Die Ausbildung als Startrampe
Gesucht: Fachkräfte
In der Schweiz herrscht Mangel an gut ausgebildeten Technikern und Handwerkern, weil sich immer weniger zu einer solchen Ausbildung entschliessen. Dabei bietet eine solche Lehre eine Fülle an Möglichkeiten. Drei Beispiele.
«Ingenieure händeringend gesucht» [1], «Fehlen 25 000 Informatiker?» [2] oder «Der Fachkräftemangel in der Schweiz ist teilweise hausgemacht» [3]. Dies sind nur drei Schlagzeilen aus den letzten paar Monaten, die der schweizerischen Wirtschaft eine düstere Zukunft prognostizieren. Indes, schenkte man solch medialen Unkenrufen jedes Mal uneingeschränkten Glauben, dann müsste das schweizerische Ausbildungssystem wohl im Wochentakt umgekrempelt werden. Es ist aber unbestritten, dass die Suche nach passenden Fachkräften für Unternehmen vor allem in technischen Branchen eine Herausforderung ist. Das kann durchaus mit allfälligen Vorurteilen gegenüber diesen Berufen zu tun haben. Vorurteile, welche junge Menschen, die vor der Wahl eines Berufs stehen, vielfach von ihren Eltern übernehmen und die dazu führen, dass diese Wahl schliesslich auf eine «sitzende» Tätigkeit in einer Dienstleistungsbranche fällt, bei der man sich nicht die vielzitierten «Hände schmutzig macht».
Die Realität ist eine andere
Aber wie das mit Vorurteilen halt so ist: Sie stimmen selten mit der Realität überein, weil sie nur auf Annahmen und Hörensagen und nicht auf Erfahrung und tatsächlicher Branchenkenntnis beruhen. Auch der Informatiker, den man sich gemeinhin gemütlich im Bürostuhl hingefläzt und dabei virtuos via Tastatur die Computer-Probleme seiner Kunden lösend vorstellt, kann sich seine Hände schmutzig machen: Im konkreten Sinn, wenn er beispielsweise neue Hardware in einem Rechenzentrum aufstellen und einbauen muss. Im übertragenen, wenn es aufgrund eines unbedachten Klicks zu einem Systemabsturz kommt und Hunderte User nicht weiterarbeiten können. Seife ist in so einem Fall keine Lösung.
Die Schuld an den Schwierigkeiten, geeignetes Personal zu finden, nun ausschliesslich auf diffuse Vorurteile abzustellen, ist zu einfach. Branchen und deren Unternehmen verfügten vielfach zu lange gar nicht über geeignete Rekrutierungsstrategien. Sie markierten zu wenig Präsenz oder wurden zu wenig wahrgenommen. Wie ein Arbeitnehmer muss sich heute aber auch ein Arbeitgeber gut verkaufen, sich quasi «bewerben», um die gesuchten Arbeitskräfte zu erhalten.
Aktiv für Nachwuchs sorgen
Auch die Energiebranche hat die Zeichen der Zeit erkannt und beispielsweise mit der «High Voltage»-Kampagne, welche der Leitungsausschuss der Trägerschaft «Berufsbildung Netzelektriker/-in» gemeinsam mit dem Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen VSE erarbeitet hat, Gegensteuer gegeben. Die Berufs-Marketing-Kampagne «High Voltage» richtet sich explizit an Schülerinnen und Schüler im vorletzten oder letzten Schuljahr und zeigt die Vorteile einer Ausbildung als «Netzelektriker/-in EFZ». Der Beruf des Netzelektrikers vereint viele Vorurteile, wie sie weiter oben erwähnt sind, auf sich: «Man wird dreckig», «Es ist gefährlich» oder «Man muss bei jeder Witterung draussen arbeiten», um nur einige zu nennen. Statt nun aber eine Reihe von Gegenargumenten zu diesen Behauptungen aufzuzählen, sollen an dieser Stelle drei Menschen vorgestellt werden, die einst eine Ausbildung als Netzelektriker absolviert haben, deren Karrieren aber ganz unterschiedliche Verläufe genommen haben.
Heute hilft Mario Röösli seine Verkäuferausbildung
Mario Röösli ist 33 Jahre alt und wohnt in Interlaken. Er hat 2003 bei der BKW eine Lehre als Netzelektriker absolviert und vor zweieinhalb Jahren seinen Arbeitsweg um eine halbe Stunde verkürzt. Nach einer kleinen Odyssee übernahm der Netzelektrikermeister 2015 die Geschäftsführung des Standorts Hägendorf von IED Leitungsbau.
