Meinung Electrosuisse , Energiemarkt , Verbrauch

Die vernachlässigte Seite des Marktes

Es ist wichtig, auch die Entwicklung der Nachfrage zu steuern

28.11.2022

Die europäische Gas- und Energie­krise zeichnete sich bereits im vergangenen Jahr ab. Doch mit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine entstand auf den Energie­märkten eine nicht vorher­sehbare Dynamik und das Thema Versorgungs­sicherheit erhielt wieder einen hohen Stellen­wert.

Wir diskutieren seit Jahren, wie die Lücke nach der Ausser­betrieb­nahme der schweizerischen Kern­kraft­werke zu schliessen sei. Dabei vernachlässigen wir jedoch den Blick auf die Entwicklung des Strom­verbrauchs. Selbst­verständlich werden die allgemeinen Entwicklungen der Wirtschaft und der Bevölkerung sowie zusätzliche Treiber wie die Dezentralisierung der Strom­produktion oder die stark ansteigende Elektro­mobilität bei der Definition der Szenarien berücksichtigt. Aber es kommen weitere Einfluss­fak­toren hinzu, die bisher eher unter­schätzt wurden.

Der Ukraine-Konflikt zeigte die Abhängigkeit von russischem Erdgas schonungs­los auf. Das wird die Substitution von Gas­heizungen durch andere Energie­träger, insbesondere durch elektrisch betriebene Wärme­pumpen, massiv beschleunigen. Allein aufgrund dieses Substitutions­effekts wird sich der Strom­verbrauch über­proportional zum Gesamt­energie­verbrauch entwickeln. Zudem erhöhen die neu angeschlossenen Daten-Center die Nachfrage nach Strom in der Nord­ost­schweiz in nur wenigen Jahren um rund 20% – also um mehr als die Produktion des inzwischen abgeschalteten Kern­kraft­werks Mühleberg.

In Krisen­situationen können weitere unkontrollierbare Effekte hinzukommen. Wenn beispiels­weise kurzfristig eine Verknappung im Gas­markt entsteht, werden die vielen vorsorglich und in guter Absicht beschafften Elektro­heiz­geräte auch genutzt. Dies wird dann die Strom­versorgung zusätzlich belasten.

Es bringt wenig, wenn wir Szenarien für die zukünftige Strom­produktion erarbeiten, während gleich­zeitig die Nachfrage unkontrolliert ansteigt. Wir müssen uns ebenso Gedanken machen, wie wir die Entwicklung der Nach­frage nach elektrischer Energie mittel- und lang­fristig steuern. Und kurzfristig sollten wir uns über­legen, ob wir uns ein Heiz­öfeli unter den Christ­baum legen oder Energie sparen und das Geld für etwas Sinn­volleres ausgeben wollen.

 

Autor
Dieter Reichelt

ist Leiter der Division Distribution, Axpo Grid AG.

  • Axpo Grid AG, 5401 Baden

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