Ein futuristisches Forschungszentrum
Smart Living Lab in Fribourg
Der vom SIA und den beiden Fachverbänden Die Planer und Electrosuisse organisierte nationale Gebäudetechnik-Kongress ist eine ideale Plattform, um Forscher, Ausführende, Architekten, Gebäudetechniker und Betreiber zusammenzuführen. Im Interview stellt Martin Gonzenbach das Projekt näher vor, das er am Kongress präsentieren wird.
Nachdem der Gebäudetechnik-Kongress 2021 nur digital durchgeführt wurde, soll in diesem Jahr vor allem das persönliche Networking im Vordergrund stehen. Drei Keynotes und sechs Referate beleuchten die zukunftsrelevanten Schwerpunkt-Themen Kooperation & Reduktion.
Bulletin: Herr Gonzenbach, Sie waren einer der zündenden Faktoren, das Smart Living Lab zu initiieren und ein Gebäude der Zukunft zu kreieren, das effizient, nachhaltig und CO2-neutral sein wird. Wie ist dieses Projekt entstanden?
Martin Gonzenbach: Die Idee für das Smart Living Lab entstand bereits 2012, als sich die EPFL und der Kanton Freiburg die Aufgabe stellten, ein Zentrum von internationaler Bedeutung zu entwickeln, das sich den Bautechnologien und den architektonischen und energetischen Herausforderungen des Wandels widmet. Die Motivation bestand von Anfang an darin, Lösungen zu entwickeln, die der Schweiz helfen, ihre 2050 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen, und zu diesem Zweck ein experimentelles Gebäude zu errichten, das als Forschungsinstrument und lebendes Labor dienen soll. Die Zielvorgaben für die Leistung des Gebäudes waren Gegenstand einer ersten Forschungsphase, die dem Entwurf vorgelagert war und zu einem Austausch zwischen Wissenschaftlern und Praktikern geführt hat. Zu diesem Zeitpunkt war ich selbst noch nicht an Bord des Projekts. Es wurde von Professorin Marilyne Andersen initiiert. Sie ist heute akademische Direktorin, während ich für die operative Leitung zuständig bin.
Was für einen CO2-Fussabdruck wird das Gebäude haben?
Die 2000-Watt-Gesellschaft und die SIA-Norm 2040/2017 dienten als Referenzrahmen für die Festlegung des Zielwerts für den CO2-Fussabdruck über den gesamten Lebenszyklus. Das Ziel wurde in der Leistungsbeschreibung für das 2018 eingeleitete Studienauftragsverfahren auf insgesamt 13 kg CO2/m2/Jahr festgelegt. Die Aufteilung wird als Richtwerte wie folgt angegeben: 9 kg/m2/Jahr für den Bau und 4 kg/m2/Jahr für den Betrieb.
Haben Sie auf Dach und Fassade PV vorgesehen?
Ja, die Gebäudehülle wird eine Reihe verschiedener photovoltaischer Elemente integrieren: auf dem Dach in Kombination mit einer bepflanzten Abdeckung, in den Verglasungen der Wintergärten, auf dem Dach der Pergola und auf harmonisch integrierte Weise in den opaken Elementen der Fassade: Brise Soleil und Brüstungen.
Worin besteht der Unterschied mit dem Forschungsprojekt Nest der Empa, abgesehen von der grösseren Dimension?
Der Hauptunterschied liegt in der Grössenordnung: Das Gebäude des Smart Living Lab wird 5000 m2 Grundfläche haben und Arbeitsräume für 130 Personen bieten. Für die meisten von ihnen wird es der Hauptarbeitsplatz sein. Entsprechend gross wird die Nutzerpopulation sein, die in die Experimente einbezogen wird.
Die Architektur von Behnisch Architekten glänzt mit einer hervorragenden Umweltbilanz und besteht hauptsächlich aus lokalem Holz.
Das Projekt soll zum Querdenken anregen. Inwiefern?
Interdisziplinarität wird als Schlüsselfaktor für Innovation anerkannt, stellt jedoch eine weitere Herausforderung dar, wenn es darum geht, sie im akademischen System umzusetzen, das dazu neigt, Wissenschaftler in die Spezialisierung zu drängen. Die Einzigartigkeit des Smart Living Labs besteht darin, dass Architekten und Bauingenieure, Statiker, Gebäudetechniker, Elektrotechniker, Informatiker, Wirtschaftswissenschaftler und die besten Baurechtsexperten unter einem Dach vereint sind und sich kennen.
Um dieses Potenzial auszuschöpfen, musste ein Gebäude geschaffen werden, das spontane Begegnungen und den Austausch zwischen Forschern mit unterschiedlichen Profilen fördert. Das Prinzip der Serendipität leitete das Design. Die Inneneinrichtung wird nach einem partizipativen Ansatz mit den Nutzern konzipiert. Die Ziele der Vision werden unmittelbar mit konkreten Realitäten und der Vielfalt menschlicher Empfindungen konfrontiert.
Mussten Sie bei der Umsetzung auch Kompromisse machen?
Die eigentliche Umsetzung beginnt in diesem Jahr mit einer Baustelle, die kurz vor dem Start steht. Wir arbeiten mit einem klar definierten Finanzrahmen und nach den Regeln des öffentlichen Beschaffungswesens. Die Baubewilligung wird gemäss den üblichen Anforderungen erteilt: kein Joker für die Forschung! Trotzdem und dank eines sehr engagierten und kompetenten Teams hat sich das Projekt bis jetzt entwickelt, ohne Kompromisse bei den Leistungszielen und der architektonischen Qualität einzugehen. Es wurden lediglich einige kleinere Vereinfachungen vorgenommen. Die Zertifizierungen Minergie-A ECO und SNBS, die im ursprünglichen Pflichtenheft nicht enthalten waren, werden jedoch mit dem aktuellen Projekt angestrebt.
