Die Energiewende beschleunigen
Ressourcenüberlegungen
Wie schnell das Energiesystem in Richtung Nachhaltigkeit transformiert wird, hängt von diversen Faktoren ab. Eine wichtige Frage kommt zunehmend in den Fokus: die erforderlichen Ressourcen.
In den Jahren 2020 und 2021 verzögerte eine Siliziumknappheit den Solarausbau. Ironischerweise wurde diese Krise durch eine Überkapazität ausgelöst: Vier grosse chinesische Siliziumhersteller liessen ihre Produktion um 2019 derart wachsen, dass andere Hersteller unter diesem Wettbewerb aus dem Markt gedrängt wurden oder ihre Expansionspläne auf Eis legten [1]. Nach wenigen Monaten stagnierender Nachfrage wegen der Corona-Krise liessen neue Siliziumwafer-Produzenten und der wieder in Fahrt gekommene Solarausbau die Nachfrage nach Silizium in die Höhe schnellen – aber es wurden kaum neue Produktionskapazitäten hinzugebaut. Durch den Engpass in der Siliziumproduktion stiegen die Preise stark an und die Wachstumsraten blieben hinter den Erwartungen zurück. Erst 2023 sanken die Preise wieder und der Engpass schien beseitigt [2].
Nun, im Jahr 2024, ist es mittlerweile Konsens, dass wir unsere Anstrengungen in Sachen Energiewende vervielfachen müssen, wenn wir die Klimarisiken minimieren wollen [3–5]. Für den Aufbau der erneuerbaren Infrastruktur – also Solaranlagen, Windparks, Netzbatterien, Wärmepumpen, Elektrofahrzeuge usw. – werden jedoch Energie und Materialien benötigt [6–8]. Wenn wir den Ausbau beschleunigen, müssen auch die Lieferketten entsprechend wachsen. Und nicht nur das: Je länger wir warten, desto schneller müssen wir später die Energiewende vorantreiben und desto kritischer werden mögliche Engpässe in den Lieferketten. Angesichts der Dringlichkeit der Klimakrise und der zentralen Rolle von Materialien für die Energiewende sollten Lieferengpässe, wie sie 2020 beim für die Photovoltaik so wichtigen Silizium aufgetreten sind, unbedingt vermieden werden. Gefragt ist daher eine vorausschauende Materialstrategie, wie sie beispielsweise die EU für kritische Rohstoffe entwickelt hat [9].
Die Aluminium-Energie-Rückkopplung
Nehmen wir Aluminium als Beispiel. Dieses Leichtmetall wird heute in vielen erneuerbaren Technologien verwendet, unter anderem für die Rahmen von Solarmodulen und deren Befestigung auf dem Dach – etwa 4 kg pro Quadratmeter. Es braucht Zeit, neue Minen für Bauxit zu erschliessen, neue Raffinerien für Aluminiumoxid zu bauen oder Schmelzwerke für Aluminium auszubauen. Und die Herstellung von Aluminium ist energieintensiv. Diese Energie muss mit dem bereits bestehenden Energiesystem bereitgestellt werden.
Mehr Aluminium braucht also mehr Energie, und im Falle der Solarenergie bedeutet mehr Energiekapazität auch mehr Aluminium. Dieser Zusammenhang gilt generell für Materialien und Energie, wird aber in den gegenwärtig diskutierten Energiestrategien nicht ausreichend berücksichtigt. Ein hoher Energiebedarf führt zu einem verzögerten Ausbau der Infrastruktur für erneuerbare Energien, und damit insgesamt zu höheren Emissionen und Klimarisiken. Hinzu kommt, dass insbesondere die Primärproduktion von Materialien massive Umweltauswirkungen verursacht und soziale Gruppen beeinträchtigen kann. Ein grosser Teil der Lagerstätten von Mineralien, die für die Energiewende benötigt werden, wie Bauxit, Lithium, Kupfer und Silber, befindet sich unter dem Land indigener und anderer landgebundener Gemeinschaften [9] sowie in den letzten halbwegs intakten Ökosystemen unseres Planeten.
