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Fachartikel Energienetze , IT für EVU

Digitalisierung und Vertrauen

Energiesystem der Zukunft

18.12.2025
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Autorin
Prof. Dr.-Ing. Astrid Niesse

ist Profes­sorin für Digi­ta­li­sierte Energie­systeme und Mitglied im Vorstand des OFFIS Institut für Informatik.

  • Carl von Ossietzky Universität Oldenburg,
    DE-26129 Oldenburg
  • E-Mail
Autorin
Prof. Dr. Jannika Mattes

ist Profes­sorin für Organisation und Innovation.

  • Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
    DE-26129 Oldenburg
  • E-Mail
Autor
Prof. Dr. Sebastian Lehnhoff

ist Professor für Energie­infor­matik und Vorstandssprecher des OFFIS Institut für Informatik.

  • Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
    DE-26129 Oldenburg
  • E-Mail

Der Aufbau eines nachhaltigen Energie­systems ist ohne Digi­tali­sierung nicht umsetzbar. Dabei bietet die auto­mati­sierte Steuerung dezentraler Ressourcen viele Möglich­keiten für den Einsatz von Flexibilität.

Der Aufbau eines nachhaltigen Energie­systems ist ohne Digitalisierung nicht denkbar. Auto­matisierte Steuerung, daten­basierte Prognosen und intelligente Vernetzung eröffnen neue Möglichkeiten, um Energie effizient, flexibel und kostengünstig zu nutzen. Doch je stärker Maschinen Entschei­dungen treffen, desto drängender wird eine andere Frage: Wie bleibt der Mensch in dieser digitalisierten Energiewelt handlungsfähig – und wie entsteht Vertrauen in Systeme, die wir kaum mehr vollständig überblicken können? Anhand aktueller Themen werden diese Fragen hier diskutiert. Es wird ein Bild gezeichnet, in dem technische Systeme und menschliche Akteure über die Digitalisierung eng zusammen­wirken, um die Trans­for­mation im Spannungsfeld von Versorgungs­sicherheit und Klima­zielen zu erreichen.

Zunächst stellen wir uns die Frage, inwieweit der Mensch mit seinen individuellen Vorstellungen in einem voll­auto­matisierten System repräsentiert werden kann. Die Forschung an Multi-Agenten­systemen erlaubt hier neue Wege, nicht nur das menschliche Individuum, sondern auch Interaktionen auf der Ebene von Agenten abzubilden.

In der Bevölkerung haben sich in den letzten Jahren Vorbehalte gegenüber dem Ausbau erneuerbarer Energien und der flächen­deckenden Digitali­sierung (z. B. mittels Smart Metering) entwickelt, welche die Akzeptanz aufgrund unklarer Auswirkungen auf den eigenen Komfort, die Mündigkeit und den Datenschutz gefährden. Fehlendes Vertrauen verlangsamt die Trans­for­mation des Energie­systems. Daher müssen die Bedingungen für die Entstehung vertrauens­würdiger techno­logischer Systeme in den Blick genommen werden. Dieser Thematik ist der zweite Abschnitt gewidmet. Im dritten Abschnitt stellen wir uns die Frage, wie diese Erkenntnisse über persönliche Bedarfe und Bedürfnisse sowie die entwickelten Konzepte eines menschlichen und technischen Vertrauens in die Entwicklung der Systeme der zukünftigen Energie­wirtschaft eingebracht werden können.

Vollautomation und Selbst­organisation – und der Mensch?

Intelligente Software-Agenten stellen in den unter­schied­lichsten Bereichen die Grundlage für eine Voll­auto­mation von Prozessen dar. Auch in Energie­systemen werden Agenten und sogenannte Multi-Agenten­systeme (MAS) mittlerweile in ersten kommer­ziellen Produkten eingesetzt. Wie aber können Endnutzer nachvollziehen, wie diese Systeme Entschei­dungen treffen? Das Problem verschärft sich, wenn indivi­duelle Agenten über eine Fähigkeit zum eigen­ständigen Lernen verfügen und sich mehrere Agenten zu einem selbst­organisierten Agenten­system zusammen­schliessen, um beispiels­weise gemeinsam an der Stabilisierung von Stromsystemen zu arbeiten.

Multi-Agentensysteme werden bereits in ersten kommerziellen Produkten eingesetzt, beispielsweise um das Stromnetz zu stabilisieren.
Multi-Agentensysteme werden bereits in ersten kommerziellen Produkten eingesetzt, beispielsweise um das Stromnetz zu stabilisieren.