Welches sind die grössten Herausforderungen beim Bau?
Vielleicht die Vermittlung und das Teilen einer nichttrivialen Vision im Laufe der Zeit und bei den vielen beteiligten Akteuren. Wie kann man sicherstellen, dass ein Gebäude, egal wie innovativ es bei der Planung ist, auch beim Bau noch State-of-the-Art ist?
Ohne von der aussergewöhnlichen Situation, die derzeit auf den Märkten herrscht, zu sprechen.
Sensoren werden mitwirken, dass das Gebäude ein Plug-and-Test-Gebäude sein wird. Wo werden die Sensoren spezifisch eingesetzt?
Das Gebäude wird mit Sensoren für ein hochauflösendes, kontinuierliches Monitoring ausgestattet. Temperatursensoren werden zum Beispiel in die Fassaden und an verschiedenen Punkten im Innen- und Aussenbereich integriert. Die Fensterflügel werden mit Öffnungssensoren und Motorisierungen zur Steuerung der natürlichen Belüftung ausgestattet. Das Sammeln von Regenwasser wird an verschiedenen Stellen des Daches gemessen, je nach Art der installierten Begrünung. Das Gebäude wird mit Trenntoiletten und einem lokalen System zur Behandlung von Abwasser durch Wurmkompostierung ausgestattet sein. Eine Reihe von Vorrichtungen zur Vermeidung des Radonrisikos werden ebenfalls bereits beim Bau installiert.
Darüber hinaus wird das Gebäude Platz für die Installation von Prototypen zum Testen bieten, einschliesslich Fassadenmodulen, die ausgetauscht werden können. Diese Elemente werden mit dem Fortschritt der Forschung festgelegt und können zum Beispiel multifunktionale Verbundstrukturen, Module mit integrierten Phasenwechselmaterialien (PCM) oder Energiespeicherung durch Wasserstoff umfassen. Der Zugang zur Gebäudetechnik wird ermöglicht, um die von den Forschern entwickelten Steuerungsalgorithmen zu bewerten.
Nutzerwohlbefinden und -verhalten: Inwiefern?
Die Unterschiede im individuellen Empfinden der Raumtemperatur in einem Büro sind gross, wie eine kürzlich am Smart Living Lab durchgeführte Studie belegt. Eine individuelle Anpassung der Klimatisierung würde den Komfort der Nutzerinnen und Nutzer erhöhen und gleichzeitig Energieeinsparungen ermöglichen. Diese Forschung ist Teil eines multidisziplinären Ansatzes, der die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Gebäude berücksichtigt, indem er das Know-how der angewandten Ingenieurwissenschaften mit Kenntnissen der menschlichen Physiologie verbindet.
Die Qualität der Innenraumluft in Wohnungen, an Arbeitsplätzen und in Schulen spielt eine Schlüsselrolle für das Wohlbefinden, die Gesundheit und die kognitiven Fähigkeiten. Analysen von Gebäuden mit Umweltzertifizierungen berichten, dass die Zufriedenheit der Nutzer und die unter realen Bedingungen gemessenen Komfortindikatoren (Post Occupancy Evaluation) oft weit unter den Zielwerten liegen.
Nach der Covid-19-Pandemie sind die Anforderungen und das öffentliche Bewusstsein in Bezug auf die Luftqualität in Innenräumen gestiegen. Dies kann dazu führen, dass generell gesündere Umgebungen entwickelt werden, was jedoch das Risiko birgt, neue Herausforderungen in Bezug auf den Energieverbrauch zu stellen - ein Grund, dieses Forschungsfeld weiter zu vertiefen.
Soll man heute noch mit Beton bauen?
Heute ist ein spektakulärer Anstieg des Holzbaus zu beobachten, der die Aussicht eröffnet, die Verwendung von Beton massiv zu reduzieren. Ich freue mich, dass sich dieser Trend in allen günstigen Kontexten, insbesondere in geografischer Hinsicht, verstärkt.
Beton hat einzigartige Eigenschaften, die seine spezifischen Verwendungszwecke rechtfertigen, aber diese werden sich weiterentwickeln: Man wird mehr mit Betonteilen bauen, die aus Rückbaustellen stammen und strukturell intakt sind, man wird die Lebensdauer des in Neubauten verwendeten Betons durch die Entwicklung reversibler Verbindungen verlängern, man wird die Verwendung von Zement mit reduzierten Kohlenstoffemissionen (LC3) verallgemeinern und neue digitale Anwendungstechniken einsetzen, um die verwendeten Mengen zu reduzieren.
Wie leben Sie selbst?
Ich wohne mit meiner Familie in einer ehemaligen Uhrenfabrik. Ein Gebäude aus dem Jahr 1910 in einer städtischen Umgebung, das in atypische Wohnungen im Stil von Townhouses umgewandelt wurde – ein gelungenes Upcycling.
Gebäudetechnik-Kongress
14. September 2022, Baden
Infos und Anmeldung
Zur Person
Martin Gonzenbach leitet den Betrieb des Freiburger Campus der ETH Lausanne (EPFL) und des Forschungszentrums Smart Living Lab. Er hat an der EPFL Physik und angewandte Mathematik studiert und war dann langjährig in der numerischen Simulation und Software-Entwicklung tätig. Beim Transportation Center und an der Fakultät für Bau, Architektur und Umwelt war er Innovationsberater.
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