Strom hatte Mario Röösli jedoch nicht von Anfang an «elektrifiziert». Und so trat er 2001 erst einmal eine Lehre zum Verkäufer an, um schon nach wenigen Monaten festzustellen, dass er beim Arbeiten eigentlich viel lieber an der frischen Luft wäre. Bei der BKW in Wilderswil konnte Mario Röösli schliesslich eine Schnupperlehre und ab 2003 die Ausbildung zum Netzelektriker absolvieren, nicht jedoch, ohne zuvor seine zweijährige Lehre als Unterhaltungselektronik-Verkäufer abzuschliessen. Auf die Ausbildung bei der BKW war Mario Röösli übrigens im Internet gestossen. Und das im Jahr 2001, als – man kann es sich heute kaum mehr vorstellen – die Mehrzahl der Stelleninserate immer noch in Print-Produkten publiziert wurden und beispielsweise die heute grösste Schweizer Online-Stellenbörse jobs.ch seit gerade mal fünf Jahren online – und weit von ihrem heutigen Status entfernt – war. Für den Vertreter einer Branche, der gerne eine gewisse Trägheit angedichtet wird, ist das eine bemerkenswert frühe Adaption digitaler Möglichkeiten.

Von Interlaken nach Interlaken
Nach dem Abschluss der Ausbildung zum Netzelektriker wechselt Mario Röösli zur Firma Lebag in Lenzburg, um fortan im Grossleitungsbau tätig zu sein. Er genoss diese «Wanderjahre», während derer er jeden Zipfel der Schweiz – «von Graubünden bis nach Genf» – kennenlernte. Er arbeitete in dieser Zeit auch in Frankreich und Deutschland auf Montage, lernte Land und Leute kennen und erhielt auch einen Einblick in Abläufe und Strukturen verschiedenster Unternehmen. Der Liebe wegen wurde Mario Röösli dann wieder «sesshaft», arbeitete für diverse Unternehmen und für das EW Reichenbach, bevor er wieder bei der Lebag landete. «Eigentlich wollte ich nur um einen Tipp für ein Hotel in der Region bitten, bekam dann aber eine Stelle als Bauleiter angeboten, welche ich gerne angenommen habe.» 2015 erhielt Mario Röösli schliesslich von IED Leitungsbau das Angebot, die Geschäftsführung des Standorts Hägendorf zu übernehmen. «Das war eine grosse Chance, die ich natürlich nutzen wollte.»
Als er sich vor 14 Jahren dazu entschloss, eine Ausbildung als Netzelektriker anzutreten, hätte er sich nie träumen lassen, dass er später einmal eine Führungsfunktion innehaben könnte: «Meine Karriere ist nicht linear verlaufen. Ich hatte auch keinen entsprechenden Plan. Vielleicht hat es diese Umwege und Nebengleise gebraucht, um dahin zu kommen, wo ich heute bin.»
Christoph Eugster wollte «Stromer» werden
«Ich wollte schon immer ‹Stromer› werden», sagt Netzelektrikermeister Christoph Eugster. «In der Schnupperwoche als Elektromonteur beim EW Jona-Rapperswil fand ich heraus, dass es noch etwas anderes gibt: Netzelektriker!» Und so absolvierte er die Schnupperwoche als Netzelektriker, welche bei ihm volle Begeisterung für diesen Beruf auslöste. Nach dem Abschluss dieser Lehre trat er dann noch eine zweite Ausbildung an – zum Elektromonteur. Heute ist Christoph Eugster 37 Jahre alt, Netzelektrikermeister und Leiter Netze Elektrizität beim EW Höfe. Er sei mit viel Berufsstolz Netzelektriker, verrät er: «In diesem Beruf erstellt man ein Werk oder eine Trafostation, die anschliessend während mehrerer Jahrzehnte in Betrieb ist. Ich – und alle anderen auch – können sehen, was im Team geleistet worden ist. Das ist sehr befriedigend.»
Nach seinen beiden Ausbildungen arbeitete Christoph Eugster bei verschiedenen Firmen, bevor er sich zur Berufsprüfung anmeldete. «Bei der IBG Engineering AG, die ein EW auf Vordermann bringen wollte, erhielt ich die Möglichkeit, sowohl meine Kenntnisse als Elektromonteur als auch als Netzelektriker mit Berufsprüfung anwenden zu können.» Berufsbegleitend absolvierte Christoph Eugster ausserdem die Weiterbildung zum Netzelektrikermeister. «Ich hätte mir nie vorstellen können, einmal als Leiter Netze zu arbeiten. Ich hatte mich immer eher als Monteur gesehen.» Er könne es sich aber gut vorstellen, irgendwann einmal wieder «draussen» zu arbeiten. Denn auch wenn er nun hauptsächlich im Büro arbeite, «an der frischen Luft zu sein, empfand ich immer als eines der grössten Privilegien dieses Berufs».

Nachwuchsprobleme sind ein ewiges Thema
Christoph Eugster weiss, wie schwierig es ist, geeigneten Nachwuchs zu finden. «Wir müssen mit unserem Beruf bei den Jungen viel präsenter sein, ihnen zeigen, dass es uns überhaupt gibt und wie toll diese Tätigkeit eigentlich ist.» Aktuell sei die Situation aber immer noch so, dass sich ein angehender Netzelektriker aussuchen kann, wo er seine Lehre absolvieren möchte. Christoph Eugster ist überzeugt von seinem Beruf. Er würde nochmals alles genau gleich machen: «Auch die Zusatzausbildung zum Elektromonteur würde ich nochmals machen. Ich habe dort gelernt, ein Steuerungsschema zu lesen. Das ist etwas, das für einen Netzelektriker nicht selbstverständlich ist, das ihm aber das Leben gehörig erleichtern kann, wenn er es beherrscht.»
