Doppelt profitiert
Energieeffizienz und Wohlbefinden in Altersheim
Zunächst durch gesetzliche Vorgaben motiviert, stellte man sich im Alters- und Pflegezentrum Amriswil grundsätzliche Fragen zur Energieeffizienz. Die umgesetzten Massnahmen sorgten aber nicht nur für einen nachhaltigeren Energieverbrauch, sondern überraschten auch durch ein angenehmeres und gesünderes Arbeitsklima.
Gemäss dem Bundesamt für Energie liegt das Potenzial für energetische Einsparungen im Dienstleistungssektor bei rund 50% – noch höher als in der Industrie und bei Privathaushalten. Mit dem Energiegesetz will der Bund dafür sorgen, dass dieses Potenzial genutzt wird.
Auch das Alters- und Pflegezentrum Amriswil wurde mit den gesetzlichen Vorgaben konfrontiert. Das Zentrum, das mit rund 130 Bewohnerinnen und Bewohnern sowie 175 Mitarbeitenden eine beachtliche Grösse erreicht, nahm dies zum Anlass, nicht nur die gesetzlich vorgegebene Energiereduktion anzustreben, sondern liess die gesamte Ressourcen- und Energiesituation analysieren. Die Zentrumsleitung definierte dazu eine Universalzielvereinbarung. Mark Wunderlich von Electrosuisse, ein bei der Act Cleantech Agentur Schweiz akkreditierter Energieeffizienz-Experte, wurde mit der Analyse betraut.
Ausgangslage
Bei der Sanierung des Zentrums musste unter anderem die Warmwasseraufbereitung erneuert werden, die durchschnittlich 8500 l warmes Wasser pro Tag zur Verfügung stellt. Der Wärmelieferant schlug vor, die ursprünglich mit Heizöl beheizten Hochtemperaturboiler durch sechs Warmwasserspeicher mit je 1000 l zu ersetzen, beheizt mittels holzschnitzelbeheizter Fernwärme. Das nächtliche Aufheizen hätte ausgereicht, um zu allen Tageszeiten genügend warmes Wasser zur Verfügung zu haben.
Diese Lösung hätte aber gewisse Tücken gehabt: Die Warmwasserspeicher würden viel Platz im Heizungsraum benötigen. Für Wartungsarbeiten wäre es zwischen den Tanks sehr eng geworden. Zudem hätte man im Sommer das Problem gehabt, dass die Rücklauftemperatur zur Fernwärmezentrale des ständig zirkulierenden Wassers mit 60 bis 70°C zu hoch gewesen wäre und den Wirkungsgrad der Zentrale markant reduziert hätte. Die grosse Reserve des Warmwassers hätte ausserdem zu unnötigen Verlusten geführt.
Mark Wunderlich hielt die Energiesituation der Heizung, des Warmwassers, den Fernwärmebedarf und die Elektrizität in einem detaillierten Lastprofil fest. Diese Daten bildeten eine neue Dimensionierungsbasis für die Warmwasserspeicher, wiesen aber auch auf Optimierungspotenzial in anderen Bereichen hin. Dazu gehörten auch einfach umsetzbare Massnahmen wie das Abschalten der Kaffeemaschinen und der Teewärmer in der Nacht und eine Optimierung der Lüftungsanlagen und der Lichtsteuerung.
Neuer Ansatz für Warmwasseraufbereitung
Mit der Energie-Analyse als Grundlage konnte man die Frage beantworten, wie das Wasser eigentlich aufbereitet werden muss, damit der Alltagsbedarf bei einer möglichst niedrigen Rücklauftemperatur optimal abgedeckt wird. Die Analyse ergab, dass das Warmwasser am intensivsten um 7 Uhr, um 11 Uhr und um 13.30 Uhr genutzt wird, wobei der Spitzenverbrauch bei 200 l/Min. liegt. Der höchste Warmwasserverbrauch liegt also in einer Zeit, in der man in den Arbeitsräumen – dem Abwaschraum, der Küche und der Wäscherei – die höchsten Lufttemperaturen verzeichnet.
Mark Wunderlich schlug deshalb vor, statt eine grosse Reserve in der Nacht zu schaffen, die Wärme der Arbeitsräume zur Warmwasseraufbereitung direkt zu nutzen. Dies geschieht nun mit handelsüblichen Wärmepumpen, die nicht nur die Lufttemperatur senken, sondern zugleich der feuchten Luft Wasser entziehen – ein für Mitarbeitende in den meist fensterlosen Räumen willkommener Nebeneffekt.
