Fachartikel Mobilität , Regulierung , Sicherheit

Eine stille Transformation

Ethik und Datenschutz beim automatisierten Fahren

02.03.2022

Das Mobilitätsökosystem erlebt gegenwärtig einen Struktur­wandel. Ziel ist es, eine vernetzte Mobilität und Shared-Mobility-Angebote zu entwickeln, die die individuelle Mobilität ablösen sollen. Das automatisierte Fahren wirft jedoch unter anderem in Bezug auf Verkehrs­sicherheit und Datenschutz rechtliche und ethische Fragen auf.

Im Bereich Mobilität findet derzeit eine stille Transformation statt. Diese beruht auf dem Zugang zu Daten und verspricht eine höhere Effizienz der Verkehrs­systeme. Der Aufbau eines vertrauens­würdigen Ökosystems, von dem alle Akteurinnen und Akteure profitieren, ist mittlerweile eine zentrale Heraus­forderung, wenn es darum geht, die Rahmen­bedingungen für die Digitalisierung von Mobilitäts­dienstleistungen zu schaffen. Nach welchen Werten soll dieses Ökosystem strukturiert werden? Wie lassen sich Datenschutz und die gemeinsame Nutzung von Daten miteinander vereinbaren? Dieser Artikel befasst sich mit den ethischen und rechtlichen Herausforderungen des auto­mati­sierten Fahrens im Zusammenhang mit der Verkehrs­sicherheit, der Betriebs­sicherheit der FahrAuto­mati­sie­rungs­systeme und der menschlichen Kontrolle des Fahrzeugs. Auch die gesellschaftlichen und ökologischen Auswirkungen dieser Transformation werden thematisiert.

Hin zu strukturellen Veränderungen

Die Strategie «Digitale Schweiz» zielt darauf ab, das Wachstum und den Wohlstand der Schweiz sicherzustellen, indem Sicherheit, Vertrauen und Transparenz unter Berücksichtigung der digitalen Befähigung und Selbstbestimmung der Menschen gewährleistet werden. Die Schweizer Mobilitätspolitik stellt den Menschen in den Mittelpunkt und verfolgt gleichzeitig einen vernetzten Ansatz. So will sie den Strukturwandel des Mobilitäts­ökosystems erleichtern, indem sie günstige Bedingungen für dessen Aufbau schafft. Dieser Strukturwandel hat zum Ziel, eine vernetzte Mobilität und Shared-Mobility-Angebote zu entwickeln, die die individuelle Mobilität ablösen sollen. Dieser neue Ansatz basiert auf dem Datenaustausch in der Schweiz und auf internationaler Ebene sowie auf der Kommunikation zwischen auto­mati­sierten Fahrzeugen (V2V), die lernen, miteinander zu interagieren. Auch auf die Strassen­infrastruktur hat der Strukturwandel Auswirkungen. Immer mehr vernetzte Objekte (Sensoren, Kameras, Radargeräte, Wechsel­signale, Ampeln) werden in der Strassen­infrastruktur installiert, wo sie Daten sammeln und so ein dynamisches Verkehrs­management erlauben. Es werden kooperative intelligente Verkehrs­systeme entwickelt, die die Kommunikation zwischen allen Verkehrs­teilnehmenden, einschliesslich der Strassen­infrastruktur, ermöglichen. Dies trägt zwar beispielsweise zu einer Verbesserung des Verkehrsflusses bei, wirft gleichzeitig aber auch ethische Fragen auf.

Das Bundesamt für Strassen (Astra) nimmt bei dieser Transition eine zentrale Rolle ein. Es verfolgt die Entwicklungen der Rechtsvorschriften auf internationaler Ebene und legt die Voraussetzungen für eine wirksame Umsetzung der Mobilitätspolitik fest. Da der Bereich der intelligenten Mobilität eine hohe Innovations­dynamik aufweist, muss das Astra ausserdem die verschiedenen Akteurinnen und Akteure zusammen­bringen, um die Effizienz zu steigern.

In der Teilstrategie Intelligente Mobilität des Astra werden der Betriebs­sicherheit der Fahrzeuge und der Verkehrs­sicherheit als grundlegende Voraussetzungen für die Mobilität in der Schweiz ein hoher Stellenwert eingeräumt.

Verkehrssicherheit und Fahr­auto­matisierungs­systeme

Das Strassenverkehrsgesetz wird derzeit revidiert. Im Revisionsentwurf wird die Möglichkeit vorgeschlagen, Fahrzeuge mit einem Auto­mati­sie­rungs­system der Auto­mati­sie­rungsstufen 3 und 4 auf bestimmten Strecken für den Verkehr zuzulassen (siehe Norm SAE J3016). Dadurch soll das Schadensrisiko für die betroffenen Personen minimiert werden. Dies zeigt sich darin, dass die Gesetzesänderung als Voraussetzung festlegt, dass die Verkehrs­sicherheit nicht beeinträchtigt werden darf, und dass die wirksame Umsetzung des automatisierten Fahrens davon abhängig gemacht wird, ob die «sicherheits­technischen Nachweise in einem ausreichenden Mass vorliegen»  [1]. Mit anderen Worten: Es wird nicht toleriert, dass die Zahl der tödlichen Unfälle beim Einsatz von automatisierten Fahrzeugen ansteigt. Dieser politische Wille, in eine verantwortungs­volle Innovation zu investieren, die Entwicklung der automatisierten Mobilität in den durch die Verfassung anerkannten humanistischen Werten zu verankern sowie eine Rechtssicherheit für die Entwicklung der automatisierten Mobilität zu schaffen, ist mit der Rechts­staatlichkeit vereinbar.

