synthetischem Methan verwendet werden (Umwandlung von Strom in Gas). Dieses Gas könnte dann in schon bestehende Gasspeicher eingespeichert und nach saisonalem Bedarf entnommen und verbraucht werden. Dabei wird nicht an eine Rückverstromung gedacht, sondern das Gas könnte – wie bisher schon – direkt beim Kunden zu Heizzwecken genutzt werden.
Damit zeichnet sich auch schon das zweite Anwendungsfeld von Power-to-Gas ab: Auch beim Energietransport kann man sich die hohe Energiedichte von Gas zunutze machen und die ursprünglich erneuerbar gewonnene Energie auch in Form von Gas transportieren. Wie effektiv das sein kann, zeigt ein einfaches Beispiel: Jede einzelne der drei Gleichstromtrassen, über die in Deutschland heftig diskutiert wird, hat eine Leistung von etwa 3 GW. Zum Vergleich hat die in Deutschland zuletzt errichtete Opal-Pipeline eine Kapazität von 42 GW. Gaspipelines haben zudem den Vorteil, dass es sie bereits gibt. Anders als neue Stromtrassen müssten sie nicht neu errichtet werden.
Power-to-Gas wird Teil des Energiemixes
Um Missverständnissen vorzubeugen: Power-to-Gas wird nicht die Elektrifizierung von Energieanwendungen verdrängen. Power-to-Gas kann aber einen sinnvollen Beitrag zum Energiemix darstellen. Ein Vorteil ist, dass man – was Transport und Speicherung betrifft – auf eine bereits bestehende Infrastruktur zurückgreifen kann, die ansonsten obsolet würde, wenn man auf die völlige Elektrifizierung aller Anwendungen setzen würde. Eine Stärke des Ansatzes liegt insbesondere in der Schliessung der saisonalen Lücke zwischen Nachfrage im Wärmebereich und Stromangebot aus erneuerbaren Energien. Power-to-Gas würde also keine Abwendung von der Elektrifizierung des Energiesektors bedeuten. Ein Teil der Elektrifizierung erfolgt mit Power-to-Gas vielmehr indirekt auf der Grosshandelsebene und nicht auf der Endverbraucherebene.
Zwei Technologien sind im Spiel
Bei Power-to-Gas sind zwei Stufen der Umwandlung zu unterscheiden:
Herstellung von Wasserstoff (Power-to-Hydrogen, P2H). Wasserstoff ist ein Vorprodukt zur Methanisierung, aber der Wasserstoff selbst kann auch als Brennstoff verwendet werden, zum Beispiel für Brennstoffzellen, wie sie im Verkehrssektor genutzt werden. Bis zu einem gewissen Grad kann Wasserstoff auch ins Erdgasnetz eingespeist werden. Wesentliche Kostenfaktoren – neben Strom – bei heute verwendeten Anlagen (1 MW) sind der Elektrolysator sowie die Kosten für die Wasserstoffeinspeisung ins (Gas-)Netz. Bei grösseren Anlagen (10 MW) kommen Kosten für die Wasserstoffkompression hinzu.
Methanisierung (Power-to-Synthetic Gas, SNG). Der Wasserstoff kann unter Einsatz zusätzlicher elektrischer Energie und der Hinzuführung von CO2 in Methan umgewandelt werden, das in seinen Eigenschaften im Wesentlichen dem heute verwendeten Erdgas entspricht. Bei der Methanisierung fallen also alle Kosten an, die auch bei der Wasserstoffherstellung entstehen und zusätzlich die Kosten für die Methanisierung. Man kann dann aber die heute bestehende Gastransport- und Speicherinfrastruktur für dieses Grüngas nutzen.
Und wann kommt jetzt Power-to-Gas?
