Digitalisierung der Wasserkraft
Möglichkeiten der Datenintegration
Die Wasserkraft bleibt das Rückgrat der Energiewende, da sie die älteste und am weitesten verbreitete erneuerbare Energiequelle ist. Einige Anlagen sind aber über 100 Jahre alt und stellen für die Digitalisierung eine Herausforderung dar. Welche Rolle spielen Daten in diesem Prozess und wie können sie am besten erfasst, aggregiert und genutzt werden?
Für Wasserkraftbetreiber steht die Erfassung und Integration von Daten am Anfang der Einführung eines Digitalisierungsprozesses. Die Digitalisierung ist einerseits wichtig für einen sicheren, einfacheren und automatisierten Betrieb und andererseits für die Bereitstellung der durch den Ausbau der Solar- und Windenergie benötigten Flexibilität.
In Wasserkraftwerken erfolgt die Überwachung und Steuerung bei analogen Systemen oft manuell. Die Betreiber bilden die Brücke zwischen dem physischen Kraftwerk und der digitalen Infrastruktur für die Leistungsüberwachung. Dies kann zeitaufwendig und fehleranfällig sein. Zudem können sich die Anlagen wegen fehlenden Echtzeitdaten und Automatismen nicht schnell genug an veränderte Bedingungen adaptieren.
Analoge Technologie muss aber digitale Abläufe nicht zwingend behindern. Es geht nicht darum, alle Systeme auf einmal komplett umzurüsten. Dieser Ansatz ist weder der nachhaltigste noch der schnellste Weg zum Erfolg. Stattdessen können Betreiber bestehende digitale Smart-Hydro-Lösungen an die aktuelle Infrastruktur anpassen und nur die Hardware-Investitionen tätigen, die einen Mehrwert für den täglichen Betrieb bieten.
Auch wenn der Prozess gewisse Herausforderungen mit sich bringt, gibt es viele Gründe für die Datenintegration und Digitalisierung in Wasserkraftwerken:
Erhöhte Sicherheit: Die Digitalisierung ermöglicht eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung wichtiger Sicherheitsparameter sowie präventive Reaktionen auf Risiken wie Überläufe, Probleme mit dem Stauziel und Anforderungen des Strommarktes.
Zeitersparnis für Betreiber: Das Betriebspersonal spielt eine entscheidende Rolle bei der optimalen Einsatzplanung und Risikosteuerung. In analogen Systemen wird ihre Zeit jedoch oft durch Routinekontrollen und -aufgaben in Anspruch genommen. Durch die Automatisierung dieser Aufgaben mittels Digitalisierung hat das Personal mehr Zeit für strategische Tätigkeiten.
Flexibilitätsbedarf im Strommarkt: Liberalisierte Strommärkte entwickeln sich hin zu einer höheren zeitlichen Granularität, wobei die europäischen Märkte kürzlich zu 15-Minuten-Intervallen übergegangen sind. Dies erhöht die Netzstabilität in einem Energiesystem, das zunehmend auf Wind- und Solarenergie basiert. Die herkömmliche Wasserkraftinfrastruktur ist jedoch nicht für diese Flexibilität ausgelegt und unterliegt häufig Einschränkungen der Start-Stopp-Zyklen, Lastschwankungen und Umweltauflagen zum Schutz der Hardware. Die Digitalisierung kann dabei helfen, den optimalen Kompromiss zwischen Anlagenschutz und der Nutzung von Marktchancen durch Preisschwankungen zu finden.
Wissenstransfer: Die Digitalisierung ermöglicht einen schnelleren und effizienteren Wissenstransfer zwischen Teams und externen Stakeholdern, denn Daten können in Echtzeit ausgetauscht werden. Dies stärkt die Zusammenarbeit und die operative Kohärenz. Zudem können digitale Reporting-Tools automatisch Berichte für externe Stakeholder wie Regulierungsbehörden und Marktbetreiber erstellen.
Durch die Berücksichtigung dieser Treiber kann die Digitalisierung die betriebliche Effizienz, Sicherheit und Marktanpassungsfähigkeit von Wasserkraftwerken deutlich verbessern und sicherstellen, dass sie in der sich verändernden Energielandschaft wettbewerbsfähig bleiben.
Ersteinrichtung integrierter Datensysteme
Bei der Datenerfassung in Wasserkraftwerken werden im Wesentlichen zwei Arten von Daten gesammelt: statische Daten und Telemetriedaten. Erstere umfassen die technischen Spezifikationen des Projekts. Viele Wasserkraftwerke verfügen über technische Daten in Papierform, wie handgeschriebene Protokolle, Konstruktionspläne und Wartungsunterlagen. Ein Teil dieser Daten ist möglicherweise bereits digitalisiert, aber in unterschiedlichen Systemen oder Formaten gespeichert, was die Integration erschwert.