Statt bei einer Raumtemperatur von teilweise über 40°C im Sommer arbeiten zu müssen, kommt man nun in den Genuss von etwa 20°C, und dies auch in der Küche, denn dort wird die Zuluft von aussen im Sommer gekühlt. Dieses angenehmere Klima führt zu motivierten Mitarbeitenden und einer höheren Produktivität. Es wirkt sich auch positiv auf die Gesundheit aus, denn die durch das damalige tropische Klima verursachten krankheitsbedingten Ausfälle wurden durch diese Massnahme deutlich reduziert. Zudem muss im Sommer nur wenig Energie vom Fernheizwerk für das Warmwasser bezogen werden.
Diese direkte Wärmenutzung ermöglicht es, mit einem Speicher von 1600 l Warmwasser statt der geplanten 6000 l auszukommen. Im Heizungsraum hat man nun mehr Platz für Wartungsarbeiten. Und Messungen ergaben, dass man trotz des kleineren Speichers um 11 Uhr, wenn es am wenigsten Warmwasser im Speicher hat, noch eine Reserve von etwa 400 l hat. Sollte einmal eine Wärmepumpe aussteigen, ist dies auch kein Problem, denn die benötigte Wärme kann von der Fernwärme bezogen werden.
Ökonomische Aspekte
Solche Energieeffizienz-Projekte sind oft auf grössere Investitionen angewiesen. An der Curaviva-Tagung vom 7. März 2018 in Zürich, an der dieses Projekt der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, wurde auch die finanzielle Frage angeschnitten. Dominique Nobel, der Leiter des Alters- und Pflegezentrums, erwähnte, dass ihn Mark Wunderlich auf Fördergelder aufmerksam gemacht hatte, die das Projekt nun unterstützen. Zudem sei es wichtig, dass Entscheidungsträger (u.a. der Verwaltungsrat) früh in solche Projekte einbezogen werden, und dass Prioritäten gesetzt werden. Beispielsweise wurde auf die Installation einer Photovoltaikanlage auf dem grossen Dach des Zentrums verzichtet, weil man mit demselben Budget bei der Warmwasseraufbereitung eine höhere Effizienz erreicht. Ausserdem wurde die Umstellung von Gas- auf Induktionsherd auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.
In seinem Referat an der Tagung betonte Mark Wunderlich, dass es zentral sei, nicht nur den Betrieb zu optimieren, sondern die gesamten Lebenszykluskosten zu berücksichtigen. Wenn die richtigen Entscheidungen bereits in der Konzeptphase getroffen werden und entsprechend geplant wird, spart man in der Nutzungsphase deutlich mehr.
Im Amriswiler Alterszentrum waren zwar die Investitionen doppelt so hoch als ursprünglich geplant, aber dank der tieferen Betriebskosten konnte das neue System schon in der Hälfte der Zeit amortisiert werden. Oder in konkreten Zahlen: Statt 16 Jahre Amortisierungszeit (ohne Wärmerückgewinnung) konnten die Investitionen nach 8,5 Jahren abgeschrieben werden. Die Sanierung der Warmwasseraufbereitung kostete insgesamt 170000 CHF, die Mehrkosten für die Wärmerückgewinnung beliefen sich auf 90000 CHF. Bei der Fernwärme-Energie spart man nun jährlich rund 20000 CHF. Würde man zudem die schwer quantifizierbaren finanziellen Vorteile berücksichtigen, die sich durch die höhere Produktivität und geringere krankheitsbedingte Ausfälle ergeben, käme man auf eine noch deutlich kürzere Amortisationszeit.
Die Chance nutzen
Dieses Beispiel des Amriswiler Energieeffizienzprojektes zeigt, dass Veränderungsprozesse als Chance betrachtet werden können, um einmal grundsätzlich «über die Bücher zu gehen» – um die gesamte Energiesituation detailliert und zeitgleich aufgeschlüsselt zu analysieren und um Optimierungspotenzial zu identifizieren. Eine Chance, deren Massnahmen sich dank dem ganzheitlichen Ansatz auch in anderen Bereichen auf überraschende Weise positiv bemerkbar machen können: Es wurde nicht nur die Ökobilanz verbessert, sondern auch die Arbeitsbedingungen in kritischen Räumen.
Der aus den Energie-Einsparungen nach der Amortisierungsphase resultierende finanzielle Nutzen lässt sich zwar einfacher beziffern als der ökonomische Nutzen, der sich aus einem gesünderen, deutlich angenehmeren Arbeitsklima ergibt, aber beide tragen wesentlich zu einem nachhaltigeren Betrieb bei, in dem sich Mitarbeitende wohlfühlen. Damit dies auch längerfristig so bleibt, wird vom Energieexperten ein jährlicher Energiemonitoringbericht erstellt, der aufzeigt, ob irgendwo Abweichungen vom gestellten Ziel auftreten und Anpassungen nötig werden.
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