Digital bauen
BIM ist mehr als nur der Wechsel von 2D-Plänen auf 3D-Modelle
Ein neues Gebäude wird künftig am digitalen Zwilling geplant, an dem alle Fachplaner gemeinsam arbeiten – statt wie heute die Konflikte auf der Baustelle auszutragen.
Deepak Aatresh ist Elektroingenieur. Früher arbeitete er bei Intel als Chipdesigner. Heute entwirft er Krankenhäuser. Oder genauer gesagt entwirft die Software, die er programmierte, die entsprechenden Baupläne. Verglichen mit dem Design eines integrierten Chips seien die Anforderungen an ein Krankenhaus nicht wesentlich anders, sagt Aatresh. Bei beiden sei der Platz limitiert, und bestimmte Anforderungen wie die Anzahl Betten und Operationsräume müssten erfüllt werden. Beim Chip sind es die logischen Register, Speicherelemente und Kommunikationspfade. Auch im Krankenhaus sollen die Wege möglichst kurz sein. Und ähnlich wie beim Chipdesign nutzt Aatresh Bibliotheken, um Elemente wiederzuverwenden, beispielsweise einen Ultraschall-Untersuchungsraum.
Software entwirft Spital
Aatresh gewann 2012 mit seiner Software eine Ausschreibung für eine Reihe von Spitälern in den USA. Kaiser Permanente, das Gesundheitsunternehmen, das den Wettbewerb ausschrieb, wollte ein Design für ein Spital mit 100 Betten, das einige Dutzend Mal übers ganze Land wiederverwendet werden könnte. Da die politische Lage zum U.S. Affordable Care Act (Obamacare) lange unsicher war und das Gesetz nur schleppend umgesetzt wurde, baute Kaiser Permanente die Spitäler nie. Die Firma von Aatresh, Aditazz, gewann durch den Wettbewerb aber an Glaubwürdigkeit und entwirft mittlerweile Krebsbehandlungszentren für China. Laut eigenen Angaben würden sie 30% an Platz einsparen mit ihrem Entwurf. «Aus Sicht eines Chipentwicklers sind das riesige Einsparungen, wie sie bei einem Elektronikchip zu höheren Frequenzen, höheren Leistungen und tieferen Kosten führen würden», vergleicht Aatresh.
Roboter bauen Haus
Die ETH Zürich geht einen Schritt weiter und hat am Nest-Gebäude der Empa Dübendorf einen Gebäudeteil digital gebaut – mit 3D-Druckern und Robotern auf der Baustelle. Das DFAB House ist ein Projekt des nationalen Forschungsschwerpunkts «Digitale Fabrikation». Darin werden neue Methoden getestet wie das Mesh Mould: Ein Roboter schweisst eine 3D-Gitterstruktur, die sowohl als Schalung als auch als strukturelle Bewehrung dient. Es entsteht eine Betonwand, die fast beliebige Formen annehmen kann. Für die Betondecke wiederum wurde die Schalung mit einem 3D-Sanddrucker hergestellt und mit faserverstärktem Beton ausgegossen. Es entstand nicht nur eine schöne Decke mit Ornamentstrukturen, sondern es wurden auch 65% an Beton eingespart im Vergleich zu einer herkömmlichen Decke.
Das Obergeschoss des DFAB House besteht aus einer Holzkonstruktion. Zwei Roboter sägten die Holzbalken nach den digitalen Plänen und montierten die insgesamt 487 Balken mit individueller Geometrie auf den Millimeter genau. Ob ein Zimmermann dies ohne Fehler geschafft hätte? Sicher nicht in dieser Zeit. Die Roboter bauten die Holzkonstruktion innerhalb zwölf Stunden.
Was ist BIM?
Noch sind Bauten wie das Nest Forschungsprojekte, und auf den normalen Baustellen werden die Gebäude konventionell erstellt. Die Digitalisierung dringt aber sukzessive in die Baubranche. BIM ist seit Jahren im Gespräch: Es steht für Building Information Modelling. Auf Deutsch: Bauwerksdatenmodellierung. Noch vor sechs Jahren stand BIM für den Wechsel von zweidimensionalen Plänen auf 3D-CAD-Modelle der Gebäude. BIM ist aber mehr. Das I steht für Information. Das bedeutet, dass zu jedem Bauteil im Plan Informationen hinterlegt werden können. So wird beispielsweise für eine Leitung im Plan nicht nur die Geometrie festgelegt, sondern auch das Material und die Wandstärke. Das digitale Modell vom Gebäude wird im Lauf des Projekts immer genauer ausgearbeitet und liegt am Schluss möglichst nahe am realen Gebäude.
