Fachartikel Energiemarkt , Regulierung

Die Konsequenzen der Energiestrategie 2050

Netz- und Energietarife

28.04.2018

Die Energiestrategie 2050 bringt neue Regeln zur Gestaltung von Netz- und Energietarifen. Mit welchen Änderungen ist zu rechnen und was bedeuten Sie in der Praxis? Der vorliegende Beitrag beleuchtet die gesetzlichen Minimalanforderungen und die Festlegung eines «Basistarifs».

Im Zusammenhang mit der vor bald einem Jahr angenommenen Energiestrategie 2050 hat der Bund diverse Gesetze geändert. Ziel ist, wie von Volk und Ständen bekräftigt, die Energieeffizienz zu steigern und die Produktion erneuerbarer Energie auszubauen, um die alternden Kernkraftwerke sowie fossile Energieträger zu ersetzen. Insbesondere in den Verordnungen zum Energie- und Stromversorgungsgesetz vom November 2017 gibt es Neuerungen, die bei vielen Energieversorgern Konsequenzen auf die Netz- und Energietarife 2019 haben.

Basistarife zur Netznutzung

Gemäss Artikel 18 Absatz 2 der Stromversorgungsverordnung (StromVV) müssen Endverbraucher innerhalb einer Spannungsebene und mit vergleichbarem Bezugsprofil in der gleichen Kundengruppe sein. Wie genau sich die Bezugsprofile für separate Tarife unterscheiden müssen, wird sich erst in Entscheiden der Elektrizitätskommission (ElCom) oder des Bundesgerichts konkretisieren.

Der erwähnte Gesetzesartikel definiert weiter, dass Kunden bis zu einer Anschlussleistung von 30 kVA Anrecht auf einen einheitlichen Tarif haben. Bis zu einem jährlichen Energieverbrauch von 50 MWh muss das Netzentgelt zu mindestens 70% «aus einem nicht-degressiven Arbeitsentgelt» bestehen. Ob es sich dabei um Einfach- oder Doppeltarife handelt, wurde nicht festgelegt. Die in diesem Absatz beschriebenen Bedingungen definieren Netzprodukte, welche für kleine Netznutzer eine hoch verfügbare Stromversorgung ermöglichen und gleichzeitig den Zielen der Energiestrategie dienen. Im Weiteren wird dies mit dem Begriff «Basistarif» bezeichnet.

In der Praxis erweist es sich als schwierig, die Grenze von 30 kVA sauber zu definieren. Dies wird dazu führen, dass sich im Bereich bis 50 MWh pro Jahr mit grosser Wahrscheinlichkeit ein einziger Basistarif etablieren wird. Ausgenommen sind dabei die nicht ganzjährig genutzten Liegenschaften.

Viele Energieversorger verfügen heute noch über einen grösseren Anteil an Einfachtarif-Zählern. Es bleibt ihnen deshalb keine andere Wahl, als den Einfachtarif zum Basistarif zu machen.

Einsatz intelligenter Steuer- und Regelsysteme

Netzbetreiber dürfen die Nutzung des Netzanschlusses innerhalb der vereinbarten Maximalleistung nur bei einer unmittelbaren erheblichen Gefährdung des sicheren Netzbetriebs einschränken. Mit Zustimmung des Endverbrauchers oder Produzenten dürfen jedoch intelligente Steuer- und Regelsysteme in das Verbrauchsverhalten der Geräte hinter dem Netzanschluss eingreifen. Die heutigen Rundsteuersysteme dürfen weiter betrieben werden – es sei denn, ein Endverbraucher habe dies ausdrücklich untersagt.

Für die Einschränkung seiner Flexibilität muss ein Endverbraucher vom Netzbetreiber entschädigt werden. Eine solche Vergütung ist bereits heute in vielen regelbaren respektive unterbrechbaren Tarifen in Form von Vergünstigungen enthalten.

Wahltarife für Netznutzung

Netzbetreiber können ihren Endverbrauchern nach Artikel 18 Absatz 2 der StromVV zusätzlich zu den Basistarifen andere Netznutzungstarife anbieten. Diese werden im Folgenden «Wahltarife» genannt. Bei den Wahltarifen besteht ein grösserer Gestaltungsfreiraum als bei den Basistarifen: Falls eine Leistungsmessung oder ein Smart Metering eingesetzt wird, können Netznutzungstarife mit einem Arbeitsentgelt von weniger als 70% angeboten werden.

Wenn Doppeltarife preisliche Anreize zu flexibler Lastverschiebung setzen und die Steuerung bestimmter Verbraucher wie beispielsweise Boiler beinhalten, sind diese insbesondere bei Energieversorgern mit Einfachtarifen ebenfalls als Wahltarife zu betrachten. Anderseits könnte ein Doppeltarif in den hohen Spannungsebenen (Swiss­grid und grosse Verteilnetzbetreiber) allen Endverbrauchern, also auch jenen in den Basistarifen, als Preissignal für zu vermeidende Hochlastzeiten dienen.

Insgesamt betrachtet wird der Schwerpunkt der laufenden Tarifrevisionen der Netzbetreiber bei der Definition der Basistarife und der preislichen Differenzierung der Wahltarife liegen. Das Konzept der Wahltarife und der darin enthaltenen Vergütungen für Flexibilität kann in den kommenden Jahren verfeinert werden.

