Eine solide Basis für die Physik-Forschung
Das Physikgebäude HPQ
Auf dem Hönggerberg plant die ETH Zürich ein zukunftsweisendes Physikgebäude, in dem beispielsweise neuartige Quantencomputer gebaut werden sollen. Damit dessen Labore künftig den höchsten wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, müssen – auch bei der Gebäudetechnik – zahlreiche Aspekte berücksichtigt und neue Lösungen gefunden werden.
Heute ist die experimentelle Physikforschung an der ETH Zürich auf dem Campus Hönggerberg in den Gebäuden HPF und HPT zu Hause. Diese sind noch grösstenteils mit der ursprünglichen, nun wartungsanfälligen Infrastruktur ausgestattet. Zudem sind die in umgebauten Laborräumen installierten Büros nicht ideal, und es fehlt an Austauschräumlichkeiten.
Diese unbefriedigende Situation motivierte Gianni Blatter, Vorsteher des Departements Physik von 2007 bis 2013, die Bedürfnisse der Forscherinnen und Forscher für den Bau eines neuen Physikgebäudes zusammenzutragen. Sein Einsatz lohnte sich: Die Schulleitung der ETH Zürich hat das Konzept gutgeheissen. Das Projekt HPQ entstand – ein Gebäude, das nicht nur über die nötige Forschungsinfrastruktur verfügt, sondern sich gemäss Isabelle Kaufmann, Architektin bei Ilg Santer Architekten, zugleich visuell in die Steiner-Bauten aus der Nachkriegsmoderne einfügt. Das Besondere am Projekt ist, dass die Nutzer schon von Anfang an massgebend beteiligt waren. «Meist kommt der Nutzer ziemlich spät bei der Planung hinzu», so Kaufmann.
Die Sicht der Nutzer bringt der Projektleiter des Departements Physik, Janis Lütolf, ein. Er begleitet die Entwicklung des wissenschaftlichen Konzepts des HPQ bereits seit 2012. Um sich einen Überblick zu verschaffen, hat er diverse Labore weltweit besucht. «Vor einem Jahrzehnt wurde in den USA stark in die Physik-Forschungsinfrastruktur investiert», schildert Lütolf. «Auf den ausgedehnten Campus entstand die modernste Generation an Laborgebäuden.» Da man viel mehr Platz als in der Schweiz hat, verfolgt man dort Konzepte, bei denen die einzelnen Gebäude einfacher konzipiert sind. Bei gleicher Gesamtfunktionalität wird dafür deutlich mehr Platz verwendet. Lütolf präzisiert: «Aus technischer Sicht bietet diese funktionale Trennung Vorteile, aber die Leitungen werden dann sehr lang und gewisse Medien müssen mehrfach aufbereitet werden. Dies ist aus technischer Sicht zwar einfacher, aber nicht effizient.»
Auf dem Hönggerberg wird ein einziges Gebäude mit breiter Nutzung entstehen. Um das Optimum aus der zur Verfügung stehenden Grundfläche zu holen und die konstanteren Umweltbedingungen im Untergrund auszunutzen, werden zwei Drittel des Gebäudevolumens unterirdisch sein. Der Baustart ist für die zweite Hälfte 2022 geplant, 2028 soll das Gebäude bezugsbereit sein.
Isabelle Kaufmann beschreibt die Herausforderungen des Projekts so: «Beim HPQ bringt man unterschiedlichste Nutzungen, die miteinander im Wettbewerb stehen, in einem Gebäude unter. Ausserdem kommen strenge bauliche Auflagen und Gesetzgebungen hinzu, unter anderem die Weisungen für Bundesbauten sowie alle energetischen Normen und Gesetze. Als Architekten möchten wir, dass das Haus und seine Technik funktioniert und es zugleich so gestaltet ist, dass es städtebaulich integriert und ansprechend ist. Das Gebäude ist in dieser Konstellation einmalig, ein Prototyp.»
Flexibilität als Grundlage
Die städtebauliche äussere Anpassung ist statisch. Dynamisch hingegen ist eine andere Anpassung: diejenige der Labore an die sich ändernden Nutzerbedürfnisse. Die Infrastruktur wird in der experimentellen Physik für jede Professur angepasst. Janis Lütolf sagt: «Wenn ein Professor seine Stelle mit der ETH aushandelt, werden auch die Infrastrukturfragen diskutiert.» Das HPQ, das für 60 Jahre nutzbar sein wird, soll eine generische Laborinfrastruktur bieten, die mit möglichst wenig Aufwand so verändert und nachgerüstet werden kann, dass sie den Anforderungen der Professoren und Professorinnen genügt. Deshalb werden Laboreinheiten mit Holzkonstruktionswänden voneinander abgetrennt sein, die sich entfernen lassen. So können bis zu zehn solcher Labore zu einem grossen Labor kombiniert werden, ohne den restlichen Forschungsbetrieb im Gebäude merklich zu stören.