Bei einem BIM-Projekt lassen alle am Bau beteiligten Fachplaner ihre Informationen in den digitalen Zwilling des Gebäudes einfliessen: Der Architekt zeichnet die Hülle, der Statiker dimensioniert die Wände und Decken, die HLK- und Elektroplaner sowie der Sanitär zeichnen die Leitungen ein. Da alle am selben digitalen Modell vom Gebäude arbeiten, werden Kollisionen schon in der Planungsphase ersichtlich – wenn der Elektriker und der Sanitär am selben Ort einen Durchbruch durch die Wand planen oder der Statiker dort eine tragende Wand vorgesehen hat.
BIM-Modelle weiternutzen
Der digitale Zwilling soll später über die ganze Lebenszeit des Gebäudes weitergenutzt werden. Die Daten aus der Gebäudeleittechnik sollen ins Modell einfliessen. Im 3D-Modell sieht der Nutzer dann nicht nur eine Leitung, sondern auch, was darin fliesst – wie heiss beispielsweise das Wasser ist oder wie viel Strom in einer Leitung fliesst. Künftig wird der Hausdienst mit einer Mixed-Reality-Brille durchs Gebäude gehen und Fehler suchen. Per Fingerdruck auf ein Tablet wird er Ventile umstellen und Fehler beheben können.
Siemens-Neubau in Zug
In der Realität ist BIM noch nicht so weit. Grössere Bauherren wie das Spital Bern, der Bund oder die Migros schreiben zwar immer mehr Bauvorhaben als BIM-Projekte aus, es werden aber noch lange nicht alle Elemente in den BIM-Modellen umgesetzt. Ein Beispiel ist der neue Hauptsitz von Siemens in Zug, der 2018 eröffnet wurde. Wolfgang Hass ist konzernweiter BIM-Experte bei Siemens und begleitete den Neubau, um die digitalen Aspekte so weit wie möglich umzusetzen. Für Siemens ist das Gebäude ein Showcase, worin Dinge ausprobiert werden können. Hass steht in der Lobby im Empfang des Gebäudes mit einem iPad in der Hand. Das iPad zeigt ein virtuelles Modell der Lobby mit allen Leitungen. Wenn Hass das iPad schwenkt, folgt das virtuelle Modell.
«Die junge Generation ist sich an das iPad gewöhnt und will keine Pläne lesen», sagt Hass. «Je nach Anwender muss die Bedienung allerdings vereinfacht werden, denn es ist heute viel mehr komplexe Technik im Gebäude verbaut als noch vor zehn Jahren», ergänzt er.
Standards für Gebäudetechnik
«Im Moment beschränkt sich das BIM-Datenmodell auf statische, konstruktive Geometrieinformationen des Gebäudes. Dynamische Daten wie Temperaturen, Feuchte oder Betriebsstunden sind noch nicht Teil des BIM-Standards», so Hass, «aber das wird kommen.» Es sind also die für den Hochbau typischen Elemente wie Stahl, Beton und Fassaden, die gut für BIM gerüstet sind mit den dazu nötigen Tools und Bibliotheken. Für die technische Gebäudeausstattung sind hingegen erst die Produkte abgebildet, nicht deren Funktion oder gar Echtzeitwerte. «Für die Heizung, Lüftung und die Elektroinstallation sind erst die Geometrien hinterlegt. Das reicht für den Bau eines Gebäudes, aber nicht für die spätere Nutzung», sagt Hass. In Zug wird die Gebäudetechnik deshalb über das Siemens-eigene Leitsystem Desigo CC überwacht und bedient. Hass rechnet, dass es noch drei bis vier Jahre dauern wird, bis die dynamische Gebäudetechnik in die BIM-Standards eingeflossen ist.
Kultur auf der Baustelle
Im Zusammenhang mit den technischen Aspekten bei BIM-Projekten fallen Hass immer wieder die Abläufe auf den Baustellen auf – so auch beim Bau vom neuen Hauptsitz in Zug: «Die Gebäudebranche ist die einzige Industrie, die zu bauen beginnt, bevor alles geplant ist.» Heute werden die Arbeiten am Gebäude noch sequenziell geplant. Zuerst definieren der Architekt und der Statiker das Gebäude, darauf folgen die HLK-, Sanitär- und Elektrofachplaner. Der Sanitär wird die Masse für die Rohre erst dann ausmessen, wenn der Rohbau steht. Hass: «Nehmen wir als Beispiel die Technik in einem Hotelzimmer. Hier sind mit Lüftung, Klima, Licht, Bewegungsmelder, Beschattungen, Zugangskontrolle und Internet/Fernsehen fünf bis sechs Fachplaner involviert. Eine koordinierte Lösung ist entsprechend schwierig, wenn die Planer sequenziell nacheinander arbeiten – die Lösungen, die heute geliefert werden, sind nicht mehr zeitgemäss.» Deshalb BIM: Im digitalen Zwilling können alle Fachplaner ihr Modell einpflegen und parallel planen. Der Bauherr kann seinerseits bereits während der Planung kontrollieren, ob sich das Gebäude so entwickelt, wie er es sich vorstellt.
