Fachartikel Energiemarkt

Ein optimiertes Produktportfolio zur Sicherung der Erlöse

Energieversorger auf der Suche nach neuen Geschäftsmodellen – ein Beispiel aus der Praxis

17.12.2016

Der Wandel zur «smarten Energiewelt» stellt die Schweizer Energieversorger vor grosse Herausforderungen. Viele versuchen daher, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, um zumindest einen Teil der sinkenden Erlöse auszugleichen. Diese neuen Geschäftsmodelle müssen aber an die individuelle Situation des Versorgers, wie beispielsweise Ressourcen, Ziele und Strategie, angepasst werden. Die Werkbetriebe Frauenfeld haben diese Herausforderungen angenommen und gemeinsam mit der BET Suisse AG aus Zofingen in einem strukturierten Verfahren neue Geschäftsmodelle entwickelt.

Die Schweizer Energieversorger sehen sich steigendem Erlösdruck und wachsenden Herausforderungen gegenüber. Es herrscht Wettbewerb um freie Stromkunden über 100 MWh Jahresverbrauch, und auch der Gasmarkt ist zum Teil geöffnet. Im Bereich der Stromnetze besteht noch kein Wettbewerb – hier wird reguliert. Und die Regulierungsanforderungen steigen mit der sogenannten Sunshine-Regulierung. Der Energieabsatz im Haushaltsbereich sinkt wegen der steigenden Energieeffizienz, und niedrige Grosshandelspreise lassen die Produktion aus Wasserkraft oft unwirtschaftlich sein. Ausserdem bedroht das Bundesgerichtsurteil vom Juli 2016 die Wirtschaftlichkeit von Stromlieferungen an Marktkunden. Die Energieversorger kommen daher nicht darum herum, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.

Produktinnovationen sind oftmals Neuland

Versorgungsunternehmen sind traditionell an Zielen und Werten wie Versorgungssicherheit und Zuverlässigkeit orientiert. Im energiewirtschaftlichen Umfeld der Schweiz, in dem erst seit kurzer Zeit in Teilbereichen Wettbewerb herrscht, nehmen diese Ziele und Werte einen hohen Stellenwert ein – und sie werden auch weiterhin gerechtfertigt sein. Der Werkplatz Schweiz zeichnet sich bisher – und hoffentlich auch künftig – durch seine hervorragende Infrastruktur aus, zu der die Energieversorgungsunternehmen werden beitragen müssen.

Innovationen, Innovationsfähigkeit und Innovations-kultur sind in Schweizer Versorgungsunternehmen bisher jedoch oft nachrangig gewesen. Das ist aber nicht nur in der Schweiz der Fall. Auch Versorgungsunternehmen in einem viel stärker wettbewerblich orientierten Umfeld sind oftmals noch nicht hochinnovativ, wie beispielsweise ein Blick in eine Innovationsstudie aus dem Jahr 2015 zeigt [1]. In dieser wurden deutsche Energieversorgungs-unternehmen unter anderem befragt, mit welchen Arten von Innovationen sie sich befassen. Nur 17 % der befragten Unternehmen gaben an, Geschäftsmodell-innovationen zum Thema zu haben, nur 15 % sprachen von Produktinnovationen. Das bedeutet umgekehrt, dass jeweils rund 85 % der befragten Unternehmen keine neuen Geschäftsmodelle entwickeln oder keine neuen Produkte hervorbringen (Bild 1).

Es ist zu erwarten, dass sich die Situation in der Schweiz nicht grundsätzlich anders darstellt als in Deutschland.

Um aber weiterhin erfolgreich am Markt agieren zu können, müssen sich Energieversorger neuen Ideen öffnen und zukunftsträchtige Geschäftsmodelle entwickeln. Sich einzig auf Bewährtes zu verlassen und das Geschäft nur an den bisherigen Zielvorgaben und Werten zu orientieren, ist nicht ratsam. Muss ein Energieversorger deshalb aber gleich zu einem neuen «Google» oder «Tesla» werden? Hier sind zumindest deutliche Fragezeichen erlaubt. Es besteht die Gefahr, dass Mitarbeiter «nicht mitgenommen werden» und dass zugleich eher «Marketing-Projekte» realisiert werden, statt dauerhaft belastbare Geschäftsmodelle mit Wertbeiträgen zu entwickeln.

