Eine Norm, die sich bewährt
CES-Betrachtungen zur EN 62676-4
Die EN 62676-4 hat sich als Standard bei der Planung und Errichtung von Videoüberwachungsanlagen etabliert. Ausserdem ist das Interesse an der Norm bei Planern, Sicherheitsbeauftragten und Betreibern von Videoüberwachungsanlagen gross. Nach nunmehr zwei Jahren, in denen sich die Anwendungsregeln zum Stand der Technik entwickelten, stellt sich die Frage, weshalb diese Norm nicht schon viel früher zur Verfügung stand.
Auch bei Videoüberwachungsanlagen gilt: erst denken und dann handeln. Die Norm unterstützt diesen Grundsatz bereits, beginnend beim Planungsprozess über die Errichtung bis zum Betrieb einer Videoüberwachungsanlage. So ist der gesamte Prozess in der Norm abgebildet.
Der Prozess
Am Beginn jeder Videoüberwachungsanlage steht ein Sicherheitsbedürfnis. Die Risikobewertung dient dabei dazu, die Grundlagen für konkrete Anforderungen zu erarbeiten. Hier fliesst die Bewertung von Bedrohungsszenarien, individuelle Gegebenheiten am Überwachungsort, Verbrechensrisiko und Ähnliches ein. Basierend darauf werden Sicherheitsgrade mit konkreten Anforderungen definiert. Das Konzept der Sicherheitsgrade vereinfacht die Planung, indem ähnliche Situationen zusammengefasst und mit klaren technischen Anforderungen verknüpft werden. Darauf greift man in späteren Projektphasen immer wieder zurück. So kann z. B. bei Abnahmeprüfungen der Nachweis der Erfüllung einer Anforderung in einer bestimmten Situation stellvertretend für alle gleichartigen Situationen gelten.
Zentrales Element ist stets die Leistungsbeschreibung, denn sie legt das grundsätzliche Ziel und die Funktionalität der Videoüberwachungsanlage fest. Ferner erfolgen klare Angaben zur Leistungsfähigkeit der Anlage, Betriebsdauer, Ausfallsicherheit, betrieblichen Reaktionen etc. Zur Beschreibung, was denn tatsächlich an den Videomonitoren als Ergebnis erwartet wird, dienen die Beobachtungskategorien (Bild 1). Insgesamt sind in der Norm sechs verschiedene Kategorien, von Überwachen bis Überprüfen, definiert. Damit erhält man bereits im Rahmen der Leistungsbeschreibung ein klares Bild von dem, was man am Monitor sehen wird. Zugleich steht damit auch ein objektiver Massstab zur Bewertung von Videobildern zur Verfügung. Fehlten in der Vergangenheit Kriterien, um die Qualität eines Videobildes zu bewerten, so liegen diese nun vor. Vorteil der Methodik ist, dass dabei der gesamte Bildpfad von der Kamera bis zum Monitor betrachtet wird. Dadurch wird sichergestellt, dass nicht nur jede Komponente für sich, sondern alle Komponenten in Verbindung miteinander und die Anlage als Ganzes die Leistungsbeschreibung erfüllen.
Wie wichtig es ist, den gesamten Bildpfad zu betrachten, lässt sich am Sichtfeld und den damit in Zusammenhang stehenden geometrischen Betrachtungen aufzeigen. Um z. B. Personen am Monitor identifizieren zu können, wird ein verzerrungsfreies Bild erwartet. Tatsächlich sind die Bilder einer Videokamera aber nur auf der direkten Sichtachse verzerrungsfrei. Bildbereiche, die ausserhalb der direkten Sichtachse liegen, wirken verzerrt – je grösser der Winkel, desto stärker (Bild 2). Hinzu kommt, dass mit zunehmendem Winkel die effektive Pixeldichte abnimmt, denn das Licht trifft schräg auf den Sensorchip auf (Bild 3). Bei der Wahl einer Videokamera, deren Auflösung und Sichtfeld, ist darauf zu achten, dass die Pixeldichte gemäss festgelegter Beobachtungskategorie auch in den Randbereichen des Bildes erreicht wird.
Um seine Mitglieder bei der Umsetzung der Norm optimal zu unterstützen, hatte der Verband Schweizerischer Errichter von Sicherheitsanlagen, SES, bereits kurz nach Veröffentlichung der Norm ein entsprechendes Tool zur Verfügung gestellt. Basierend auf Erfahrungswerten aus der Praxis wird das Tool laufend erweitert und verbessert. Das PlaTool VS, nunmehr in der Version 2, wird im Lauf dieses Jahres neu auf der Homepage des SES im Mitgliederbereich zum Download zur Verfügung stehen.
Die Norm bekommt Zuwachs
Im April 2018 wurde im IEC über die finale Version der EN 62676-5 abgestimmt. Zum Zeitpunkt, als dieser Artikel geschrieben wurde, lag das Ergebnis noch nicht vor. Man darf davon ausgehen, dass diese Norm angenommen und in absehbarer Zeit veröffentlicht wird. Damit steht endlich ein Standard für die objektive Bewertung der Bildqualität von Videokameras zur Verfügung.
Der Vorschlag, Performance-Tests für die Videoanalyse in eine Norm zu giessen, wurde angenommen, auch die Schweiz hat dem New Work Item Proposal zugestimmt. Die Arbeit an der neuen EN 62676-6 wurde zwischenzeitlich aufgenommen. Bis diese veröffentlicht wird, wird aber noch eine Weile vergehen. Gerade weil im Bereich der Videoanalyse grosse Unterschiede bei der erzielten Qualität auftreten, kann ein einheitlicher Standard bei der Bewertung unterschiedlicher Systeme helfen, um gestellte Anforderungen effizient erfüllen zu können.
Fazit
Die Videoüberwachung entwickelt sich nicht nur im Bereich der eingesetzten Technik rasant weiter. Auch die relevanten Normen ziehen nach. Mit einem Standard zur Bewertung der Bildqualität von Videokameras (EN 62676-5) und einem Standard für Performance Tests für die Videoanalyse (EN 62676-6) werden in nächster Zeit gleich zwei neue Teile der EN-62676-Reihe veröffentlicht werden. Zudem haben sich die Anwendungsregeln zum Stand der Technik entwickelt und werden bei Marktakteuren zunehmend erfolgreich eingesetzt. Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass sich der Einsatz für alle Beteiligten lohnt. Das Interesse an Weiterbildung ist in diesem Bereich nach wie vor hoch. Dabei unterstützt der SES seine Mitglieder aktiv, in dem er neben Praxisseminaren auch Tools zur Umsetzung der Norm zur Verfügung stellt und diese auch stetig weiterentwickelt.
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