Die von der deutschen Bundesregierung eingesetzte Ethik-Kommission Automatisiertes und Vernetztes Fahren hat als Erste «jede Qualifizierung nach persönlichen Merkmalen» strikt untersagt. Demnach dürfen die automatisierten Fahrzeuge nicht so programmiert werden, dass bei dilemmatischen Entscheidungen zwischen einem Kind, einer älteren Person, einem Mann oder einer Frau unterschieden wird, selbst wenn das Fahrzeug diese aufgrund seiner Wahrnehmungs­fähigkeiten erkennen kann.

In der Praxis werden Simulationen und Experimente in repräsentativem Umfang und in verschiedenen Umgebungsarten notwendig sein, um zu bewerten, inwiefern automatisierte Fahrzeuge zur Verbesserung der Verkehrssicherheit beitragen. Die Phasen der Entwicklung, Überprüfung, Validierung und Homologation müssen standardisiert werden. Ausserdem sollte ein Qualitäts­management­system entwickelt werden, das Transparenz garantiert und Vertrauen in dieses Ökosystem aufbaut.

Ein interdisziplinärer Vergleich kann im Bereich Mobilität viele Erkenntnisse liefern. Die Unfälle mit Flugzeugen des Typs Boeing 737 MAX 8 waren die Folge mangelnder Transparenz bei der Verwendung eines Autopilot-Systems. Diese Unfälle in der Luftfahrt haben verdeutlicht, wie wichtig es ist, mehrere Sensoren zu integrieren, um einzelne Ausfallpunkte (Single Points of Failure) zu vermeiden. Auch den Bedarf an qualitativ hochwertigen Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine haben sie aufgezeigt. Zudem unterstreichen sie, dass in die Ausbildung von Pilotinnen und Piloten investiert werden muss und diese hinsichtlich der Funktionsweise von Automatisierungs­systemen von Flugzeugen und Notfallverfahren geschult werden müssen. Diese Erkenntnisse lassen sich auf den Bereich des automatisierten Fahrens übertragen, mit dem Unterschied, dass es sich bei Pilotinnen und Piloten im Gegensatz zu den Fahrerinnen und Fahrern automatisierter Fahrzeuge um Fachleute handelt. Die Vermittlung von Wissen über die Nutzung solcher Automatisierungs­systeme muss folglich auf die verschiedenen Zielgruppen angepasst werden.

Ethische Fragen bei der gemeinsamen Nutzung von Daten

Durch den Datenaustausch zwischen den Fahrzeugen und mit der Strassen­infrastruktur kann die Koordination der Aktionen der automatisierten Fahrzeuge verbessert werden. Er trägt ausserdem zur Verbesserung des Verkehrsflusses und der Sicherheit im Strassenverkehr bei, beispielsweise mithilfe von Not­brems­assistenten. Dieser Datenaustausch ermöglicht die Übermittlung von Informationen zur Verkehrslage und von eCall-Notrufen.

Um die Interoperabilität der Anwendungen und die Kontinuität der grenz­überschreitenden Dienst­leistungen sicherzustellen, beteiligt sich die Schweiz an den europaweiten Arbeiten zu Verkehrs­systemen. Auf europäischer Ebene wird über die Schaffung von gemeinsamen Datenräumen diskutiert, mit denen der freie Datenverkehr, Skaleneffekte und die vermehrte Digitalisierung von Mobilitäts­dienstleistungen gefördert werden können. Zu diesem Zweck sind sowohl die Verfügbarkeit als auch die Qualität von Daten von entscheidender Bedeutung, ebenso wie die Governance-Mechanismen (Checks and Balances) und die effektiven Garantien für die Interessen­gruppen.

Mobilitätsdaten werden in der Europäischen Union als personen­bezogene Daten eingestuft. Deshalb werden in der C-ITS-Architektur (Cooperative Intelligent Transport Systems) spezifische Massnahmen ergriffen, um diese Daten zu anonymisieren. Fachleute stehen diesen Massnahmen aber kritisch gegenüber, da die Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz das Profiling und die Re-Identifikation von Personen ermöglichen.

Die Herausforderung besteht darin, diametral entgegengesetzte Regelungen – von denen die einen den Datenschutz1) und die anderen die gemeinsame Nutzung von Daten2) begünstigen – miteinander in Einklang zu bringen, sodass ein vertrauenswürdiges Öko­system geschaffen werden kann.