Typische Herausforderungen der Werkbetriebe Frauenfeld

Die Werkbetriebe Frauenfeld sind ein lokal agierendes Querverbundunternehmen im Kanton Thurgau, welches seine Kunden mit Strom, Wasser und Gas beliefert und die entsprechenden Netze dazu betreibt. Es erbringt darüber hinaus auch verschiedene andere Dienstleistungen. Das Unternehmen fokussiert räumlich auf die Stadt Frauenfeld und einige Nachbargemeinden, dort aber mit abgestuftem Leistungsspektrum. Aus historischen Gründen hat das Unternehmen kein eigenes Installationsgeschäft. Es kooperiert stattdessen eng mit dem lokalen Handwerk.

Das Unternehmen ist Innovationen und Neuerungen gegenüber durchaus aufgeschlossen. In der Vergangenheit hat es bereits verschiedene, innovative Massnahmen ergriffen: Beispielsweise haben die Werkbetriebe Frauenfeld bereits umfangreiche Erfahrungen im Bereich Smart Metering sammeln können und verfügen über ein hohes Know-how in diesem Bereich. Auf der anderen Seite ist das Unternehmen im Strom- und Gasvertrieb dem Wettbewerb ausgesetzt. Die Folge davon sind schwindende Margen bei Energielieferungen für marktberechtigte Grosskunden. Die Führungspersonen im Betrieb weisen hinsichtlich Alter und Background eine gewisse Durchmischung auf. Bei den meisten Kadern und Mitarbeitern der Werkbetriebe Frauenfeld ist ein hohes Engagement für das Unternehmen spür- und erkennbar.

Aus dieser Situation heraus entstand der Anspruch, das bestehende Produktportfolio zu überprüfen und gegebenenfalls zu ergänzen. Das Produktportfolio sollte so gestaltet werden, dass es zukunftssicher ist.

Stufenweises Vorgehen für Effektivität und Effizienz

In einem ersten Schritt analysierte die Geschäftsleitung das bestehende Leistungsportfolio und verschiedene Rahmenbedingungen. Ziel war, für das weitere Projekt eine gemeinsame Grundlage zu schaffen. Dabei kam auch zur Sprache, welche Ziele das Unternehmen verfolgt und unter welchen Voraussetzungen bestehende Leistungsangebote auszubauen oder einzustellen seien – Produktportfolio-Management besteht ebenso aus Innovationen wie aus der Elimination nicht sinnvoller Produkte.

In einem zweiten Schritt wurden unter Einbezug von Geschäftsmodell-Ansätzen und Produktideen, die andere Unternehmen im deutschsprachigen Raum anwenden, sowie von Ideen der eigenen Geschäftsleitung und Mitarbeiter neue Ansätze und Geschäftsmodelle untersucht und entwickelt. Es erwies sich als sehr wertvoll, das Thema durch die Geschäftsleitung und auch durch die Mitarbeiter zu bearbeiten. Mit diesem Ansatz wurden sowohl die strategisch-übergeordneten Aspekte der Werkbetriebe, als auch die Berücksichtigung fachlicher Aspekte und die Nähe der operativ tätigen Mitarbeiter zu den Kunden gesichert. Geschäftsleitung und Mitarbeiter brachten also neue Geschäftsmodelle und Produktideen mit von vorneherein guter Qualität in das Projekt ein. Beide – Mitarbeiter und Geschäftsleitung – bewerteten diese Modelle und Ideen und trugen zur Selektion und damit zur Effizienz im Prozess bei. Der Einbezug der Mitarbeiter war gleichzeitig ein wichtiger Schritt zur Förderung einer neuen Innovationskultur.

Schliesslich verfeinerte die Geschäftsleitung die attraktivsten Ideen weiter. Diese Verfeinerung beinhaltete beispielsweise die Analyse der Geschäftsmodelle mittels des dafür etablierten Canvas-Modells und die Skizzierung von Marketing-Mix und Business Case. Das Ziel war, einen konkreten Handlungsansatz an die Hand zu geben.

Kriterien für Geschäfts­modelle und Produkte

Mittels einer Übersicht über bestehende Geschäftsmodelle und konkrete Produktideen aus der Schweiz, Deutschland und Österreich sowie durch die «unternehmerische» Arbeit von Geschäftsleitung und Mitarbeitern bei der Generierung eigener Ideen wurde gewissermas­sen eine «Longlist» an Produktideen beziehungsweise Geschäftsmodellen erstellt. Nicht alle Vorschläge auf dieser Liste eigneten sich jedoch für die Werkbetriebe Frauenfeld (beispielsweise eigene Analyseleistungen für die Energie-Grosshandelsmärkte).

