Fachartikel Automation

Digitale Auto­ma­tische Kupplung für Güterzüge

Digitale Automatische Kupplung (DAC) im Schienengüterverkehr

26.04.2023

Die Migration von der Schrauben­kupplung zur Digitalen Auto­mati­schen Kupplung (DAC) ist zentral für die Auto­mati­sierung und Digitali­sierung des Schienen­güter­verkehrs. In einem Projekt werden nun die Spezifi­kationen der DAC und eine System­architektur für den zukünf­tigen voll­digitalen Güterzug in techni­schen und betrieb­lichen Tests der auto­mati­sierten Funktionen erprobt.

Um gegenüber dem Strassengüterverkehr kompetitiver zu werden, muss die Schienengüterverkehrs-Branche die arbeitsintensive erste und letzte Meile automa­tisieren. Dafür ist die Digitale Automatische Kupplung (DAC) der Waggons entscheidend. Sie ist die zentrale Komponente des künftigen ­volldigitalen Güterzuges und wird in der Schweiz und in der EU angestrebt. Es gibt mehrere DAC-Typen: Während Typ 2 (DAC 2) die automatische mechanische Kupplung der Waggons inklusive der Druckluftleitungen umfasst, kuppelt die DAC 4 zusätzlich automatisch die Stromleitungen und die Daten­kommunikation zwischen den Waggons. Die DAC 5 integriert zusätzlich die Funktion der Fernentkupplung.

Strom und Daten auf dem ganzen Zug ermöglichen den Einsatz der digitalen und intelligenten Systeme für die automa­tisierten Zugfunktionen wie automatische Zugtaufe und Bremsprobe, intelligentes Energie­management, elektro­pneumatische Bremse und zustandsabhängige bzw. prädiktive Wartung. Dank solchen automatisierten oder ferngesteuerten Zugfunktionen können die betrieblichen Prozesse optimiert, Zeit gespart und eine höhere Effizienz erreicht werden, mit höherer Arbeitssicherheit und -komfort und attraktiverem Berufsbild im Schienengüterverkehr.

Die für die Schweiz relevanten Spezifikationen und Normen werden derzeit auf europäischer Ebene definiert. Die Schweiz hat diesen Prozess bisher massgeblich mitgestaltet. So hat SBB Cargo die DAC 2 als erste Güterbahn Europas im kommerziellen Betrieb eingesetzt, wichtige Betriebserfahrungen gesammelt und unter anderem entscheidend zur europäischen Wahl des Scharfenberg-Kupplungskopfes für die DAC 2 beigetragen, nachdem sie diesen in den Jahren davor gemeinsam mit Voith getestet, weiterentwickelt und als einzige Bahnbetreiberin in Europa seit 2019 im Betrieb hatte. SBB Cargo wird daher in Europa als DAC-Pionierin wahrgenommen, deren Erfahrungen die europäischen Spezifikationen und Normen stark beeinflussen.

Projektziel und -überblick

Das Projektziel ist die Erprobung der DAC 4 und einer darauf aufbauenden Systemarchitektur für den Zug mit innovativen Systemkomponenten, durch technische und betriebliche Tests der dadurch ermöglichten automatisierten Funktionen auf einem eigenen DAC+-Testzug. Die gewonnenen Erfahrungen beschleunigen die technischen Migrationsprozesse für die (Teil-)­Automa­tisierung auf der letzten Meile des Schienengüterverkehrs.

Eine grosse Herausforderung ist die zuverlässige Daten­übertragung über die E-Koppler und deren elektrische Kontakte in der DAC. Diese sind sowohl beim harten Kuppeln der Waggons als auch bei Zugfahrten, bei denen sich die E-Koppler gegeneinander bewegen, starken mechanischen Belastungen ausgesetzt, zusätzlich zu Umwelt­einflüssen wie Schmutz, Staub, Öl oder Eis. Sie sind damit sehr störungsanfällig, weshalb ihre Anzahl in der DAC minimal sein sollte.

Als eine Lösung dafür verwendet der Powerline PLUS Train Backbone (PTB) die Power Line Communication (PLC), mit der die Daten über die Zug-Stromleitung und zwischen den Waggons über deren elektrische Kontakte in den E-Kopplern übertragen werden. Ein Schwerpunkt in diesem Projekt liegt auf der Zuver­lässig­keit des PTB für den Einsatz in den betrieblichen Automa­tions­funktionen (Tabelle 1), mit gezielten Tests der E-Koppler und der elektrischen Kontakte.

Das Projekt wird von SBB Cargo und der Hochschule Luzern (HSLU) geleitet. Weitere Projekt­teilnehmer sind die PLC-Tec AG, Voith und PJM. Das Projekt wird durch das Bundesamt für Verkehr mitfinanziert.

