Verband Energiemarkt , VSE

Dezentral, vernetzt und stark digitalisiert

Bericht zu den Energiewelten 2018

17.07.2018

Die Energiewelten sind das VSE-Denkmodell für die Schweizer Energieversorgung im Jahr 2035. Anfang Juli ist der neue Bericht «Energiewelten 2018» erschienen. Dieser nimmt den «VSE Trend 2035» unter die Lupe und stellt dar, welche Energiewelt im Jahr 2035 erwartet werden darf.

Das Projekt «Energiewelten» des VSE befasst sich mit drei Fragen: Was ist in Zukunft denkbar? Welche Tendenzen zeichnen sich ab? Was ist für die Zukunft wünschenswert? Die Diskussion dieser Fragen basiert nicht auf numerischen Modellen oder quantitativen Prognosen. Das Projekt wendet einen deskriptiven Ansatz an und nimmt eine Gesamtsicht auf die Energiezukunft im Jahr 2035 ein. Die Energiewelten beschreiben extreme Eckpunkte möglicher Entwicklungen, die grundsätzlich nicht auszuschliessen sind und spannen somit einen breiten, qualitativen Entwicklungskorridor auf. Die tatsächliche Energiewelt wird sich voraussichtlich innerhalb dieses Korridors entwickeln. Im Bericht «Energiewelten 2017» wurden vier denkbaren Energiewelten Trust World, Trade World, Local World und Smart World vorgestellt.

Der «VSE Trend 2035» zeigt die Energiewelt, die der VSE aufgrund des aktuellen Wissensstands im Jahr 2035 als am plausibelsten betrachtet. Im Bericht «Energiewelten 2018» wurde der Trend überprüft, den aktuellen Tendenzen angepasst und vertieft. Zum «VSE Trend 2035» wurde erstmals ein Marktmodell entwickelt und mögliche Geschäftsmodelle für den «VSE Trend 2035» wurden daraus abgeleitet.

Fünf Dimensionen und ihre Treiber

Die Beschreibung der Energiewelten und des «VSE Trend 2035» erfolgt anhand von 15 ausgewählten Treibern, welche das Potenzial haben, die Energiezukunft der Schweiz in den nächsten 20 Jahren spürbar zu verändern. Diese Treiber wurden zu fünf Dimensionen zusammengefasst (Bild unten).

Der «VSE Trend 2035»

Seit dem Bericht «Energiewelten 2017» haben auf politischer und regulatorischer Ebene Ereignisse stattgefunden, welche den «VSE Trend 2035» massgeblich mitbestimmen. Zum einen trat per 1. Januar 2018 die Energiestrategie 2050 in Kraft. Diese gibt Richtwerte zum Ausbau der erneuerbaren Energien sowie zum Energie- und Stromverbrauch vor, verbietet den Neubau von Kernkraftwerken, stuft erneuerbare Energien als nationales Interesse ein und setzt CO2-Limiten für Fahrzeuge.

Zum anderen ist die Ratifikation des Klimaabkommens (COP21) erfolgt. Die Schweiz setzt sich damit zum Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2030 im Vergleich zu 1990 zu halbieren. Zur Umsetzung der Verpflichtungen aus dem Klimaabkommen wird das CO2-Gesetz totalrevidiert und aktuell im Parlament behandelt. Das Klimaabkommen und somit auch das CO2-Gesetz haben längerfristige Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit der Energieträger und die Verbraucher.

Im Gebäudebereich wird derzeit die Umsetzung der neuen Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (MuKEn) angestrebt, welche noch bis 2020 andauern wird. Die MuKEn sehen eine Verschärfung der energetischen Anforderungen an den Schweizer Gebäudepark vor – wie zum Beispiel die Eigenstromerzeugung für Neubauten.

Im Folgenden wird der «VSE Trend 2035» (Stand 2018) beschrieben.