Wichtig war daher, einen belastbaren und zugleich operationalisierbaren Massstab zur Selektion der interessantesten Ansätze zu haben. Die Auswahl von Geschäftsmodellen und Produktideen wurde grundsätzlich anhand von vier Kriterien durchgeführt (Tabelle 1).

Diese Kriterien sind in dieser Form noch allgemeingültig und nicht operationalisierbar. Deshalb wurden sie gemeinsam mit der Geschäftsleitung weiter ausdefiniert und konkretisiert.

Kriterium 1 stellt sicher, dass das Unternehmen mit einem allfälligen Geschäftsmodell oder bestimmten Produkt­innovationen wirklich seine Ziele verfolgt. Die Ziele können quantitativer Natur, beispielsweise konkrete Renditeanforderungen, oder qualitativer Natur sein, beispielsweise der Aufbau von Know-how. Wäre also ein positiver Kapitalwert von Projekten ein zu verfolgendes Ziel, könnten sogenannte «Leuchtturmprojekte» vermieden oder ausselektiert werden, da sich diese nur durch Marketing-Wirkung auszeichnen. Die (knappen) Ressourcen werden effektiver investiert. Im vorliegenden Beispiel definierten die Werkbetriebe Rentabilitätsanforderungen, welche durch künftige Geschäftsmodelle und Produkte zu erfüllen sind.

Kriterium 2 stellt sicher, dass das Unternehmen sich jenen Geschäftsmodellen zuwendet, welche den eigenen Ressourcen, den eigenen Stärken und Schwächen ebenso entsprechen wie der Strategie. Wo die notwendigen Ressourcen heute nicht vorhanden sind, müssen diese aufgebaut werden, wenn das Vorgehen Erfolg nach sich ziehen soll. Im aktuellen Projekt ist beispielsweise zu beachten, dass für In­stallationsarbeiten mit dem lokalen Handwerk kooperiert wird, weil entsprechende interne Ressourcen fehlen.

Kriterium 3 stellt sicher, dass in Märkten agiert wird, in denen eine gute Wettbewerbsposition erzielt werden kann und die im Idealfall auch noch wachsen. Gerade für kommunale Versorger ist dieses Kriterium kritisch, wenn beispielsweise die Eigentümerstrategie ein Engagement über die eigene Region hinaus verbietet. Dann können Geschäftsmodelle auch infolge eines zu stark begrenzten Marktvolumens ungeeignet sein. Ein schweizweites Angebot von Dienstleistungen scheidet beispielsweise für das Frauenfelder Unternehmen aus. Ein Ausweg aus dieser Situation kann sein, solche Geschäftsmodelle eher mit Partnern statt alleine zu verfolgen. Wichtig ist, sich bei der Beurteilung von Markt und Wettbewerb nicht nur auf die eigene Wahrnehmung zu verlassen. Marktforschung und andere Verfahren helfen, Produktentwicklung nicht am Markt und am Kunden vorbei zu betreiben.

Kriterium 4 schliesslich stellt sicher, dass Synergien zum bestehenden Geschäft und zu anderen Produkten genutzt werden. Dank solcher Synergieeffekte kann das Unternehmen besondere Vorteile aus einem angepassten Produktportfolio ziehen, statt erhöhten und unter Umständen unwirtschaftlichen Aufwand für eher «fremde» Produkte zu liefern. Gerade für einen kommunalen Querverbundversorger können besonders viele Synergieeffekte möglich sein.

Neben der Selektionswirkung dieser vier Kriterien hat deren Anwendung noch einen anderen Vorteil, der sich auch am vorliegenden Projekt zeigte. Sich anhand der Kriterien mit dem konkreten Geschäftsmodell beziehungsweise mit der konkreten Produktidee zu befassen, hilft, Ansätze zu deren Optimierung zu finden. Wird beispielsweise das Kriterium 2 nicht erfüllt, weil die Ressourcen für das fiktive Geschäftsmodell «Installation von Solaranlagen» nicht vorhanden sind, können Partnerschaften mit anderen Unternehmen oder der Aufbau entsprechender Ressourcen mögliche Auswege sein. Ist aber das Kriterium überhaupt nicht erfüllbar, sollte auf das Geschäftsmodell beziehungsweise das Produkt konsequenterweise gänzlich verzichtet werden.

