Druckluftkabel der Zukunft
Luftisolierte Hochspannungsleitungen
Die viel diskutierte Versorgungssicherheit ist nicht nur von genügend Kraftwerkskapazität abhängig, wie es momentan in den Medien suggeriert wird. Gleich wichtig ist ein funktionierendes Stromnetz mit ausreichender Übertragungskapazität. Druckluftkabel können einen wertvollen Beitrag dazu leisten.
Um eine grosse Menge an elektrischer Energie über längere Strecken zu transportieren, stehen grundsätzlich drei Hochspannungstechnologien zur Verfügung: Die bekannten Freileitungen und Kabel sowie die weniger bekannten gasisolierten Hochspannungsleitungen (GIL), die SF6 oder Gasgemische mit SF6 zur Isolierung verwenden. Dies sind ausgereifte Technologien, die schon lange eingesetzt werden und bei denen global umfangreiche Betriebserfahrungen vorliegen.
Diese Technologien unterscheiden sich stark bezüglich Transportkapazität, Überlastbarkeit und Ausfallwahrscheinlichkeit. Eine Freileitung ist bezüglich dieser drei Aspekte die bei Weitem beste Lösung. Sie kann viel Energie transportieren (etwa fünf- bis siebenmal mehr als Kabel), ihre Ausfallwahrscheinlichkeit und Ausfallzeit sind gering. Je nach Wetterbedingungen kann sie für einige Zeit massiv überlastet werden, was bei Hochspannungskabeln überhaupt nicht möglich ist. Freileitungen haben geringere Übertragungsverluste als Kabel, aber deutlich grössere als GIL. Wenn man nur die Punkte Übertragungskapazität, Ausfallwahrscheinlichkeit/Ausfallzeit und Überlastbarkeit betrachtet, sind Freileitungen rein technisch die bevorzugte Lösung – gesellschaftlich und politisch hingegen die unbeliebteste Option. Die Akzeptanz von unterirdischen Übertragungs-Korridoren wie Kabeln ist viel höher als bei Hochspannungsfreileitungen. Aber Kabelkorridore sind viel teurer im Bau, und wegen der vergleichsweise kleinen Übertragungskapazität der Kabel werden mehr parallele Systeme benötigt als bei Freileitungen.
Eine noch selten genutzte Alternative sind gasisolierte Leitungen. Sie haben eine hohe Transportkapazität, ähnlich einer Freileitung, die Verluste sind viel geringer und, was für die Gesellschaft am wichtigsten ist, gasisolierte Leitungen können unsichtbar unter der Erde verlegt werden. Von aussen sieht diese Technologie wie eine Pipeline aus, mit einem Aussengehäuse auf Erdpotenzial, das gefahrlos berührt werden kann. Im Inneren befindet sich ein zweites, von Isolatoren gehaltenes Rohr, das den Strom transportiert. Zwischen den beiden Rohren befindet sich unter hohem Druck stehendes Isoliergas, das es ermöglicht, diese Systeme so kompakt bauen zu können.
Die beiden Hauptgründe, die den Einsatz von GIL im grossen Stil bis jetzt verhindert haben, sind:
Mechanisch aufwendiger Aufbau: Da eine traditionelle GIL einen Betriebsdruck von 5 bar SF6 benötigt, ist das traditionelle Flanschdesign sehr aufwendig. Das macht einen Einsatz «im Dreck», wo Energieleitungen verlegt werden müssen, schwierig. Weil das System gasdicht sein muss, muss jeder Flansch mit jeder Dichtung staubfrei sein.
SF6 als Isoliergas: SF6 ist ein 23'000-mal stärkeres Treibhausgas als CO2. Hunderte Kilometer mit SF6 isolierter Leitungen zu verlegen, ist aus ökologischer Sicht nicht vertretbar, selbst bei kleinsten Leckraten. Daher wird die traditionelle GIL-Technologie mit SF6-Isolation nur an wenigen Orten weltweit eingesetzt, wo technisch eine andere Lösung nicht möglich wäre, beispielsweise am Flughafen Genf oder bei kurzen Ausleitungen an Umspannwerken.
Beide Aspekte werden in der neuen gasisolierten Leitung, die die Firma Hivoduct unter dem Namen Druckluftkabel in Zusammenarbeit mit der Gruppe für elektrische Energietechnik der Ostschweizer Fachhochschule entwickelt hat, elegant gelöst.