Patrick Frutig ist ein Licht aufgegangen
Patrick Frutig ist 46 Jahre alt, Netzelektrikermeister und selbstständiger Experte für öffentliche Beleuchtungen. Die Affinität zum Strom wurde ihm quasi in die Wiege gelegt, wuchs er doch auf einem kleinen Weiler, auf 1500 m Höhe im Gantrischgebiet auf, wo sein Vater als Starkstromwärter amtete. «Warum mein Vater, der von Beruf Küchenchef war und mit Strom und Technik eigentlich nichts am Hut hatte, diese Funktion innehatte, war eher sonderbar. Aber wenn ein Sturm wieder einmal einen Mast gekappt hatte und die Monteure der BKW zu uns heraufkamen, um das zu reparieren, war ich jedes Mal fasziniert.» Diese Männer hätten beinahe eine Art Heldenstatus gehabt, denn «sie brachten den Strom zurück». Und als Starkstromwärter hatte Patrick Frutigs Vater auch den Schlüssel zur Trafostation, wohin er seinen Sohn jeweils mitnahm: «Die ganze Technik dort war sagenhaft.»
Als Patrick Frutig damals seinem Lehrer – der ihn übrigens viel eher in einer kreativen Tätigkeit gesehen hätte – sagte, was er erlernen möchte, wusste niemand, wie dieser Beruf eigentlich heisst. Nach der Berufsprüfung 1992 und der Meisterprüfung 1997 absolvierte Patrick Frutig auch noch die Lastwagen-Prüfung. Dies ermöglichte ihm den Transport und das Aufstellen von Kandelabern. Ein weiterer Schritt zu seiner heutigen Tätigkeit. Der nächste war die selbstständige Planung von Beleuchtungen. Dafür absolvierte Patrick Frutig diverse weitere Ausbildungen und eignete sich auch Software-Kenntnisse an.

Vom «Beleuchtungsguru» zum Geschäftsmann
Die öffentliche Beleuchtung werde in Elektrizitätswerken in der Regel eher stiefmütterlich behandelt, sagt Patrick Frutig. Beim Elektrizitätswerk des Kantons Schaffhausen (EKS) war man daher froh über seine Begeisterung für das Thema, und so konnte er die Verantwortung für die Beleuchtungsanlagen, welche das EKS in der Schweiz und im grenznahen deutschen Gebiet betrieb, übernehmen. «Ich war intern nur noch der ‹Beleuchtungsguru›. 2013 machte ich mich dann selbstständig und gründete mein Unternehmen Vialumina/eFortis, das Licht- und Energiedienstleistungen anbietet.» Mit dieser Firmengründung hat sich Patrick Frutig einen Traum erfüllt: «Mit Licht zu arbeiten, ist kreativ und bietet mir die Möglichkeit zur Gestaltung im öffentlichen Raum. Ich wollte immer im Bereich öffentliche Beleuchtung arbeiten. Das ist eine sehr kleine Gruppe von Fachleuten, die sich alle kennen und ihr Wissen untereinander austauschen können.»
Heute würde Patrick Frutig jedem, der ihn fragt, raten: «Werde Netzelektriker!» Er hält diesen Beruf für einen «top Job, mit dem sich ausgezeichnete Perspektiven eröffnen». Patrick Frutig muss es wissen, denn ohne Netzelektriker-Ausbildung wäre er nie bei seinem – letzliche eben doch kreativen – Beruf gelandet.
Es besteht durchaus Grund zur Hoffnung
Eine jedes Jahr durchgeführte Umfrage des Stellenvermittlers Manpower hat übrigens gezeigt, dass 2016 in der Schweiz die Talentknappheit ihren tiefsten Wert seit der ersten Umfrage im Jahr 2006 erreicht hat. Nur gerade 20 % der befragten Unternehmen gaben an, Stellen nicht adäquat besetzen zu können.[4] Die Studie offenbart aber auch, dass Facharbeiter nach wie vor die gesuchtesten Arbeitnehmer auf dem Schweizer Arbeitsmarkt sind.Die drei oben erwähnten Beispiele zeigen, dass jungen Berufsleuten mit einer fundierten Ausbildung jede Menge Wege offenstehen. Eine technische oder handwerkliche Lehre ist keine Sackgasse, sondern kann die Startrampe für ein erfolgreiches und erfüllendes Berufsleben sein.
Referenzen
[1] www.nzz.ch, 8. Mai 2017.
[2] www.nzz.ch, 3. November 2016.
[3] www.solothurnerzeitung.ch, Ausgabe vom 22. März 2017.
[4] www.manpower.ch/de/talentknappheit.
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