Anhand der Kriterien lassen sich alle Ansätze speditiv messen und beurteilen. Die wenigsten Ansätze sind dabei eindeutig für alle vier Kriterien geeignet oder eindeutig ungeeignet. Vielmehr kommt es recht häufig vor, dass die Geschäftsmodelle oder Produktideen hinsichtlich einzelner Kriterien sehr attraktiv sind, hinsichtlich anderer Kriterien aber weniger. In diesem Fall war in Frauenfeld eine weiterführende Diskussion nötig.

Jene Ansätze, welche weiterhin attraktiv sind, etwa weil sie hinsichtlich der überwiegenden Anzahl der Kriterien positiv beurteilt werden und nur schwach ausgeprägte Schwächen aufweisen, wurden in dem Projekt weiterverfolgt und in eine Shortlist aufgenommen.

Kombination der attraktiven Ansätze

Kunden bezahlen für Produkte, wenn diese ihre Bedürfnisse befriedigen. Diese Bedürfnisse sind aber oft vielschichtig. So kann beispielsweise das Bedürfnis nach sicherer Stromversorgung mit dem Bedürfnis nach ökologischer Energie und jenem nach einem niedrigen Preis verbunden sein. Gleichzeitig sind einzelne Produkte, zum Beispiel im Dienstleistungsbereich, oft so kleinteilig, dass sie wirtschaftlich isoliert kaum attraktiv sind. Eine Beratung für Hausbesitzer zur Optimierung der Liegenschaftsbeleuchtung ist weit weniger attraktiv als ein Gesamtkonzept zur energetischen Sanierung eines Altbaus, welches das Beleuchtungsthema ebenfalls aufgreift.

Auch die Werkbetriebe Frauenfeld wollen in Zukunft bereits vorhandene, bisher aber einzeln angebotene Produktmerkmale und Leistungsversprechen kombinieren. So entsteht ein neues Leistungsbündel, welches künftig als «Rundum-Paket» verkauft werden soll.

Definition des neuen Geschäftsmodells

Das gängige Schema zur Beschreibung von Geschäftsmodellinnovationen ist «Canvas». Damit lassen sich Ideen transparent beschreiben, testen und he­rausfordern. Die Ideen werden strukturiert, relevante Faktoren für das Geschäftsmodell deutlich und kritische Aspekte identifiziert (Bild 2). Dieses Modell ist verständlich und wurde angewandt, um die beiden ausgewählten Geschäftsmodelle weiter zu bearbeiten. Schliesslich wurde auch ein möglicher Marketing-Mix definiert und die Business Cases wurden ökonomisch bewertet.

Abschliessende Bewertung

Kunden und ihre Bedürfnisse stehen bei der Erarbeitung neuer Geschäftsmodelle und der Entwicklung von Produktideen im Mittelpunkt. Strukturiertes Vorgehen ermöglicht, diesen Prozess effektiv und effizient durchzuführen und das Produktportfolio zu optimieren. Die oben genannten Kriterien bilden einen wirkungsvollen Filter zur Selektion von Ideen und Ansätzen und fördern zudem die Produktentwicklung.

Dass dieses Vorgehen erfolgversprechend ist, zeigte sich auch im vorliegenden Projekt: Die Werkbetriebe Frauenfeld haben zwei Geschäftsmodelle identifiziert, welche sie noch eingehender prüfen werden. Beide Varianten passen zu diesem Betrieb und versprechen gute Aussichten auf wirtschaftlichen Erfolg. Langfristig kann ein gleichgelagertes Projekt der Einstieg zu einer Anpassung der Innovationsfähigkeit des Unternehmens sein, denn in einem dynamischen Wettbewerb muss das Produktportfolio laufend aktualisiert werden.

 

Referenzen

[1]    BET (Herausgeber): «Innovationsfähigkeit von Energieversorgungsunternehmen». Aachen, 2016.
www.bet-aachen.de
[2]    A. Osterwalder; Y. Pigneur: «Business Model Generation: A Handbook for Visionaries, Game Changers, and Challengers», 2010.

 

Autor
David Dünnenberger

ist Leiter Energiemarkt der Werkbetriebe Frauenfeld.

  • Werkbetriebe Frauenfeld
    8500 Frauenfeld
Autor
Dr. André Vossebein

ist Geschäftsführer der BET Suisse AG.

  • BET Suisse AG, 4800 Zofingen

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