Ethische Fragen bei den Grundrechten

Das Recht auf Datenschutz ist ein in der Verfassung verankertes Grundrecht (Art. 13). Die Infrastruktur und die automatisierten Fahrzeuge werden jedoch immer häufiger mit Sensoren, externen und internen Kameras, Radargeräten sowie Lidar-Technologien ausgestattet. Damit können personen­bezogene Daten in grossem Umfang gesammelt werden. Es stellt sich daher die Frage, ob Mechanismen zum Schutz der Privatsphäre vorhanden sind, mit denen die Vertraulichkeit der gesammelten Daten, die Einhaltung des Grundsatzes der informationellen Selbst­bestimmung und die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen im Allgemeinen (insbesondere das Informieren aller betroffenen Personen bei der Bearbeitung von personen­bezogenen Daten, die Anonymisierung von Daten sowie das Löschen von Daten) gewährleistet werden kann. Darüber hinaus muss die Frage der wirksamen Durchsetzung der Rechte der betroffenen Personen und der Anwendung der Datenschutz­grundsätze – insbesondere des Grundsatzes der Verhältnis­mässigkeit, des Zweckbindungs­prinzips und des Grundsatzes von Treu und Glauben – mit besonderer Aufmerksamkeit behandelt werden. Die Gefahr der missbräuchlichen Verwendung der Daten und deren Konsequenzen – systematische und gross angelegte Überwachung, Monetarisierung von Daten sowie Profiling von Nutzerinnen und Nutzern – sind nicht ausgeschlossen. Deshalb sind eine Interessen­abwägung und eine Folgen­abschätzung im Bereich des Schutzes von personen­bezogenen Daten nötig.

Ethische Fragen bei der nachhaltigen Entwicklung

Es ist nicht auszuschliessen, dass die Produktion von automatisierten Fahrzeugen zu mehr Fahrzeugen auf den Strassen und einem höheren Verkehrs­aufkommen führen wird. Eines der Kernziele der Strategie «Digitale Schweiz» ist es, den ökologischen Fuss­abdruck und den Energieverbrauch zu verringern, was auch für die Dienstleistungen der automatisierten Mobilität und die Konnektivitäts­angebote gilt. Diese müssen den Anforderungen bezüglich Dekarbonisierung und Reduktion der CO2-Emissionen entsprechen. Daher sollte eine Homologation der Umwelt­auswirkungen von automatisierten Fahrzeugen unter Berücksichtigung der physischen und digitalen Infrastruktur geprüft werden. Die Sensoren an Fahrzeugen und der Strasseninfrastruktur könnten ausserdem ein dynamisches Management der Treibhausgas­emissionen fördern. Aufgrund der internationalen Verpflichtungen der Schweiz soll das schweizerische Recht mit den europäischen Regelungen harmonisiert werden, da die EU einen Beitrag leisten will, «um die Treibhausgas­emissionen unter anderem im Strassen­verkehr bis zum Jahr 2030 gegenüber den Werten von 2005 um 30 Prozent zu senken und um die Ziele des Klima­über­einkommens von Paris vom 12. Dezember 2015 zu erreichen» [1].

Und schliesslich sollten im Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung die Auswirkungen der Einführung von automatisierten Fahrzeugen auf die Beschäftigung untersucht werden, um Umbrüche in den verschiedenen Branchen frühzeitig erkennen und in darauf angepasste Ausbildungs­programme investieren zu können.

In Richtung einer Absprache zwischen den Parteien

Um ein vertrauens­würdiges Ökosystem aufzubauen und die gesellschaftliche Akzeptanz von automatisierten Fahrzeugen zu fördern, müssen die Fragen im Zusammenhang mit der Aufklärung der Öffentlichkeit, der Zuverlässigkeit der Technik, der Ethik und dem wirksamen Schutz von personen­bezogenen Daten mit den verschiedenen betroffenen Interessengruppen besprochen werden. Diese Absprache wird je nach kulturellen Gegebenheiten in Form und Inhalt unterschiedlich ausfallen. Aus dieser gemeinsamen Ausgestaltung könnte eine inklusive, zuverlässige, für alle zugängliche Mobilität entstehen, die im Einklang mit den demokratischen Werten, der Rechts­staatlichkeit und den Grundrechten steht. Der Datenschutz ist eine Grund­voraussetzung für das Funktionieren automatisierter Verkehrs­systeme und ist ebenso wie der Umweltschutz Teil der Ethik der Mobilität.

Referenz

[1] Botschaft zur Änderung des Strassenverkehrs­gesetzes, veröffentlicht am 17. November 2021.

Fussnoten

1) Datenschutz: Übereinkommen 108+ des Europarats, Datenschutz-Grundverordnung, e-Privacy-Richtlinie, Richtlinie für Justiz und Inneres, Cybersecurity Act, Schweizerische Bundesverfassung (Art. 13), Europäische Menschenrechtskonvention (Art. 8), neues Bundesgesetz über den Datenschutz.

2) Datenaustausch: ITS-Richtlinie und die delegierten Rechtsakte, Data Governance Act, General Safety Directive.

 

Autorin
Dr. Eva Thélisson

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Bundesamt für Strassen (Astra).

  • Bundesamt für Strassen
    3063 Ittigen

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