PV-Anlagen, Batteriespeicher, Wärme­pumpen oder Elektro­fahrzeuge stellen Flexibili­täten dar. Um diese dezentralen Kompo­nenten ökono­misch effizient und koordiniert zu betreiben, braucht es intelligente Steuerungs­systeme – nicht nur in einzelnen Haushalten, sondern auch als koordinierendes, hoch­auto­mati­siertes Gesamt­system. In Haushalten können autonome Software-Agenten als Heim­energie­manage­ment­systeme (HEMS) agieren. Dabei werden in der Regel drei Opti­mierungs­ziele verfolgt: die Minimierung der Betriebs- bzw. Strom­bezugs­kosten, die Minimierung der CO2-Emissionen sowie die Maximierung des Komforts für die Haus­bewoh­nenden. Diese mehr­dimen­sionale Zielsetzung erfordert trans­parente, adaptive und am Ende auch nach­voll­ziehbare Entscheidungs­prozesse.

Auf der Ebene von Quartieren können sich die Agenten zu einem selbst­organi­sierten Multi­agenten­system vernetzen und als gebündelte Flexibilitäten Engpässe in Stromnetzen beheben. Unter Selbstorganisation wird dabei die Fähigkeit des Systems verstanden, gemeinsame Ziele eigenständig zu verfolgen und sich ohne den Eingriff einer übergeordneten Überwachungskomponente an Veränderungen im Systembetrieb anzupassen.

Solche Systeme werden aber nur dann akzeptiert und damit genutzt, wenn sie als vertrauens­würdig erlebt werden. Nachvollziehbarkeit, Zuverlässigkeit sowie die Abbildung von Interessen der Bewohner sind hier wesentliche Aspekte.

Auf der Systemseite wiederum gilt: Versprochene Flexibilitäten müssen mit sehr hoher Zuverlässigkeit erbracht werden, damit Netzbetreiber mit Multi­agenten­systemen als verlässlichem Partner arbeiten können. Vertrauen wird damit zur zentralen Voraussetzung: Nur wenn Menschen den Systemen vertrauen, werden sie deren Entscheidungen akzeptieren und mittragen. Das gilt sowohl für Endkunden als auch für Netzbetreiber, die sich auf die zugesagte Flexibilität technisch wie organisa­torisch verlassen müssen. Vertrauen ist damit kein blosses «weiches» Thema, sondern eine harte Bedingung für das Funktionieren künftiger Energie­systeme. Wie aber kann der erste Schritt in diesem komplexen Gefüge gelingen – die Modellierung des vielschichtigen Vertrauens­konzeptes im sozio-technischen System?

Computational Trust und menschliches Vertrauen

Vertrauen bedeutet im Kern Zuversicht in die Zuver­lässigkeit eines Systems oder einer Person. In der digitalen Welt spricht man vom Compu­tational Trust – also von algorith­mischen Mecha­nismen, die die Vertrauens­würdigkeit von Daten, Diensten oder Akteuren bewerten. Für sozio-technische Systeme wie die der Energieversorgung sind beide Blickwinkel von hoher Relevanz. So kommu­nizieren vermehrt technische Kompo­nenten miteinander und müssen einschätzen, wie vertrauens­würdig die anderen Komponenten und erhaltenen Daten sind.

Die Systeme der Energie­versorgung werden zudem durch menschliche Operatoren in Leitwarten überwacht und gesteuert. Für diese Operatoren stellt sich die Frage, inwieweit sie darauf vertrauen können, dass Teile des fernüberwachten Energie­ver­sorgungs­systems seine Aufgaben erfüllen. Dafür stützen sich die Operatoren auf die Aufbereitung von Messwerten aus dem Feld, die über Leitsysteme übertragen werden. So treffen einerseits Computational Trust (Algorithmen in Leitsystemen, welche die Vertrauens­würdigkeit des Energie­ver­sorgungs­systems, seiner Komponenten und Daten einschätzen) und andererseits menschliches Vertrauen (die subjektive Einschätzung des Operators) aufeinander.

<b>Der Mensch und die Technik:</b> Vertrauen ist eine Voraussetzung für das Funktionieren künftiger Energiesysteme.
Der Mensch und die Technik: Vertrauen ist eine Voraussetzung für das Funktionieren künftiger Energiesysteme.

Neben Operatoren, die Energie­ver­sorgungs­systeme überwachen und steuern, interagieren auch immer mehr Kunden direkt mit dem Energie­system – insbesondere als Prosumer. Für diese Kunden sind andere Vertrauensaspekte relevant, u.a. Fairness, Transparenz, Datenschutz und Mündigkeit.

Netzbetreiber müssen also die Leistung und Zuverlässigkeit von Energie­ver­sorgungs­systemen gut einschätzen können und auch den Menschen in diesen Systemen vertrauen. Dafür müssen technisches und menschliches Vertrauen zusammen gedacht und in einem gemeinsamen Modell beschrieben werden.