Die in diesem Artikel präsentierten Druckluftkabel könnten der Gamechanger in der Übertragungstechnik werden, da sie ohne SF6 auskommen, dank ihres neuen Flanschsystems eine revolutionäre und günstige Verlegetechnik ermöglichen und viermal mehr Energie transportieren können als herkömmliche Hochspannungskabel.
Mechanischer Aufbau
Das am 21. Juli 2020 patentierte schraubenlose Flansch-Design mit Doppeldichtung löst alle mechanischen Nachteile der Technologie und kommt mit nur sechs Einzelteilen statt der rund 65 des traditionellen geschraubten Flanschdesigns aus. Das erleichtert die Installation im Feld erheblich. Zudem ermöglicht der schraubenlose Flansch viel höhere Betriebsdrücke im System als das traditionelle Flanschdesign.
Dank dem schraubenlosen Flansch hat das System insgesamt keinen grösseren Durchmesser als eine traditionelle GIL am Flansch, obwohl für Druckluft grössere Isolationsabstände nötig sind. Dies ermöglicht im Gegensatz zu Kabeln eine kostengünstige Verlegung: Die Hivoduct-Druckluftkabel können beispielsweise auf einem Rollensystem in vorher gebohrte Schächte, wie sie beispielsweise für Wasserleitungen Standard sind, geschoben werden.
Zukunftstaugliches Design
Ziel war es, ein umweltverträgliches, SF6-freies Produkt zu entwickeln. Die Vermeidung von SF6 ist eine grosse Herausforderung in der Hochspannungsisoliertechnik, da SF6 das beste bekannte Isolationsgas ist. Luft isoliert ungefähr dreimal schlechter als SF6 und ist zusätzlich leider auch nicht so elektronegativ, wie es SF6 wegen des Fluoranteils ist.
Gemäss dem Paschengesetz steigt die Isolationsfestigkeit von Gasen mit steigendem Druck. Das ist die Basis des elektrischen Designs der neuen Druckluftkabel von Hivoduct mit Luft als Isolationsmedium. Es werden rund 11 bar Luft statt 5 bar SF6 verwendet. Dieser höhere Betriebsdruck ist dank des neuen Flansch-Designs möglich.
Druckluft ist ein bestens untersuchtes Isoliergas. Es hat eine druckabhängige reale Durchschlagsfeldstärke, bei der der Luftdruck als ein Faktor mit Exponent 0,92 einfliesst. Der Druckexponent unter 1 berücksichtigt die Nichtlinearität, die mit zunehmendem Druck durch den wachsenden Einfluss von Oberflächenbeschaffenheiten der Elektroden entsteht. Dieser Effekt begrenzt die Anwendung von Druckluft als Isoliermedium in einem Bereich bis etwa 20 bar.
Die Feldstärke in einer koaxialen Rohranordnung ist am Innenleiter am höchsten und nimmt gegen aussen hin ab. Die maximale Feldstärke muss dabei bei der maximalen Spannungsbelastung während der Typprüfungen kleiner als die Durchschlagsfeldstärke der Druckluft sein. Daraus ergeben sich der nötige Isolierspalt und Aussendurchmesser.
Der Innenleiter-Durchmesser bestimmt die maximale Feldstärke und den verfügbaren Leiterquerschnitt. Er kann in einem weiten Bereich gewählt werden, um beide Parameter zu optimieren.
Bei einem Gehäuse-Aussendurchmesser von 212 mm und einer angelegten Spannung von 650 kV (entspricht der Blitzstoss-Prüfspannung bei Nennspannung 145 kV) variiert die maximale Feldstärke am Innenleiter je nach Innenleiter-Durchmesser von 17 bis 26 kV/mm. Die grüne Linie zeigt dazu die Durchschlagsfeldstärke von Luft bei 10 bar. Man erkennt ein Minimum bei rund 80 mm entsprechend einem Verhältnis von Aussen- zu Innendurchmesser von 2,71. Der Innenleiterquerschnitt, der entscheidend für die Stromtragfähigkeit des Druckluftkabels ist, steigt mit dem Durchmesser und der Wanddicke t. Optimale Wandstärken liegen zwischen 6 mm und 15 mm, wobei die untere Grenze durch ungenügende mechanische Stabilität des Innenleiters und die obere durch die Eindringtiefe der Wechselfelder in Aluminium bei 50 Hz gegeben ist.
Wie das folgende Bild zeigt, sind Leiterquerschnitte von über 2000 mm² daher design-inhärent für optimierte Druckluftkabel bei Hochspannungsanwendungen. Diese grossen Leiterquerschnitte sind die Basis für verlustarme Übertragungsleitungen.