Wenn wir die Zusammenhänge zwischen den Teilsystemen – zum Beispiel Materialien, Energie, gesellschaftliche Nachfrage – untersuchen, können wir herausfinden, welche Strategien effektiv genug sind, um Klimaziele mit dynamisch verfügbaren Ressourcen zu erreichen. Sekundärmaterialien werden beispielsweise erst dann verfügbar, wenn Produkte oder Infrastrukturen nicht mehr genutzt werden. Autos mit Verbrennungsmotor enthalten grosse Mengen an Aluminium sowohl in der Karosserie als auch in den Motorblöcken. Recycling lässt sich also nicht beliebig skalieren, sondern hängt von der Nutzung dieser Materialien in der Gesellschaft ab. Die erneuerbare Infrastruktur kann nur dann mit recycelten Materialien aufgebaut werden, wenn diese in ausreichender Menge und Qualität zur Verfügung stehen.
Darüber hinaus gibt es weitere Möglichkeiten, um potenzielle Engpässe in den Lieferketten zu umgehen: Materialien können in vielen Anwendungen substituiert werden, und der Einsatz von Materialien lässt sich priorisieren. Betrachten wir das Beispiel Aluminium. Die Verwendung dieses Leichtmetalls nimmt in unserer Gesellschaft seit Jahrzehnten rasant zu. Es wird in grossen Mengen für Batterien, Elektrofahrzeuge, Wärmepumpen, Kabel oder Solaranlagen verwendet. Für einige Anwendungen, zum Beispiel für Elektroden für Batterien, Wärmetauscher in Wärmepumpen, oder als elektrischer Leiter ist Aluminium essenziell und schwer zu ersetzen. Als Rahmen und Montagesystem für Solarpaneele lässt sich Aluminium hingegen gut ersetzen. Und das ist auch nötig, denn um die notwendige Terawattskala für PV zu erreichen, müssten wir die Menge an Aluminium, die wir heute bereits in der Gesellschaft haben, allein dafür mindestens verdoppeln. Der dafür nötige Ausbau der Aluminium-Lieferketten würde die Energiewende massiv verzögern. Studien haben kürzlich auf diesen möglichen Engpass bei Aluminium für PV hingewiesen [10, 11]. Es ist also wichtig, frühzeitig Strategien zu erarbeiten, um solche möglichen Engpässe zu vermeiden.
Auf Aluminium in PV verzichten
Bereits heute sind Glas-Glas-PV-Paneele auf dem Markt, die ohne Aluminiumrahmen auskommen. Obwohl 20% mehr Glas benötigt wird, sind sowohl der Rohstoff als auch der Produktionsprozess weniger kritisch als bei Aluminium. Auch die Ökobilanz ist vorteilhaft: Gegenüber gerahmten Varianten schneiden rahmenlose Paneele im direkten Vergleich bei der Klimawirkung um 10% besser ab [12].
Hinzu kommt das Montagesystem, das standardmässig in Aluminium ausgeführt wird. Hier gab es bereits in den letzten Jahren eine massive Verbesserung der Materialeffizienz, vor allem durch den Einsatz von Monorail-Systemen, die keine gekreuzten Schienen mehr verwenden. Vorteilhaft sind auch Indachsysteme, die auf der bereits am Haus vorhandenen Holzlattung angebracht werden können. Es gibt auch Montagesysteme, die ganz ohne Aluminium auskommen. So werden beispielsweise Aufständerungen für die Montage auf Flachdächern bereits in verzinktem Stahlblech gefertigt oder die Paneele direkt auf die Dach- und Fassadenflächen geklebt.
Die Vermeidung von Aluminium in nicht wesentlichen Anwendungen, wie das Beispiel der Rahmen und Montagesysteme verdeutlicht, kann sich stark auf die Dynamik der Energietransition auswirken. Wenn die gesamte Lieferkette für Primäraluminium schnell und in grossem Umfang skaliert werden muss, braucht dies Zeit und hat negative Auswirkungen auf die Umwelt und die Bevölkerung. Diese Verzögerungen führen unweigerlich zu einer langsameren Energiewende als sonst möglich. Und damit zu höheren kumulierten CO2-Emissionen und Klimarisiken. Wenn wir hingegen die Energiewende mit Materialien vorantreiben, die leichter zu mobilisieren oder bereits in der Gesellschaft vorhanden sind, kann die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern deutlich schneller reduziert werden.
