Die vernachlässigte Seite des Marktes
Es ist wichtig, auch die Entwicklung der Nachfrage zu steuern
Die europäische Gas- und Energiekrise zeichnete sich bereits im vergangenen Jahr ab. Doch mit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine entstand auf den Energiemärkten eine nicht vorhersehbare Dynamik und das Thema Versorgungssicherheit erhielt wieder einen hohen Stellenwert.
Wir diskutieren seit Jahren, wie die Lücke nach der Ausserbetriebnahme der schweizerischen Kernkraftwerke zu schliessen sei. Dabei vernachlässigen wir jedoch den Blick auf die Entwicklung des Stromverbrauchs. Selbstverständlich werden die allgemeinen Entwicklungen der Wirtschaft und der Bevölkerung sowie zusätzliche Treiber wie die Dezentralisierung der Stromproduktion oder die stark ansteigende Elektromobilität bei der Definition der Szenarien berücksichtigt. Aber es kommen weitere Einflussfaktoren hinzu, die bisher eher unterschätzt wurden.
Der Ukraine-Konflikt zeigte die Abhängigkeit von russischem Erdgas schonungslos auf. Das wird die Substitution von Gasheizungen durch andere Energieträger, insbesondere durch elektrisch betriebene Wärmepumpen, massiv beschleunigen. Allein aufgrund dieses Substitutionseffekts wird sich der Stromverbrauch überproportional zum Gesamtenergieverbrauch entwickeln. Zudem erhöhen die neu angeschlossenen Daten-Center die Nachfrage nach Strom in der Nordostschweiz in nur wenigen Jahren um rund 20% – also um mehr als die Produktion des inzwischen abgeschalteten Kernkraftwerks Mühleberg.
In Krisensituationen können weitere unkontrollierbare Effekte hinzukommen. Wenn beispielsweise kurzfristig eine Verknappung im Gasmarkt entsteht, werden die vielen vorsorglich und in guter Absicht beschafften Elektroheizgeräte auch genutzt. Dies wird dann die Stromversorgung zusätzlich belasten.
Es bringt wenig, wenn wir Szenarien für die zukünftige Stromproduktion erarbeiten, während gleichzeitig die Nachfrage unkontrolliert ansteigt. Wir müssen uns ebenso Gedanken machen, wie wir die Entwicklung der Nachfrage nach elektrischer Energie mittel- und langfristig steuern. Und kurzfristig sollten wir uns überlegen, ob wir uns ein Heizöfeli unter den Christbaum legen oder Energie sparen und das Geld für etwas Sinnvolleres ausgeben wollen.
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