Die «Powerline PLUS»-Technologie

Powerline PLUS nutzt die PLC-basierte Power Line Data Bus (PLUS) Technologie, die von PLC-Tec und ihrem Forschungspartner HSLU entwickelt wurde. PLUS zielt speziell auf sicherheitskritische Echtzeit­anwendungen (Mission-and-Time Critical) in Flugzeugen, Zügen etc. ab. Dafür wurden äusserst robuste Kommunikations­protokolle und -verfahren entwickelt, die mit schwierigen Kanal­bedingungen wie Kanalverzerrungen und Rauschen umgehen können und gleichzeitig die Zuverlässigkeit maximieren, niedrige Latenzzeiten unterstützen und ein deterministisches Protokollverhalten bieten. Die physikalische Schicht von PLUS, die auf der PLC-Norm ­IEEE1901 basiert, verwendet beispielsweise ein Mehrträger-Übertragungs­schema (Orthogonal Frequency Division Multi­plexing), das die spektrale Effizienz bei frequenz­selektiven Kanälen optimiert. Starke Vorwärtsfehler­korrekturtechniken werden gegen impulsives Rauschen eingesetzt. PLUS zielt nicht nur auf ein Kommunikations­protokoll ab, das die erforderlichen Funktions- und Leistungs­anforderungen erfüllt, sondern bietet auch die für sicherheitskritische Anwendungen erforderliche Entwurfssicherheit.

Powerline PLUS nutzt die PLUS-Technologie und passt sie an die Anforderungen des volldigitalen Güterzugs an. Als kabelgebundene Technologie unterstützt Powerline PLUS die Übertragung von sicherheitskritischen Daten und bietet im Vergleich zu drahtlosen Lösungen eine höhere Sicherheit (Cyber Security), da es weniger anfällig für Angriffe von aussen ist.

PLC über die Zug-Stromleitung hat folgende Vorteile:  

  • Nur die Stromleitung und ihre elek­trischen Kupplungs­kontakte in der DAC werden benötigt, aber keine elektrischen Daten­kontakte und -kabel wie Ethernet, und somit die geringst­mögliche Anzahl von elek­trischen Kontakten aller draht­gebundenen Kommuni­kations­techno­logien.
  • Stromleitungskontakte sind typischer­weise grösser und robuster als Daten­leitungs­kontakte.
  • PLC-Signale werden sogar über eine Kontaktunterbrechung von bis zu 2 bis 3 mm über die Luft übertragen.
  • Der im Vergleich zu Daten­kontakten hohe Strom durch die Strom­kontakte (wetting current) reinigt die Kontakte, indem er den Ober­flächen­wider­stand durchbricht – ein nützlicher Effekt bei lange stehenden Güterwagen.
  • PLC ist nicht neu im Güterzug und wird seit mehr als 20 Jahren in Nordamerika für die Brems­steuerung eingesetzt.

 

In Summe werden mit PLC die Probleme mit elektrischen Kontakten in der DAC minimiert und die Zuverlässigkeit maximiert.

Zusätzlich zur robusten Daten­über­tragung wird das breit­bandige PLC-Signal des PTB auch für weitere Funktionen verwendet, z. B. für die Zugtaufe oder die Zustands­überwachung.

Europäische Projekte und Empfehlungen

Auf europäischer Ebene haben zwei grosse Projekte die Entwicklung der DAC seit 2020 voran­getrieben. Im ­Projekt DAC4EU (Digital Automatic Coupling for Europe) testet ein Konsortium von sieben europäischen Unter­nehmen (inkl. SBB Cargo) den Einsatz beste­hender DAC-Proto­typen an einem Testzug. Das European DAC Delivery Programme (EDDP) bringt alle wichtigen euro­päischen Akteure zusammen und koordiniert die verschie­denen Initiativen zur Umsetzung einer einheitlichen europäischen DAC in diversen Arbeits­paketen und Entscheidungsgremien.

EDDP hat seit 2020 einige Technologien für die DAC bewertet. Für das Backbone-Kommuni­kations­system des volldigitalen Güterzugs empfahlen sie im Mai 2022 zwei Technologien: 10BASE-T1L Single-Pair Ethernet (SPE) sowie Powerline PLUS. Für eine Entscheidung für eine der beiden Technologien sind weitere Tests der DAC erforderlich.

Die bisher vorliegenden Ergebnisse aus dem DAC4EU-Zug zeigen, dass Kontakte in den E-Kopplern bereits nach wenigen (100) Kupplungs­vorgängen und (1000) Strecken­kilometern beschädigt sein können. Zudem ist noch nicht klar, was bei beiden Kommuni­kations­technologien zu kurzen Unterbrechungen der Datenströme während der Fahrt führt. Trotz solcher Unter­brechungen erzielt PTB die besten Ergebnisse und erfasst beispiels­weise die Zug­voll­ständigkeit und Wagenreihung zuverlässig.

Auf dem DAC+-Zug werden nun die automatisierten Zugfunktionen mit dem PTB auf ihre Zuverlässigkeit unter Betriebs­bedin­gungen erprobt, mit Belastungen der E-Koppler, um eine Optimierung der Gesamt­zuverlässigkeit (E-Koppler, PTB) zu erreichen.