Interdisziplinäre Forschung – von Informatik und Energietechnik bis Soziologie und Psychologie – entwickelt derzeit Modelle, um menschliches Vertrauen und Computational Trust zu einem gemeinsamen Rahmen zu verschmelzen. Nur so lassen sich Systeme entwerfen, die nicht nur technisch zuverlässig, sondern auch sozial legitimiert sind.

Bedarfe und Bedürfnisse abbilden

Bei der Entwicklung digitalisierter Energie­systeme muss eine grosse Vielfalt an Akteuren mitgedacht werden. Neben Betreibern und Entwicklern rücken dabei insbesondere Verbraucher und Prosumer in den Blick. Wie aber betrachtet man die Interaktion dieser Menschen mit den verschieden­artigen, zunehmend digitalen Technologien schon während ihrer Entwicklung?

Dabei fordert die Energiewende den Menschen einiges ab: Aus einer technologischen Perspektive heraus werden Verbrauchs­verhaltens­anpassungen bis hin zu Komfort­ein­schränkungen erwartet. So sollen energie­intensive Prozesse aus Netz­stabilitäts- oder ökono­mischen Gründen zeitlich verlagert werden. Zugleich verändern sich soziale Konstel­lationen beispielsweise durch neue Koopera­tions­möglich­keiten in Form von Energie­gemein­schaften oder Energy Sharing.

Wie aber können digitalisierte Systeme so entwickelt werden, dass Menschen diese erforderlichen Systeme also tatsächlich einsetzen? Hier setzt die Idee der reflexiven Technik­entwick­lung an. Sie versteht Technik nicht als fertiges Produkt, sondern als Teil eines gesell­schaft­lichen Aus­handlungs­prozesses. Entwickelnde, Betreibende und Nutzende gestalten dabei wechselseitig die Technologie – und reflektieren fortlaufend deren Wirkungen, Annahmen und Grenzen. In einer reflexiven Technik­ent­wicklung werden soziale Kontexte und zwischen verschiedenen beteiligten und betroffenen Akteuren kontinuierlich in den Entwick­lungs­prozess zurückgeführt. Dadurch können Aushand­lungs­prozesse, Deutungs­hoheiten und Rollen­zuschrei­bungen kritisch hinterfragt und Grund­annahmen in der Gestaltung technischer Lösungen transpa­renter gemacht werden.

In diesem Sinne ermöglicht ein aktiv und reflexiv gestaltetes Wechsel­verhältnis zwischen allen beteiligten Akteuren – Netz­betreibern, Energie­versorgern, Entwicklern und Endkunden – die Entwicklung einer vertrauens­würdigeren und an tatsächliche Bedürfnisse angepassten Technologie.

Fazit: Vertrauen als Voraus­setzung der Energiewende

Digitalisierung kann die Energiewende entscheidend voranbringen – wenn sie von Vertrauen getragen wird. Dieses Vertrauen entsteht nicht automatisch durch technische Sicherheit, sondern durch nach­voll­ziehbare Prozesse, faire Beteiligung und transparente Entschei­dungs­logik. Im Zusammenspiel von menschlichem und maschi­nellem Vertrauen, zwischen Auto­mati­sierung und Mitgestaltung, liegt der Schlüssel für ein Energie­system der Zukunft, das nicht nur effizient, sondern auch gesellschaftlich legitimiert und resilient ist. Nur wenn Menschen sich auf digitale Systeme verlassen können, dann wird aus techno­logischer Inno­vation echte Trans­for­mation.

Diese Veröffentlichung ist im Rahmen des Forschungs­programms «Trans­for­mation des Energie­systems Niedersachsen» (TEN.efzn) am Energie-Forschungs­zentrum Niedersachsen (efzn) entstanden. Das Projekt wurde mit Mitteln aus zukunft.niedersachsen, dem gemein­samen Wissenschafts­förder­programm des Nieder­säch­sischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur und der Volkswagen-Stiftung gefördert.

 

2025_8_Niesse_Digitalisierung_und_Vertrauen.pdf
Autorin
Prof. Dr.-Ing. Astrid Niesse

ist Profes­sorin für Digi­ta­li­sierte Energie­systeme und Mitglied im Vorstand des OFFIS Institut für Informatik.

  • Carl von Ossietzky Universität Oldenburg,
    DE-26129 Oldenburg
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Prof. Dr. Jannika Mattes

ist Profes­sorin für Organisation und Innovation.

  • Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
    DE-26129 Oldenburg
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Prof. Dr. Sebastian Lehnhoff

ist Professor für Energie­infor­matik und Vorstandssprecher des OFFIS Institut für Informatik.

  • Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
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