Eine Übersicht über die technischen Eigenschaften von Druckluftkabeln mit dem Hivoduct-Basisdesign – skalierbar von 24 kV bis 420 kV – zeigt Tabelle 1.
In welchen Anwendungen diese technischen Eigenschaften vorteilhaft sind, wird in Tabelle 2 erläutert.
Installationsbeispiel
Eine dreiphasige Installation eines Druckluftkabels für 36 kV, 3 kA wurde als Ersatz für mehrere parallele Mittelspannungskabel in einem Kabelkanal aus Fertigbetonelementen (Innenmass: 550 x 400 mm) auf isolierenden Gleitfüssen ausgeführt. Spezielle Winkelelemente ermöglichen dabei jeden Winkel ohne Biegeradius, in diesem Fall 90°. Das Füllen mit Druckluft erfolgt via Druckluftflasche und Reduzierventil. Die Druckluftflasche kann auch zum Nachfüllen bei eventuellen Verlusten im Betrieb verwendet werden.
Fazit
Druckluftkabel werden typgeprüft nach IEC 62271-204 für verschiedene Nennspannungen, Nennströme und Kurzschlussströme bis 50 kA und sind nun verfügbar für anspruchsvolle Anwendungen in der Mittel- und Hochspannung.
Druckluftkabel unterstützen den Umbau der elektrischen Netze hin zu einer modernen, effizienten, leistungsfähigen und nachhaltigen Energieübertragung. Im Netzausbau ermöglicht diese neue Technologie dank ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz neue Handlungsoptionen zur Netzverstärkung und zum Netzausbau.
Kommentare
Stefan Fassbinder,
Dieser Beitrag verwundert mich. Ich lese dort, eine Freileitung könne etwa fünf- bis siebenmal mehr Energie (gemeint ist vermutlich Leistung) übertragen als ein Kabel. Das Wesentlichste dessen, was ich bisher an Informationen über Hoch-/Höchstspannungskabel und Freileitungen an Informationen sammeln und daraus zum Teil selbst errechnen konnte, lässt sich tabellarisch zusammenstellen – siehe Tabelle bei den Leserbriefen in Bulletin 1/2024. Was aber wurde in dem Beitrag wie und womit verglichen?
Je nach Wetterbedingungen, lese ich weiter, könnten Freileitungen für einige Zeit massiv überlastet werden, was bei Hochspannungskabeln überhaupt nicht möglich sei. Soweit deckt sich dies exakt mit meinen bisherigen Kenntnissen, steht jedoch im krassen Widerspruch zu der Angabe, Freileitungen hätten geringere Übertragungsverluste als Kabel, denn die fraglos bessere, wirkungsvollere Kühlung der Freileitungen kann man ebenso gut als optimale Energieverschwendung betrachten. «Besser» relativiert sich hier.
Weiter wird postuliert, Druckluftkabel könnten viermal mehr Energie übertragen als herkömmliche Hochspannungskabel. Für meine Begriffe steht dies dort als reine Behauptung; zu wenig wird über die Randbedingungen gesagt. An einer Stelle ist von «Leiterquerschnitten über 2000 mm²» Aluminium die Rede. In diesem Bereich – aber mit Kupferleitern – liegen Hoch- und Höchstspannungskabel auch. Wenn man von der gleichen Stromdichte ausgeht – was mir denkbar erscheint, aber im Beitrag ebenso wenig Erwähnung findet –, ist die Verlustleistung im Druckluftkabel schon mal um die Hälfte höher. Wenn sie «viermal mehr Energie transportieren können als herkömmliche Hochspannungskabel» und dann auch noch «geringere Verluste» aufweisen, müssen die Leiterquerschnitte weit über 12'000 mm² liegen. Es fehlen diesbezüglich aber alle Eckpunkte für eine grobe Einordnung, wie sie sich ein Leser gewünscht hätte. So, wie es dort als reines Postulat steht, erscheint fast nichts plausibel. Inwieweit die neue Flanschtechnik ein Privileg der Druckluft gegenüber SF6 sein soll, erschliesst sich mir auch nicht. Luft entweicht noch eher als SF6.