Power-to-Gas kann also in der Endphase der Dekarbonisierung um das Jahr 2050 eine wichtige Rolle spielen. Aber es ist politisch wichtig, heute schon hierüber nachzudenken, denn es steht eine sehr aktuelle Fragestellung an: Wie soll mit der bestehenden Gasinfrastruktur aus Pipelines und Speichern umgegangen werden? Soll diese im Zuge der Dekarbonisierung der Wirtschaft allmählich geschlossen oder weiterbetrieben werden? Überlegungen zeigen, dass es einen Optionswert hat, die bestehende Infrastruktur zu erhalten und weiterzubetreiben, um sie in einer weiteren Phase der Energiewende, in der das Gas «grün» wird, zu nutzen.
Bis sich Power-to-Gas in grossem, industriellen Umfang rechnet, sind zwei Entwicklungen zu durchlaufen:
- Die klimapolitischen Vorgaben sind sukzessive zu verschärfen (wie dies zum Beispiel im Rahmen der Klimapolitik der EU geschieht), damit erneuerbare Energien an Wert gewinnen beziehungsweise fossile Energieträger wie Kohle und Gas im Vergleich dazu an Wert verlieren.
- Power-to-Gas-Technologien müssen Lerneffekte realisieren und kostengünstiger werden. Um es gleich vorwegzuschicken: «Grünes» Gas wird nicht so kostengünstig zu produzieren sein wie Erdgas. Aber unter Anrechnung des Klimavorteils ist zu erwarten, dass es sich langfristig durchsetzen kann.
Hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit beider Technologien (P2H, SNG) ist eine Reihe von Faktoren zu beachten:
- Bei beiden Technologien wird mit Kostendegressionen über die Zeit gerechnet, getrieben durch technologische Innovation, Skaleneffekte durch grössere Anlagen und Lernkurveneffekte durch zunehmende Anwendungen. So wird zum Beispiel erwartet, dass die spezifischen Kapitalkosten bei der Wasserstoffherstellung bei Wechsel von den heute genutzten 1-MW- auf 10-MW-Anlagen um rund 30–50 % sinken können.
- Beide Technologien sind kapitalkostenintensiv und sie profitieren daher tendenziell von einem hohen Auslastungsgrad.
- Beide Technologien nutzen Strom als wesentlichen Einsatzstoff. Erneuerbar erzeugter Strom wird saisonal und wetterabhängig in bestimmten Stunden sehr reichlich und damit kostengünstig zu beziehen sein, in anderen Stunden wird er knapper und teurer sein. Daher ist es sinnvoll, den Strom für Power-to-Gas vor allem in Stunden mit niedrigen Strompreisen zu nutzen. Je höher der Auslastungsgrad einer Anlage sein soll, desto höher werden die durchschnittlichen Strombezugskosten sein. Dies steht dem vorgenannten Interesse einer hohen Anlagenauslastung entgegen.
Vor diesem Hintergrund lassen sich nach heutigem Wissensstand folgende Aussagen machen:
- Umgerechnet auf Energieeinheiten ist Wasserstoff günstiger als synthetisches Methan. Beide Gase unterscheiden sich aber in ihrer Energiedichte (höher bei Methan; was die spezifischen Transportkosten senkt) und in ihrer Handhabbarkeit, so dass trotz der Kostenunterschiede in der Umwandlung ein Nebeneinander beider Brennstoffe denkbar ist.
- Beide Technologien sind heute und in näherer Zukunft noch nicht wettbewerbsfähig. Die Wettbewerbsfähigkeit wird aber in den kommenden Jahrzehnten (ab 2030) steigen durch den zunehmenden Wert von CO2-neutralen Brennstoffen (getrieben durch die Klimapolitik) und Kostendegressionen.
- Wasserstoff und synthetisches Methan werden absehbar teurer sein als Erdgas heute, aber unter Berücksichtigung des Klimavorteils von synthetischem Gas, das aus erneuerbar erzeugtem Strom hergestellt wird, langfristig dennoch marktfähig werden.
Referenz
[1] www.worldenergy.org
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