Das Grundprinzip: Eine Laborreihe, die aus identischen Laboreinheiten mit 22 m2 Fläche besteht, wird von einer Seite mit einem Gang erschlossen. Auf der anderen Seite ist ein Supportbereich, der die Laborinfrastruktur wie Kompressoren, Vakuumpumpen, Serverracks, Wasseraufbereitung, Kühlkreisläufe, Transformatoren für Laser oder Stromversorgungen aufnimmt – also meist Geräte, die Lärm oder Vibrationen verursachen. «Einige der heutigen Labore haben zwar auch einen Supportbereich. Dieser liegt aber einen Stock tiefer, in einem anderen Brandabschnitt, was die Erschliessung erschwert», sagt Lütolf.
Die Anforderungen an die Haustechnik sind hoch. Aus Sicherheitsgründen ist bei den Laboren ein dreifacher Luftwechsel pro Stunde vorgeschrieben, der bei Bedarf noch stark erhöht werden kann. Zudem muss viel Wärme von den Geräten abgeführt werden, was durch Frischluft, Kühlpaneele an der Decke und bei hohen Anforderungen mit lokalen Umluftklimatisierungen geschieht. So lässt sich die benötigte hohe Temperaturstabilität erzielen.
Die Gebäudestruktur
Das Gebäude besteht aus drei Teilen: dem oberirdischen Bau, dem darunterliegenden unterirdischen Teil und dem seitlich versetzten unterirdischen Laborbau. Insgesamt sind 170 Laboreinheiten vorgesehen sowie die drei interdepartementalen Plattformen First II (Reinraum), das MMC (Wachstum von 2D-Schichten) sowie das CLNE (Center for Low Noise Experiments) mit sechs Laboren.
Die obersten vier Stockwerke sind identisch (Bild 1): Die Labore sind im massiven Kern untergebracht, der die Vibrationen des Verkehrs auf dem Wolfgang-Pauli-Boulevard oder der massiven technischen Apparaturen der Bauphysiker im Nebengebäude fernhält. Damit man die geforderten Grenzwerte erreicht, wurde die Gebäudestruktur mit Vibrationssimulationen via der Finiten-Elemente-Methode optimiert. Die Labore sind umgeben von Büros und Begegnungszonen, die spontane Diskussionen ermöglichen. Eine Kaffeeküche mit Essbereich steht auch zur Verfügung.
Unter dem Hauptbau ist die Haustechnik (Bild 2) untergebracht, u. a. Monoblöcke, die die Zuluft aufbereiten und über seriell verschaltete Schalldämpfer und grossflächige Auslasssysteme den Laboren leise zuführen – insgesamt 290’000 m3 Luft pro Stunde. Die Luftzuführung der Räume wird über Präsenz-, Temperatur-, Luftfeuchte- oder CO2-Fühler geregelt, um den aktuellen Lasten präzise entgegenzuwirken.
Der «First II»-Entwicklungsreinraum belegt die oberste Etage des unterirdischen Nebenbaus. Er wird eine wichtige Rolle spielen, denn künftig wird es möglich sein, alle Prozesse, die heute auf dem Hönggerberg, bei IBM in Rüschlikon und am Zentrum stattfinden, an einem Ort auszuführen. Janis Lütolf präzisiert: «Heute macht man beispielsweise zwei Prozessschritte auf dem Hönggerberg, dann einen Schritt in Rüschlikon und schliesslich einen im Zentrum. Die örtliche Konzentration wird deshalb sowohl für die ETH als Betreiberin als auch für die Nutzer vorteilhaft sein.»
Quanten-Rechner
Die zweite unterirdische Plattform, der MMC-Bereich, dient dem Wachstum von 2D-Schichten, die die materielle Grundlage für die Entwicklung neuer Strukturen bilden: In den Laboren werden deren physikalische Eigenschaften bestimmt und in Reinräumen wird das Material zu elektronischen Chips verarbeitet, u. a. zu Quantendots.
