Digitale Automatische Kupplung für Güterzüge
Digitale Automatische Kupplung (DAC) im Schienengüterverkehr
Die Migration von der Schraubenkupplung zur Digitalen Automatischen Kupplung (DAC) ist zentral für die Automatisierung und Digitalisierung des Schienengüterverkehrs. In einem Projekt werden nun die Spezifikationen der DAC und eine Systemarchitektur für den zukünftigen volldigitalen Güterzug in technischen und betrieblichen Tests der automatisierten Funktionen erprobt.
Um gegenüber dem Strassengüterverkehr kompetitiver zu werden, muss die Schienengüterverkehrs-Branche die arbeitsintensive erste und letzte Meile automatisieren. Dafür ist die Digitale Automatische Kupplung (DAC) der Waggons entscheidend. Sie ist die zentrale Komponente des künftigen volldigitalen Güterzuges und wird in der Schweiz und in der EU angestrebt. Es gibt mehrere DAC-Typen: Während Typ 2 (DAC 2) die automatische mechanische Kupplung der Waggons inklusive der Druckluftleitungen umfasst, kuppelt die DAC 4 zusätzlich automatisch die Stromleitungen und die Datenkommunikation zwischen den Waggons. Die DAC 5 integriert zusätzlich die Funktion der Fernentkupplung.
Strom und Daten auf dem ganzen Zug ermöglichen den Einsatz der digitalen und intelligenten Systeme für die automatisierten Zugfunktionen wie automatische Zugtaufe und Bremsprobe, intelligentes Energiemanagement, elektropneumatische Bremse und zustandsabhängige bzw. prädiktive Wartung. Dank solchen automatisierten oder ferngesteuerten Zugfunktionen können die betrieblichen Prozesse optimiert, Zeit gespart und eine höhere Effizienz erreicht werden, mit höherer Arbeitssicherheit und -komfort und attraktiverem Berufsbild im Schienengüterverkehr.
Die für die Schweiz relevanten Spezifikationen und Normen werden derzeit auf europäischer Ebene definiert. Die Schweiz hat diesen Prozess bisher massgeblich mitgestaltet. So hat SBB Cargo die DAC 2 als erste Güterbahn Europas im kommerziellen Betrieb eingesetzt, wichtige Betriebserfahrungen gesammelt und unter anderem entscheidend zur europäischen Wahl des Scharfenberg-Kupplungskopfes für die DAC 2 beigetragen, nachdem sie diesen in den Jahren davor gemeinsam mit Voith getestet, weiterentwickelt und als einzige Bahnbetreiberin in Europa seit 2019 im Betrieb hatte. SBB Cargo wird daher in Europa als DAC-Pionierin wahrgenommen, deren Erfahrungen die europäischen Spezifikationen und Normen stark beeinflussen.
Projektziel und -überblick
Das Projektziel ist die Erprobung der DAC 4 und einer darauf aufbauenden Systemarchitektur für den Zug mit innovativen Systemkomponenten, durch technische und betriebliche Tests der dadurch ermöglichten automatisierten Funktionen auf einem eigenen DAC+-Testzug. Die gewonnenen Erfahrungen beschleunigen die technischen Migrationsprozesse für die (Teil-)Automatisierung auf der letzten Meile des Schienengüterverkehrs.
Eine grosse Herausforderung ist die zuverlässige Datenübertragung über die E-Koppler und deren elektrische Kontakte in der DAC. Diese sind sowohl beim harten Kuppeln der Waggons als auch bei Zugfahrten, bei denen sich die E-Koppler gegeneinander bewegen, starken mechanischen Belastungen ausgesetzt, zusätzlich zu Umwelteinflüssen wie Schmutz, Staub, Öl oder Eis. Sie sind damit sehr störungsanfällig, weshalb ihre Anzahl in der DAC minimal sein sollte.
Als eine Lösung dafür verwendet der Powerline PLUS Train Backbone (PTB) die Power Line Communication (PLC), mit der die Daten über die Zug-Stromleitung und zwischen den Waggons über deren elektrische Kontakte in den E-Kopplern übertragen werden. Ein Schwerpunkt in diesem Projekt liegt auf der Zuverlässigkeit des PTB für den Einsatz in den betrieblichen Automationsfunktionen (Tabelle 1), mit gezielten Tests der E-Koppler und der elektrischen Kontakte.
Das Projekt wird von SBB Cargo und der Hochschule Luzern (HSLU) geleitet. Weitere Projektteilnehmer sind die PLC-Tec AG, Voith und PJM. Das Projekt wird durch das Bundesamt für Verkehr mitfinanziert.