Insofern muss es auch als Nachteil (aller GIL einschliesslich Druckluft) gesehen werden, dass der Druck ständig überwacht und erforderlichenfalls nachgefüllt werden muss. Als einen Vorteil hinsichtlich der Zuverlässigkeit und «Wartungsarmut» kann ich das nicht sehen. Ganz nebenbei wundert mich dann noch, dass die Schweizer Medien suggerieren, die Versorgungssicherheit hinge nur von genügend Kraftwerkskapazität ab. Bei uns in Deutschland beobachte ich das Gegenteil: Wenn es irgendwo hapert, dann fast immer am Netzausbau. Der Aspekt, dass die Leistung, die man übertragen und verteilen möchte, unter Umständen in dem Moment, wenn man sie braucht, gar nicht verfügbar ist, fällt hierzulande gern mal unter den Tisch.
Walter Holaus,
Zur Flanschtechnik möchte ich präzisieren, dass aktuelle GIS/GIL-Flanschdesigns verschraubte Flansche mit je zwei Dichtstellen pro Flansch haben und je einem O-Ring je Dichtstelle, siehe auch Cigre Paper: Walter Holaus, «Pressurized Air Cables – a new technology for sustainable energy transmission 12 kV – 420 kV». Eine typische Installation hat also sehr viele Flansche, wie man auf dem Bild bei den Leserbriefen in Bulletin 1 / 2024 gut erkennt. Druckluftkabel haben hingegen keine Schrauben pro Flansch, nur eine Dichtstelle je Flansch und zwei O-Ringe pro Dichtstelle. Das ist funktional definitiv besser und kosteneffizienter.
Wir sehen die Drucküberwachung als Vorteil, da ein einziger Überwachungsparameter eine integrale Aussage über den OK-Zustand der gesamten Kabelanlage gibt.
Noch ein Hinweis zur Versorgungssicherheit: Druckluftkabel ermöglichen einen rascheren Netzausbau, da kritische Abschnitte unterirdisch geführt werden können. Der bessere Brandschutz erlaubt die Benutzung von bestehenden Tunneln. Die niedrigeren äusseren Magnetfelder erlauben Trassen in sensiblen Bereichen. Höhere Nennströme und tiefere Verluste (siehe erwähnte Tabelle) ermöglichen höhere Übertragungsleistungen. Der Ersatz von SF6 mit Druckluft ermöglicht überhaupt erst einen Einsatz, da SF6 (und andere PFAS-Gase) in der EU verboten werden. Deshalb sehen wir Druckluftkabel als die wichtigste (einzige) Technologieoption zur Beschleunigung des Netzausbaus.
Stefan Fassbinder,
Gewöhnlich wird ein Kabel nicht für 400 A bemessen, weil es im Betrieb stets einen Strom von 400 A tragen muss, sondern weil es eventuell sein könnte, dass es irgendwann einmal in seinem Leben für ein paar Stunden im Jahr mit 400 A belastet werden könnte, wenn überhaupt. Vielmehr wird der Strom im Jahresmittel irgendwo bei 80 A liegen. Somit ist es gegenüber dem «üblichen» Betriebsstrom schon um den Faktor 5 überdimensioniert, und dann soll man es noch einmal um den Faktor 12 vergrössern? Ich bin sehr für die Verlust-Reduktion, wie Sie vielleicht wissen, doch was sagen die Kaufleute dazu, wenn ein Kabel für 5000 A dort verlegt werden soll, wo der Strom eventuell mal 400 A erreichen könnte? Die werden dann wieder mal die Techniker für verrückt und realitätsfremd erklären.
Die Netze werden normalerweise schon mit sehr viel Reserve ausgelegt. In Deutschland wird der Netzverlust vom Maschinentrafo bis zum Haushaltszähler mit etwa 5% angegeben. In der Schweiz ist es nicht viel mehr (Deutschland und die Schweiz sind hier vorbildlich). Von diesen Verlusten entfällt nur etwa die Hälfte auf sämtliche Kabel und Freileitungen aller Spannungsebenen; die andere Hälfte fällt in Transformatoren an. Würden aber alle 110-kV-Freileitungen ständig voll belastet, so gingen jeweils auf 71 km Länge schon 10% der Leistung verloren. Dieser Vergleich zeigt, wie weit die «normale» Belastung von den höchstzulässigen 682 A entfernt ist. Diese nun auch noch auf 3000 A «aufzubohren» kann sich kaum rechnen – auch dann nicht, wenn der Strom (hoffentlich) noch erheblich teurer wird (damit die Energiewende endlich zum Selbstläufer wird).
Es mag viele gute Gründe für den Einsatz von Druckluftkabeln geben, aber die noch weitergehende Verbesserung der Energie-Effizienz der Netze über das system-immanent vorhandene Niveau hinaus ist nur eine kleine Zugabe am Rande, mehr nicht.