Quanten-Phänomene werden im HPQ eine wichtige Rolle spielen, denn die Nutzer des Labors für Festkörperphysik und des Instituts für Quantenelektronik vertreten dieses Thema schwergewichtig. Janis Lütolf geht davon aus, dass rund die Hälfte der HPQ-Gebäudefläche von der Quantenforschung belegt sein wird. Dabei stehen zwei Technologien im Fokus: Ionenfallen-Quantencomputer und supraleitende Halbleiter-Quantencomputer. Auch das Quantum Engineering Center wird vor Ort sein, als Entwicklungsstelle insbesondere für die Elektronik, die benötigt wird, um die neuartigen Rechner anzusteuern.
Umfassende Stabilität
Zuunterst im Nebenbau, auf dem Fels gegründet, werden die sechs störungsarmen Labore des CLNE platziert sein. Sie werden technologisch, u. a. bezüglich EMV-Raumabschirmungen, den neusten Anforderungen entsprechen und bei einer Gesamthöhe von über 11 m viel Platz für Experimente bieten. Die luftgefederten, aktiv geregelten Böden mit einer Masse zwischen 80 und 120 t sorgen dabei für höchste Vibrationsunterdrückung.
Damit sich keine Fehler beim Auf- und Umbau von Experimenten einschleichen, die die Performance der Labore beeinträchtigen könnten, werden im CLNE diverse Umweltparameter und die Qualität der Medien ständig durch die Nutzer überwacht. Heikel ist beispielsweise die Erdung. Man darf die gewöhnlichen Erder nicht mit den Messerdern, die in die Erdwärmesonden integriert sind und 200 m in den Boden ragen, verbinden, da sonst die Messresultate verfälscht würden. Die Blitzableiter werden ringförmig um das Gebäude 15 m in die Erde geführt, die Messerder (isolierte Laborerde) in der Gebäudemitte, möglichst weit weg vom Blitzableiter.
Die Gebäudetechnik als Ermöglicher
Die Konstruktion mit massiven Stützen und einem Kern, der Vibrationen fernhält, sowie die Tatsache, dass ein grosser Gebäudeteil unterirdisch ist, bedingen bei der Heizungs-, Lüftungs-, Klima- und Kältetechnik (HLKK) einige Besonderheiten. Einerseits fordert die ETH, dass keine Leitungen in den Beton eingelegt werden, andererseits braucht es grosse Energie- und Luftmengen, um das nötige Raumklima zu erzielen. Der Platz ist also knapp. Zudem müssen Aggregate wie Ventilatoren und Kompressoren vom Gebäude mit Federfüssen oder Sockelplatten mit Luftfedern entkoppelt werden, damit Experimente nicht durch ihre Schwingungen beeinflusst werden. Thorsten Rehm, HLKK-Planer beim Ingenieurbüro Kalt + Halbeisen, betont: «Jedes schwingende Aggregat wird auf den Kopf gestellt, begutachtet, schwingungstechnisch durchgerechnet und dessen Entkoppelung wird auf 4 bis 5 Hz abgestimmt.»
Eine weitere Spezialität ist die dichte Medieninfrastruktur mit diversen Temperaturniveaus, Luftqualitäten und Gasen wie Helium und Stickstoff. Das Sicherstellen von stabilen Raumtemperaturen und Luftfeuchtigkeiten sowie das Einhalten der Reinraumvorgaben sind anspruchsvoll. Die erlaubten Temperaturschwankungen hängen dabei vom Labortyp ab.
Da die Stützen im Gebäude gross sind und nahe beieinander stehen, sind die Lüftungsanlagen massgeschneidert in die Gebäudestruktur integriert. Die Abluftschächte der Labore werden mit chemikalienbeständigen Chromstahloberflächen ausgeführt und jeder Stock wird einzeln nach aussen übers Dach geführt. Belastete Abluft kann so aus jedem Labor abgeführt werden.
Eine weitere Besonderheit ist das Erdwärmesondenfeld mit 187 Sonden, das unterhalb des Gebäudes bei einer Baugrubentiefe von 17 bis 25 m auf drei Höhenniveaus erstellt wird. Wegen dieser Tiefe und der Abstützung der Baugrube kann kein gewöhnliches Bohrverfahren eingesetzt werden. Es muss deshalb in vier Etappen gebohrt werden. Zusätzlich werden Tiefenerdungs- und Temperaturmesssonden verlegt, einige davon mit den Erdwärmesonden.
