Drahtlos Laden in der Mobilität
Forschung für neue Anwendungen
Zwar hat sich das konduktive Laden von Elektrofahrzeugen durchgesetzt, aber es gibt einige Fälle, bei denen das drahtlose Laden deutlich bequemer wäre. Einige Hürden gilt es aber dafür noch zu bewältigen.
Eine Onlinesuche nach wireless charging für Fahrzeuge liefert heute als Ergebnis Ladestationen, die im Wageninnern auf die Ablage gestellt werden, um Mobiltelefone mit Energie zu versorgen. Heisst dies, dass sich induktive Ladesysteme in der Mobilität eher für mobile IT-Geräte statt für die Fortbewegung durchsetzen werden? Ein Blick auf die illustre Geschichte des drahtlosen Ladens zeigt, dass es auch für den Antrieb noch einige Möglichkeiten gibt.
Im Mobilitätsbereich gehen die Anfänge des induktiven Ladens nicht auf Anwendungen bei Personenwagen zurück. Gemäss Jürgen Meins, Professor an der TU Braunschweig, liegt der Ursprung bei der Magnetschwebebahn, die ab Anfang der 1970er-Jahre entwickelt wurde. Um Energie auf die schwebenden Züge zu übertragen, bot sich das kabellose Laden an. Der für die Flughafenanbindung bestimmte Transrapid 09 wurde mit dem weltweit stärksten induktiven Ladesystem ausgerüstet: Zweimal 250 kW konnten damals übertragen werden. Als der Testbetrieb 2011 eingestellt wurde, war es naheliegend, das jahrelang erarbeitete Wissen anderweitig – so auch an der TU Braunschweig – zu nutzen. Die Forschungsaktivitäten verlagerten sich auf induktive Ladesysteme für industrielle Anwendungen und Elektrofahrzeuge. In Zusammenarbeit mit Bombardier entstand das Induktivladesystem Primove, das zunächst für die Strassenbahn ohne Oberleitung, später dann für eine Flotte von Elektrobussen bei der Braunschweiger Verkehrs-GmbH mit einer Ladeleistung von 200 kW eingesetzt worden ist.
Zur gleichen Zeit – und ebenfalls mit Entwicklern aus dem Transrapid-Projekt – wurde das Unternehmen Intis gegründet, das sich mit der praxisnahen Entwicklung von Systemen für die induktive Energieübertragung befasst. Gemäss dem Geschäftsführer Dr. Ralf Effenberger war die zentrale Frage, ob sich die Technologie auf Strassenfahrzeuge überführen liesse.
Ein gemeinsames Forschungsprojekt der TU Braunschweig und Intis ist Lisa4CL, bei dem Nutzfahrzeuge mit induktiver Ladetechnologie ausgerüstet werden. Zusammen mit dem Berliner Unternehmen Fairsenden sollen in den kommenden Monaten die Zuverlässigkeit und Wirtschaftlichkeit dieser Lösung aufgezeigt werden.
Diese Situation, bei der Hochschulen mit Unternehmen an der Entwicklung der induktiven Ladetechnik kooperieren, findet man auch an anderen Orten. Gemäss Jürgen Meins hat die TU Braunschweig unter anderem Kontakt zu Wissenschaftlern in Neuseeland, die mit der Forschung schon ein paar Jahre früher begonnen hatten, um die Arbeiten zu koordinieren. Er ergänzt: «Wir haben immer noch neue Ideen und beraten die Industrie, die sich mit diesem Thema befasst. Es sind eigentlich die kleineren Firmen, die es aufgegriffen haben, um damit die moderne Verkehrstechnik mitzugestalten.»
Die technische Seite
Es gibt verschiedene Wege, um Energie drahtlos zu übertragen. Die Übertragung kann beispielsweise über elektromagnetische Wellen in Form von Licht (Laser) oder Mikrowellen geschehen, kapazitiv – über das elektrische Feld – oder induktiv, über das magnetische Feld. Wegen der nötigen grossen Leistungen kommt bei Mobilitätsanwendungen nur die induktive Variante infrage, wobei die resonant induktive Kopplung vorteilhaft ist, denn sie erhöht den Übertragungsabstand auf bis zu 250 mm und den Wirkungsgrad durch die verbesserte magnetische Kopplung. Die Erhöhung der Übertragungsfrequenz von ursprünglich 20 kHz auf derzeit 85 kHz verbessert die Effizienz zusätzlich und führt zu kleineren Induktivkomponenten. Bezüglich Wirkungsgrad kommen die induktiven Methoden gemäss Hendrik Marks, der sich an der TU Braunschweig mit der elektromagnetischen Modellbildung und der Standardisierung befasst, heute nahe an die kabelgebundenen Ladegeräte heran, die ja auch nicht verlustfrei sind. Beim induktiven Laden werden Wirkungsgrade von über 90% erreicht.