Die «Powerline PLUS»-Technologie
Powerline PLUS nutzt die PLC-basierte Power Line Data Bus (PLUS) Technologie, die von PLC-Tec und ihrem Forschungspartner HSLU entwickelt wurde. PLUS zielt speziell auf sicherheitskritische Echtzeitanwendungen (Mission-and-Time Critical) in Flugzeugen, Zügen etc. ab. Dafür wurden äusserst robuste Kommunikationsprotokolle und -verfahren entwickelt, die mit schwierigen Kanalbedingungen wie Kanalverzerrungen und Rauschen umgehen können und gleichzeitig die Zuverlässigkeit maximieren, niedrige Latenzzeiten unterstützen und ein deterministisches Protokollverhalten bieten. Die physikalische Schicht von PLUS, die auf der PLC-Norm IEEE1901 basiert, verwendet beispielsweise ein Mehrträger-Übertragungsschema (Orthogonal Frequency Division Multiplexing), das die spektrale Effizienz bei frequenzselektiven Kanälen optimiert. Starke Vorwärtsfehlerkorrekturtechniken werden gegen impulsives Rauschen eingesetzt. PLUS zielt nicht nur auf ein Kommunikationsprotokoll ab, das die erforderlichen Funktions- und Leistungsanforderungen erfüllt, sondern bietet auch die für sicherheitskritische Anwendungen erforderliche Entwurfssicherheit.
Powerline PLUS nutzt die PLUS-Technologie und passt sie an die Anforderungen des volldigitalen Güterzugs an. Als kabelgebundene Technologie unterstützt Powerline PLUS die Übertragung von sicherheitskritischen Daten und bietet im Vergleich zu drahtlosen Lösungen eine höhere Sicherheit (Cyber Security), da es weniger anfällig für Angriffe von aussen ist.
PLC über die Zug-Stromleitung hat folgende Vorteile:
- Nur die Stromleitung und ihre elektrischen Kupplungskontakte in der DAC werden benötigt, aber keine elektrischen Datenkontakte und -kabel wie Ethernet, und somit die geringstmögliche Anzahl von elektrischen Kontakten aller drahtgebundenen Kommunikationstechnologien.
- Stromleitungskontakte sind typischerweise grösser und robuster als Datenleitungskontakte.
- PLC-Signale werden sogar über eine Kontaktunterbrechung von bis zu 2 bis 3 mm über die Luft übertragen.
- Der im Vergleich zu Datenkontakten hohe Strom durch die Stromkontakte (wetting current) reinigt die Kontakte, indem er den Oberflächenwiderstand durchbricht – ein nützlicher Effekt bei lange stehenden Güterwagen.
- PLC ist nicht neu im Güterzug und wird seit mehr als 20 Jahren in Nordamerika für die Bremssteuerung eingesetzt.
In Summe werden mit PLC die Probleme mit elektrischen Kontakten in der DAC minimiert und die Zuverlässigkeit maximiert.
Zusätzlich zur robusten Datenübertragung wird das breitbandige PLC-Signal des PTB auch für weitere Funktionen verwendet, z. B. für die Zugtaufe oder die Zustandsüberwachung.
Europäische Projekte und Empfehlungen
Auf europäischer Ebene haben zwei grosse Projekte die Entwicklung der DAC seit 2020 vorangetrieben. Im Projekt DAC4EU (Digital Automatic Coupling for Europe) testet ein Konsortium von sieben europäischen Unternehmen (inkl. SBB Cargo) den Einsatz bestehender DAC-Prototypen an einem Testzug. Das European DAC Delivery Programme (EDDP) bringt alle wichtigen europäischen Akteure zusammen und koordiniert die verschiedenen Initiativen zur Umsetzung einer einheitlichen europäischen DAC in diversen Arbeitspaketen und Entscheidungsgremien.
EDDP hat seit 2020 einige Technologien für die DAC bewertet. Für das Backbone-Kommunikationssystem des volldigitalen Güterzugs empfahlen sie im Mai 2022 zwei Technologien: 10BASE-T1L Single-Pair Ethernet (SPE) sowie Powerline PLUS. Für eine Entscheidung für eine der beiden Technologien sind weitere Tests der DAC erforderlich.
Die bisher vorliegenden Ergebnisse aus dem DAC4EU-Zug zeigen, dass Kontakte in den E-Kopplern bereits nach wenigen (100) Kupplungsvorgängen und (1000) Streckenkilometern beschädigt sein können. Zudem ist noch nicht klar, was bei beiden Kommunikationstechnologien zu kurzen Unterbrechungen der Datenströme während der Fahrt führt. Trotz solcher Unterbrechungen erzielt PTB die besten Ergebnisse und erfasst beispielsweise die Zugvollständigkeit und Wagenreihung zuverlässig.