Mit der Telemetrie werden Echtzeitdaten aus verschiedenen Quellen erfasst. Dazu gehören Produktionsdaten, Stauziele, Schleusendurchsatz und -öffnung, Sensoren und Instrumente wie Durchflussmesser, Drucksensoren, Temperatursensoren und Vibrationssensoren, die kontinuierlich Betriebsdaten liefern. Scada-Systeme (Supervisory Control and Data Acquisition) sammeln und überwachen diese Echtzeitdaten und ermöglichen eine zentrale Steuerung und Analyse. IoT-Geräte verbinden diese Sensoren und Systeme für eine nahtlose Datenübertragung. Darüber hinaus sammeln mit Kameras und Sensoren ausgestattete Drohnen visuelle und thermische Daten zur Inspektion und Überwachung.
Die Qualität der Daten, die in die Software eingespeist werden, wirkt sich direkt auf die Qualität der Optimierung auf allen Ebenen aus. Deshalb sollten Probleme mit der Datengenauigkeit vor oder neben den Herausforderungen der Datenintegration angegangen werden, um optimale Ergebnisse zu erzielen.
Die Umwandlung statischer, auf Papier aufgezeichneter Daten in digitale Formate stellt zunächst eine grosse Herausforderung da, denn der Prozess kann zeit- und arbeitsintensiv sein, insbesondere bei handschriftlichen Aufzeichnungen und veralteter Dokumentation. Er ist jedoch ein entscheidender Schritt im Digitalisierungsprozess.
Probleme mit der Datenqualität können aus verschiedenen Quellen entstehen, einschliesslich Sensorausfällen, Umwelteinflüssen und menschlichen Fehlern bei der Dateneingabe. Qualitativ hochwertige Daten sind für eine effektive Überwachung, Steuerung und Optimierung des Betriebs von Wasserkraftwerken unerlässlich.
Ein weiterer Aspekt der Datenqualität ist die Implementierung eines einheitlichen Messsystems: Wird der Wasserstand relativ zum Meeresspiegel (m ü. M.) oder relativ zur Überlaufkante gemessen? Diese Referenz sollte im gesamten System einheitlich umgesetzt werden, um optimale Ergebnisse zu erzielen. Die Verwendung standardisierter Datenformate und Protokolle kann die Datenintegration erleichtern und die Kompatibilität zwischen verschiedenen Systemen sicherstellen.
Sensoren verlieren mit der Zeit an Messgenauigkeit. Um ihre Zuverlässigkeit zu gewährleisten, sind regelmässige Wartungen und Kalibrierungen erforderlich. Ungenaue Daten können die Effizienz der automatisierten Systeme und vorausschauender Wartungsalgorithmen beeinträchtigen. Eine routinemässige Wartung und Kalibrierung und der rechtzeitige Austausch der Sensoren ist daher für die Aufrechterhaltung der Datenintegrität entscheidend.
«Rauschen», verursacht durch Wind oder Ungenauigkeit der Sensoren, kann die Bestimmung des Wasserstandes im Reservoir beeinträchtigen. Neben solchen Fehlern gibt es auch Interferenzen zwischen Steuergeräten und Sensoren. Die Nähe des Sensors zum Turbineneinlauf kann ebenfalls problematisch sein, denn jede Änderung des Turbinenbetriebs führt zu einer Krümmung der Wasseroberfläche, die die Genauigkeit der Messung beeinträchtigt.
Um Telemetriedaten für die automatisierte Einsatzplanung nutzen zu können, müssen solche Effekte unterdrückt oder herausgefiltert werden, beispielsweise mit einem automatischen Datenglättungsverfahren (Bild 1), das genauere und zuverlässigere Daten gewährleistet, die in Optimierungsalgorithmen eingespeist werden können.
Bild 1a zeigt die direkte telemetrische Erfassung eines Stauziels mit abrupten Schwankungen, die oft negative Rückkopplungen der freien Oberflächenströmung beinhalten. Der Glättungsprozess (Bild 1b) berücksichtigt alle aufgezeichneten Füllstandsänderungen an Turbinen oder Schleusen sowie geschätzte Wasserverluste und -gewinne durch Bodenfeuchte, Zufluss und Niederschlag. Das letzte Diagramm zeigt die geglättete Stauzielkurve (dunkelviolett) im Vergleich zu den viel unruhigeren ungefilterten Stauzieldaten (hellviolett). Die geglättete Zuflusskurve bildet eine solide Grundlage für die Produktionsplanung. Ausserdem lassen sich die Auswirkungen vorübergehender Ausfälle mit robusten Backup-Systemen und redundanten Datenpfaden minimieren.