Neben diesen Sensoren kommen weitere Messorgane wie Drucksensoren, UV-C-Messgeräte, eine Meteostation, Blitzeinschlagszähler sowie eine Gaswarnanlage für Gase wie Stickstoff, Ammoniak und weitere, teilweise auch brennbare Gase zum Einsatz. Die Kommunikation geschieht meist «hybrid»: Die Aggregate werden analog angesteuert und Informationen können mittels Bussystem (ModBus, BACnet usw.) ausgelesen werden. Die Ansteuerung funktioniert somit betriebssicher, und gleichzeitig können diverse Informationen abgerufen werden.
Energieeffizienz ist ein Thema
Die Wärme- und Kälteenergie bezieht das Gebäude vom seit Jahren auf dem Campus Hönggerberg betriebenen Anergienetz – eine separate Wärmeproduktion im Gebäude erübrigt sich. Mit dem Erdwärmesondenfeld des HPQ wird Heiz- und Kühlenergie gewonnen und dem Anergienetz zugeführt. Sie kann von allen am Verbund angeschlossenen Gebäuden genutzt werden. Alle haustechnischen Anlagen werden nach dem Minergie ECO- und dem SGNI-Gold-Standard geplant.
BIM ist omnipräsent
Dass bei einem solchen Projekt die Digitalisierung in Form des Building Information Modelings genutzt wird, überrascht nicht. Andreas Häfeli von Kalt + Halbeisen geht auf die Vorteile von BIM nach Abschluss der Konzeptphase ein: «Mit BIM sehen wir schnell, ob die Leitungsführung koordinativ funktioniert. Man sieht Zusammenhänge und erkennt Probleme früher, wodurch Lösungen leichter erarbeitet werden können.» Dabei sei wichtig, dass BIM als Teamleistung betrachtet wird, an der sich alle Projektteilnehmer gleichermassen beteiligen, damit eine hohe Modell- und Datenqualität erzielt werden kann. «Ein strukturiertes Vorgehen, das Zusammenführen von wichtigen Anlagen- und Bauteildaten, kombiniert mit einer durchdachten 3D-Modellierung und Attribuierung, sind die Grundpfeiler des BIM», betont Thorsten Rehm.
Nach den ersten Ausschreibungen, in denen ein modellbasiertes Ausführen mit Datenbankplattform vorausgesetzt wurde, zeigte sich, dass noch nicht jede Firma die digitale Infrastruktur besitzt, um auf herkömmliche Papierpläne zu verzichten.
Bei aller Euphorie für BIM sollte darauf geachtet werden, dass der Detaillierungsgrad den Projektphasen entspricht. Ein verfrühter Wechsel auf 3D-Modelle kann die Planung nämlich bremsen, weil durch die detaillierte Darstellung der gebäudetechnischen Einbauten ein falscher Eindruck des Projektfortschritts vermittelt wird. Zudem kann der vermeintliche Detaillierungsgrad zu Diskussionen führen, deren Klärung erst in späteren Projektphasen nötig wäre. Umplanungen bei 3D-modellierten Leitungen können aufwendig und zeitraubend sein.
Die Technik soll sichtbar sein
Die im BIM hinterlegte Komplexität des Gebäudes soll gemäss Isabelle Kaufmann nicht versteckt, sondern durch das Gebäude ausgedrückt werden: «Es gibt Gebäude, die materialtechnisch, architektonisch oder oberflächenmässig viel spektakulärer sind als das HPQ. Als Architekten interessiert uns, wie man mit den sehr spezifischen Anforderungen etwas machen kann, das zum Ausdruck bringt, dass das HPQ ein Gebäude des Departements Physik ist.» Dies geschieht beispielsweise mit der Haustechnik, indem die Aggregate für die Abluft, für die es im Gebäude keinen Platz hatte, offen auf dem Dach stehen. Die Technologisierung wird aber auch im Innern kommuniziert: Die Gebäudetechnik wird offen geführt. Es hat viel Sichtbeton und direkte Beleuchtung. Die Labore sind funktional, die Büros schlicht. Ohne Gebäudetechnik wäre es ein spartanisches Gebäude.
Einen Kontrast zu diesem Minimalismus gibt es dennoch: In den öffentlichen Räumen des Gebäudes wurden die verwendeten Materialien bewusst etwas verspielter gestaltet und eingesetzt (Bild 3). Damit man sich beim Eintreten ins HPQ wohlfühlt und der Raum funktioniert, feilte das Planungsteam am Layout des Erdgeschosses mit der Eingangshalle und der Cafeteria intensiv, bis diese Bereiche optimal gestaltet waren. So wird das HPQ künftig nicht nur wissenschaftliche Spitzenresultate ermöglichen, sondern diese auch Aussenstehenden ansprechend kommunizieren.
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