Auf dem DAC+-Zug werden nun die automatisierten Zugfunktionen mit dem PTB auf ihre Zuverlässigkeit unter Betriebsbedingungen erprobt, mit Belastungen der E-Koppler, um eine Optimierung der Gesamtzuverlässigkeit (E-Koppler, PTB) zu erreichen.
Die Resultate werden unter anderem in das EU-Projekt TRANS4M-R eingebracht, in dem zurzeit die DAC europaweit spezifiziert und entwickelt wird, sowie in die Cenelec-Standardisierung.
DAC+-Testzug
Der DAC+-Testzug besteht aus sechs Sgnss-Waggons als Testwagen und einem gedeckten Güterwaggon, der die Lokomotive emuliert, die Stromversorgung zur Verfügung stellt sowie Test-/Messgeräte für den ganzen Zug enthält (Bild 1).
Für die Ausrüstung der DAC 4 mit Energie- und Datenkopplung gibt es derzeit verschiedene Lösungen und Technologien. Die Systemarchitektur des Zugs und die Teilsysteme in diesem Projekt basieren auf den Ergebnissen von EDDP sowie auf den Vorarbeiten von SBB Cargo zur DAC 2.
Bild 2 zeigt die Architektur und die implementierten Komponenten der Testwagen, mit den Sgnss-Waggons von SBB Cargo, den DAC 4 von Voith mit mechanischer Scharfenberg- Kupplung (2021 von EDDP als Standard ausgewählt) sowie E-Koppler-Prototypen mit vier Stromkontakten für das von EDDP spezifizierte 2-Phasen-400-V-AC-Stromsystem sowie zwei Kontakten für Testzwecke. Zudem sieht man die Wagon Tracker Box von PJM für die automatische Bremsprobe, mit verschiedenen Sensoren, Steuerungen und zentralem Tablet z. B. auf der Lokomotive. Dieses System haben PJM und SBB Cargo gemeinsam entwickelt und vorzertifiziert. Es ist bereits in SBB-Cargo-Wagen im Einsatz. Zudem zeigt Bild 2 die PTB-Box (Einstiegsbild) mit PTB-Gateways von PLC-Tec für den Zugdaten-Backbone über die Zug-Stromleitung, mit integrierten erweiterbaren Schnittstellen (Ethernet, CAN) für die Waggon- und Loksysteme, Energiesystem mit Umrichtern, Batterie sowie verschiedenen Test-/Messgeräten. Dazu kommen Verteilerkästen (Junction Boxes) an den Waggonenden sowie das Zug-Stromkabel (von Studer Cables). Zusätzlich sind an mehreren Stellen Sensoren und Messgeräte (nicht abgebildet) angebracht, beispielsweise 3D-Beschleunigungssensoren.
Testprogramm
Das Testprogramm umfasst Zug-Stillstandstests, Fahrten und Rangierabläufe. Getestet werden die folgenden automatisierten Zugfunktionen:
- Zugtaufe: Bestimmung der Wagenreihung und Richtung mit dem PTB Train-Topology-Detection-Protokoll TTD, das bereits erfolgreich am DAC4EU-Zug getestet wurde.
- Automatische Bremsprobe: Die Daten zwischen dem Wagon Tracker und dem Master Tablet in der Lok werden über den PTB übertragen.
- Während der Fahrt: Daten zur Überwachung der Zugsysteme wie Zugintegrität, Stromverteilung und Kommunikationssystem werden zwischen der Lok und den Wagen über den PTB übertragen.
Besonderes Augenmerk gilt den Schäden an den E-Kopplern, um deren Ursprung, Eigenschaften und Auswirkungen auf die Kommunikation besser zu verstehen. Dazu zeichnen Sensoren während den Fahrten unter anderem das Verhalten auf von Signalunterbrüchen (Häufigkeit, Häufung, Dauer), mechanischen Einwirkungen wie Stösse auf die E-Koppler, wofür 3D-Beschleunigungssensoren auf beiden Seiten der E-Koppler installiert sind, sowie die PTB-Performanz wie Paketverlust, Latenz und Durchsatz. Diese Daten werden zeitsynchron aufgenommen, um gegenseitige Beeinflussungen zu detektieren.
Ausserdem werden zwei innovative Ansätze getestet, die die HSLU und SBB Cargo zurzeit gemeinsam entwickeln. Hierbei wird das breitbandige Powerline-PLUS-Signal zusätzlich zur Kommunikationsfunktion genutzt für die In-situ-Überwachung des Zustands der Kontakte in den E-Kopplern für eine prädiktive Wartung sowie für die Erkennung und Lokalisierung von Erdungsfehlern nach der Zusammenstellung eines Zugs.
Die Tests werden iterativ in Kampagnen durchgeführt, zwischen denen die Resultate verarbeitet und Optimierungen, beispielsweise der E-Koppler, durchgeführt werden.
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