Mehr Aufwand in der Planung
Aus den Erfahrungsberichten zu Gebäuden, die mit BIM gebaut werden, geht klar hervor, dass die Planung aufwendiger wird – es fällt mehr Arbeit an, bevor auch nur die ersten Bagger auffahren. Aber BIM hat den Vorteil, dass Fehler früher erkannt werden. Vorausgesetzt, dass alle Beteiligten gut miteinander kommunizieren. Auf der technischen Seite gibt es das standardisierte IFC-Format, das von allen CAD-Tools gelesen werden kann. Ähnlich wie das PDF-Format für die Ausgabe von Word- und Excel-Dateien steht IFC für das standardisierte Format für BIM-Modelle.
Internationale Standards
Wolfgang Hass sagt dazu: «Heute dominieren die CAD-Systeme. Die Projektdatenbanken werden im CAD-System abgebildet – in proprietären Formaten. Es gibt zwar Schnittstellen im openBIM-Format IFC4, aber die Projektdatenbank ist im CAD-System.» Ideal wäre, wenn alle Planer auf dieselbe Datenbank zugreifen könnten, ohne Umweg über die IFC-Dateien. Heute ist dies nur möglich, wenn alle Planer mit derselben CAD-Software arbeiten. Hass hätte lieber eine herstellerneutrale Datenbankstruktur, definiert von einer Nonprofit-Organisation. Zumal die CAD-Programme auf Zeichnungsdatenbanken ausgelegt sind und nicht auf Projektdatenbanken mit Echtzeitwerten. Hass engagiert sich deshalb bei Building Smart International, wo er im Strategic Advisory Board ist. Auch in der Schweiz hat Building Smart ein Chapter, das wiederum eng mit dem Verband «Bauen digital Schweiz» zusammenarbeitet. Hier legen die Mitgliedfirmen Anwendungsfälle an, um Erfahrung zu sammeln und das digitale Bauen in der Praxis umzusetzen.
Für Wolfgang Hass ist klar: BIM ist nicht nur ein digitales Werkzeug, sondern eine Methodik, wie die Baubranche zusammenarbeitet. Anstatt sequenziell zu planen, werden mit BIM in Zukunft alle Gewerke parallel zuerst am digitalen Zwilling geplant und nachher auf der Baustelle umgesetzt. So werden die Produktivität erhöht und Leerläufe auf der Baustelle vermieden. Das bedingt aber die Zusammenarbeit aller Beteiligten. Hier sieht Hass die grösste Herausforderung. Nicht in der technischen Umsetzung der 3D-Pläne und der Definition der BIM-Standards, sondern bei der Kultur in der Baubranche. Anstatt sich gegenseitig auf der Baustelle die Schuld zuzuweisen, warum ein Fehler geschehen ist, sollen sich alle Beteiligten schon vorher am virtuellen Modell austauschen, zusammen Lösungen finden und Kollisionen vermeiden. «Dieses Miteinander anstatt Gegeneinander muss die Branche lernen. Hierzu gehört auch die Diskussion, wem die Daten gehören, wer auf diese zugreifen und sie verändern darf. Schlussendlich können so aber komplexere Gebäude schneller und risikofreier gebaut werden, mit einer höheren Qualität.»
Digitalisierung öffnet die Kultur
Als Wolfgang Hass 1997 nach Zug kam, übernahm Siemens gerade die Firma Landis & Staefa, woraus schliesslich die Siemens Building Technologies entstand. «Das Gelände war damals verschlossen. Zäune umgaben die Bauten. Ein Pförtner überwachte den Eingang», erinnert sich Hass. Heute ist das Gelände offen, ebenso die Büroräume. Statt im Einzelbüro trifft man sich in der Lounge zur Diskussion. Hass ist überzeugt, dass dieses Konzept mehr Innovation erlaubt. «Genauso kann die Digitalisierung der Anstoss sein, dass sich die Kultur in der Baubranche öffnet. Dass die Partner über die Diskussion am digitalen Zwilling gemeinsame, innovative Lösungen finden, anstatt sich auf der Baustelle als Gegenpartei zu sehen.»
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