Dimension Nachfrage/Flexibilisierung

Der Bezug aus dem Stromnetz (Stromnachfrage) steigt deutlich. Die Substitution fossiler Energieträger durch erneuerbaren Strom (Sektorkopplung) hat einen nachfragesteigernden Effekt. So werden zum Beispiel im Wärmebereich vermehrt Wärmepumpen eingesetzt – bei Neubauten beträgt ihr Anteil zirka 80 %.[1] Auch die zunehmende Elektromobilität wird zum steigenden Stromverbrauch beitragen. Forschende von SCCER Mobility gehen davon aus, dass bei einer vollständigen Elektrifizierung des heutigen Individualverkehrs zusätzlich rund ein Viertel des Stromverbrauchs nötig würde.[2] Weitere Gründe für den steigenden Stromverbrauch sind die Zunahme von elektronischen Geräten und deren Nutzung sowie das Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum. Die höhere Energieeffizienz kann den steigenden Stromverbrauch nicht kompensieren – entgegen den Zielen der ES2050.

Der «VSE Trend 2035» geht von zunehmendem Eigenverbrauch aus. Gründe dafür sind erstens der vermehrte Einsatz von Batterie-, Gas- und Wärmespeichern, die sich aufgrund des Preiszerfalls im Markt etablieren werden. Zweitens unterstützt der erwartete Kostenrückgang der erneuerbaren Energien den Eigenverbrauch. Drittens wird der Eigenverbrauch regulatorisch durch die ES2050 begünstigt, indem die Möglichkeiten für den Eigenverbrauch verbessert werden.

Dimension zentrale/dezentrale Versorgung

Gemäss «VSE Trend 2035» nimmt der Anteil dezentraler Produktion deutlich zu und beträgt im Jahr 2035 zirka 10–25 % (nur erneuerbare dezentrale Produktion).[3] Mehrere Gründe erklären diesen Anstieg. Die Energiestrategie 2050 hat den Ausbau erneuerbarer Energien zum Ziel. Die Wettbewerbsfähigkeit dezentraler Anlagen steigt mit den erwarteten Kostensenkungen von PV und Wind. Eine Studie des Paul-Scherrer-Instituts geht davon aus, dass die Gestehungskosten in der Schweiz für neue PV-Anlagen bis 2035 um 50 % und jene für Windenergie um etwa 20 % sinken werden.[4] Trotz zunehmend dezentralen Strukturen bleibt die Wasserkraft unverzichtbar für die Stromversorgung.

Die Importmöglichkeiten sind ab 2025 aufgrund des Abbaus von ausländischen Kraftwerkskapazitäten mit Risiken behaftet und werden tendenziell weniger. Daher könnten auch Gaskombikraftwerke oder WKK-Anlagen zum Einsatz kommen. Diese Kraftwerke können ebenfalls mit erneuerbaren Energien, wie zum Beispiel Biogas, betrieben werden.

Die Sektoren und Netze der Energieträger Strom, Gas und Wärme wachsen bis 2035 stärker zusammen (Sektorkopplung/Netzkonvergenz). Mittels Technologien wie Wärmepumpen, Elektroautos oder Power-to-Gas-Anlagen werden erneuerbare Energien integriert und somit die Sektoren Mobilität, Wärme und Industrie in erheblichem Umfang dekarbonisiert. Power-to-Gas-to-Power ist heute – neben der Speicherwasserkraft – die einzige erkennbare Option zur saisonalen Speicherung von Energie. Mit den erwarteten hohen saisonalen Preisdifferenzen beim Strom wird sich die Wettbewerbsfähigkeit dieser Technologie verbessern.