Die Resultate werden unter anderem in das EU-Projekt TRANS4M-R eingebracht, in dem zurzeit die DAC europaweit spezifiziert und entwickelt wird, sowie in die Cenelec-Standardisierung.

DAC+-Testzug

Der DAC+-Testzug besteht aus sechs Sgnss-Waggons als Testwagen und einem gedeckten Güterwaggon, der die Lokomotive emuliert, die Strom­versor­gung zur Verfügung stellt sowie Test-/Messgeräte für den ganzen Zug enthält (Bild 1).

Für die Ausrüstung der DAC 4 mit Energie- und Datenkopplung gibt es derzeit verschiedene Lösungen und Technologien. Die Systemarchitektur des Zugs und die Teilsysteme in diesem Projekt basieren auf den Ergebnissen von EDDP sowie auf den Vorarbeiten von SBB Cargo zur DAC 2.

Bild 2 zeigt die Architektur und die implementierten Komponenten der Testwagen, mit den Sgnss-Waggons von SBB Cargo, den DAC 4 von Voith mit mechanischer Scharfenberg- Kupplung (2021 von EDDP als Standard ausgewählt) sowie E-Koppler-Prototypen mit vier Stromkontakten für das von EDDP spezifizierte 2-Phasen-400-V-AC-Stromsystem sowie zwei Kontakten für Testzwecke. Zudem sieht man die Wagon Tracker Box von PJM für die automatische Bremsprobe, mit verschiedenen Sensoren, Steuerungen und zentralem Tablet z. B. auf der Lokomotive. Dieses System haben PJM und SBB Cargo gemeinsam entwickelt und vorzertifiziert. Es ist bereits in SBB-Cargo-Wagen im Einsatz. Zudem zeigt Bild 2 die PTB-Box (Einstiegsbild) mit PTB-Gateways von PLC-Tec für den Zug­daten-Backbone über die Zug­-Strom­leitung, mit integrierten erweiterbaren Schnittstellen (Ethernet, CAN) für die Waggon- und Loksysteme, Energiesystem mit Umrichtern, Batterie sowie verschiedenen Test-/Messgeräten. Dazu kommen Verteilerkästen (Junction Boxes) an den Waggon­enden sowie das Zug-Stromkabel (von Studer Cables). Zusätzlich sind an mehreren Stellen Sensoren und Messgeräte (nicht abgebildet) angebracht, beispielsweise 3D-Beschleunigungssensoren.

Testprogramm

Das Testprogramm umfasst Zug-Stillstandstests, Fahrten und Rangierabläufe. Getestet werden die folgenden automatisierten Zugfunktionen:

  • Zugtaufe: Bestimmung der Wagenreihung und Richtung mit dem PTB Train-Topology-Detection-Protokoll TTD, das bereits erfolgreich am DAC4EU-Zug getestet wurde.
  • Automatische Bremsprobe: Die Daten zwischen dem Wagon Tracker und dem Master Tablet in der Lok werden über den PTB übertragen.
  • Während der Fahrt: Daten zur Überwachung der Zugsysteme wie Zug­integrität, Stromverteilung und Kommunikationssystem werden zwischen der Lok und den Wagen über den PTB übertragen.

 

Besonderes Augenmerk gilt den Schäden an den E-Kopplern, um deren Ursprung, Eigenschaften und Auswirkungen auf die Kommunikation besser zu verstehen. Dazu zeichnen Sensoren während den Fahrten unter anderem das Verhalten auf von Signalunterbrüchen (Häufigkeit, Häufung, Dauer), mechanischen Einwirkungen wie Stösse auf die E-Koppler, wofür 3D-Beschleunigungssensoren auf beiden ­Seiten der E-Koppler installiert sind, sowie die PTB-Performanz wie Paketverlust, Latenz und Durchsatz. Diese Daten werden zeitsynchron aufgenommen, um gegenseitige Beeinflussungen zu detek­tieren.

Ausserdem werden zwei innovative Ansätze getestet, die die HSLU und SBB Cargo zurzeit gemeinsam entwickeln. Hierbei wird das breitbandige Powerline-PLUS-Signal zusätzlich zur Kommunikationsfunktion genutzt für die In-situ-Über­wachung des Zustands der Kontakte in den E-Kopplern für eine prädiktive Wartung sowie für die Erkennung und Lokalisierung von Erdungsfehlern nach der Zusammenstellung eines Zugs.

Die Tests werden iterativ in Kampagnen durchgeführt, zwischen denen die Resultate verarbeitet und Optimierungen, beispielsweise der E-Koppler, durchgeführt werden.

Autor
Prof. Dr. Ulrich Dersch

ist Geschäftsführer der PLC-Tec und war Dozent und Leiter des Kompetenzzentrums Intelligent Sensors and Networks an der HSLU.

  • plc-tec AG, 5607 Hägglingen
Autor
Fabio Lo Piccolo

ist Projekt­leiter Develop­ment bei SBB Cargo.

  • SBB Cargo AG, 4600 Olten

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