Die fossile Infrastruktur umnutzen
Eine weitere Strategie zur Beschleunigung der Transition kann die Nutzung der fossilen Infrastruktur sein. Mit fortschreitender Energiewende werden thermische Kraftwerke, Pipelines, fossil betriebene Fahrzeuge, Gas- und Ölheizungen obsolet. Die enthaltenen Materialien können prinzipiell für den Bau von Windparks, Solaranlagen, Elektrofahrzeugen, Wärmepumpen usw. verwendet werden. Nur ist die Zusammensetzung der fossilen und erneuerbaren Komponenten zum Teil sehr unterschiedlich. Dennoch kann man versuchen, möglichst viele der benötigten Komponenten aus Materialien herzustellen, die in der fossilen Infrastruktur ausreichend vorhanden sind. Türme für Windturbinen können direkt aus Stahl aus der fossilen Infrastruktur gebaut werden, wodurch die CO2-Emissionen und der Energieaufwand um 25% reduziert werden können. Stahl kann auch für Montagesysteme von PV-Anlagen verwendet werden, sowohl auf Dächern als auch über Parkplätzen, Kläranlagen etc. Ersetzt man damit das Aluminium, welches heute noch überwiegend verwendet wird, sinken die CO2-Emissionen und der Energieaufwand für Aufdach-PV-Systeme um beachtliche 30%. Der Grossteil dieser Einsparung kommt aus der Verwendung von Stahl anstelle von Aluminium; Recyclingstahl aus der fossilen Infrastruktur verbessert die Umweltbilanz aber zusätzlich, spart Primärressourcen und reduziert negative Auswirkungen auf die Gesundheit.
Teile der heute fossilen Infrastruktur lassen sich auch so umbauen, dass sie direkt zur Energiewende beitragen können. Zum Beispiel können Stahlrohre von Gaspipelines für Fernwärmenetze verwendet werden, was bis zu 45% der Umweltauswirkungen beim Bau der Netze spart. Oder bestehende Dieselbusse im Stadtverkehr können zu Elektrobussen umgerüstet werden. Neu angeschaffte Elektrobusse können dann direkt zum Ausbau des öffentlichen Verkehrs beitragen, und die Flotte lässt sich viel schneller dekarbonisieren.
Weitere Forschung ist nötig
Um die Energiewende zu meistern, ist eine vorausschauende und ressourcenbasierte Planung unerlässlich. Dazu bedarf es angepasster und erweiterter Modelle, Methoden und Strategien, die die verschiedenen Teilsysteme miteinander verknüpfen. Obwohl dies noch Gegenstand der Forschung ist, ist bereits jetzt klar, dass Materialien in den nötigen schnellen Energiewende-Szenarien eine fundamentale Rolle spielen. Wir müssen daher versuchen, die dynamisch verfügbaren Materialien so einzusetzen, dass die Chancen erhöht werden, einen Klimakollaps zu vermeiden.
Referenzen
[2] www.bernreuter.com/polysilicon/price-trend
[3] H. Desing, R. Widmer, «Reducing climate risks with fast and complete energy transitions: applying the precautionary principle to the Paris agreement», Environmental Research Letters, 16, S. 121002, 2021.
[4] United Nations Environment Programme, Emission Gap Report 2022: The Closing Window – Climate crisis calls for rapid transformation of societies, 2022.
[5] N. Wunderling et al., «Global warming overshoots increase risks of climate tipping cascades in a network model», Nature Climate Change, 13, S. 75–82, 2023.
[6] S. Wang et al., «Future demand for electricity generation materials under different climate mitigation scenarios», Joule, 2023.
[7] UNEP, Global Resources Outlook 2024: Bend the Trend – Pathways to a liveable planet as resource use spikes. 2024, International Resource Panel: Nairobi.
[8] H. Desing et al., «Mobilizing materials to enable a fast energy transition: A conceptual framework», Resources, Conservation and Recycling, S. 200, 2024.
[10] E. Lèbre et al., «The social and environmental complexities of extracting energy transition metals», Nat Commun, 11, S. 4823, 2020.
[11] A. Lennon et al., «The aluminium demand risk of terawatt photovoltaics for net zero emissions by 2050», Nature Sustainability, 5, S. 357–363, 2022.
[12] J. C. Goldschmidt et al., «Technological learning for resource efficient terawatt scale photovoltaics», Energy Environ. Sci., 14, S. 5147–5160, 2021.
[13] A. Müller et al., «A comparative life cycle assessment of silicon PV modules: Impact of module design, manufacturing location and inventory», Solar Energy Materials and Solar Cells, 230, S. 111277, 2021.
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