Fachartikel Erneuerbare Energien

Ein Wissenschafter muss ein Bürger sein

Porträt über Jacques Dubochet

25.02.2021

Jacques Dubochet, Träger des Nobelpreises für Chemie, ist ein neugieriger Mann, der die Dinge verstehen will. Seiner Ansicht nach hat ein Wissenschafter die Pflicht, Bürger zu sein, denn seine Forschung kann sich auf die Gesellschaft auswirken. Er selbst engagiert sich stark fürs Klima.

Als ein Journalist ihn fragte: «Ihre Entdeckung in zehn Sekunden?», antwortete Jacques Dubochet kurz und knapp: «Kaltes Wasser.» Diese ehrliche Antwort entspricht ganz seinem Wesen. Dem Wissenschafter hat diese Antwort – die grosse Entdeckungen erahnen lässt – 2017 sogar den Nobelpreis für Chemie eingebracht. Jacques Dubochet hat als Referent beim Club Ravel des VSE offen über seinen Werdegang, seine Forschungsarbeit sowie sein Engagement für das Klima berichtet.

Seine Kindheit hat er teilweise im Kanton Wallis verbracht und er erinnert sich noch an die Errichtung der Cleuson-Staumauer, an der sein Vater als Ingenieur mitwirkte. Damals wurde bei ihm als erstem Waadtländer Kind Legasthenie festgestellt, es ging ihm damals nicht gut. Allerdings steht diese Behinderung seiner Neugier, seinem Wissensdrang keinesfalls im Weg.

Wie viele andere Kinder hat er Angst vor der Dunkelheit. Und eben weil er diese Angst überwinden will, verspürt er das Bedürfnis, sie zu verstehen. Genau dieses Verlangen, alles zu erfassen, wird ihn sein Leben lang begleiten und ihm ermöglichen, diese Welt, die ihn so fasziniert, ein wenig zu begreifen. Seine Suche wird übrigens dazu führen, dass er auch die kleinsten Elemente verstehen will. Mit diesem Ziel wird er später die Kryo-Elektronenmikroskopie entwickeln.

Mit Kryomikroskopie die Welt verstehen

Jacques Dubochet hat es geschafft, flüssiges Wasser sozusagen lichtdurchlässig zu machen. Diese Entdeckung erlaubt es, das Wasser in den mit dem Elektronenmikroskop betrachteten Objekten zu erhalten und damit die lebende Materie in einem realitätsnäheren Zustand zu sehen.

Dank vielen anderen Wissenschaftern, insbesondere aber dank der Arbeiten von Richard Henderson und Joachim Frank, mit denen Dubochet sich den Nobelpreis teilt, ist es nun möglich, die dreidimensionale Anordnung der mehreren Hunderttausend Atome darzustellen, die einen Virus oder einen grossen Molekülkomplex bilden.

Wenn Jacques Dubochet von Verständnis spricht, präzisiert er gerne, dass ihn das Unbekannte fasziniert, nicht das Mysterium. Mysterien umfassen Aspekte, die nicht zu ergründen sind und die unser Verständnis übersteigen, so etwa der Glaube an Gott, der für ihn rein konzeptuell nicht fassbar ist. Beim Unbekannten hingegen könne er – auch wenn es nicht möglich sei, es zu erfassen – versuchen, sich schrittweise anzunähern.

Und der Wissenschafter wird versuchen, einen Teil dieses Unbekannten zu verstehen. Wie definiert Dubochet denn einen Wissenschafter? Für ihn ist der Wissenschafter eine Person, die nur die Natur als Lehrmeisterin hat, oder das, was andere von der Natur gelernt haben und an uns weitergeben.

Die Wissenschaft im Dienst der Gemeinschaft

Mit den Fortschritten der Kryo-Elek­tronenmikroskopie verfügt die Wissenschaft über ein neues Instrument, um Krankheiten zu verstehen, etwa Alzheimer oder auch Covid. Wer Verständnis sagt, meint auch Lösungsansatz.

Diese Erkenntnisse werden vielleicht eines Tages ermöglichen, Behandlungen für diese Krankheiten zu finden und bestimmt einen Wettlauf um Patente auslösen – wie dies etwa bei verschiedenen Krankheiten wie HIV oder Hepatitis C bereits der Fall war.

Jacques Dubochet ist überzeugt, dass man «es besser machen muss» und die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Allgemeinheit zur Verfügung stellen müsste. In seinen Augen hat der Wissenschafter also eine soziale Verantwortung als Bürger. Denn es reicht nicht, Wissen zu erzeugen, man muss auch die Entwicklung, die Umsetzung dieser Erkenntnisse im Blick haben. Diese Überzeugung wendet er auch für sein Engagement gegen die Klima­erwärmung an.

Die Natur als Lehrmeisterin

Jacques Dubochet sieht den Wissenschafter als «Person, deren einzige Lehrmeisterin die Natur ist». Diese Überzeugung begleitet ihn bei seinem langjährigen Engagement für die Umwelt, wofür er in den Jahren 1968/69 auch auf die Strasse gegangen ist. Ihn schmerzt das Abschmelzen der Gletscher, und er hat versucht zu verstehen, was mit dem Klima passiert. Die Klima­erwärmung ist übrigens ein Phänomen, das seit den 1970er-Jahren beobachtet wird. Als guter Wissenschafter wollte Dubochet wissen, welches naturwissenschaftliche Gesetz diesem Temperaturanstieg zugrunde liegt.

Den Teilnehmenden des Club Ravel hat Jacques Dubochet seine Überlegungen zur Klimaerwärmung nähergebracht. Zur Untermauerung seiner Überlegungen hat er statistische Daten beigezogen. Beobachtungen zufolge hat diese Temperaturanomalie bereits um 1,2 °C zugenommen, und zwar mit einer Verdoppelung der Zahlen in etwas weniger als 30 Jahren. Wenn es so weitergeht, sind die 1,5 °C Anstieg, die gemäss dem Pariser Klimaübereinkommen im Idealfall maximal erreicht werden, 2030 schon Realität. 2040 betrüge der Anstieg bereits 2 °C, jenseits dieses Grenzwerts wird die Erwärmung als für unsere Zivilisation unzumutbar eingestuft. Wenn nichts unternommen wird, wären wir Ende des Jahrhunderts bei 8 °C.

Der Mensch könnte nur noch in einigen Gebieten in Kanada, Sibirien und Patagonien wohnen.

Die Dekarbonisierung als Antwort der Gesellschaft

Ein Bezug zwischen Klimaerwärmung, CO2 und fossilem Kohlenstoff ist nachgewiesen. Ihre jeweiligen Verlaufskurven weisen dieselbe exponenzielle Entwicklung auf, jede mit einer Verdopplungszeit von etwas unter 30 Jahren.

Jacques Dubochet glaubt, dass diese bedeutsame Kopplung auch die Lösung für das Problem der Klimaerwärmung impliziert: Die Gesellschaft muss aus dem fossilen Kohlenstoff aussteigen, um den Temperaturanstieg zu stoppen, und zwar schnell, vor 2040.

Er ist der Ansicht, dass die Gesellschaft das schaffen könne (oder sogar müsse). Technische Lösungen «können nicht alles, aber es gibt sie, und sie werden uns helfen». Er ist sogar der Auffassung, dass die Strombranche – neben dem individuellen Willen der Bürgerinnen und Bürger, ihre Gewohnheiten zu ändern – die Lösung hat. Nun ist es Zeit, die Entwicklung aller erneuerbaren Energien zu unterstützen.

Autorin
Valérie Bourdin

ist Redaktorin VSE.

  • VSE,
    1003 Lausanne

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