Datenaggregation und -management
Bei der Datenintegration werden Daten aus verschiedenen Quellen in eine zentrale Datenbank zusammengeführt, um eine einheitliche Sicht auf die Betriebsabläufe zu erhalten. Sie stellt sicher, dass alle relevanten Informationen zugänglich, genau und aktuell sind.
Der häufigste Fallstrick in dieser Digitalisierungsphase ist der Software-Wildwuchs. Dieser entsteht, wenn verschiedene Teams oder Abteilungen ohne übergreifende Strategie unterschiedliche Software-Tools einführen [1]. Dadurch ergeben sich Funktionsüberschneidungen, ungenutzte Lizenzen und Integrationsprobleme. Um dies zu vermeiden, sollten Wasserkraftbetreiber einen strategischen Digitalisierungsansatz mit einer einheitlichen digitalen Plattform verfolgen.
Eine solche Plattform sollte in Betracht gezogen werden, wenn eine oder mehrere der folgenden Herausforderungen im Betrieb auftreten:
Redundante Anwendungen: Unterschiedliche Software-Tools werden von verschiedenen Teams für ähnliche Aufgaben wie Datenanalyse, Überwachung und Berichterstattung oder für zusammenhängende Prozesse wie Produktionsplanung, Wartungsplanung und Energiehandel verwendet.
Integrationsprobleme: Daten werden manuell von einem System in ein anderes übertragen und oft nachbearbeitet, um die Kompatibilität mit dem Zielsystem zu gewährleisten. Informationen sind schwer zugänglich oder nicht organisationsweit verfügbar.
Erhöhte Wartungskosten: Mehrere Softwareanwendungen werden entweder im Team oder zentral verwaltet und gewartet. Updates und Support sind aufwendiger, weil sie separat durchgeführt werden.
Schulung und Benutzerfreundlichkeit: Betreiber und Mitarbeiter müssen für jedes Software-Tool geschult werden. Der Wechsel zwischen den Softwareanwendungen ist aufgrund von Unterschieden in Design, Benutzerführung und Sprache oft nicht intuitiv.
Die Einführung einer einheitlichen digitalen Plattform für Funktionen wie Datenerfassung, Überwachung, Analyse und Berichterstattung kann Prozesse optimieren. Eine solche Plattform kann wesentlich leistungsfähiger sein, da die Algorithmen auf mehrere Datenströme im Unternehmen zugreifen können. Solche Lösungen können beispielsweise einen Einsatzplan liefern, der bereits alle betrieblichen Einschränkungen, geplante Wartungsarbeiten, die Produktionsplanung, Marktpreise und Bedarfsprognosen einbezieht.
Datenübertragung
An den meisten Standorten wurden die Prozesse für die Produktionsplanung und den Handel vor Jahrzehnten entwickelt und umgesetzt – mit nur minimalen Anpassungen im Laufe der Jahre. Das in der Branche übliche Dateiformat ist nach wie vor Excel (.xlsx), und via E-Mail wird nach aussen kommuniziert.
Bild 2 zeigt ein Beispiel für den täglichen Datenfluss in einem Wasserkraftwerk, bei dem jeder Knoten einen Betreiber darstellt, der Daten verarbeitet, Dateiformate anpasst und Masseinheiten konvertiert, bevor die Informationen weitergeleitet werden. Dieser traditionelle Prozess birgt zwei Risiken für den Kraftwerksbetrieb: menschliches Versagen und verzögerte Reaktionen.
Dieser Ansatz macht den Handel auf dynamischeren Strommärkten aufgrund seiner Ineffizienz und Verzögerungen unmöglich. Die Abhängigkeit von manueller Datenverarbeitung erhöht das Risiko menschlicher Fehler, was zu ungenauen Daten für Handelsentscheidungen führen kann. Zudem hängt dieser Prozess von der Reaktionsfähigkeit verschiedener Akteure ab. Jede Verzögerung, sei es durch interne Genehmigungen oder externe Lieferanten, kann dazu führen, dass Handelsmöglichkeiten verpasst werden. In dynamischen Strommärkten, in denen Echtzeitdaten und schnelle Entscheidungen zentral sind, kann dies das Kraftwerk daran hindern, von Marktschwankungen zu profitieren.
IT/OT-Konvergenz
Die Integration von Informationstechnologie (IT) und Betriebstechnologie (OT) gewinnt für die digitale Transformation an Bedeutung. Dabei werden alle Informationen auf einer interaktiven Online-Plattform verarbeitet und visualisiert.