Zusammenschlüsse zum Eigenverbrauch

Stromproduzenten dürfen die selbst erzeugte Energie am Ort der Produktion selbst verbrauchen oder vertreiben. Gegenüber den bisher bekannten Eigenverbrauchsgemeinschaften (EVG) dürfen im Rahmen der neu möglichen Zusammenschlüsse zum Eigenverbrauch (ZEV) mehrere direkt zusammenhängende Grundstücke elektrisch verbunden werden. Sie werden nur noch über einen einzigen Anschluss an das Verteilnetz versorgt und abgerechnet. Die Produktionsleistung zum Eigenverbrauch muss dabei mindestens 10% der Anschlussleistung betragen. EVG und ZEV beziehen oft über 50 MWh pro Jahr vom Netz. Für sie kommen deshalb Basistarife kaum in Frage.

EVG und ZEV mit einem Verbrauch von mehr als 100 MWh pro Jahr können Strom günstiger auf dem freien Markt beschaffen. Meist erhalten sie dann einen Leistungstarif für die Netznutzung. Diese Faktoren können dazu beitragen, dass eine Solaranlage vergleichsweise teuren Strom produziert und nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden kann.

Rückliefertarife orientieren sich an Gestehungskosten

Dezentral eingespeister erneuerbarer Strom muss der Netzbetreiber mindestens zu jenem Preis vergüten, den er für die sonstige Beschaffung der Elektrizität bezahlt (gilt für Anlagen bis 3 MW Leistung oder mit maximaler Einspeisung von 5000 MWh/Jahr). Die Vergütung richtet sich nach den Kosten des Netzbetreibers für den Bezug «gleichwertiger» Elektrizität bei Dritten sowie nach den Gestehungskosten der eigenen Produktionsanlagen. Die Rückvergütung und der dem Kunden verrechnete Strompreis müssen aber nicht exakt übereinstimmen, da der Energietarif auch Vertriebskosten, ökologischen Mehrwert und Deckungsdifferenzen beinhalten kann.

Die «Gleichwertigkeit» bezieht sich auf die Energiemenge, das Lastprofil sowie die Steuer- und Prognostizierbarkeit. Die Bestimmungen zur Festlegung der Rückliefertarife treten bereits im Laufe dieses Jahres in Kraft, wobei die meisten EVU diese Regelung schon umgesetzt haben.

Smart Meter werden zum Standard

Neu müssen für das Mess- und Informationswesen Smart Meter eingesetzt werden. Die entsprechenden Anforderungen und Standards werden in den nächsten Monaten präzisiert. Die Übergangsfrist dauert bis 2027, danach müssen mindestens 80% aller Anschlusspunkte im Versorgungsgebiet mit neuen Zählern ausgerüstet sein. Die Kosten für das intelligente Messsystem können auf die Netzkosten überwälzt werden, müssen aber künftig separat ausgewiesen werden.

Graustrom nicht mehr zulässig

Neu sind zur Stromkennzeichnung immer Herkunftsnachweise zu verwenden. Dies gilt auch für die Energieverluste von Pumpspeichern. Eine Deklarierung als «nicht überprüfbarer Strom» ist nicht mehr zulässig. Energieversorger, die heute noch ein Produkt mit Anteilen nicht überprüfbarer Herkunft anbieten, müssen diese ihre Produkte rückwirkend per 1. Januar 2018 anpassen.

Veränderte Verbrauchsmuster

Bei der Anpassung der Netzprodukte und Tarife sollten nicht bloss die neuen Gesetzesgrundlagen beachtet, sondern auch die mittelfristigen Trends der Technologieentwicklung und im Kundenverhalten einbezogen werden: Aufgrund der zunehmenden Anzahl Anwendungen wie Elektrofahrzeuge, Wärmepumpen und Batteriespeicher sowie wegen steigender Energieeffizienz werden sich der Energie- und Leistungsbedarf (also die Bedarfs- respektive Lastprofile) der Haushalte fundamental ändern. Die Elektrifizierung des Verkehrs und der Wärmeerzeuger (Wärmepumpen) bietet neue Chancen, die den Minderabsatz durch Energieeffizienz und Eigenverbrauchslösungen mehr als wettmachen (siehe untenstehendes Bild).

Zeitpunkt der Leistungsspitzen berücksichtigen

Zur Versorgung der neuen Verbraucher bestehen in allen Netzen noch beträchtliche Reserven, insbesondere nachts. Engpässe treten mit Ausnahme der Spitzenbelastungen im Winter bloss während weniger Stunden im Jahr auf: jeweils über Mittag an wenigen Netzknoten und insbesondere im Übertragungsnetz (siehe untenstehendes Bild).

Diese relativ kurzzeitigen Engpässe zu beseitigen, erforderte grosse Investitionen ins Netz. Um solche unverhältnismässige Kosten zu vermeiden, sollte bei der Gestaltung der Netztarife nicht allein auf die bezogene Energie und Leistung abgestellt werden, sondern vor allem auf den Zeitpunkt der Leistungsspitzen. Dies liesse sich beispielsweise mit einer Hoch-/Niedertarif-Preisstruktur realisieren.

Autor
Aeneas Wanner

ist Geschäftsleiter von Energie Zukunft Schweiz.

  • Energie Zukunft Schweiz, 4051 Basel
Autor
Martin Borner

ist Senior Projektleiter bei Energie Zukunft Schweiz.

  • Energie Zukunft Schweiz, 4051 Basel

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