Fachartikel Beleuchtung , Energieeffizienz

Ein Strassenlicht, das auf das Wetter achtet

Optimale Sichtverhältnisse

28.10.2022

In Richterswil wurde neulich eine Pilotanlage entlang der Seestrasse in Betrieb genommen, bei der sich das Licht der Witterung anpasst. Dabei wird die Licht­verteilung zum Beispiel bei Nässe intelligent angepasst. Ziel ist es, die Sicht­verhält­nisse für die Verkehrs­teil­nehmer­innen und -teil­nehmer dadurch zu verbessern.

Ganz egal, ob wolkenlos, neblig verhangen oder strömender Regen: Die Beleuchtung auf Schweizer Strassen leuchtet bei jedem Wetter gleich. Wohl gibt es bereits Steuerungen, die sich dem Verkehrs­­aufkommen anpassen. Doch dass die Sichtverhältnisse nachts bei trockener oder nasser Fahrbahn komplett verschieden sind, dem konnte bisher kaum Rechnung getragen werden. «Die Pilotanlage in Richterswil ist in der Schweiz und vermutlich gar europaweit die erste ihrer Art, die sich dem Wetter anpasst», sagt Jörg Haller, Leiter Öffentliche Beleuchtung und Smart City bei EKZ. EKZ testet seit Ende 2021 auf einem Strassenabschnitt in der Zürcher Seegemeinde Richterswil eine Strassen­beleuchtung, die ihr Licht je nach Witterung anders lenkt.

Ziel: Sehkomfort verbessern

Bei bisherigen Beleuchtungs­steue­rungen ging es stets um eine Beleuchtungs­anpassung an Art und Umfang des Verkehrs­aufkommens, um unerwünschte Licht­immissionen zu reduzieren und die Energieeffizienz zu steigern. «Bei dieser Anlage liegt der Fokus auf dem Sehkomfort und der Sicherheit», sagt Haller. Die Kantonsstrasse, die am Bahnhof vorbeiführt, wurde über etwa einen Kilometer in drei Abschnitte eingeteilt: Ein Abschnitt verfügt über alte Natrium­dampflampen, ein Abschnitt über LED-Leuchten, wie sie heute Standard sind, und der dritte Abschnitt dient als Pilotstrecke mit zehn LED-Leuchten neuster Generation, die die Strasse je nach Wetter­verhältnissen unterschiedlich ausleuchten. Die adaptiven Stras­senleuchten mit einer sogenannten Light-Switch-Funktion wurden vom deutschen Beleuchtungs­hersteller Siteco entwickelt. Sie können ihre Optik anpassen. Das Licht wird also je nach Wetter unterschiedlich verteilt. Über einen lokalen Sensor werden die Witterungs­verhältnisse ermittelt; die Leuchten passen dann automatisch ihre Lichtverteilung an, um auch bei Nässe eine gleich­mässigere Ausleuchtung herzustellen und die Blendung zu minimieren. Die adaptiven Leuchten vernetzen alle Komponenten der Leuchte wie eine Art Nervensystem und bieten so technisch die Möglichkeit, diese neuen Steuerungs­optionen umzusetzen.

Wie es seinen Anfang nahm

Die Idee für die neuen Leuchten war an einem Kongress im Jahr 2017 entstanden. Dort sinnierte Jörg Haller gemeinsam mit Katrin Schroll, Head of Optic Development bei Siteco, über das Bedürfnis, die Sichtbedingungen im Strassenverkehr zu verbessern. Haller erklärt: «Die aktuell angewandten Normen beim Beleuchten im Stras­senverkehr beziehen sich alle auf
Messungen bei trockener Fahrbahn. Die tatsächlichen Sichtverhältnisse weichen bei Nässe dann deutlich von den Vorgaben ab.» Die Idee für die Pilotanlage war geboren, der Entscheid für ein gemeinsames Vorgehen gefasst. Haller und sein Team suchten in der Folge nach einem geeigneten Standort. Die Strecke sollte so lang sein, dass sie sich in drei Teilabschnitte für die verschiedenen Versuchs­anordnungen unterteilen liess. Die Wahl fiel auf Richterswil, da dort wegen der Nähe zum See ideale Bedingungen für die Anlage herrschen. Katrin Schroll und ihr Team bei Siteco machten sich an die Entwicklung der neuen Spezial­­optiken inklusive Steuerung. In mehreren Schritten wurden diese dann in enger Abstimmung mit den EKZ-Spezialisten zu einem serienreifen Prototyp entwickelt. Jörg Haller betont: «Natürlich unterstützt das Tiefbauamt des Kantons Zürich die Pilotanlage voll und ganz. Es werden auch hier sämtliche Beleuchtungs­normen eingehalten.» Haller schmunzelt: «Ich wage zu sagen: Sie werden auf dieser Pilot­strecke sogar bei nasser Fahrbahn eingehalten.»

Sehkomfort und Sicherheit rücken in den Fokus

Bessere Sicht und weniger Blendung: Genau das soll nun mit der Richterswiler Pilotanlage untersucht werden. Es geht um Fragen wie: Wie empfindet das menschliche Auge das adaptive Licht? Verbessert sich die Sicht für die Verkehrsteil­nehmer­innen und -teilnehmer bei Nässe? Wie lassen sich die vorhandenen Erkenntnisse zur Sichtbarkeit bei wechselnden Wetter­phänomenen in die Praxis übertragen? Im nächsten Frühjahr wird zu diesem Zweck eine qualitative Befragung mit Probanden gestartet. Gemeinsam mit einer Hochschule untersucht EKZ in einer umfassenden wissen­schaftlichen Studie die Wirkung der Pilotbeleuchtung. Denkbar ist später eine Ausweitung der Fragestellung auch auf andere Wetter­verhältnisse wie Schnee oder Nebel.