Dimension Märkte/EU-CH

Der Eigenversorgungsgrad beim Strom sinkt vor allem im Winter, da die Produktion aus Kernkraftwerken abnimmt und die Produktion aus erneuerbaren Energien diesen Rückgang nicht vollständig kompensieren kann. Mit den unsicheren Importmöglichkeiten im Winter wird das Ausmass der Fähigkeit zur Eigenversorgung zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit essenziell. Wie und in welcher Form die Vernetzung der Schweiz mit der EU ausgestaltet sein wird, ist weiterhin offen. Die Unsicherheit bezüglich zukünftiger Stromimporte und die abnehmende Fähigkeit zur Eigenversorgung verringern – ohne Gegenmassnahmen – die Versorgungssicherheit. Die Botschaft zum Abkommen über die Verknüpfung der Emissionshandelssysteme mit der EU (EU ETS) wurde verabschiedet. Dieses Abkommen ermöglicht Schweizer Kraftwerkbetreibern den Zugang zu einem grösseren Zertifikatemarkt.

Dimension Digitalisierung

Die Energieversorgung ist 2035 stark von der Digitalisierung durchdrungen. Immer mehr Geräte sind mit dem Internet verbunden und liefern permanent Daten. Die Menge und Verwendbarkeit von Sensoren steigt rapide, unter anderem weil die Kosten dafür sinken. Sensoren und Konnektivität sind zur Steuerung und Regelung zukunftsfähiger Energiesysteme eine wichtige Voraussetzung und ermöglichen erst die optimale, dezentrale Versorgung.

Die in den Geräten und Anlagen installierten Sensoren generieren eine riesige Datenmenge. Daten aus Produktions- und Netzanlagen sowie Verbraucheranwendungen lassen sich aggregieren und für den jeweiligen Nutzen wie zum Beispiel Demand Side Management oder verbesserte Koordination dezentraler Anlagen mittels Datenanalyse auswerten. Leistungsstarke Datenauswertungen erhöhen die Effizienz des Gesamtsystems.

Dimension Regulierung/Staatseingriffe

Im Rahmen der Totalrevision des CO2-Gesetzes ist geplant, bisherige Emissionsvorschriften weiterzuführen und zu verschärfen. Denn der Wille zur Minderung der CO2-Emissionen wurde durch die Unterzeichnung des Pariser Klimaschutzabkommens (COP21) manifestiert. Dies führt zu höheren CO2-Abgaben. Und höhere CO2-Preise unterstützen die Markt- und Konkurrenzfähigkeit der erneuerbaren Energien.

Marktmodell des «VSE Trend 2035»

Zum «VSE Trend 2035» wurde erstmals ein Marktmodell entwickelt. Dieses beschreibt das Regelwerk, innerhalb dessen die Rollen, Verantwortungen und Kompetenzen der Akteure bestimmt werden. Grundlegendes Element des Marktmodells ist das Ausmass der Marktöffnung. Die weiteren untersuchten Kernelemente des Marktmodells sind Regulierungen für das Netz und für die Energie sowie für übergeordnete Prozesse. Das Marktmodell des VSE geht davon aus, dass der Strom- und auch der Gasmarkt vollständig geöffnet sein werden. Staatseingriffe in die Produktion zum Zwecke der Gewährleistung der Versorgungssicherheit werden wegen des fehlenden Stromabkommens verstärkt.

Im «VSE Trend 2035» nimmt die Anzahl der Akteure und Geschäftsmodelle weiter zu. Die Grenzen zwischen Produzenten und Endverbrauchern verschwinden zunehmend. Viele Verbraucher treten selbst als Akteure im Markt auf, in dem sie Energie, Flexibilitäten oder Speicherleistungen anbieten – oder diese direkt von anderen Verbrauchern beziehen. Unternehmen anderer Sektoren haben sich im Jahr 2035 ebenfalls im Energiesektor etabliert. Traditionelle Unternehmen der Energiewirtschaft sind einerseits weiterhin in ihren angestammten Tätigkeitsfeldern aktiv und fokussieren sich auf ihre Stärken, anderseits bieten sie neue, innovative, auch sektorübergreifende Produkte und Dienstleistungen an. Neue Geschäftsfelder bieten insbesondere die Schnittstellen zwischen den Sektoren Mobilität, Industrie und Gebäuden.