Anwendungsgebiete
Das drahtlose Laden dürfte sich eher in Nischenanwendungen durchsetzen als in Fällen, in denen das drahtgebundene Laden schon fest etabliert ist: Chancen tun sich auf im urbanen Transportwesen, in der Logistik, bei Taxis. Taxifahrer können die Standzeiten an den Warteplätzen zum Laden nutzen, ohne aussteigen zu müssen, was die eigentlichen Batterieladezeiten verkürzen würde und besonders an regnerischen Tagen willkommen wäre. Zudem entfällt zwischendurch die Suche nach Ladesäulen in der Stadt. Ralf Effenberger konkretisiert dies: «In Köln haben die Taxis sechs Ladepunkte und sechs Fahrzeuge, die von einer Station zur nächsten vorrücken und nichts tun müssen, ausser auf die richtige Position zu fahren. In dieser Zeit, die sie sonst nicht verkaufen können, laden sie ihr Fahrzeug nach.»
Tim-Hendrik Dietrich, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Braunschweig, weist auf einen möglichen Anwendungsfall aus dem privaten Bereich hin: «Wenn heute jemand sein Auto per App rückwärts in die Garage fahren kann, um es zu parken, will er anschliessend nicht hinterherlaufen, um einen Stecker einzustecken.»
Nebst diesen stationären Anwendungen gibt es semidynamische und dynamische Anwendungen. Eine Autobahn oder Strasse wird dafür mit der primärseitigen Ladeinfrastruktur ausgerüstet und ermöglicht so auch während der Fahrt, Leistung auf das Fahrzeug zu übertragen. Semidynamisches Laden ist Laden im Verkehr, beispielsweise vor einer Ampel, wo die Fahrzeuge länger stehen. Die entsprechenden Installationen sind da weniger aufwendig als die des dynamischen Ladens und sind sinnvoll, um temporäre Standzeiten zum Laden zu nutzen und um kleinere Batterien zu ermöglichen.
Der Aufwand und die Investitionen sind beim dynamischen Laden nicht immens, wenn die Installation beim Bau der Strasse ausgeführt werden kann. Es muss nur eine elektrische Wicklung, die aus einer Vielzahl von Einzelspulen besteht, in die Strasse eingelegt und die elektrische Infrastruktur bereitgestellt werden. Teuer wird es bei bestehenden Strukturen, wenn man aufreissen und neu bauen muss. In der Industrie ist diese Art des Ladens, beispielsweise für selbstfahrende Roboter, praktisch, denn die Wicklung lässt sich in Fabrikhallen einfach in den Boden integrieren.
Realisierbarkeit
Zentral ist beim induktiven Laden die Frage, ob konkrete Projekte überhaupt wirtschaftlich realisierbar sind. Ein Beispiel, bei dem die technische Entwicklung erfolgreich war, sich aber wirtschaftlich nicht umsetzen liess, ist die Idee, Strassenbahnen ohne Oberleitung zu betreiben – aus ästhetischen Gründen und um Kosten für Fahrleitungen zu sparen. Jürgen Meins sagt: «Als wir diese Technik in Braunschweig realisieren wollten, stellte sich heraus, dass es aus Kostengründen unattraktiv ist. Um die ästhetischen Vorteile zu nutzen, hätten alle Strassenbahnen und das ganze Oberleitungsnetz auf Induktivtechnik umgerüstet werden müssen.»
Erfolgreich war dann das induktive Laden bei Bussen, weil es wesentlich preisgünstiger war. Statt auf das dynamische Laden zu setzen, wurden die Busse mit einer grösseren Batterie ausgestattet – die trotzdem kleiner als Batterien von konduktiv geladenen Bussen ist – und stationär geladen, damit nicht die ganze Infrastruktur ausgerüstet werden muss. Durch die Verteilung der Ladestationen kann der Linienbetrieb durch periodisches Nachladen an den Haltestellen mit der gegebenen Batteriekapazität fortlaufend durchgeführt werden.