Anja Rubin: Seit einem knappen Jahr sammeln Sie Erfahrungen mit der neuartigen adaptiven Strassenbeleuchtung in Richterswil. Was ist Ihr erstes Fazit?

Jörg Haller: Die Pilotanlage läuft störungsfrei. Wir haben auch erste Rückmeldungen von Verkehrsteilnehmern bekommen, die das Licht als angenehmer empfanden als auf den Vergleichsabschnitten. Für eine wissenschaftlich abgestützte Aussage ist es jedoch noch zu früh.

Sie haben eine wissenschaftliche ­Studie geplant. Was wird sie untersuchen?

Mit Unterstützung einer Hochschule werden wir mittels eines Fragebogens und qualitativen Interviews Probanden befragen, wie sie die Sichtverhältnisse auf der Pilotstrecke empfanden. Zusätzlich werden wir lichttechnische Messungen mit Spezialkameras vor Ort durchführen.

Die Pilotanlage wurde für diesen Zweck neu entwickelt. Nicht nur die Leuchten, sondern auch die Steuerung sind neuartig. Wie lief die Inbetriebnahme?

Ja, unser Partner hat die Leuchten mit Spezialoptiken eigens für diese Anlage entwickelt. Sie sind eine Weiterentwicklung einer bereits etablierten Strassenleuchtenfamilie. Die ersten Prototypen der Reflektoren, die das Licht bündeln und verteilen, wurden hierfür im 3D-Drucker hergestellt. Leider hat sich nach kurzer Zeit gezeigt, dass diese den Temperaturen nicht gewachsen waren. (Haller lacht) Wir haben die Reflektoren nochmals neu aus Aluminium anfertigen lassen. Seitdem funktioniert der Betrieb ohne Zwischenfälle.

Was ist denn das Neuartige an dieser Anlage?

Neuartig ist, dass sich die Optiken je nach Witterung anpassen. Ein Wettersensor schickt die Informationen zu den Witterungsverhältnissen an die Leuchten und diese verteilen das Licht je nachdem anders. Optiken für nasse Fahrbahnen gab es auch schon zuvor. Solche sind beispielsweise in Skandinavien im Einsatz. Mir ist europaweit aber kein Beispiel bekannt, bei dem sich die Optiken intelligent anpassen können.

Wie geschieht dies konkret?

So viel darf verraten werden: Die Leuchten enthalten sowohl die Eigenschaften für nasse als auch trockene Strassen – also eigentlich sind es zwei Leuchten in einer. Signalisiert ein Sensor in diesem Bereich, dass die Strasse nass ist, werden die Optiken entsprechend angesteuert.

Ist der Stromverbrauch der Leuchten höher bei Nässe?

Der Energiebedarf stand bei diesem Projekt im Vergleich zu vielen vorherigen nicht im Fokus. Bei diesem Projekt wollen wir spezifisch den Sehkomfort verbessern. Der Energiebedarf ist in beiden Fällen ähnlich. Es ändert sich nur die Verteilung des Lichts.

Sie und Ihr Team forschen schon lange am «perfekten» Licht. Worin unterscheidet sich dieses Projekt von früheren, wie beispielsweise dem verkehrsbeobachtenden Licht in Urdorf, das 2018 mit dem Watt d’Or ausgezeichnet worden war?

Der Unterschied liegt vor allem in der Zielsetzung: In Urdorf ging es primär um die Energieeffizienz. Die damals neue Art, Licht zu steuern, sorgt für bis zu 30 Prozent weniger Stromverbrauch bei gleichbleibender Sicherheit und hohem Komfort für Nachbarschaft und Umwelt. In Richterswil stehen dagegen die Sichtverhältnisse, der Sehkomfort und die Sicherheit im Fokus. Dabei gehen wir hier einen Schritt weiter als die übliche Anpassung des Lichts von hell auf dunkel. Es verändert sich eben nicht nur die Lichtintensität, sondern die Art, wie das Licht verteilt wird. Energieeffizienz dagegen ist in diesem Pilotprojekt nicht im Fokus der Untersuchungen.

Wo sehen Sie Anwendungsmöglichkeiten in der Zukunft?

In der öffentlichen Beleuchtung können sich die äusseren Bedingungen im Laufe einer Nacht deutlich verändern. Unser Ziel ist es, all die Möglichkeiten sinnvoll und kombiniert einzusetzen, die uns neue Technologien bieten. Wir wollen das Licht möglichst genau den jeweils herrschenden Rahmenbedingungen anpassen. Dies betrifft zum Beispiel die Helligkeit der Beleuchtung, welche wir im Laufe der Nacht anpassen, oder wie hier die wetterabhängige Lichtverteilung. So kann man auf den wichtigen Verkehrsrouten die Sichtverhältnisse deutlich verbessern.

Sie nannten das Stichwort «smart»: Der Trend geht nicht nur in Städten, sondern auch in Gemeinden in Richtung Smart City.

Richtig. Mit solchen Anlagen bewegen wir uns auch immer ein Stück in Richtung smarter City. So können zukünftig z.B. Verkehrsströme oder die Suche von Parkplätzen oder Lademöglichkeiten kombiniert erfasst und optimiert werden. Auch werden Umweltdaten ermittelt, die intelligent genutzt werden können. Darin bildet die öffentliche Beleuchtung einen wichtigen Baustein.

Autorin
Anja Rubin

ist Projektleiterin Kommunikation bei EKZ.

  • EKZ, 8022 Zürich

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