Auf dem Weg zur Smart World

Der «VSE Trend 2035» entspricht weitgehend den Merkmalen der Smart World und hat entsprechend seinen Schwerpunkt in dieser (Bild unten). Die Smart World zeichnet sich durch eine dezentrale, vernetzte Energieversorgung mit einem hohen Digitalisierungsgrad aus.

Auf politischer Ebene könnte ein Durchbruch bei den Verhandlungen mit der EU über ein Stromabkommen die Rahmenbedingungen erheblich verändern. Auf technologischer Ebene können Innovationen bei Speichertechnologien – wie virtuelle Speicher – den Trend massgeblich beeinflussen. Die Auswirkungen solcher Entwicklungen auf die Energieversorgung müssen untersucht werden. Deshalb erfolgt auch 2019 eine Überprüfung des «VSE Trend 2035».

Referenzen

[1]   Fachvereinigung Wärmepumpen Schweiz.
[2]   Samuel Schläfli, «Mobilität in Bewegung», Bulletin SEV/VSE 6/2018, S. 14.
[3]   Bericht Energiewelten 2018, VSE.
[4]   Bauer, C., & Hirschberg, S. (2017), «Potenziale, Kosten und Umweltauswirkungen von Stromproduktionsanlagen», im Auftrag des BFE.
[5]   Bericht Energiewelten 2017, VSE.

Autor
Frédéric Roggo

arbeitete bis am 31. Juli 2020 als Experte Energiewirtschaft beim VSE.

EVU-Tool des VSE

Mit dem EVU-Tool des VSE – dem Tool zu den Energiewelten – erfahren Sie, wie Sie oder eine bestimmte Gruppe Ihrer Wahl die Energiewelt im Jahr 2035 sehen oder wie Mitarbeitende Ihr EVU in den Energiewelten heute oder im Jahr 2035 einstufen. Das Tool steht VSE-Mitgliedern kostenlos zur Verfügung.

Worum geht es?

Der VSE hat im Rahmen der Energiewelten ein Tool entwickelt, mit dem sich die Mitglieder des VSE online mit der Energiezukunft auseinandersetzen können.

Was leistet das EVU-Tool?

Mit dem EVU-Tool können die Mitglieds­unternehmen des VSE die Erwartungen ihrer Mitarbeitenden oder einer anderen ausgewählten Gruppe zur Energiezukunft der Schweiz im Jahr 2035 online abfragen. Mitgliedsunternehmen können zudem herausfinden, wie ihre Mitarbeitenden die Position ihres EVU in den Energiewelten sehen – heute und im Jahr 2035.

Wie funktioniert das EVU-Tool?

Im Tool stehen Umfragen zur Energiezukunft im Jahr 2035 (Trend-Umfrage) sowie zu Tätigkeiten und Geschäftsfeldern von Ener­gie­ver­sor­gungs­un­ter­neh­men heute und 2035 (EVU-Umfrage) zur Verfügung. Die Umfragen beinhalten Fragen zu den fünf Dimensionen der VSE Energiewelten und den darin subsumierten 15 Treibern.

Was habe ich von der Auswertung?

Die Ergebnisse der Umfragen können umgehend online analysiert und in ausgewählten Gruppen diskutiert werden. Die Nutzung des Tools kann beispielsweise als Einstieg in Gruppendiskussionen und Arbeiten zu den Themen Strategieentwicklung, Teamentwicklung, Überarbeitung bestehender Geschäftsfelder oder Produkte, Entwicklung neuer Geschäftsideen oder Produkte oder Workshops zu Zukunftsfragen verschiedenster Themenbereiche dienen.

Weitere Informationen zum Tool und zur Bestellung eines Accounts finden Sie unter www.energiewelt.ch.

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