Während des Digitalisierungsprozesses wird ein standardisiertes digitales Twin-Modell der Anlage erstellt, das statische Daten und Echtzeit-Telemetrie vereint, damit Echtzeit-Optimierungsaufgaben, Visualisierungen und benutzerorientierte Steuerungsmechanismen erstellt werden können. Über die Benutzeroberfläche können Betreiber manuelle Eingriffe vornehmen, Betriebsparameter ändern, Zuflussprognosen abrufen und deren Auswirkungen auf das Stauziel und die Produktionsplanung abrufen.
Diese neuen Prozessinfrastrukturen bringen jedoch auch neue Herausforderungen mit sich, wie z. B. Latenzzeiten und Sicherheitsrisiken, die in der Regel durch eine Kombination von Hardware- und Softwarelösungen angegangen werden. Echtzeit-Überwachungs- und Steuerungssysteme sind besonders latenzempfindlich und können von der Integration von Edge Computing profitieren, denn durch die Dezentralisierung und die Verlagerung der Datenverarbeitung näher zur Datenquelle verbessert Edge-Computing die Reaktionsfähigkeit des Systems.
Asset-Manager sollten bei der Implementierung digitaler Plattformen aktiv Massnahmen zur Erhöhung der Sicherheit ergreifen. Einerseits, indem sie die Anbieter anhand Sicherheitsstandards wie ISO 27001 und SOC 2 überprüfen, um sicherzustellen, dass sie bewährte Datenschutzverfahren einhalten. Andererseits kann die Wahl von API-Verbindungen anstelle von Direktverbindungen die Sicherheit erhöhen, da API eine kontrollierte Schnittstelle für den Datenaustausch bieten und somit das Risiko von unbefugtem Zugriff und Datenlecks verringern.
Daten zur Automatisierung nutzen
Das volle Potenzial des integrierten Datenmanagements kann ausgeschöpft werden, indem alle Daten zur Optimierung des Anlagenbetriebs genutzt werden. Dies geschieht auf vielfältige Weise:
Constraint Management: Echtzeitdaten können mit Effizienzparametern verglichen werden, um den Wasserdurchfluss an Schleusen und Turbinen anzupassen.
Produktionsplanung: Ein zentraler Datenhub für die Produktionsplanung kann alle Variablen von Marktpreisen über Turbinenwirkungsgrade, Zuflussprognosen, Umweltauflagen und geplante Ausfälle zusammenführen. Mit KI und neuen Algorithmen kann so ein optimaler Produktionsplan erstellt werden.
Strategischer Energiehandel: Die Flexibilität von Speicherkapazitäten kann genutzt werden, um eine preisgesteuerte Einspeisung zu automatisieren. Sobald alle Datenströme in ein zentrales System integriert sind, können Strommärkte wie Primär- und Sekundärreserve erschlossen und Nebengeschäfte automatisiert werden.
Mittel- und langfristige Planung: Historische und aktuelle Telemetriedaten können genutzt werden, um saisonale Wetteränderungen für das jeweilige hydrologische Einzugsgebiet zu prognostizieren. Dies ermöglicht eine strategische Planung von Produktion und Instandhaltung auf Basis von Opportunitätskostenrechnungen.
Simulation von Investitionsentscheidungen: Mit einem Digital Twin [2] und den Daten können Hardware-Investitionen bewertet werden, wie zusätzliche Turbinen oder Nachrüstung von Pumpspeichern, verschiedene Wetterszenarien oder Produktionsstrategien.
Dies sind die wichtigsten Aspekte der Datennutzung. Weitere sind selbstverständlich denkbar.
Fazit
Ein integriertes Datenmanagement bietet Wasserkraftbetreibern erhebliche Vorteile wie höhere Effizienz, kürzere Reaktionszeiten und bessere Anpassung an den Markt. Digitale Werkzeuge ermöglichen Automatisierung, fundierte Entscheidungen und optimierte Betriebsabläufe ohne eine umfassende Modernisierung der Hardware. Bereits gezielte Upgrades und die intelligente Integration bestehender Systeme können erhebliche Vorteile bringen.
Für einen reibungslosen Übergang wird empfohlen, klare Ziele zu definieren und KPIs (Key Performance Indicators) einzuführen, um den Fortschritt messbar zu machen. KI, maschinelles Lernen und IoT sollten gezielt eingesetzt werden, um die Produktion zu optimieren und den Energiehandel in einem dynamischen Markt zu unterstützen. Zudem müssen Stakeholder von Anfang an in die Entwicklung neuer Prozesse eingebunden werden, um eine reibungslose Einführung der Werkzeuge zu gewährleisten. Und schliesslich ist ein kontinuierlicher Wissensaustausch zwischen den involvierten Teams und mit externen Partnern nötig für eine erfolgreiche Umsetzung digitaler Initiativen.
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