Gefahren vermeiden
Induktive Ladesysteme werden so ausgelegt, dass sie die Grenzwerte für magnetische Felder, beispielsweise die Vorgaben der ICNIRP oder in der Schweiz die Grenzwerte der NISV, nicht überschreiten. Die Immissionen können durch Optimierungen der Gesamtsysteme deutlich unter die geltenden Grenzwerte gebracht werden. Optimierungsansätze ergeben sich beispielsweise aus der Übertragungsfrequenz, der Spulenform, dem Spulenversatz und dem Luftspalt.
Bei den Projekten von Intis wird nachgemessen, wie hoch die magnetischen Flussdichten sind. Gemäss Ralf Effenberger liegen sie weit unter den Grenzwerten, nämlich höchstens bei 3%. Er betont: «Ich kenne keinen der jetzigen Hersteller, der diese Grenzwerte überschreitet.»
Ein weiteres Thema sind Fremdkörper. Damit magnetische Felder keine metallischen Gegenstände so weit erwärmen, dass sie kritische Temperaturen überschreiten, müssen gemäss IEC 61980 betriebliche (Kontrolle während des Ladens, dass sich nichts auf der Ladestation befindet) oder technische Massnahmen umgesetzt werden. «Wenn betriebliche Massnahmen nicht möglich sind», so Effenberger, «werden technische Lösungen gefordert, die Fremdkörper im Luftspalt erkennen.» Systeme, die sich nicht daran halten, erhalten keine Zulassung für den öffentlichen Raum.
Die Fremdobjekterkennung ist gemäss Hendrik Marks ein grosses Thema: «Wenn man ein Fahrzeug lädt, müsste man beispielsweise selbst kontinuierlich überwachen, dass kein Tier unter das Auto kriecht, was umständlich ist.» Die technische Lösung schaffe da Abhilfe, indem sie den Ladevorgang unterbricht, wenn sich eine Katze zwischen dem Auto und dem Ladepad befindet.
Wie diese Erkennungssensorik ausgeführt wird, unterscheidet sich von Hersteller zu Hersteller. Optische Systeme sind wegen Verunreinigungen oder Interferenzen wie Schnee weniger geeignet. Eine Methode ist die Analyse der elektromagnetischen Eigenschaften. Bei den Systemen von Intis werden die Magnetfeldverzerrung und die Dämpfung zwischen den Platten mit hohen Frequenzen gemessen. «Da stellt man schnell fest, ob sich etwas auf dem Pad befindet», so Effenberger.
Die aktuellen Herausforderungen
Aus Sicht der Elektrofahrzeuge spielen das Gewicht und das Volumen der drahtlosen Ladelösung eine enorme Rolle. Die Fahrzeughersteller haben klare Vorstellungen, wie viel Platz sie der entsprechenden Elektronik und der Spule im Auto geben möchten. Das Argument, man könne mit dem induktiven Laden die Batterie kleiner machen und dadurch Gewicht sparen, akzeptieren sie vorerst nicht, ist doch die limitierte Reichweite bereits heute ein Schwachpunkt. Auch die Kosten fallen ins Gewicht.
Grundsätzlich kooperieren beim induktiven Laden gemäss Tim Dietrich Automobilhersteller und Zulieferer. Aber die Verbreitung des Produktes dürfte erst flächendeckend stattfinden, wenn es für Serienfahrzeuge einheitliche Ladestationen gibt, denn vorher ist die Nachfrage dazu noch zu gering. Ein induktives Ladesystem zu entwerfen und in ein Auto zu integrieren, sei heute technisch problemlos möglich, die grösseren Hürden liegen in der Festlegung der Normen, wo verschiedene Interessen aufeinandertreffen. Deshalb wird seit einem Jahrzehnt intensiv standardisiert, um Interoperabilität zu ermöglichen. Der Standard IEC 61980-3 wurde neu veröffentlicht und zwei Dokumente werden nachziehen, die sich mit der drahtlosen Kommunikation zwischen Fahrzeugen und Ladestationen befassen sowie mit den Anforderungen an die Interoperabilität. Heute, mit Aussicht auf die erhoffte Marktakzeptanz, kommt Bewegung in die Sache.
Tim Dietrich betont: «Die Norm ist ein wesentlicher Schlüssel für die Verbreitung der Technologie. In dem Zeitpunkt, wo sich die Normierung und Standardisierung stärker etabliert haben, dürfte sich die Technologie schneller verbreiten. Bis dann wird es Lösungen geben, die nicht wirklich kompatibel sind. Aber auch bis man sich auf einen Ladestecker für das kabelgebundene Laden geeinigt hat, war es ja kein Spaziergang.»
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