Meinung Infrastruktur , VSE

Die andere Hälfte der Miete

Eine Meinung zum Stromnetz

30.05.2022

Versorgungssicherheit wird aktuell heisser diskutiert als je zuvor. Im Fokus steht dabei primär die Stromproduktion – gewiss die eine Hälfte der Miete. Die andere Hälfte jedoch wird sträflich ausgeblendet. Dabei gilt auch in einem erneuerbaren Energiesystem: ohne Netz keinen Strom. Wir können produktionsseitig noch so hochfahren. Es nützt alles nichts, wenn wir den Strom nicht dorthin befördern können, wo wir ihn brauchen. Strom und Netz bedingen sich gegenseitig.

Unser Stromnetz ist Spitzenklasse, im Schnitt fällt es hierzulande nur rund 20 Minuten im Jahr aus. Man beneidet uns dafür. Möglich machen es die durchschnittlich 1,2 Milliarden Franken, die schon im heutigen Energiesystem jährlich in die über 250'000 km Netze fliessen. Und dies allein, um die Netze zu erhalten. Wer nun glaubt, man könne so weiterfahren, irrt gewaltig. Die tiefgreifende Umwandlung des Energiesystems bedarf einer Netzinfrastruktur, die den sich wandelnden, neuen Anforderungen gerecht wird. Erhalten reicht nicht. Wir müssen die Netze anpassen, digitalisieren und nötigenfalls ausbauen.

Weitsichtiges Denken und angemessene Rahmenbedingungen für langfristige, kapitalintensive Investments sind gefragt. Anlegerinnen und Anleger brauchen Sicherheit, wie stabile und angemessene Zinsen. Eine solche bietet der vom Bund festgelegte kalkulatorische Zinssatz für das im Stromnetz gebundene Kapital WACC (Weighted Average Cost of Capital). Teile der Wirtschaft und der oberste Preisüberwacher forderten unlängst die Senkung des WACC, obwohl die langfristigen Zinsen steigen. Ihnen sei gesagt: Wer an der Netzfinanzierung herumschraubt, schraubt an der Versorgungssicherheit.

Der Bundesrat ist sich dessen bewusst. Mit seinem Entscheid, den WACC für das kommende Tarifjahr unverändert zu lassen, hält er Kurs in der Energie- und Klimastrategie. Das Stromnetz ist der Enabler der erneuerbaren Energieversorgung und der Elektrifizierung, die das Netto-Null-Ziel vorgibt. Es ist Zeit, dass wir den Netzen die Bedeutung beimessen, die sie für die Versorgungssicherheit tatsächlich haben.

Autor
Michael Frank

ist Direktor des VSE

Kommentare

Peter Reck,

Sehr gute Überlegungen! Unser Netz genügt offenbar nicht mehr vollständig. Was mich immer wieder stört, ist die Tatsache, dass die Schweiz ca 19 TWh nach Italien exportiert, bei einem jährlichen Verbrauch von etwa 60 TWh. Warum müssen wir das seit Jahrzehnten marode Stromsystem Italiens derart stützen —> ist die ganze "Stromwelt" hoffnungslos dem monetären Kommerz einverleibt - deshalb weder verstehbar noch entsprechend kontrollierbar geworden.
Freundliche Grüsse Peter Reck, Köniz, dipl. El. Ing .

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